41. Pain
Niall
Gut gelaunt parkte ich den Range Rover vor meiner Haustür. Auf der Rückfahrt von London durfte ich mich zwar durch einen kleinen Stau quälen, da ich es jedoch noch geschafft hatte, auf die Autobahn aufzufahren, bevor die Rush Hour eintrat, hielt sich meine Verspätung in Grenzen. Ich hatte sogar Pralinen für Jess mitgebracht, da sich direkt um die Ecke vom Anwesen meines Freundes eine Konditorei befand, welche diese selbst herstellte.
Bewaffnet mit einer Tüte betrat ich erwartungsvoll den Hausflur. Eigentlich hatte ich gedacht, dass Jess mir förmlich entgegengerannt kommen würde, doch nichts dergleichen geschah. Eigenartigerweise wirkte alles totenstill.
„Jess?", rief ich laut.
Vielleicht war sie auf dem Sofa eingeschlafen, also führten mich meine Schritt ohne Umweg in den Wohnbereich. Von meiner Freundin fehlte aber jede Spur.
„Jess, ich bin wieder da!", ließ ich nochmals verlauten, dieses Mal etwas energischer, doch wieder tat sich nichts.
Innerlich aufgewühlt durchsuchte ich systematisch jeden Raum, von der Gästetoilette, bis zur Speisekammer, doch von Jess war weit und breit nichts zu sehen. Als ich mich im Schlafzimmer umschaute, bemerkte ich, dass einige ihrer Kleidungsstücke fehlten, die am Morgen noch dort herumgelegen hatten, und bei genauerem Hinsehen, fiel mir auf, dass sogar ihr Koffer verschwunden war. Mein Herz fing plötzlich an zu rasen. Was war geschehen?
Ohne lange zu überlegen, holte ich mein Handy hervor und wählte ihre Nummer. Sogleich meldete sich die Mailbox, auf welcher ich ihr eine Nachricht hinterließ.
„Jess, bitte ruf mich an. Ich bin jetzt zuhause und dein Koffer ist nicht da. Wo um Himmels Willen steckst du? Ich mache mir echt Sorgen um dich, also melde dich bitte. Bye, ich hab dich lieb, meine kleine Prinzessin."
Vielleicht war irgendetwas mit ihren Eltern, oder ihrem Bruder passiert. Aber bei gründlichem Nachdenken schien mir das eine absurde Idee zu sein, denn dann hätte sie mich sofort angerufen. Entnervt fuhr ich mit einer Hand durch meine Haare, bevor ich das Wohnzimmer aufsuchte. Als ich mich auf dem Sofa niederlassen wollte, fiel mein Blick auf einen grauen Pullover, den ich schon seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen hatte. Kein Wunder, diesen hatte ich Lucy überlassen, nachdem sie halbnackt bei mir aufgekreuzt war. Aber wie kam dieses Teil plötzlich hierher?
Voll böser Ahnung griff ich nach einem der Ärmel und prompt flatterte mir ein Zettel entgegen. Ich erkannte die Handschrift sofort, sie stammte von Jess.
Das Grummeln in meinem Magen wurde immer heftiger, denn ich wusste, dass das auf jeden Fall nichts Gutes bedeutete. Mein Mund wurde von einer immensen Trockenheit erfasst, als ich den Zettel in die Hand nahm und zu lesen begann.
„Dein Fuckbuddie war hier und hat den Pullover abgegeben, den du ihr am Tag, bevor du nach Dublin geflogen bist, geliehen hast. Wie konntest du verlogenes Miststück mir das nur antun? Wenn du das liest, hab ich bereits den nächsten Zug genommen. Ich bin weg, für immer, bye! Jess."
Das konnte nicht wahr sein! Das konnte wirklich nicht wahr sein!
Verzweifelt versuchte ich zu rekonstruieren, was sich wohl zugetragen haben könnte, und kam zu der Ansicht, dass es am besten sei, Lucy anzurufen. Was auch immer sie Jess erzählt hatte, es ging in die völlig falsche Richtung.
Mit zitternden Fingern wählte ich die Nummer der Rothaarigen, die nach wie vor in meinem Handy eingespeichert war. Ich sah keine Veranlassung diese zu löschen, denn wir waren jetzt einfach nur Friends-without-benefits-, nichts weiter.
„Bitte geh ran, verdammt nochmal", fluchte ich vor mich hin, als sie nicht gleich abhob.
Wo waren die Frauen, wenn man sie dringend brauchte? Dann, endlich, kurz bevor ich aufgeben wollte, vernahm ich ihre Stimme.
„Hey, Niall, schön, dass du mal anrufst. Hat deine Putzfrau dir den Pullover ausgehändigt und die Grüße ausgerichtet, wie ich es ihr aufgetragen hatte?"
„Meine was?", platzte ich heraus.
„Na, deine neue Putzfrau, das junge Mädchen, das heute sauber gemacht hat."
Für eine Sekunde blieb mir die Spucke weg, das durfte jetzt nicht wahr sein! Lucy hatte Jess für meine Putze gehalten, das erklärte so einiges.
„Was hast du ihr erzählt?", fragte ich scharf.
Sekundenlang herrschte Stille am anderen Ende der Leitung.
„Sag bloß, sie hat es irgendwo ausgeplaudert?"
„Was genau hast du ihr erzählt?!", fauchte ich nun ein wenig barscher.
„Eigentlich gar nicht viel. Nur, dass ich etwas spärlich bekleidet bei dir zuhause aufgetaucht bin und du mir deshalb den Pullover gegeben hast. Sie wurde dann sehr neugierig und wollte wissen, wann das denn gewesen sei, worauf ich ihr sagte, dass ich einen Tag bevor du nach Dublin geflogen bist, bei dir war."
„Verdammt nochmal, Lucy!", polterte ich los. „Das war Jess, meine Freundin!"
„Ach du Scheiße."
„Das kannst du laut sagen", schnaufte ich.
„Habt ihr euch gestritten? Hat sie dir eine Szene gemacht? Ich komme sofort vorbei und kläre das."
Nun atmete ich entnervt auf. „Wenn es nur das wäre. Sie ist abgehauen und hat mir eine kurze Nachricht hinterlassen."
Nachdem ich Lucy die Zeilen vorgelesen hatte, vernahm ich ihre überaus zerknirschte Stimme: „Das tut mir echt leid, Niall. Aber wenn du mir eine Adresse gibst, wo sie hingefahren sein könnte, würde ich auch dort vorbeischauen, nur um das Missverständnis aus der Welt zu schaffen."
Sie besaß ein überaus großmütiges Herz, das musste ich ihr zugutehalten, doch dies half in meiner augenblicklichen Situation recht wenig. Natürlich konnte ich mir denken, dass Jess nach Hause gefahren war, oder sich zumindest auf dem Weg dorthin befand. Letzteres kam nämlich eher in Betracht, nachdem ich mich bei Lucy erkundigt hatte, zu welcher Uhrzeit sie denn bei mir gewesen sei.
„Das war so gegen Mittag, um viertel nach eins", erklärte sie.
Jetzt konnte ich mir selbst ausrechnen, wie lange Jess nach London brauchte, beziehungsweise, wann von dort aus der nächste Zug nach Chippenham fuhr. Von dort aus würde sie jemand abholen müssen und dafür kam eigentlich nur eine Person in Frage, ihre beste Freundin Anne. Somit trat mein nächster Plan in Kraft, nämlich Anne anzurufen. Nachdem ich mich von Lucy verabschiedete hatte, die mindesten zehnmal fragte, ob ich ok sein und sie vielleicht noch irgendwie helfen könnte, atmete ich erst einmal tief durch.
Jess und ich hatten so eine Scheiße nicht verdient. Ich musste das klären, und zwar schnell. Obwohl mir bewusst war, dass sie nicht an ihr Handy gehen würde, wenn sie meinen Namen auf dem Display erblickte, rief ich ungefähr fünfundzwanzig Mal in Folge bei Jess an. Immer wieder meldete sich die Mailbox, auf der ich jedoch keine weitere Nachricht hinterließ. Ich hasste es, Probleme mittels eines automatischen Anrufbeantworters anzugehen. Das brachte nichts, sondern führte im Zweifel geradewegs zum Gegenteil. Genauso verhielt es sich mit den Whatsapp Nachrichten.
Deshalb zog ich es auch nicht in Betracht, dort einen Text zu verfassen. Ich wollte Auge in Auge mit Jess reden, denn dann würde sie hoffentlich begreifen, dass sie mir Unrecht tat, und dass alles nur auf einem großen Missverständnis basierte.
Nachdem ich mich ein wenig beruhigt hatte, nahm ich das Handy, um Annes Nummer zu wählen. Gott sei Dank hatten wir in Sheffield, vor dem letzten Konzert, unsere Telefonnummern ausgetauscht, sonst wäre ich jetzt aufgeschmissen gewesen. Obwohl..., Harry besaß Annes Nummer ebenso und hätte diese vermutlich sofort herausgerückt, wenn ich ihm von diesem Notfall berichtet hätte.
All das ging mir durch den Kopf, während ich wartete, dass Anne endlich abhob. Sekunden später zuckte ich förmlich zusammen, weil sie unkontrolliert ins Telefon brüllte: „Dass du dich überhaupt noch traust, bei mir anzurufen, ist schon ein starkes Stück! Was hast du hirnverbrannter Idiot Jess bloß angetan?"
Natürlich war ich jetzt der Buhmann. Aber ich würde sie schon aufklären.
„Anne, bitte hör mir zu, bevor du ein Urteil fällst, ok? Mehr verlange ich gar nicht von dir, einfach nur zuhören."
„Zuhören? Auf deine Ausrede bin ich schon sehr gespannt. Aber eins lass dir gesagt sein: Du hast Jess kaputt gemacht und alle ihre Hoffnungen zerstört, du Blödmann!", schnauzte sie mich an. Ich ging jedoch nicht weiter auf die Beschimpfungen meiner Person ein, sondern fragte so ruhig so möglich: „Würdest du mich jetzt bitte reden lassen?"
Ein leises Grummeln war noch zu vernehmen, dann herrschte eine fast schon peinliche Stille. Diesen günstigen Moment nutzte ich aus, um endlich zu Wort kommen zu können.
„Hör gut zu, Anne. Ich habe Lucy Wilmington, einer meiner Ex-Fuckbuddies, diesen Pullover gegeben, als sie mich am Tag, bevor ich nach Dublin geflogen bin, unerwartet besucht hat. Sie wollte Sex mit mir, auch das gebe ich zu, aber was ich nicht zugebe, ist, dass wir Sex miteinander hatten. Ich habe Lucy nämlich erklärt, dass zwischen uns nichts mehr läuft, weil ich eine Freundin hätte. Sie hat sich tierisch für mich gefreut, und dann haben wir noch ein bisschen geplaudert, bevor sie gegangen ist. Da sie nur ihre Unterwäsche unter dem Mantel trug, hatte ich ihr schon vor dem Gespräch den Pulli in die Hand gedrückt, den sie mir heute zurückgebracht hat. Unglücklicherweise hielt sie Jess für meine Putzfrau und hat mehr ausgeplaudert, als sie eigentlich sagen soll. Aber Lucy macht sich nun mal einen Spaß daraus, wenn meine Putze sie fragt, was wir alles so treiben, ein paar..., wie soll ich sagen..., Bemerkungen zu machen, die in eine ganz bestimmte Richtung gehen. Was die Putze sich dann dabei denkt, ist ihre Sache. Ich habe gerade eben mit Lucy telefoniert. Sie ist entsetzt und möchte wieder gutmachen, was sie angerichtet hat. Aber ich halte es für besser, wenn ich mit Jess rede, und niemand anders, verstehst du? Ich liebe sie nämlich und ich würde sie niemals betrügen, das kannst du mir glauben."
Ich konnte nicht fassen, dass Anne die ganze Zeit über geschwiegen hatte, und mich tatsächlich ausreden ließ. Auch jetzt schien sie noch einige Sekunden zu benötigen, um ihre Gedanken auf Trab zu bringen.
„Bist du noch da?", fragte ich deshalb vorsichtig nach.
„Ja, Niall, ich bin noch da." Sie atmete kurz durch, bevor sie erneut zu reden begann. „Also wenn das den Tatsachen entspricht, dann tut es mir ganz furchtbar leid, dass ich dich gerade so angepflaumt habe. Aber Jess..., sie ist meine beste Freundin, sie hat so viel durchmachen müssen in letzter Zeit und..., sie hat so geheult am Telefon..."
Ihre Stimme brach ab, als ob sie selbst weinen würde.
„Scheiße", sagte ich leise und trommelte nervös mit den Fingern auf dem Tisch herum. „Wo ist sie jetzt?"
„Auf dem Weg nach Hause, wie du dir sicher denken kannst. Ich soll sie um halb acht am Bahnhof in Chippenham anholen", antwortete Anne mit tränenerstickter Stimme.
Ich konnte deutlich hören, wie sehr sie das alles mitnahm. Mit einem schnellen Blick auf die Uhr, reifte mein weiterer Plan heran.
„Hör zu, Anne", begann ich. „Ich werde nach Chippenham fahren und Jess in Empfang nehmen. Du bleibst zuhause, hast du das verstanden?"
„Ja, aber du scheinst nicht zu wissen, wie stur sie sein kann, Niall."
„Du scheinst auch nicht zu wissen, wie stur ich sein kann", gab ich prompt zurück, worauf Anne kurz seufzte.
„Ok, dann lasse ich euch beiden Sturköpfe am besten alles selbst regeln. Aber wenn du nicht klar kommen solltest, oder sie nicht mit dir zurück nach London fahren will, rufst du mich an, ok?"
„Das werde ich auf jeden Fall."
„Gut, dann wünsche ich dir viel Glück beim Versuch eine wütende Jess zu beruhigen."
Ihre aufmunternden Worte (mein Sarkasmus ließ mal wieder grüßen) erklangen die ganze Zeit in meinen Ohren, während ich nach Chippenham fuhr. Direkt nach dem Gespräch mit Anne hatte ich mich ins Auto gesetzt und quälte mich nun durch den Verkehr. Aber ich war schlau und fuhr statt über die M 4 über die M 40, um den größten Stau zu umgehen. Es klappte tatsächlich und ich kam relativ gut durch.
Als ich nach zweieinhalb Stunden die Abfahrt nach Chippenham erreichte, begann mein Herz plötzlich schneller zu schlagen. Nervös warf ich einen Blick auf die Uhr, welche zehn nach sieben anzeigte. Es waren ungefähr noch zwei Meilen bis zum Bahnhof, das sollte ich locker schaffen. Hoffentlich traf der Zug einigermaßen pünktlich ein, ansonsten bestand nämlich die Gefahr, dass ich zu einem Nervenbündel mutierte.
Je näher ich dem Bahnhof kam, desto aufgeregter wurde ich. Der Griff meiner schweißnassen Hände um das Lenkrad fühlte sich einfach nur ekelhaft an, und mein zunehmend rasender Puls trug auch nicht dazu bei, dass ich mich komfortabel fühlte. Zu allem Überfluss bildeten sich auch noch Regentropfen auf der Fahrerscheibe.
„Super", murmelte ich, als ich nach einem Parkplatz Ausschau hielt.
Glücklicherweise fuhr gerade ein großer Wagen aus einer Parklücke, in welche der Range Rover mühelos hineinpasste. Kaum hatte ich den Wagen abgestellt, öffnete ich das Fenster und zündete mir eine Zigarette an. Ich brauchte das jetzt ganz dringend, um meine Nerven zu beruhigen. Vom Parkplatz aus konnte ich die Bahnhofsuhr, sowie die Anzeige sehen. Mit der zweiminütigen Verspätung des Zuges konnte ich sehr gut leben, zum Glück war es nicht mehr. Nachdem ich die Zigarette zu Ende geraucht hatte, schnickte ich den Rest der Kippe nach draußen, und stieg aus dem Wagen.
Mit schnellen Schritten lief ich auf den Bahnsteig zu, wo der Zug gerade einfuhr. Als er stoppte, wurde mir fast schlecht. Was, wenn Jess mir kein Wort glaubte? Was sollte ich dann tun? Lucy um Hilfe bitten? Vielleicht dachte Jess dann, dass alles ein abgekartetes Spiel sei. Ich musste mich einfach darauf verlassen, dass sie mir noch genügend vertraute. Nach allem, was wir zusammen durchgestanden hatten, sah ich auch gar keinen Grund, weshalb das anders sein sollte, aber wer wusste schon, was in ihrer verletzten Seele vorging.
Mit pochendem Herzen beobachtete ich, wie die Türen des Zuges sich öffneten. Ein Fahrgast nach dem anderen stieg aus, und dann erblickte ich Jess. Als ich sah, wie sie ihren schweren Koffer langsam hinter sich her rollte und mit gesenktem Kopf, die Augen auf das Handy geheftet, den Bahnsteig entlang lief, wollte ich am liebsten auf sie zu rennen und sie umarmen. Doch das verkniff ich mir tunlichst. Wenn Anne klug war, hatte sie ihr Handy ausgeschaltet und Jess würde sich nach einer anderen Fahrgelegenheit umsehen müssen, vorzugsweise mein Range Rover, wenn alles glatt laufen sollte.
Sie prallte fast gegen mich, weil sie unachtsam durch die Gegend marschierte, doch ich dachte gar nicht daran auszuweichen.
„Sorry, tut mir leid, ich hab Sie nicht..."
Ihre braunen Augen blickten im ersten Moment total verstört, dann jedoch ziemlich angriffslustig drein. Auch ein Hauch von Trauer leuchtete auf, und genau dieser machte mich ebenfalls traurig.
„Was machst du denn hier?" Bissig kamen die Worte über ihre Lippen. Ich hatte nichts anderes erwartet. Nun musste ich reagieren.
„Ich bin gekommen, um mit dir zu reden", sagte ich ruhig, obwohl ich innerlich gewaltig zitterte.
„Das hättest du dir sparen können."
Sie wandte sich von mir ab und wollte an mir vorbeigehen, doch ich packte sie sanft am Handgelenk.
„Lass mich los, Niall", fauchte sie. „Ich weiß überhaupt nicht, was es noch zu reden gibt, vergnüge dich doch mit deinen gottverdammten Fuckbuddies!"
Gott sei Dank trieben sich in diesem Provinzbahnhof keine Paparazzi herum, das wäre absolut tödlich für mich und mein Image gewesen. Doch momentan war mir selbst das egal, denn ich wollte Jess.
„Anne kommt dich nicht abholen, falls du darauf wartest", entgegnete ich nun, worauf ihr Gesichtsausdruck ins Grübeln verfiel.
„Woher willst du das wissen?"
„Weil wir miteinander telefoniert haben und ich anstatt sie, auf dich warte."
„Das ist nicht fair! Du hast meine beste Freundin eingewickelt!", warf sie mir vor.
Und dann sah ich ihre Tränen. Jess schluchzte verzweifelt auf und schlug die Hände vors Gesicht.
„Bitte geh doch, du machst es nur noch schlimmer, Niall..."
Dann brach ihre Stimme wie Glas in tausend Teile. Bevor ich realisierte, was ich eigentlich tat, legte ich meine Arme um ihren schlanken Körper, der zitterte und bebte.
„Jess", flüsterte ich, „bitte hör mir zu, so wie Anne es auch getan hat."
Ihr Brustkorb hob und senkte sich heftig unter ihrer beschleunigten Atmung, die es ihr nicht ermöglichte zu sprechen.
„Jess, bitte..., ich liebe dich", wisperte ich traurig und liebevoll zugleich. „Gib mir wenigstens eine Chance, es zu erklären."
Noch immer zitterte ihr Körper, doch jetzt war sie zumindest fähig, zu sprechen.
„Also gut, eine Chance, aber wenn du mir keine gute Erklärung lieferst, ist es aus und vorbei."
Mein halbwegs erleichtertes Aufatmen nahm sie mit einem Augenrollen zur Kenntnis.
„Lass uns zum Wagen gehen, ja? Im Auto ist es wärmer als hier", schlug ich vor. „Du darfst auch gleich wieder aussteigen, falls dir meine Erklärung nicht zusagen sollte", setzte ich noch hinzu, worauf Jess nur nickte.
Gemeinsam liefen wir über den Parkplatz, es goss noch immer in Strömen, und als wir das Auto erreichten, sahen wir beide wie nasse Straßenköter aus, zumindest, was die Haare anging. Sofort betätigte ich die Zündung und schaltete die Heizung ein, damit wir uns keine Erkältung holten. Jess lehnte sich im Beifahrersitz zurück, blickte mich an und sagte: „Ich warte."
Einmal tief Luft holen und ich fing an. Meine Ausführung der Geschichte startete in jenem Moment, an dem ich mit Kofferpacken beschäftigt war und endete damit, als Lucy ging. Mit meinem Pullover über ihrem spärlich bekleideten Körper.
„Und das ist alles?", fragte Jess leise.
„Ja, das ist alles. Zwischen Lucy und mir hat, und wird sich auch nichts mehr abspielen."
Ich hörte, wie sie tief durchatmete. „Im Prinzip hat Lucy auch nichts anderes gesagt, wenn ich ehrlich bin, aber ich..., ich habe gedacht... Verdammt, Niall, ich liebe dich. Ich hatte plötzlich solche Angst, dass mir das Gleiche wie mit Tim passieren würde", schluchzte sie.
„Jess." Ich beugte mich zu ihr und küsste sie auf den Mund. „Ich liebe dich auch und ich will dich nicht verlieren."
Ihr sanfter Kuss, den sie nun auf meine Lippen platzierte, ließ mich wissen, dass alles wieder gut war.
„Es tut mir auch leid, Niall. Ich hab einfach überreagiert."
„Das ist schon ok."
Zärtlich streichelte ich ihr Gesicht, küsste die letzten Tränen weg und flüsterte: „Wie sieht's aus? Fahren wir nach Hause?"
Für eine Sekunde blitzten ihre braunen Augen auf, als sie sagte: „Ja, aber zu mir. Es wäre doch blöd, jetzt nach London zurück zu fahren, während mein Zuhause praktisch um die Ecke liegt. Meine Eltern würden sich riesig freuen, dich kennenzulernen und du könntest NJ sehen."
Auf den kleinen Igel war ich wirklich gespannt und natürlich auch auf die Eltern von Jess.
Verschmitzt grinsend antwortete ich: „Und wie groß ist dein Bett?"
„Auf jeden Fall groß genug für uns beide", lautete ihre überzeugte Antwort.
Zwanzig Minuten später standen wir ihrem Elternhaus, welches von einem schmucken Garten umgeben war, soweit ich das in der Dunkelheit erkennen konnte. Jess, die ihre Eltern kurz vorher über unser Kommen informiert hatte, fiel beiden abwechselnd um den Hals, bevor sie auf die Suche nach dem Igel ging. Das putzige Kerlchen hielt sich in ihrem Zimmer auf - er vermisste sie wohl, was ich durchaus nachvollziehen konnte - und saß auch während des Essens auf ihrem Schoß.
Jess' Mutter servierte uns mega leckere Steaks, mit Kartoffelecken und gedünstetem Gemüse. Mein Magen freute sich wirklich über diese Mahlzeit, denn ich hatte seit heute Mittag nichts mehr zu mir genommen. Den restlichen Abend verbrachten wir vor dem Kamin im Wohnzimmer, plauderten mit ihren Eltern und streichelten den Igel.
„Er ist so groß geworden", sagte Jess immer wieder.
„Und er vermisst dich, genauso wie ich Malcolm und dich vermisse", erklärte Jess' Mum. Das konnte ich gut verstehen, denn mein Dad vermisste mich auch.
So verging ein schöner, entspannter Abend im Kreise von Jess' Familie, bevor wir uns gegen halb zwölf ins Bett legten.
„Es ist tatsächlich groß genug", stellte ich grinsend fest.
„NJ muss auch noch mit hinein." Mit diesen Worten hob Jess den Igel hoch und setzte ihn auf eines der beiden Kopfkissen.
„Ich soll mit einem Igel im Bett schlafen?", fragte ich leicht erstaunt.
„Klar, er beißt ja nicht und er sticht auch nicht, wenn du ihn nicht gerade bedrohst."
„Und wer gibt mir die Garantie dafür?"
„Ich! Du wolltest, dass ich dir vertraue, jetzt musst du auch mir vertrauen", lautete ihr abschließender Kommentar, gegen den ich nichts mehr ausrichten konnte.
Als wir am nächsten Morgen erwachten, lag der Igel neben Jess' Kopf, seine Schnauze an ihre Nase gepresst. Der Anblick war einfach göttlich und ich kam nicht umhin, ein Foto zu schießen, welches ich sogleich per Whatsapp an sie versendete.
„Welcher Idiot schickte mir denn so früh eine Nachricht", grummelte sie verschlafen, als das Handy sie aus ihren Träumen riss.
„Der Idiot war ich", grinste ich.
Als Jess das Foto sah, begann sie zu lachen. „Das sieht so süß aus! Danke, Niall, du bist einfach der Beste."
Zur Belohnung bekam ich noch einen Kuss, dann standen wir auf, um zu frühstücken.
Direkt nach der morgendlichen Mahlzeit machten wir uns auf den Weg nach Hertfordshire, zu meinem Haus. Es regnete während der kompletten Fahrt und es sah auch nicht danach aus, als ob es heute jemals aufhören würde.
Froh darüber, wieder zuhause zu sein, parkte ich den Range Rover im Hof, während Jess das Tor schloss, um dann zum Haus zu laufen. Im Rückspiegel konnte ich erkennen, wie sie urplötzlich wegknickte, auf dem nassen Pflaster ausglitt und auf ihre Knie fiel. Pfeilschnell stürzte ich aus dem Wagen, auf Jess zu, die mit schmerzverzerrtem Gesicht am Boden saß. Tränen liefen über ihre Wangen, doch aus ihrem Mund kam kein Laut.
Ich ging neben ihr in die Hocke, nahm ihre Hand und fragte mit einem besorgten Blick auf ihr ohnehin schon lädiertes Knie: „Ist alles ok, Prinzessin?"
„Nein", presste sie hervor. „Mein Knie..., diese Schmerzen..."
„Jess, was ist los?" Angsterfüllt blickte ich meine Freundin an, die nun zu heftiger zu weinen anfing. „Niall..., es tut so weh."
Es zerriss mir fast das Herz, sie in diesem Zustand zu sehen. Doch Jess konnte nicht auf dem nassen und kalten Boden sitzenbleiben, ich musste sie irgendwie ins Haus schaffen. Zu diesem Zweck umfasste ich vorsichtig ihre Taille.
„Halt dich einfach an mir fest, ok? Den Rest mache ich schon", wies ich sie an.
Obwohl ich ganz behutsam mit ihr umging, stöhnte sie vor Schmerzen. Es musste wirklich schlimm sein, denn Jess war kein Mensch, der sich unnötig anstellte, wenn es um solche Dinge ging. Nach fünf unendlich langen Minuten hatte ich es geschafft, sie in den Hausflur zu transportieren. Von dort aus trug ich in den Wohnbereich und legte sie auf das große Sofa.
„Ich werde einen Arzt anrufen, Prinzessin", sagte ich, was sie mit einem schwachen Nicken zur Kenntnis nahm.
Während wir auf das Eintreffen des Doktors warteten, kochte ich Tee und servierte Kekse dazu. Jess trank die heiße Flüssigkeit in kleinen Schlucken, rührte jedoch die Kekse nicht an. Sie musste unglaubliche Schmerzen haben, wenn sie sogar ihr Lieblingsgebäck verschmähte. Nach ungefähr zwanzig Minuten tauchte der Arzt auf. Bei Dr. Baker handelte es sich um meinen Hausarzt, dem ich wirklich vertraute, und der sehr vorsichtig mit Jess umging.
„Vermutlich haben Sie sich das Knie stark geprellt, aber zur Sicherheit würde ich eine Einweisung ins Krankenhaus vorschlagen, zumal ihr Knie sowieso nicht ganz gesund ist", erklärte er nach der Untersuchung.
Ich sah die Angst in ihren Augen und nahm ihre Hand sofort in meine.
„Ganz ruhig, Prinzessin, ich werde an deiner Seite sein, egal, was passiert."
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Von einem Cliffhanger in den nächsten, ich lasse euch nicht zur Ruhe kommen, oder?
Ich hoffe, das Kapitel hat euch gefallen und ihr seid gespannt wie es weiter geht! ;)
Wer von meinen Leser ist eigentlich Niall Girl? Schreibt es mir in einem Kommentar, wenn ihr mögt!
An diesem Wochenende habe ich die unglaubliche Leserzahl von 20k überschritten, mittlerweile sind es sogar schon über 21k, was mich sehr stolz macht. Ich möchte mich bei jedem bedanken, der diese Geschichte liest!
LG, Ambi xxx
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