48. Exercise

Jess

Ich kam mir so hilflos vor. Seit zwei Minuten versuchte ich alleine von der Toilette aufzustehen, doch es klappte nicht. Eine der Krücken war zu Boden gefallen und ich durfte das operierte Bein nicht belasten. Somit blieb mir nichts anderes übrig, als nach Niall zu rufen, der sofort herbeieilte, um nach mir zu schauen. Anhand seines Gesichtsausdrucks konnte ich sehen, dass er Schlimmeres erwartet hatte, als mich in dieser Situation vorzufinden. Für mich war es jedoch schon peinlich genug.

„Jess, Gott sei Dank, ich dachte schon, du bist gestürzt!"

Mit drei großen Schritten stand er neben mir und schaute halbwegs erleichtert drein, als er mich in der sitzenden und gleichzeitig hilflosen Position erblickte.

„Komm, ich helf dir."

Für ihn schien es irgendwie selbstverständlich zu sein, das Kindermädchen für mich zu spielen, oder die Krankenschwester – je nachdem wie man es sehen wollte. Ehe ich mich versah, hob er die am Boden liegende Krücke auf und reichte sie mir, damit ich mich abstützen konnte. Gleichzeitig legte er einen Arm um meine Taille, um mir etwas mehr Halt zu geben.

„Oh Gott, das ist so scheiße", murmelte ich. „Ich komme mir gerade vor, wie eine achtzigjährige Oma."

Nialls leichtes Schmunzeln ließ mich erahnen, dass gleich ein Kommentar folgen würde, der auch prompt kam.

„Dann weißt du ja jetzt, wie ich mich nach meiner Knie-OP gefühlt habe, wie der letzte Mensch auf Erden."

Genauso kam ich mir wirklich vor, zumindest im Moment. Dieser jämmerliche Zustand dauerte eine ganze Weile an und die Fortschritte waren gerade am Anfang noch nicht messbar.

Das Erste, was mir positiv auffiel, war die Tatsache, dass ich nach zwei Wochen die Schmerzmittel von drei auf zwei Tabletten täglich reduzieren konnte. Das Zweite, dass das Laufen an den Krücken merklich schneller vonstattenging als zu Anfang, und das Dritte, dass die Naht an meinem Bein schon relativ gut verheilt war. Natürlich blieb eine Narbe zurück, doch diese war nicht ganz so lang wie Nialls. Außerdem würde man diese unter den Strumpfhosen sowieso nicht wahrnehmen.

In Gedanken befand ich mich immer öfter beim Balletttraining, obwohl ich noch nicht einmal mit der Physiotherapie begonnen hatte. Aber mein Herz und meine Seele brannten darauf, endlich wieder den Versuch starten zu können, über eine Bühne zu schweben.

Manchmal träumte ich nachts von einer Aufführung, in welcher ich die Hauptrolle spielte, so wie am Tag des Unfalls. Wenn ich dann schweißgebadet und zitternd erwachte, bemerkte Niall dies meistens. Er wurde automatisch wach, sobald ich mich aufsetzte, um den Traum zu verarbeiten, selbst wenn dies im Dunkeln geschah.

Es tat gut, sich in seine Arme kuscheln zu können, und auch wenn wir oft kein einziges Wort sprachen und er mich nur auf die Wange küsste, so wusste ich doch, dass er mich verstand. Ich brauchte ihm nie etwas zu erklären, denn er spürte einfach, was mich bewegte. Diese Seelenverwandtschaft machte einen großen, einen sehr wichtigen Teil unserer Beziehung aus. Sie stärkte mich und gab mir Mut bei all dem, was noch vor mir lag.

Die Tage flossen dahin und meine einzige Beschäftigung wäre der Fernseher gewesen, wenn Niall mich nicht ständig bei Laune gehalten hätte. Er war es auch, der mich ermutigte, Kontakt mit meiner alten Ballettschule aufzunehmen.

„Du solltest so früh wie möglich beginnen, deine Connections spielen zu lassen", lauteten seine Worte, wobei er mir zärtlich übers Haar streichelte.

„Du hast ja Recht, aber was ist, wenn sie mir sagen, dass ich jetzt zu alt bin?", zweifelte ich.

„So ein Quatsch! Du bist bereits eine ausgebildete Balletttänzerin, die nur eine kleine Pause einlegen musste. Ich bin mir absolut sicher, dass man das wieder hinbiegen kann", meinte er zuversichtlich.

„Also gut."

Seufzend griff ich nach meinem Handy. Dort hatte ich noch immer die wichtigen Nummern aus meiner Vergangenheit eingespeichert. Wie gut, dass ich es damals nicht übers Herz gebracht hatte, sie zu löschen.

Nach dem zweiten Klingeln nahm jemand ab und ich hörte die Stimme meiner alten Tanzlehrerin.

„Hallo, Mrs Smith, hier ist Jessica Meyers."

Es herrschte einen Moment Stille am anderen Ende der Leitung.

„Jess? Bist du das?"

„Ja, Fiona, ich bin's."

„Oh Gott, wie geht es dir? Ich habe so lange nichts mehr von dir gehört. Nach diesem schrecklichen Unfall wolltest du mit niemandem von uns sprechen."

„Ja, das stimmt", bekannte ich ein wenig zerknirscht. „Aber..., mir geht es inzwischen besser. Ich bin operiert worden und der Arzt hat gesagt, dass ich wieder tanzen könnte."

„Wirklich? Das ist großartig! Möchtest du zum Training vorbeikommen? Ich hätte nichts dagegen!"

Mit solch einer positiven Antwort hatte ich nie und nimmer gerechnet, diese trieb beinahe Tränen in meine Augen.

„Ich..., ich muss erst noch meine Physiotherapie hinter mich bringen, ich laufe im Moment noch an Krücken", erklärte ich mit klopfendem Herzen.

„Umso besser ist es, dass du dich jetzt schon gemeldet hast. Dann können wir viel flexibler planen, was dein Training angeht. Wann denkst du, wirst du soweit sein, deine erste Privatstunde hinzulegen?"

Ich konnte es nicht fassen, dass Fiona mir Privatstunden geben wollte. Dieses Angebot konnte ich unmöglich ausschlagen.

„Also ich werde noch eine Woche an Krücken laufen müssen und dann geht's zur Physiotherapie. Ich weiß noch nicht genau, wie lange das dauern wird."

„Gut, dann machen wir es so. Frage deine Therapeuten und sag mir dann Bescheid, ok? Ich brenne wirklich darauf, dir zu helfen, du hast so ein unglaubliches Talent."

Es tat gut, diese Worte zu hören, wenngleich sie Tränen verursachten, die unkontrolliert über meine Wangen liefen. Da ich das Handy jedoch auf den Lautsprechermodus umgestellt hatte, konnte Niall jedes Wort mithören. Somit wunderte es ihn nicht, dass ich vor Freude in Tränen ausbrach. Er zeigte mir einen Daumen nach oben, nachdem Fiona den letzten Satz ausgesprochen hatte, weil er wusste, wie viel mir das bedeutete.

„Siehst du, es ist doch alles bestens", flüsterte er mir beruhigend ins Ohr, nachdem ich das Telefonat beendet hatte und fassungslos in den Sofakissen versank.

„Ich glaube es einfach nicht, sie warten nur auf mich", murmelte ich.

„Talent setzt sich immer durch", erklärte Niall grinsend, bevor er mich sanft auf die Lippen küsste. Ich ergriff seine Hand, unsere Finger verschränkten sich sofort ineinander. „Ich liebe dich", wisperte ich noch immer unter Tränen.

„Ich liebe dich auch, Prinzessin."

Mit ihm an meiner Seite war alles so leicht. Niall vermittelte mir das Gefühl, dass es nichts gab, was ich nicht schaffen konnte und genau das machte ihn im Augenblick zu dem wichtigsten Mensch in meinem Leben.

Nach vier unendlich langen Wochen durfte ich endlich mit der Physiotherapie beginnen. Natürlich war mir klar, dass Niall den besten Therapeuten in England ausfindig machen würde, aber als er mich am Montagmoren um sechs Uhr weckte, wäre ich am liebsten im Bett liegen geblieben.

„Muss ich wirklich aufstehen?", murmelte ich noch immer total verschlafen.

„Ja, Jess, da geht kein Weg dran vorbei. Wir müssen eine Weile fahren, um zu unserem Ziel zu gelangen."

Natürlich herrschte in London immer reger Verkehr, aber keine Praxis öffnete vor neun Uhr, zumindest nicht die Physiotherapeuten. Brummend stand ich schließlich auf, zog meine Kniebandage über, so wie der Arzt es verordnet hatte, und setzte mich an den Frühstückstisch, um ein Glas Orangensaft zu trinken, sowie mein Müsli zu verdrücken. So früh am Morgen bekam ich nichts anderes hinunter.

Da Niall genauso wie ich ein Morgenmuffel war, wechselten wir fast kein Wort miteinander, sondern aßen unser Frühstück schweigend auf. Gähnend erhob ich mich, griff nach den Krücken, welche am Tisch lehnten und ging langsam zur Garderobe, um meine Jacke anzuziehen. Es war mühevoll, doch bald würde dies ein Ende haben.

Niall half mir wie immer beim Anziehen der Schuhe und so dauerte es nur wenige Minuten, bevor wir abfahrbereit waren. Ich hatte eine kleine Sporttasche gepackt und wunderte mich, dass diese doch so prall ausschaute.

Nialls Grinsen, als er die Tasche in den Kofferraum lud, ignorierte ich gekonnt. Mir fielen vor Müdigkeit noch immer die Augen zu und ich zog es vor, während der Fahrt noch ein bisschen zu dösen. So bekam ich nicht mit, in welche Richtung es uns verschlug. Erst als Niall den Wagen auf einem großen Parkplatz abstellte, öffnete ich meine Augen. Vor Erstaunen ließ ich ein lautes Schnaufen los.

„FC Chelsea", las ich laut vor. „Was machen wir denn hier?"

Meine Verwunderung kannte wirklich keine Grenzen, zumal es sich beim FC Chelsea um einen Fußballverein handelte. War Niall jetzt komplett verrückt geworden?

„Ich würde sagen, ich helfe dir jetzt beim Aussteigen, damit du schleunigst den besten Physiotherapeuten Englands aufsuchen kannst", erklärte mein Freund mit einem verschmitzten Grinsen im Gesicht.

„Das kann nicht dein Ernst sein", entfuhr es mir entgeistert.

„Doch, das ist mein voller Ernst. Ich habe hier nach meiner Knie Operation fünf Wochen lang trainiert, mit dem Ergebnis, dass ich viel schneller fit wurde, als gedacht. Ich hoffe, das ist auch dein Ziel."

„Ich soll mit Typen zusammen trainieren?" Fassungslos blickte ich in Nialls blaue Augen, der noch immer grinste.

„Komm schon, Prinzessin, sie werden dich nicht fressen, außerdem trainierst du ja nicht mit dem kompletten Team zusammen, sondern nur mit einzelnen Spielern, die auch durch Verletzungen gehandicapt sind."

Als er mir seine Hand reichte, seufzte ich kurz und ergriff diese dann, um aus dem Auto zu steigen. Was würde mich gleich erwarten?

Niall schulterte meine kleine Sporttasche, während ich auf Krücken zum Eingang lief. Kaum hatten wir das Gebäude betreten, wurden wir bereits von den ersten Leuten begrüßt.

„Hey, Niall, schön dich zu sehen!"

Zwei Typen im Sportdress klopften meinem Freund auf die Schultern, bevor sie mich ebenfalls freundlich anlächelten und sagten: „Du musst Jess ein, man hat uns schon von dir erzählt."

Na super! Ich war schon allseits bekannt, hatte allerdings keine Ahnung, wer da vor mir stand. Im Zweifel handelte es sich jedoch um Fußballspieler.

„Der Boss ist auch schon da", meinte einer der beiden Typen, worauf Niall nickte.

„Das ist gut, dann lernt Jess ihn sofort kennen."

Der „Boss" entpuppte sich als kein geringerer als José Mourinho, der berühmte Trainer des FC Chelsea selbst.

„Niall, wie geht es dir? Schön dich zu sehen! Und das ist Jess, richtig? Willkommen bei uns! Wir hoffen, dass wir dir ebenso gut helfen können wie Niall damals nach seiner Operation."

Jetzt fiel es mir wieder ein. Irgendwann hatte mein Freund beiläufig erwähnt, dass er seine Physiotherapie beim FC Chelsea absolviert hatte, da José Mourinho ein guter Freund von ihm war. Es verblüffte mich, dass Niall diesen Mann nun um Hilfe gebeten haben musste, was meine Therapie anging, aber es sah ihm auch ähnlich. Er wollte nur das Beste für mich. Vor Rührung trieb es mir fast Tränen in die Augen. Wie viel wollte er noch auf sich nehmen und für mich tun?

Ich kam nicht dazu, meine Gedanken zu Ende zu bringen, denn plötzlich ging die Tür auf und eine junge Frau stürmte hinein. Sofort warf sie sich Niall an den Hals.

„Nialler, ich hab mich so auf dich gefreut! Und ich habe meinen Bikini mitgebracht, wie du es wolltest!"

Was sollte das denn nun? Leicht angepisst und etwas irritiert schaute ich in Richtung meines Freundes, der nun zwei Küsschen auf den Wangen der jungen Frau (sie war mit Sicherheit jünger als ich) verteilte, um dann zu sagen: „Das ist cool von dir, Matilde. Komm, ich stelle dir meine Freundin Jess vor."

Beide drehten sich nun zu mir, während ich noch immer wie eingefroren neben José stand, der breit lächelte.

„Meine Tochter ist manchmal etwas ungestüm, nimm es ihr bitte nicht übel, Jess."

Seine Tochter? Staunend schaute ich zu der jungen Frau, die inzwischen von Niall abgelassen hatte, um mir ihre Hand zu reichen.

„Ich bin Matilde, freut mich, dich kennenzulernen." Ihr Lächeln wirkte entzückend und ehrlich. „Niall meinte, ich soll dir im Schwimmbad bei der Therapie Gesellschaft leisten, dann wäre es vermutlich einfacher für dich. Wir haben nämlich noch zwei Jungs dabei, die ebenfalls heute beim Schwimmen dabei sind", plapperte sie weiter.

Daher wehte also der Wind. Niall dachte, ich würde mich zwischen den Jungs nicht wohlfühlen, und wollte die Sache komfortabler gestalten, indem er ein weibliches Wesen dazu holte. Wenn man es so betrachtete, konnte ich ihm mal wieder nicht böse sein. Hinzu kam, dass Matilde nicht das typische Mädchen war, sondern eher ein Kumpel-Typ, der mit Männern umzugehen wusste.

„Hey, Jungs, macht mal Platz im Becken!", rief sie, als wir später in Badekleidung vor dem Beckenrand standen.

Ich durfte jedoch nicht einfach hineinspringen oder laufen. Für mich wurde ein Gestell benutzt, auf welches ich mich setzen durfte, bevor dieses langsam in das Wasser hineingelassen wurde. Im warmen Wasser entspannten sich meine Glieder recht schnell und genau das war Sinn und Zweck der Übung. Ich sollte versuchen, mein Knie ein wenig zu beugen, ohne es zu überdehnen.

Der Therapeut kümmerte sich wirklich sehr um mich, vor allem, nachdem die beiden jungen Fußballer wieder das Becken verlassen hatten. Matilde drehte einige Runden im Becken, ließ mich jedoch nicht aus den Augen. Und dann tauchte Niall, bekleidet mit einer Badeshorts auf. Zuerst saß er nur am Beckenrand, doch dann ließ er sich ins Wasser plumpsen und schwamm auf mich zu. Ich fragte mich gerade, wann er seine Badesachen in meine Tasche geschmuggelt hatte, als er auch schon redete.

„Ich werde jetzt alle Übungen mit dir machen, Jess. Vielleicht geht es dann besser."

Wie süß war das denn? Am liebsten hätte ich ihn jetzt umarmt und hemmungslos geküsst. Da er sich aber nicht in greifbarer Nähe befand, blieb es nur bei dem Gedanken daran. Stattdessen versuchte ich mich auf die Worte des Therapeuten zu konzentrieren.

„Ja, Jess, so ist es gut. Immer schön langsam und vorsichtig. Du machst das ganz hervorragend", munterte dieser mich bei jeder vollbrachten Bewegung auf.

Zum ersten Mal seit dieser OP konnte ich mein Knie leicht anwinkeln, ohne dass es wehtat, was ein immenses Glücksgefühl in meinem Innersten auslöste. Ich konnte es schaffen, ich wollte es schaffen, meinen Traum zu leben. So, wie ich es Niall vor nicht allzu langer Zeit versprochen hatte.

Ich merkte gar nicht, wie schnell die Zeit verging, denn die Übungen, welche ich teils mit Nialls oder Matildas Hilfe absolvierte, ließen die Stunden rasend schnell vergehen. Erst als der Therapeut meinte, es sei genug für heute, sah ich erstaunt auf.

„Wir sehen uns morgen wieder, Jess. Ich bin ab jetzt täglich von Montag bis Samstag für dich da. Nur am Sonntag ist Ruhetag."

Es verblüffte mich, dass ich so gut betreut wurde, eine bessere Therapie konnte es wirklich nicht geben. Und wieder einmal hatte ich Niall alles zu verdanken, der unglaublich stolz auf meine heutigen Bemühungen und Fortschritte war.

Wenige Minuten später half Matilde mir in der Umkleide, meine Sachen, insbesondere die Jogginghose anzuziehen. Dies gestaltete sich noch ein bisschen schwierig, aber sie zeigte sich zuversichtlich.

„Warte mal ab, bis zum Ende der Woche kannst du dein Knie soweit beugen, dass du das alleine hinkriegst", lautete ihr Urteil.

Nachdem wir uns voneinander verabschiedet hatten, nahm ich in Nialls Wagen Platz.

„Sag mal, woher kennst du eigentlich Matilde so gut?", erkundigte ich mich mit einem Seitenblick auf ihn.

„Warum nur wusste ich, dass du mir diese Frage stellen würdest?", kam es prompt zurück. „Aber um deine Neugierde zu befriedigen; Matilde ist One Direction Fan. Aber sie ist kein typisches Fangirl, sie ist alles andere als girliehaft. Sie liebt Fußball über alles und wie du sicher bemerkt hast, geht sie ziemlich kumpelhaft mit den Spielern und auch mit mir um. Ich hab sie einmal mit in einen Club genommen, weil José sie nicht alleine gehen lassen wollte, obwohl sie damals bereits achtzehn war", erklärte Niall grinsend.

„Wie alt ist die denn jetzt?", wollte ich wissen.

„Neunzehn, sie wird dieses Jahr zwanzig."

„Und du kennst sie wie lange?"

Ein lautes Lachen entfuhr Nialls Kehle. „Bist du etwa eifersüchtig auf Matilde? Das brauchst du wirklich nicht zu sein, Jess."

„Nein, ich bin nicht eifersüchtig", protestierte ich nicht gerade überzeugend.

„Komm schon, Süße. Matilde hat einen Freund, und wir verstehen uns einfach nur gut, mehr nicht."

Niall warf mir einen Blick aus seinen blauen Augen zu, der mich beinahe schwach werden ließ.

„Ok, du hast gewonnen", seufzte ich leise.

„Du weißt, dass ich dich über alles liebe, Jess." Die Ernsthaftigkeit in seiner Stimme machte mir bewusst, dass er mit solchen Dingen niemals scherzte und demnach fiel auch meine Antwort aus.

„Ja, das weiß ich. Du zeigst es mir immer wieder, jeden Tag."

Das Lächeln, welches auch seine Augen erfasste, ließ die Schmetterlinge in meinem Bauch höher fliegen. Ich würde nie an seiner Liebe zweifeln. Und er würde mich nicht im Stich lassen, so wie Tim, dieser Verräter. Es war Niall, der mein Leben wieder lebenswert machte. Anfangs mit seinen E-Mails, später mit seinen Worten und Taten.

Die nächsten Tage und Wochen wurden hart, sehr hart sogar, was meine Therapie betraf. Ich litt unter höllischem Muskelkater und musste dennoch immer weitermachen. Am angenehmsten fühlten sich die Übungen im Wasser an, doch als es an das Hanteltraining und die Gewichtsmanschetten ging, wurde es zunehmend anstrengender.

Obwohl mein Therapeut streng darauf achtete, dass ich es nicht übertrieb, fühlte ich mich manchmal ausgelaugt bis zum Äußersten. Das kam jedoch davon, dass mein Körper sich erst wieder an das regelmäßige Training gewöhnen musste. Wie viel härter würde es erst sein, wenn ich wieder mit dem Ballett beginnen durfte?

Einstweilen stand dies jedoch noch nicht zur Debatte, zuerst wurden nämlich die vollständige Genesung, sowie der Aufbau der Kniemuskulatur angestrebt. Niall war mir dabei eine große Hilfe, denn er konnte sich noch gut daran erinnern, welche Übungen er damals zuhause, nach der Therapie wiederholt hatte, um noch schneller auf die Beine zu kommen.

Manchmal glaubte ich, dass es ein Ding der Unmöglichkeit sein würde, jemals wieder tanzen zu können, doch Niall gab mir so viel Kraft und Mut. Immer wieder redete er mir gut zu, wenn ich aufgeben wollte, und erzählte, wie es ihm ergangen war. Außerdem brachte er mich dazu, meine Fortschritte selbst zu beobachten, sprich aufzuschreiben.

Also führte ich quasi ein Tagebuch über meine täglichen Übungen, welches mir verdeutlichte, dass ich sehr wohl Fortschritte machte, auch wenn mir diese nicht sofort auffielen. Doch als ich die Einträge der ersten Woche mit denen der dritten Woche verglich, stellte ich fest, wie weit ich schon gekommen war. Dies gab mir Mut und die Gewissheit, das Aufgeben keinesfalls in Frage kam.

Außer Niall gab es noch jemand anderen, der mich nicht im Stich ließ. Anne erkundigte sich regelmäßig nach meinem Befinden und besuchte uns an einem Wochenende gemeinsam mit Harry, bei dem sie natürlich wieder übernachtete. Obwohl ich sie dahingehend ausfragte, erhielt ich keine befriedigende Antwort. Sie seien nur Freunde, hieß es immer wieder.

„Jess, ich bin beeindruckt, wie gut du inzwischen läufst!", äußerte sich Anne freudig, als sie mich beobachtete, wie ich in Richtung Küche ging, um Kekse aus einem der Schränke zu holen.

„Es geht auch schon viel besser, als am Anfang", gab ich ehrlich zu, was Niall mit einem Lächeln zur Kenntnis nahm.

„Sie wollte es nicht so recht glauben, dass sie Fortschritte macht, aber ihr Trainings-Tagebuch sagt etwas anderes", zog er mich auf. „Bald wird sie mir davonlaufen, wenn ich nicht aufpasse."

„Bis dahin ist es noch ein weiter Weg", gab ich kontra.

„Also wenn du Niall davonläufst, bin ich dein nächstes Ziel. Ich trainiere gerade für einen Marathon", warf Harry lachend ein.

Wir wussten alle, das er keineswegs scherzte, denn das war eines seiner Ziele während One Direction ihre wohlverdiente Pause absolvierten; einen Marathon zu bestreiten. Ich musste zugeben, dass ich dies bewundernswert fand.

Aber auch ich hatte meine Ziele, die ich nicht aus den Augen ließ. Meinen größten Triumph erfuhr ich jedoch am Ende der fünften Trainingswoche, als der Therapeut mich dazu aufforderte, mein Knie so weit wie möglich zu beugen, ohne dass dieses schmerzte.

„Oh mein Gott, es klappt so toll! Soweit habe ich es noch nie geschafft", jubelte ich und fiel ihm danach prompt um den Hals.

Alle brachen in Gelächter aus, selbst einige Spieler, die sich gerade im Trainingsraum aufhielten. Zudem klatschten sie Beifall, dass mir Hören und Sehen verging. Das Ganze war mir so peinlich, doch auf Matilde war wie immer Verlass.

„Jungs, hört mal zu, ihr könnt euren Applaus für Jess aufheben, wenn sie wieder auf der Bühne steht und tanzt", rief sie ihnen zu.

„Das dauert noch ewig", meinte ich seufzend. „Aber wenn es soweit ist, lade ich gerne alle ein."

„Wir nehmen dich beim Wort", erwiderte Matilde grinsend.

Insgesamt trainierte ich sechs Wochen beim FC Chelsea und zu Beginn der letzten Woche erklärte mein Therapeut, dass ich meine Ballettschule anrufen könnte, um ihnen mitzuteilen, dass ich bald wieder einsatzfähig sein würde, was das erste Training betraf.

„Was heißt bald?", erkundigte ich mich sofort.

„Nun, wenn diese Woche hier um ist, kann ich nicht mehr viel für dich tun, Jess. Den Rest müssen die Ballettschule und du selbst machen. Aber ich möchte dir einen guten Rat geben, bevor du mit dem Tanzen beginnst."

Ich war ganz Ohr, als er weiterredete.

„Du solltest eine seelische Verschnaufpause, in Form eines kleinen Urlaubs, einlegen. Das wirkt Wunder, außerdem hilft es Körper und Geist, sich zu regenerieren. Niall wird dich sicher in ein warmes Land entführen, wo ihr beide ein bisschen schwimmen könnt. Vergiss dein Training für einige Tage, ruhe dich aus und genieße die Sonne."

Er zwinkerte in Nialls Richtung. „Und natürlich die Anwesenheit deines netten Freundes."

Besagter Freund grinste von einem Ohr bis zum anderen, als er die Worte des Therapeuten vernahm.

„Ich habe nichts dagegen einzuwenden", erklärte er zufrieden.

Somit schien es eine beschlossene Sache zu sein, dass wir in naher Zukunft eine gemeinsame Urlaubsreise antreten würden. Nur Niall und ich, es gab absolut nichts Besseres in diesem Leben.

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Was sagt ihr zu den Fortschritten? Und dass Niall und Jess einen gemeinsamen Urlaub machen werden?

Leute, ihr seid wirklich verrückt! Ich habe über 61k reads! Wo kommen die plötzlich her? Ich kanns nicht fassen, ehrlich! Danke, dass ihr meine Story lest!

LG, Ambi xxx









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