34. Motivation
Jess
Bevor ich es richtig realisierte brach der letzte Tag in London an. Der letzte Tag und die letzte Nacht mit Niall.
Ich hätte heulen können, denn ich wusste nicht, wann wir uns wieder sehen würden. Da die Tournee von One Direction noch bis Ende Oktober andauerte, rechnete ich nicht so bald mit einem neuen Treffen, was jedoch etwas Gutes hatte. Während dieser Zeit würde ich meine komplette Energie in das Training meiner Beine stecken. Wenn ich Niall das nächste Mal gegenübertreten würde, dann nicht mehr in einem Rollstuhl sitzend, sondern laufend, auf meinen eigenen zwei Füßen. Das nahm ich mir fest vor, als wir an diesem Morgen gemeinsam in seinem Bett frühstückten.
„An was denkst du gerade, Jess?", vernahm ich seine Stimme, die einfach so sexy klang, dass ich jedes Mal eine Gänsehaut bekam.
Und wieder fiel mir auf, dass er alles wahrnahm, was mit mir passierte. Sei es nun das Versinken in tiefe Gedanken, Freude oder Seelenschmerz. Er war wie gemacht für mich, so perfekt, so liebevoll und einzigartig.
Nachdem ich den letzten Bissen des Brötchens hinuntergeschluckt hatte, beantwortete ich seine Frage.
„Ich denke gerade darüber nach, wann wir uns wohl wieder sehen können."
Traurigkeit schwang in meiner Stimme mit, ich konnte es nicht verhindern, obwohl ich mir Mühe gab, optimistisch zu klingen. Zum Glück hatte Niall, den grenzenlosen Optimisten, der mich sogleich aufmunterte.
„Wann möchtest du mich denn wieder zu Gesicht bekommen, Prinzessin?", flüsterte er mir ins Ohr.
„So schnell es geht", antwortete ich wie aus der Pistole geschossen. „Und wenn ich ehrlich bin, würde ich am liebsten bei dir bleiben", fügte ich noch hinzu.
Niall lächelte kurz und drückte mir einen Kuss auf den Mund, bevor er die beiden Tabletts vom Bett wegräumte, damit wir uns ungestört ausbreiten konnten. Als er sich wieder zu mir gesellte, ließ ich mich einfach in seine Arme sinken. Es fühlte sich so vertraut an, wenn ich meinen Kopf auf seine nackte, perfekt behaarte Brust legen konnte. Träumerisch schloss ich meine Augenlider, während er mit meinen Haaren spielte. Ich liebte das Gefühl, wenn seine Finger zärtlich und vorsichtig durch mein langes Haar glitten.
„Weißt du, Jess, ich hätte dich auch gerne am liebsten an meiner Seite, doch ich finde es im Moment unglaublich wichtig, dass du deine Physiotherapie konsequent fortführst, damit du bald wieder richtig laufen kannst."
„Das werde ich tun", sprudelte es aus mir hervor.
Verdammt, er konnte wirklich meine Gedanken lesen, zumindest kam es mir so vor.
„Dann sind wir uns ja einig", meinte Niall, bevor seine Lippen meine Stirn berührten.
Ich liebte diese morgendlichen Kuschelstunden zwischen uns über alles und hätte für nichts auf der Welt darauf verzichten wollen. Dass es ihm genauso ging spürte ich jeden Tag aufs Neue. Langsam hob ich meinen Kopf an, um in seine blauen Augen zu schauen, die mir zuzwinkerten, als er meinen Blick bemerkte.
„Ich werde fleißig üben, auch wenn es mir ohne dich schwerer fallen wird", seufzte ich leise.
„Ich bin in Gedanken bei dir, so wie immer", erklärte er, was mich zu einem Lachen animierte.
Niall war so unglaublich süß, wenn er wie gerade im Augenblick grinste und gleichzeitig etwas Ernstes sagte. Das Gefühl, dass er mich niemals aufgeben würde, machte sich in meinem Innersten breit und ließ mich zurück auf seinen Brustkorb sinken. Am liebsten wäre ich an diesem Tag gar nicht aufgestanden, doch der Terminplan von One Direction sah vor, dass wir uns am späten Nachmittag auf den Weg zum O2 begeben mussten. Dort absolvierten die Jungs am heutigen Abend das letzte ihrer sechs London Konzerte.
Wie nicht anders zu erwarten, tobte das Publikum wie verrückt, die Stimmung hätte nicht grandioser sein können. Wenn ich ehrlich war, musste ich zugeben, dass diese Jungs einfach großartig auf der Bühne agierten. Jeder ihrer Auftritte hatte mir bisher gefallen, man konnte fast schon behaupten, dass ich zu einem Fan mutierte. Anne beschwerte sich am Ende des letzten Konzerts, dass der Speicherplatz auf ihrem Handy langsam knapp wurde, weil sie so viele Fotos geschossen hatte.
„Du weißt doch, wie Harry aussieht, du brauchst doch nicht fünfhundert Bilder von ihm an einem Abend zu machen", zog ich sie grinsend auf, nachdem das Konzert zu Ende gegangen war und wir nur darauf warteten, die Jungs zu Gesicht zu bekommen.
Noch immer hatte ich während der Show im Rollstuhl gesessen, denn das längere Stehen bereitete meinen im Moment noch sehr schwach ausgebildeten Muskeln ziemliche Probleme. Als Niall jedoch zur Tür hineinstürzte, erhob ich mich sofort aus dem Rollstuhl, um nach seiner Hand zu greifen, die er mir wie selbstverständlich entgegenstreckte. Innerhalb kürzester Zeit waren wir ein eingespieltes Team geworden, was diese Sache betraf.
Noch niemals hatte ich solch einen aufmerksamen Menschen wie ihn kennengelernt und noch nie war es mir so schwer gefallen, mich von jemandem physisch für einige Zeit zu trennen. Aber es führte kein Weg daran vorbei; heute verbrachten wir unsere letzte gemeinsame Nacht, vor einer Pause, deren Länge noch ungewiss war. Trotzdem lag es mir fern Trübsal zu blasen, vielmehr wollte ich die wertvollen Stunden, die uns einstweilen blieben, genießen.
Nach dem Eintreffen im Hotel begaben Niall und ich uns sofort nach oben, nachdem wir den anderen eine gute Nacht gewünscht hatten. Natürlich lief ich die Strecke vom Aufzug bis zu Nialls Suite an seiner Hand. Es ging jeden Tag ein bisschen besser, doch ich war noch lange nicht zufrieden mit dem Ergebnis. Die Schwerfälligkeit von welcher meine Beine noch immer befallen waren, störte mich immens. Aber ich würde daran arbeiten, jeden Tag, das nahm ich mir fest vor.
„Alles ok, Jess?", erkundigte sich Niall, kurz bevor wir den Eingang zu seiner Suite erreichten.
„Ja, alles gut", erwiderte ich ein wenig außer Atem und drückte kurz seine Hand, die sich sofort fester um meine schloss, als wollte er mir zeigen, dass ich nichts zu befürchten hätte.
In der Suite angekommen, trug Niall mich zum Bett, auf dem er mich dann vorsichtig absetzte. Während ich meine Jeans, sowie das T-Shirt auszog, sprang er schnell unter die Dusche. Nur in meiner Unterwäsche bekleidet saß ich auf dem Bett, als eine Textnachricht von Malcom eintraf, mit dem ich zwischendurch immer mal geskypt hatte. Er war der Einzige in meiner Familie der inzwischen wusste, dass Anne und ich praktisch als Gäste von One Direction unseren London Aufenthalt verbrachten.
Meinen Eltern musste ich das noch irgendwie beibringen, aber da ich schon lange volljährig war, besaßen sie in dieser Hinsicht kein Mitspracherecht. Ich konnte meine Zeit verbringen, mit wem ich wollte. Als ich die Nachricht meines Bruders las, wurde ich allerdings ein wenig traurig.
„Hi Jess, ich wollte mich noch von dir verabschieden, bevor ich morgen mit der Uni anfange. Es ist schade, dass wir uns vorher nicht mehr sehen, aber ich komme am Wochenende nach Hause! Ich hab dich ganz doll lieb, bitte pass auf dich auf und lass dir von den Typen nicht den Kopf verdrehen! Alles Liebe, dein Bruderherz xxx."
Irgendwie war es ja süß, dass er sich um mich sorgte, aber ich war alt genug, um zu spüren, ob ich mich auf jemanden einlassen wollte oder nicht. Und bei Niall hatte ich ein unglaublich gutes Gefühl. Schmunzelnd textete ich nun zurück.
„Hi, Malcom, ich wünsche dir alles Gute für den Start in der Uni. Du rockst das schon, keine Sorge! Ich finde es auch schade, dass wir uns vorher nicht mehr sehen, aber ich freue mich riesig, wenn du am Wochenende kommst! Und keine Angst, die Jungs sind super nett! Fühl dich mal gedrückt von mir, dein Schwesterherz xxx."
Er würde mir wirklich fehlen, sehr sogar, aber dies war ein Grund mehr, sich anzustrengen und zu versuchen meine Beinmuskulatur wieder aufzubauen. Wer sonst sollte das Schokoladeneis im Keller holen, wenn ich nachts Gelüste darauf bekam?
„Hey, ich dachte, du liegst schon im Bett!"
Nialls erstaunte Stimme ließ mich aufschauen und gleichzeitig grinsen.
„Malcolm hat mir noch geschrieben. Er wollte sich verabschieden, bevor er morgen mit der Uni beginnt", klärte ich den blonden Iren auf, der nur mit einer Boxershorts bekleidet vor mir stand.
Sein Körper war echt ein Leckerbissen und lieferte mir den besten Grund, alles daran zu setzen, wieder richtig laufen und voll bewegliche Beine haben zu können. Als Niall keine Anstalten machte, sich ins Bett zu legen, sondern mich eingehend musterte, fragte ich schließlich: „Ist irgendwas?"
„Ja."
Lächelnd setzte er sich endlich neben mich und hauchte mir ins Ohr: „Deine Unterwäsche ist der Hammer."
Prompt errötete ich ein wenig. Es war so süß, wenn er mir Komplimente machte, denn dies ließ mein Herz schneller schlagen. Doch mein im Augenblick beschleunigter Herzschlag war nicht nur auf diese Aussage zurückzuführen, sondern auch darauf, dass Niall mich zu küssen begann. Vorsichtig wanderten seine weichen Lippen von meinem Ohr bis hinunter zu meinem Hals, um an meinem Schlüsselbein zu enden.
„Du bist so wunderschön", murmelte er, was beinahe Tränen in meiner Augen trieb.
Es war so lange her, dass ein Mann meinen Körper auf diese Art und Weise ertastete, dass ich fast schon vergessen hatte, wie gut es sich anfühlte. Als Nialls Hände über meine Haut glitten, spürte ich jedoch die Einzigartigkeit der Empfindungen, die sich in mir ausbreiteten. Noch niemals hatte es sich so toll angefühlt, wenn ein Mann mich berührte.
„Darf ich deinen BH ausziehen?", haucht er, seine blauen Augen fragend auf mich gerichtet.
„Ich bitte darum", flüsterte ich leise, während mein Herz aufgeregt flatterte.
Vorsichtig löste Niall den Verschluss des BHs, bevor unsere Körper langsam, fast wie in Zeitlupe auf dem Bett landeten. Der Moment als er begann meinen Busen sanft mit seinen Händen und den Lippen zu ertasten, drückte so viel Liebe aus, wie ich es noch nie erfahren hatte. In jenem Augenblick begriff ich, wie viel er mir bedeutete.
Sekunden später versanken wir beide in einem Strudel voller Gefühlen, die nicht enden wollten. Jeder Kuss war eine Liebeserklärung, jedes Streicheln drückte gleichermaßen Zärtlichkeit und Begierde aus und doch spürte Niall genau, wann er stoppen musste, um nicht etwas zu tun, was wir beide nicht hätten so genießen können, wie wir es eigentlich sollten. Von Anfang an hatte er mir klar gemacht, dass es keinen Sex zwischen uns geben würde, so lange ich meine Beine nicht richtig bewegen konnte. Obwohl ich eine tiefe Ungeduld in mir spürte, rechnete ich es ihm hoch an.
Nun lagen wir im Bett, die Gesichter aneinander zugewandt. Mit seiner linken Hand strich vorsichtig eine Haarsträhne aus meinem Gesicht und begann zu lächeln.
„Darf ich mir etwas wünschen, Jess?", flüsterte er.
„Alles, was du willst", wisperte ich zurück.
Seine Bitte, welche er in den nächsten Sätzen formulierte, ließ mich vor Glück beinahe weinen.
„Dann möchte ich, dass du nach Dublin kommst. Wir geben dort vom sechzehnten bis einschließlich achtzehnten Oktober drei Konzerte. Irland ist meine Heimat und es würde mir unglaublich viel bedeuten, wenn du dort an meiner Seite wärst."
Darauf gab es nur eine Antwort.
„Natürlich komme ich nach Dublin", sprudelte es aus mir hervor.
Nichts und niemand würde mich davon abhalten können, weder meine Beine, noch meine Eltern oder gar Anne. Wobei Letztere sicher nichts dagegen einzuwenden hätte, nochmals von Harry betreut zu werden. Anne durfte sozusagen das Rundum-Sorglos-Paket für sich beanspruchen, seit wir in London eingetroffen waren, denn Harry kümmerte sich fast ausschließlich um sie. Das sollte also mein geringstes Problem werden. Das kurze Abschweifen meiner Gedanken erledigte sich von selbst, als ich Nialls Stimme hörte.
„Das wäre echt schön", sagte er leise, bevor einen sanften Kuss auf meiner Nasenspitze platzierte. „Ich lasse dich vom Flughafen abholen und direkt in unser Hotel kutschieren. Vielleicht mag Anne ja mitkommen, damit hättest du auch in London am Flughafen jemanden, der dir zur Seite steht", fügte er noch hinzu.
„Ganz sicher kommt sie mit", erklärte ich lächelnd und küsste ihn dann auf den Mund.
Als Niall mich kurze Zeit später in seine Arme nahm, legte ich meinen Kopf auf seine Brust und war im Nu eingeschlafen.
Der Abschied am nächsten Morgen fiel uns zwar sehr schwer, aber die Tatsache, dass wir uns in genau fünfzehn Tagen wieder sehen würden, machte es leichter.
„Versprich mir, dass du fleißig üben wirst", flüsterte Niall mir ins Ohr, bevor wir uns endgültig Lebwohl sagten.
„Ich verspreche es", wisperte ich.
Eine Umarmung, ein letzter Kuss und ich musste ihn loslassen. Aber zum Glück war es kein Abschied für immer.
Seufzend lehnte ich den Kopf an die Scheibe des Fensters, während Anne den Wagen durch das verregnete London steuerte. So viel war in den letzten Tagen passiert. Ich konnte es fast nicht glauben, dass ich mich in den Sänger einer berühmten Boyband verliebt hatte - und er sich in mich; trotzdem war es geschehen.
Jetzt hieß es kämpfen, um wieder auf die Beine zu kommen. Ich hatte es ihm versprochen und er sollte stolz auf mich sein, wenn wir uns das nächste Mal in Dublin begegneten. Die Sache, ob Anne mitfliegen wollte oder nicht, klärten wir binnen einer Minute. Sie sagte sofort zu, wobei es natürlich auch eine Rolle spielte, dass wir erst freitags fliegen würden und sie somit keinen weiteren freien Tag benötigte, den ihr Boss ihr vermutlich auch nicht so ohne weiteres zugestanden hätte.
„Ich muss sagen, Niall ist ja schon ein cooler Typ und extrem nett", meinte Anne.
„Extrem nett?", äffte ich sie nach. „Er ist einfach nur perfekt, super sexy und sehr süß."
„Ich entnehme daraus, dass du mächtig verliebt bist."
„Mehr noch."
„Mehr? Geht das überhaupt?" Sie zog ihre Augenbrauen ein wenig nach oben, grinste jedoch dabei.
„Das geht, verlass dich drauf", erwiderte ich voller Überzeugung.
Die restliche Fahrt verbrachten wir damit Musik zu hören, denn ich war einfach nicht zum Reden aufgelegt. Glücklicherweise nahm Anne mir das nicht übel.
Als sie mich nach zwei Stunden Fahrt zuhause absetzte, wurde ich freudestrahlend von meiner Mutter begrüßt, die es kaum glauben konnte, dass ich morgen freiwillig und ohne zu murren die Physiotherapie aufsuchen wollte. Noch wusste sie nicht, was oder besser gesagt, wer mich dazu bewog, dies zu tun, aber sie würde es noch früh genug erfahren.
Einstweilen konzentrierte ich mich darauf, meine Beinmuskeln aufzubauen und zwar mittels der Übungen, die Mark mir gezeigt hatte, als ich gemeinsam mit Niall im Fitness Raum trainieren durfte. Doch vorher schickte ich eine Nachricht an Niall, dass ich gut zuhause angekommen sei, worauf er prompt antwortete.
„Ich vermisse dich, Jess. Es ist so leer in meinem Arm."
Um ihn ein wenig zu ärgern, textete ich grinsend zurück: „Ich vermisse deine behaarte Brust."
Kurze Zeit später schickte er ein Foto seiner Brustbehaarung, was mich laut auflachen ließ. Er war ja so unglaublich süß und witzig. Fünfzehn verdammte Tage musste ich nun ohne ihn aushalten, aber ich würde es überstehen, denn mir stand eine große Aufgabe bevor, die ich gleich am nächsten Tag in Angriff nahm.
Nachdem meine Mutter ein kurzes Telefongespräch mit meinem Physiotherapeuten geführt hatte, setzte sie mich in dessen Praxis ab. Während sie ihre Einkäufe erledigte, sollte ich nun meine Übungen absolvieren. Der Therapeut staunte nicht schlecht, als er die Schritte zählte, welche ich bereits zu gehen vermochte. In der Praxis befanden sich Stangen, die das Festhalten ermöglichten, damit man sich sicherer fühlte. Doch diese konnten mir nicht das Gefühl zu vermitteln, das Niall mir jedes Mal gab, wenn er meine Hand berührte. Trotzdem hielt mich nichts davon ab, diese Schritte zu wagen, denn ich hatte beschlossen zu kämpfen.
„Ich bin begeistert, Jess", vernahm ich die Stimme des Therapeuten, Mr. Andrews, nachdem ich meine Übungen für den heutigen Tag komplett absolviert hatte. „Du hast deine Ängste verloren, was um Himmels Willen ist in London passiert?", fragte er erstaunt.
Mit einem vielsagenden Lächeln antwortete ich: „Ganz einfach, ich habe mich verliebt."
„Oh, Liebe versetzt bekanntlich Berge!"
„Allerdings tut sie das."
„Du weißt schon, dass das Grundgerüst deiner Muskeln innerhalb von vierzehn Tagen sozusagen wieder errichtet ist, oder?", meinte er, was mein Herz schneller schlagen ließ.
„Wirklich? Geht das echt so schnell?", erkundigte ich mich sicherheitshalber nochmals, worauf er mit einem Nicken reagierte.
„Kann ich dann in zwei Wochen wieder ganz normal laufen?"
„Wenn du jeden Tag fleißig deine Übungen machst, garantiere ich dir zu hundert Prozent, dass du in ein paar Tagen keinen Rollstuhl mehr benötigen wirst. Du hast bereits mit dem Muskelaufbau begonnen."
„Wie weit genau werde ich in zwei Wochen sein?"
„Ich will ehrlich zu dir sein, Jess. Es kommt auf dich selbst an. Wenn du dein Training weiterhin so durchziehst, wirst du bis dahin normal laufen können, nicht rennen, aber gehen. Allerdings solltest du dein verletztes Knie immer im Hinterkopf behalten. Also niemals das Haus ohne Kniebandage verlassen, hast du das verstanden?"
Seine positive Aussage war so unglaublich wichtig für mich. Ich würde normal gehen können, ohne fremde Hilfe, wenn ich Niall in Dublin begegnete.
„Werden meine Beine sich bald leichter anfühlen?", lautete meine nächste Frage.
„Jeden Tag ein bisschen mehr."
Ein lauter Jubelschrei entwich meiner Kehle, doch innerlich biss ich die Zähne zusammen, denn das Training hatte mich ziemlich geschafft.
„Trink am besten Magnesium, das hilft gegen Muskelkater", riet Mr Andrews lächelnd als er mein leicht schmerzverzerrtes Gesicht erblickte.
„Wir sehen uns dann morgen wieder, Jess", verabschiedete er sich freundlich von mir.
Überglücklich traf ich eine halbe Stunde später mit meiner Mutter zuhause ein. Meine Energie war nicht mehr zu bremsen, seit ich wusste, wie schnell der Muskelaufbau vonstattengehen würde, wenn ich fleißig mithalf. Als ich mein Handy hervorholte, um eine Nachricht an Niall zu schicken, durchzuckte ein Gedanke meinen Kopf. Ich würde ihn überraschen. Er sollte nicht wissen, dass ich vermutlich ohne Rollstuhl nach Dublin reisen konnte.
Grinsend textete ich folgenden Satz: „Bin gerade von der Physiotherapie zurückgekommen. Leider wird es noch etliche Wochen dauern, bis ich wieder richtig laufen kann. Aber ich gebe mir große Mühe."
Sekunden später erhielt ich seine Antwort.
„Ich bin in jeder Therapiestunde mit meinen Gedanken bei dir. Du wirst es schaffen, Jess, egal wann, aber du schaffst es definitiv!"
„Das werde ich, Niall James Horan", flüsterte ich leise, „weil ich dich liebe und du mich liebst."
Langsam sollte ich meine Eltern darüber aufklären, dass Anne und ich am sechzehnten Oktober nach Dublin fliegen würden. Unsere Flüge hatten wir bereits gebucht. Allerdings hielt ich es für sinnvoll, die Geschichte im Beisein von Anne zu erzählen, welche sich auch sogleich dazu bereit erklärte, mich zu unterstützen. Noch am gleichen Abend schaute sie bei uns zuhause vorbei, natürlich auch, um das gute Essen meiner Mum zu genießen. In ihrer genialen Art ließ sie in einem belanglosen Nebensatz einfließen, dass sie und ich in zwei Wochen nach Dublin fliegen würden.
„Nach Dublin? Was wollt ihr denn dort? In Irland ist es im Oktober noch kälter als hier", meinte mein Vater erstaunt.
„Deswegen besuchen wir dort einige Konzerte von One Direction. Die heizen uns schon ein."
Nur mit allergrößter Mühe gelang es mit, mich nicht zu verschlucken, als Anne diesen Satz losließ.
„Aber Jess darf ihre Physiotherapie nicht vernachlässigen", mahnte meine Mutter.
„Das werde ich auch nicht und bis dahin kann ich wieder normal gehen. Es ist wichtig für mich, dass ich nach Dublin reise", erklärte ich nun, bereit, die Karten auf den Tisch zu legen.
Wie zu erwarten war es ein mittlerer Schock für meine Eltern, als sie hörten, dass ich seit Juli mit einem gewissen Niall James Horan, Sänger von One Direction, im Internet verkehrte, und dass dieser junge Mann mich nach London eingeladen hatte, damit wir uns endlich persönlich kennenlernten. Doch je mehr Anne und ich erzählten, umso besser begriffen meine Eltern, dass er für meine Fortschritte und positive Einstellung verantwortlich war.
Als meine Mutter jedoch die Frage stellte: „Hast du dich verliebt, Jess?", fiel Anne mir ins Wort.
„Oh, nicht nur Jess hat sich verliebt. Niall ist bis über beide Ohren in sie verknallt."
„Hat er dir das gesagt?" Verblüfft schaute ich zu Anne, die grinsend antwortete: „Nein, aber Harry."
Plötzlich mussten alle am Tisch lachen, was mich unglaublich erleichterte. Meine Eltern kannten nun die Geschichte, wenngleich nicht alle Einzelheiten, was ich auch nicht als nötig erachtete. Immerhin war ich einundzwanzig und konnte selbst entscheiden, was ich mit Männern alles anstellen wollte oder nicht. Glücklicherweise waren meine Eltern nicht neugierig und ersparten mir somit peinliche Antworten.
Unglaublich erleichtert, verabschiedete ich mich später von Anne und bedankte mich vielmals bei ihr.
„Das habe ich doch gern gemacht", lautete ihre Aussage, begleitet durch ein Zwinkern. „Also Jess, dann mach mal schön deine Übungen, ich melde mich die Tage bei dir."
Anne war wirklich die beste Freundin der Welt, jemand auf den ich mich immer verlassen konnte, genau wie Niall. In dieser Nacht textete er zwei Stunden mit mir, was meine Sehnsucht nach ihm ins Unermessliche steigerte. Ich konnte es nicht erwarten, ihn wieder zu sehen und in seinen Armen liegen zu können.
Innerhalb kürzester Zeit war Niall zum Mittelpunkt meines Lebens geworden. Ohne ihn konnte ich mir es einfach nicht mehr vorstellen. So verstand es sich von selbst, dass ich alles daransetzte, meine Beinmuskulatur so schnell wie möglich wieder aufzubauen.
Meine Fortschritte konnten sich wirklich sehen lassen. Als Malcolm am Wochenende nach Hause kam, stand der Rollstuhl in der Ecke in meinem Zimmer, während ich gemächlich zur Tür ging, um diese für ihn zu öffnen. Meinem Bruder fielen fast die Augen aus dem Kopf. Er umarmte mich heftig und freute sich riesig, weil ich laufen konnte. Alle Bewegungen liefen zwar noch sehr langsam und bedächtig ab, aber es ging jeden Tag ein wenig besser. Manchmal merkte ich den Fortschritt kaum, doch Mr Andrews machte mich immer darauf aufmerksam.
„Schau mal, Jess, das hast du vorgestern noch nicht geschafft", sagte er, als ich eine Woche vor dem Trip nach Dublin beide Beine im Sitzen in eine waagrechte Position brachte. Er hatte verdammt recht. Noch vor zwei Tagen war dies ein Ding der Unmöglichkeit gewesen und nun vollführte ich diese Bewegung, als sei es selbstverständlich.
„Wie stark darf ich denn das Knie beugen?", erkundigte ich mich.
„Dein gesundes Knie kannst du bis zum Anschlag beugen, aber bei dem anderen solltest du Vorsicht walten lassen. Am besten, du ziehst deine Kniebandage immer an, es sie denn du schläfst. Die Bandage verhindert nämlich, dass du es zu stark anwinkelst und vielleicht noch mehr kaputt machst", erklärte er in seiner väterlichen Art.
Ich war einsichtig. Ohne die Bandage würde es nicht gehen, zumindest nicht im Moment. Sie leistete mir gute Dienste und bewirkte, dass ich mich ein wenig sicherer fühlte. Sei es nun bei den Übungen oder auch nur, wenn ich zuhause oder im Garten umherlief.
Aufgrund der täglichen Physiotherapie vergingen die Tage wie im Flug und ehe ich mich versah, hieß es Kofferpacken für Dublin. Am Abend vor unserem Abflug skypte ich kurz mit Niall, der es kaum erwarten konnte, mich zu sehen.
„Ich freue mich so auf dich, Jess!", sagte er und grinste in die Webcam.
„Ich mich auch", erwiderte ich lächelnd.
„Schade, dass du noch nicht richtig laufen kannst, aber es ist gut, dass es wenigstens ein bisschen besser geht, als in London", hörte ich ihn sagen.
Ich musste an mich halten, um nicht doch mit der Wahrheit herauszurücken. Niall würde sein blaues Wunder erleben, wenn wir uns morgen begegneten, denn ich konnte ohne Rollstuhl nach Dublin reisen. Mein Traum war wahr geworden.
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Jess hat wahnsinnig viel geschafft in letzter Zeit und Niall ist ihre Motivation. Seid ihr schon gespannt darauf, was in Dublin alles passieren wird? Das Ende des Kapitels passt gerade wie die Faust aufs Auge, denn ich fliege morgen nach Dublin. :) Deswegen müsst ihr jetzt auch eine Woche auf das nächste Update warten. Ich wünsche euch eine schöne Zeit und bis dahin alles Liebe, Ambi xxx
P.S.: Es ist so unglaublich schön und motivierend, die ganzen tollen Kommentare von euch zu lesen! Bitte hört nicht auf damit!
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