47. Second Chance
A/N Am Wochenende habe ich die Leseranzahl von 50.000 überschritten, was mich unglaublich freut - ihr könnt euch nicht vorstellen, wie sehr! Deswegen dachte ich, dass ihr ein neues Kapitel verdient habt. Ich würde mich freuen, wenn ihr das Voten nicht vergesst und hoffe, dass es euch gefällt. Am Ende des Kapitels wartet dann noch eine Überraschung für euch. :) , Lots of love, Ambi xxx
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Niall
Es war ein absolut komisches Gefühl, Jess ins Krankenhaus zu begleiten und zu wissen, dass ich nachher alleine den Weg in das Hotel antreten würde. Nicht, dass es mir Angst machte, aber das Flimmern in meinem Magen wurde stärker, als wir das Gebäude betraten und uns den Aufzügen näherten.
Jess verkniff sich jegliche Gefühlsregung, trotzdem konnte ich spüren, wie nervös sie war. Unruhig ließ sie ihre Augen hin- und herwandern und drückte gleichzeitig meine rechte Hand, während wir darauf warteten, dass der Aufzug im zweiten Stock hielt. Dort befand sich Dr. Steadmans Privatstation.
Ihr leises Ausatmen blieb mir nicht verborgen, als wir den Aufzug verließen, um den Gang bis zu Dr. Steadmans Büro anzutreten. Dort angekommen, wurden wir sogleich begrüßt und Jess bekam ihr Zimmer zugewiesen.
Es war ein heller, freundlicher Raum, mit allem ausgestattet, was man sich für einen Krankenhausaufenthalt nur wünschen konnte. Ich kannte dies zur Genüge, schließlich lag es erst zwei Jahre zurück, seit ich mich hier einer Operation unterzogen hatte und so viel veränderte sich in diesem Zeitraum nicht.
Nachdem Jess ihre Sachen im Schrank verstaut hatte, schlüpfte sie in ihren grauen bequemen Jogginganzug und setzte sich auf das Bett. Selbstverständlich leistete ich ihr Gesellschaft und zwar so lange, bis alle Untersuchungen, einschließlich der Blutentnahme abgeschlossen waren. Auch dem letzten Gespräch vor der morgigen OP zwischen Dr. Steadman und Jess wohnte ich bei. Der Arzt äußerte sich sehr zuversichtlich und machte ihr damit Mut. Jedenfalls ließ ihre Aufregung deutlich nach, als ich mich verabschiedete, nachdem sie ihr Abendessen eingenommen hatte.
„Mach's gut, Prinzessin." Ich hauchte ihr einen Kuss auf die Lippen, der jedoch sehr schnell intensiver wurde, was es schwerer machte, sich von ihr zu lösen. Eigentlich wollte ich auch gar nicht zurück ins Hotel, in dessen Zimmer ich nun alleine die Nacht verbringen würde. Aber Jess war schließlich noch viel schlimmer dran. Hoffentlich würde sie heute Nacht schlafen können. Ich konnte mich noch genau erinnern, wie aufgeregt ich vor meiner Knie-OP gewesen war und versuchte sie noch ein bisschen zu beruhigen.
„Es wird alles gut gehen, du schaffst das, meine Süße", flüsterte ich ihr ins Ohr, als sie sich an mich klammerte.
„Ich hab trotzdem ein bisschen Angst, Niall", gestand sie freimütig.
„Das verstehe ich, würde mir auch so gehen."
Als ich mich endgültig verabschiedete, sah ich kleine Tränen in ihren Augen glitzern.
„Ich ruf dich nachher an, sobald ich im Hotel bin, ok?", versprach ich, bevor ich die Tür hinter mir zuzog.
Es fühlte sich merkwürdig an, jetzt alleine zu sein. Doch meine Gedanken waren ständig bei Jess. Wir telefonierten an diesem Abend noch bis Mitternacht, dann machte ich ihr klar, dass es für sie wichtig sei, zu schlafen.
„Gute Nacht, Niall, ich liebe dich", flüsterte sie zum Abschied ins Telefon, was mich fast zum Heulen brachte.
„Ich liebe dich auch", wisperte ich zurück.
Dann war ich vollkommen alleine. Mit meinen Gedanken und mit meinen Gefühlen. Es würde gut gehen, ich wusste es, ich spürte es. Ihr Traum vom Tanzen musste sich einfach erfüllen, ich glaubte fest daran, dass es so ausging. Nachdem ich das Licht ausgeschaltet hatte, ließ ich den Fernseher so lange laufen, bis ich fast einschlief. Nur mit Mühe schaffte ich es noch, die Fernbedienung in die Hand zu nehmen, um alles auszuschalten, dann schlief ich einfach ein.
Am nächsten Morgen checkte ich als erstes meine Whatsapp Nachrichten und stellte fest, dass Jess mir geschrieben hatte.
„Ich bin in einer Stunde dran."
Da die Nachricht gerade mal vor fünf Minuten abgeschickt wurde, rief ich natürlich sofort zurück.
„Hey, Prinzessin, wie geht es dir?"
„Es tut gut, deine Stimme zu hören, bevor ich zur Schlachtbank getragen werde."
Gott sei Dank kam nun ihr Humor zum Vorschein, der mich prompt schmunzeln ließ.
„Das wird schon alles. Dr. Steadman verbringt sicher eine Meisterleistung, wie immer", versuchte ich meine Freundin aufzubauen.
Während ich mit ihr sprach, schlug ich die Bettdecke zurück und lief zum Fenster, um die Vorhänge zurückzuziehen. Auch heute begrüßte mich ein blauer Himmel, mit einigen kleinen Wolken, die wie Schafe aussahen. Ich wertete das als gutes Omen, denn an solch einem schönen Tag sollte eigentlich nichts schief gehen.
„Ich frühstücke jetzt erstmal was und fahre dann ins Krankenhaus", ließ ich Jess wissen.
„Das heißt, ich sehe dich, sobald ich aus der Narkose erwache?"
„So ungefähr."
Obwohl ich es nicht sehen konnte, war ich in der Lage ihr Lächeln zu spüren. Diese unsichtbare Verbindung zwischen uns schien durch nichts unterbrochen zu werden. Selbst wenn wir uns an zwei unterschiedlichen Orten aufhielten, blieb sie erhalten.
„Ok, Niall, ich muss jetzt auflegen, die Oberschwester ist gerade ins Zimmer gekommen", hörte ich Jess sagen.
„Gut, dann drücke ich dir die Daumen, wir sehen uns nachher."
„Ich liebe dich."
„Ich liebe dich auch."
Meine letzten Worte waren ein leises Flüstern und als ich das Handy zur Seite legte, konnte ich an nichts anderes mehr denken als an Jess' Operation. Wie zu erwarten, schmeckte auch das Frühstück, welches ich nach einer ausgiebigen Dusche zu mir nahm, nicht so gut wie sonst. Mein Magen reagierte empfindlich auf die Tatsache, dass meine Freundin gerade im Krankenhaus lag und ich sie erst in einigen Stunden wieder sehen konnte. Aber es ging nicht nur um die Tatsache, dass sie gleich in einer Narkose liegen würde, sondern darum, dass sich ihre Zukunft heute hier in Denver entscheiden würde.
Ich verlebte einige seltsame und auch psychisch anstrengende Stunden, bevor ich mich dazu entschloss, das Krankenhaus aufzusuchen, weil ich es nicht mehr aushalten konnte.
Als ich auf der Privatstation eintraf, lächelte die Oberschwester mir aufmunternd zu.
„Hallo, Mr Horan. Ihre Freundin wird gleich von der Intensivstation nach oben geholt", meinte sie, was mich ein wenig aufatmen ließ. „Sie dürfen sich schon ins Zimmer setzen und warten", setzte sie in dem gleichen freundlichen Ton noch hinzu.
Das ließ ich mir natürlich nicht zweimal sagen. Binnen kürzester Zeit hatte ich auf einem Stuhl Platz genommen, der in der Nähe des Fensters stand. Jede Sekunde des Wartens kam mir wie eine Stunde vor und jede Minute schien quälend langsam zu vergehen. Als die Tür sich endlich öffnete, schaute ich sofort auf. Eine Krankenschwester schob das Bett hinein, in welchem Jess lag. Ihre Augen waren geschlossen, aber sie atmete gleichmäßig.
„Sie wird gleich richtig aufwachen", sagte die Krankenschwester freundlich. „Es kann sich nur noch um Minuten handeln."
Dann waren Jess und ich alleine. Vorsichtig rückte ich den Stuhl an ihr Bett heran, sodass ich ihre Hand halten konnte, die sich warm anfühlte. Jess hing an einem Tropf aber das war nach Operationen durchaus üblich.
Aufmerksam betrachtete ich jede noch so kleine Regung ihrer Lider, genauso wie das Zucken ihrer Mundwinkel. Ihr Gesicht wirkte friedlich, fast entspannt, als ob sie in einem wunderschönen Traum lebte. Vielleicht tat sie das gerade auch. Ich hörte nicht auf, ihre Hand zu streicheln und platzierte einen sanften Kuss auf ihre Stirn. Das war der Moment, als ihre Lider zu zucken begannen, um sich Sekunden später zu öffnen.
„Niall", murmelte sie schlaftrunken.
„Ja, Prinzessin, ich bin hier."
Sofort verzog sich ihr Mund zu einem kleinen Lächeln.
„Ich bin so müde, aber ich will dich sehen."
Ich konnte sehen, wie sie kämpfte, die Augen offenzuhalten und spüren wie ihre Finger sich mit meinen verschränken.
„Wie geht es dir sonst so, außer, dass du müde bist?", erkundigte ich mich mit leiser Stimme.
„Ganz gut."
Ihr Blick heftete sich auf mein Gesicht. „Hast du den Arzt schon gesehen?"
Als ich den Kopf schüttelte, bemerkte ich ihre Enttäuschung.
„Schade, ich dachte, dass er vielleicht schon etwas wegen meiner OP gesagt hat."
„Er wird bestimmt noch kommen", versuchte ich Jess zu beruhigen. „Er operiert ja sicher heute nicht nur dich."
„Das stimmt wohl."
Jess wurde zusehends munterer und als die Flüssigkeit am Tropf sich vollständig in ihren Venen befand, wirkte sie bereits ziemlich munter.
„Was hast du die ganze Zeit gemacht?", wollte sie wissen.
„Nichts, ich habe nur gefrühstückt, bin anschließend hierher gefahren und habe darauf gewartet, dass du aufwachst", erzählte ich wahrheitsgetreu.
„Das ist so süß von dir." Ihre braunen Augen leuchteten auf, als ich mich zu ihr beugte, um einen Kuss auf ihre Lippen zu pressen. Sekunden später spürte ich, dass ihre Hand sich sanft in meinen Nacken legte. In jenem Moment war ich einfach nur glücklich, dass sie die Operation hinter sich gebracht hatte, ungeachtet der Tatsache wie nun das Ergebnis ausschaute.
„Hast du Schmerzen?", fragte ich leise.
„Nein, aber ich vermute mal, in dieser Infusion war ein Schmerzmittel", entgegnete sie.
„Das kannst du annehmen."
Es war mir noch gut in Erinnerung geblieben, wie toll ich mich nach meiner Knie-OP gefühlt hatte, bis die Wirkung des Schmerzmittels nachließ. Natürlich hatte man mir sogleich eine neue Ladung verpasst, aber an dem Tag, an welchem ich das Krankenhaus verlassen musste, um zurück nach London zu fliegen, war der Horror gewesen. Zehn Stunden in einem Flugzeug, in einer im Vergleich zu einem Krankenbett unbequemen Liegeposition, und mit Tabletten, die nicht halb so schnell wirkten, wie diese Infusionen.
Das alles stand Jess noch bevor, aber ich würde dafür Sorge tragen, dass sie genügend Schmerzmittel zur Hand hatte und vor allem, dass sie diese auch regelmäßig nahm. Einstweilen konzentrierte ich mich jedoch darauf, ihr die Zeit zu vertreiben und zu helfen, so gut es ging.
„Ich muss mal für kleine Mädchen", seufzte sie.
„Ok, dann klingele ich nach der Schwester, ich weiß ja nicht, ob du aufstehen darfst", erwiderte ich und Schritt sofort zur Tat.
Wie auf einer Privatstation zu erwarten, tauchte sofort jemand auf, um sich nach Jess' Befinden und ihren Wünschen zu erkundigen. Als die Krankenschwester die Bettdecke zurückschlug, fiel mein Blick zum ersten Mal auf den Verband, welcher das Knie zierte. Doch es war nicht nur der Verband, den ich betrachtete, sondern auch die Schiene, welche die Schwester ihr nun anlegte. Ich spürte, wie mein Herz schneller schlug.
Was, wenn die Verletzungen doch schlimmer waren, als angenommen und sie nie wieder tanzen würde? Schnell wandte ich meinen Blick wieder vom Knie ab, während ich versuchte mich innerlich zu sammeln. Vielleicht handelte es sich bei diesen Schienen um eine Standard-Prophylaxe, die immer nach solchen Operationen angelegt wurden.
„Miss Meyers, hier sind ihre Krücken. Ich werde Ihnen jetzt helfen, aufzustehen."
Die Stimme der Krankenschwester holte mich aus meinen schlimmen Gedanken. Sofort reichte ich Jess meine Hand, wissend, dass sie sich dabei sicherer fühlte. Sie ergriff diese lächelnd und versuchte schließlich sich aufzusetzen. Es gelang ganz gut und auch das Stehen mit den Krücken klappte zum Glück.
„Sie dürfen das operierte Knie nicht belasten, ok?", wies die Schwester meine Freundin an, die das nickend zur Kenntnis nahm.
All diese Dinge kamen mir so bekannt vor, als sei es gestern gewesen, seit ich hier gelegen hatte. Seufzend wartete ich vor der Badzimmertür, bis Jess wieder in Begleitung der Krankenschwester erschien, die wirklich sehr darauf achtete, dass meine Freundin keine falsche Bewegung machte. Ich musste gestehen, ich war froh, als Jess wieder in ihrem Bett lag, denn nur dort wusste ich sie im Moment in Sicherheit. Zumindest so lange, bis Dr. Steadman mit uns sprechen würde.
Dies dauerte jedoch noch eine Weile, aber wir vertrieben uns die Zeit mit Reden und Kuscheln, wobei ich stets darauf achtete, ihr Knie nicht zu berühren. Zwischendurch bekam Jess Tee und Zwieback serviert, der ihren knurrenden Magen ein wenig besänftigte. Auch ich verspürte inzwischen Hunger und so suchte ich schnell die Cafeteria auf, um etwas Essbares, sowie eine Flasche Cola zu kaufen.
Als ich ins Zimmer zurückkehrte, hatte Jess den Zwieback vollends verspeist, sowie den Tee ausgetrunken. Grinsend setzte ich mich auf das Bett, packte das Sandwich aus und war gerade im Begriff hineinzubeißen, als sich die Tür öffnete. Ruckartig flogen unsere Köpfe herum, um in Dr. Steadmans Gesicht zu blicken.
„Na, Miss Meyers, wie geht es Ihnen? Ich habe gehört, Sie waren bereits einmal auf den Beinen, oder sollte ich besser sagen, auf einem Bein?", scherzte er.
„Ja, das war ich."
Jess' halb erwartungsvoller, halb ängstlicher Blick brachte mein Herz zum Rasen. Was würde der Arzt uns jetzt sagen?
„Ich kann an Ihren Gesichtern sehen, wie angespannt Sie beide sind", begann er seine Rede. „Aber dazu besteht überhaupt kein Grund. Es ist alles bestens verlaufen."
Unser erleichtertes Aufatmen erfolgte beinahe synchron.
„Heißt das, ich kann wieder Ballett tanzen?", erkundigte sich Jess trotzdem vorsichtig.
Das breite Lächeln des Arztes ließ mich wissen, dass wirklich alles in Ordnung war.
„Ja, das können Sie. Alles ist glatt gelaufen, wie erwartet. Aber ich muss Sie bitten, noch ein wenig Ruhe zu halten. Zumindest für einige Tage."
„Über welchen Zeitraum erstreckt sich das?", wollte ich wissen.
„Vier Wochen Krücken, dann kann mit der Physiotherapie begonnen werden", erklärte der Arzt. „Und erst wenn diese vollständig abgeschlossen ist, dürfen Sie sich wieder dem Ballett widmen."
Ich spürte wie mein Herz vor Freude pochte und dies verstärkte sich noch, als ich zu Jess schaute, der vor Freude Tränen über die Wangen liefen.
„Sie haben mein Leben gerettet", schniefte sie, vollkommen fertig, aber mit dem schönsten Lächeln im Gesicht, das ich jemals gesehen hatte.
„Aber nicht doch, das ist mein Beruf", ließ Dr. Steadman verlauten, bevor er sich wieder von uns verabschiedete.
„Ich kann es immer noch nicht glauben", sagte Jess leise, als ich sie fest umarmte.
Sanft legten sich ihre Lippen auf meine und wir versanken in einem tiefen Kuss, der uns alles andere vergessen ließ.
„Danke, dass du nicht locker gelassen und mich hierher gebracht hast", wisperte sie mir ins Ohr.
Meine Hand streichelte über ihre Wange. „Das habe ich gerne gemacht."
Es gab wohl nichts in meinem Leben, was mich mit mehr Freude erfüllte, als die Tatsache, dass ich dazu beitragen konnte, ihren Traum wahr werden zu lassen. Jedes Wort, welches ich an sie geschrieben hatte, war es wert gewesen, jede Minute, die ich für sie opferte, zahlte sich nun aus. Doch der Weg bis zu ihrem Traum war noch lange nicht zu Ende.
Nur zu gut wusste ich, was ihr noch bevorstand. Ich hatte die Schmerzen und die Widrigkeiten, die solch eine OP mit sich brachte, niemals vergessen. Aber ich wusste auch, wie ich Jess am besten helfen konnte, das alles zu Überwinden. Es würde sie einiges an Kraft kosten, alles durchzuziehen, aber ich wollte an ihrer Seite sein und es ihr so leicht wie möglich machen.
„Ich kann es kaum erwarten, bis wir wieder zuhause sind", sagte ich und drückte ihr erneut einen Kuss auf die Lippen.
Als wir uns wieder voneinander lösten, blitzten ihre braunen Augen freudig auf.
„Bald wirst du mich endlich tanzen sehen", kam es euphorisch von ihr.
Bis dahin dauerte es allerdings noch eine ganze Weile. Jess musste insgesamt vier Tage im Krankenhaus bleiben, bevor wir wieder mit einem Privatjet zurück nach London flogen. Während des Fluges kümmerte ich mich um sie und versuchte, ihr alles so angenehm wie möglich zu machen.
Gott sei Dank schlief sie die meiste Zeit, erst als wir nur noch zwei Stunden von unserem Ziel entfernt waren, erwachte sie und verzog sogleich schmerzhaft das Gesicht. Wenn ich diese ganze Tortur nicht selbst erlebt hätte, wäre ich vermutlich ganz anders mit diesen Dingen umgegangen. Aber durch meine Erfahrung dahingehend hatte ich sofort ein Schmerzmittel in Form einer Tablette parat, welche ich ihr mit einem Glas Wasser reichte.
„Danke, Niall." Jess nahm einen großen Schluck und spülte die Tablette hinunter. Da es mindestens zwanzig Minuten dauerte, bis die Arznei ihre Wirkung zeigte, versuchte ich meine Freundin abzulenken.
„Wir landen in zwei Stunden. Möchtest du jetzt was Frühstücken?", fragte ich grinsend.
„Nur, wenn du auch was isst."
Das war eine Antwort nach meinem Geschmack, denn der Hunger meldete sich erneut bei mir, obwohl ich erst vor einer Stunde ein Sandwich verspeist hatte. Während des Essens checkte ich meine Whatsapp Nachrichten, sowie die gängigen Plattformen des Internets.
Mein Verschwinden hatte wohl niemand bemerkt, da ich jeden Tag fleißig Bilder auf Twitter und Instagram postete. Meistens von meinem Fernseher, auf dessen Display ein Fußballspiel lief. Auf den Fotos konnte man nämlich nicht erkennen, dass es sich um ältere Aufnahmen handelte. In solchen Momenten feierte ich die moderne Technik wirklich über alles.
Zwischendurch beobachtete ich, wie Jess sich langsam wieder entspannte. Das Schmerzmittel schien zu wirken und das machte es leichter für sie, obwohl sich die Schiene natürlich nicht gerade angenehm trug. Aber da musste sie nun durch. Nachher, wenn alles überstanden war, würde sie dankbar sein, den Rat des Spezialisten befolgt zu haben. Zumindest verhielt sich das in meinem Fall so.
Ich hielt mich damals strikt an die Anweisungen des Arztes und hatte somit nie mit irgendwelchen Problemen zu kämpfen gehabt, was die spätere Genesung des operierten Knies anging. Und ich wollte dafür sorgen, dass Jess das Gleiche tat. Natürlich bedeuteten vier Wochen Krücken erhebliche Bewegungseinschränkungen im Alltag, aber das ließ sich leider nicht verhindern.
Es fing schon an, als wir aus dem Flugzeug ausstiegen und endete damit, dass ich ihr aus dem Wagen helfen musste, sobald wir zuhause angekommen waren. Hierbei handelte es sich jedoch in meinen Augen um kleine Dinge, die ich ohne groß darüber nachzudenken, erledigte. So stellte es für mich auch eine Selbstverständlichkeit dar, ihr ins Bett zu helfen, geschweige denn, die Schlafanzughose gegen eine Jogginghose zu tauschen.
„Niall, es tut mir so leid, dass du das jetzt alles machen musst", bekam ich mehrmals zu hören, doch ich lachte nur und meinte: „Ich tue das gerne, weil ich dich liebe, nur für den Fall, dass du das vergessen haben solltest."
„Wie könnte ich das jemals tun?!" Ihre Stimme klang ein wenig entrüstet und verleitete mich erneut zum Lachen. Sekunden später wurde ich jedoch wieder ernst und schaute in ihre braunen Augen, bevor ich zu reden begann.
„Ich möchte, dass du mir etwas versprichst, Jess."
Ihr zunächst überraschter Gesichtsausdruck wich einem kleinen Lächeln.
„Was soll ich dir denn versprechen?"
Ich legte eine Hand auf ihrem Oberschenkel ab, während ich noch immer vor ihr kniete, da sie auf der Bettkante saß, und sagte: „Du hast durch diese OP eine zweite Chance bekommen, dir deinen Traum zu erfüllen. Bitte versprich mir, dass du dich von nichts und niemand davon abhalten lassen wirst, diesen Traum zu leben."
Meine blauen Augen ruhten auf ihrem Gesicht, welches noch immer dieses süße Lächeln zierte, das ich so sehr an ihr liebte.
„Ich verspreche es, Niall. Nichts und niemand wird mich davon abhalten können."
„Gut." Jetzt lächelte ich ebenfalls. „Ich werde dich daran erinnern, falls es nötig sein sollte", fügte ich noch augenzwinkernd hinzu.
Unsere Gesichter näherten sich einander, ich schnupperte an ihrem Hals und spürte, wie sie mich zuerst auf die Wange, und dann auf den Mund küsste.
„Ich würde jetzt so gerne mit der schlafen, Niall, aber dank der Operation geht das leider nicht", murmelte sie.
„Alles zu seiner Zeit, Prinzessin. Und wenn es soweit ist, werden wir beide eine Premiere haben", lautete meine schelmische Antwort.
Sogleich fuhren ihre zierlichen Hände durch meine Brustbehaarung. „Von welcher Premiere redest du bitte?"
Sie dachte noch nicht soweit, ich wusste es, und genau das brachte mich schon wieder zum Grinsen.
„Überleg mal, du hast noch nie ohne Kniebandage mit mir geschlafen, oder?", neckte ich sie liebevoll, worauf Jess mir ins Ohr flüsterte: „Und ich kann es kaum erwarten, das zu tun. Es wird bestimmt super werden, Süßer. Kein hässliches, schwarzes, unerotisches Teil, nur nackte und zarte Haut, die du anfassen darfst."
Der Klang ihrer Stimme bescherte mir eine Gänsehaut und ich musste mich zusammenreißen, um nicht Unüberlegtes zu tun. Sie sah selbst mit ihrer Schiene total sexy aus.
„Fuck", fluchte ich leise.
„Was ist? Willst du einen Blowjob? Das würde sogar gehen", erwiderte sie lässig.
„Nein, verdammt! Und jetzt hör auf davon zu reden, bevor ich doch noch ja sage."
Jess zog ihre Augenbrauen ein wenig in die Höhe, als sie fragte: „Was hält dich davon ab?"
„Die Tatsache, dass ich kein egoistisches Arschloch bin", konterte ich und erhob mich anschließend vom Boden.
„Das hast du jetzt sehr schön gesagt. Ich bin nur neugierig, wie lange du deinen Egoismus, wie du es nennst, abschalten kannst."
„Bitte fordere es nicht heraus", wehrte ich fast schon verzweifelt ab.
Jess wusste haargenau, wie sie mich nur mit Worten in den Wahnsinn treiben konnte und deswegen verließ ich kurz das Schlafzimmer. Als ich mich in der Küche befand, um etwas zu trinken zu holen, hörte ich meine Freundin allerdings rufen.
„Niall, kannst du mir bitte eine Schmerztablette mitbringen?"
Dieser eine Satz ließ mich wissen, dass ich sehr wohl meinen Egoismus zurückrängen, wenn nicht sogar für eine Weile vergessen konnte. Zumindest so lange sie von diesen Schmerzattacken geplagt wurde.
Eine halbe Stunde später lagen wir nebeneinander im Bett und Jess versank in einen tiefen Schlaf. Ich hingegen lag noch eine Weile wach daneben, denn meine Gedanken standen nicht still. Die nächsten Wochen würden kein Zuckerschlecken sein, das stand fest. Aber ich wollte alles tun, um ihr zur Seite zu stehen und vor allem würde ich Jess zu einem der besten Physiotherapeuten bringen, den England vorzuweisen hatte.
Erst gegen Mitternacht versank ich in meinen wohlverdienten Schlaf, aus welchem ich allerdings am nächsten Morgen gerissen wurde, als ich Jess nach mir rufen hörte.
„Niall!" Zuerst baute ich die Rufe in den Traum mit ein, doch dann realisierte ich, dass es sich um die blanke Realität handelte, in der ich mich befand.
„Niall! Bitte hilf mir, wenn du wach bist! Ich schaffe es nicht alleine."
Mit einem Satz war ich auf den Füßen und stürzte mit klopfendem Herzen in Richtung Bad, aus dem die Schreie kamen. Hoffentlich war Jess nichts passiert.
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Ok, der Cliffhanger war nicht die versprochen Überraschung, ehrlich! Ich habe was ganz anderes für euch, eine neue Story (keine Angst, Promise me! wird nicht vernachlässigt, das ist mein Hauptprojekt). Die neue Geschichte heißt Black Room und weil der Prolog so kurz ist, habe ich das erste Kapitel auch gleich mit hochgeladen. Sie ist ganz anders als Promise me!, ich muss euch vorwarnen! Aber da mein Schreibstil der gleiche bleibt, findet ihr hoffentlich Gefallen daran. Ich würde mich jedenfalls freuen, wenn ihr dort mal vorbeischaut.
LG, Ambi xxx
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