31. Progress
Niall
Nach der Besprechung mit unserem Tourmanager schickte ich sofort eine Nachricht an Jess, um ihr mitzuteilen, dass ich nun wieder verfügbar sei und natürlich auch, um herauszufinden, wo sie sich aufhielt. Schließlich ging ich nicht davon aus, dass sie den kompletten Tag in ihrem Zimmer verbringen würde. Zum Glück antwortete sie sofort auf meine Frage und so stand unserem Treffen in der Hotelbar nichts im Wege.
Jess verspeiste gerade ein Stück Kuchen, als ich durch die Tür lief, um Ausschau nach ihr zu halten. Sie winkte mir freudig zu und strahlte über das ganze Gesicht. Kaum näherte ich mich dem Tisch, konnte ich nicht widerstehen und küsste ihre süße Stupsnase.
„Niall", kicherte Jess.
„Was denn?"
Mit einem Augenzwinkern ließ ich mich auf dem Sessel neben ihrem Rollstuhl nieder und beobachtete ihr spitzbübisches Grinsen.
„Willst du von meinem Kuchen probieren?"
„Wenn ich darf."
Jess teilte ein Stück des Kuchens mit ihrer Gabel, spießte es auf und hielt es direkt vor meinen Mund. Ich liebte es, wenn eine Frau sich so ungezwungen gab, dies machte das Zusammensein so viel leichter.
Nachdem ich das Stück verspeist hatte, richtete ich eine Frage an sie.
„Sitzt du die ganze Zeit alleine hier? Wo ist denn Anne?"
„Die wurde gerade von Harry angerufen. Sie wollten sich in der Lobby treffen", erklärte Jess grinsend.
Sogleich fiel mir ein, dass Jess und ich noch gar nicht unsere Handynummern ausgetauscht hatten. Da wir ständig über Skype verkehrten, war das noch gar nicht aufgefallen. Trotzdem wollte ich das schnellstmöglich ändern und deshalb zückte ich prompt mein Handy.
„Apropos anrufen, gib mir bitte deine Nummer", forderte ich sie auf, was Jess umgehend tat.
Ich rief kurz ihre Nummer an, damit sie meine nun ebenfalls abspeichern konnte.
„Was machen wir denn heute noch?", erkundigte sie sich anschließend.
„Leider nicht mehr viel, also zumindest vor dem Konzert", entgegnete ich seufzend.
Das waren die Nachteile des Tour Alltags. Wenn man lange schlief, hatte man nicht mehr viel Zeit, andere Dinge zu erledigen.
„Wir müssen gegen halb vier hier weg, aber ich dachte, du würdest bestimmt gerne sofort mitkommen und mir im Backstage Bereich Gesellschaft leisten", meinte ich lächelnd.
„Ja, das tue ich wirklich gerne!" Jess klang überaus begeistert, worüber ich mich natürlich freute.
„Aber ich muss mich vorher umziehen", setzte sie hinzu. „Würdest du mich ins Zimmer begleiten?"
„Nichts lieber als das!"
Fünf Minuten später standen wir vor den Aufzügen, oder besser gesagt, ich stand und Jess saß in ihrem Rollstuhl, wobei ihre Füße immer ein wenig auf und ab wippten. Ich wusste, dass sie das tat, um ihre Muskeln zu trainieren, etwas, was mir sehr positiv auffiel.
Als die Türen des Aufzugs sich öffneten, rollte sie neben mir her und wartete, bis ich den Knopf zu unserer Etage gedrückt hatte. Unsere Blicke trafen sich, was sofort ein immenses Herzklopfen bei mir auslöste. Sanft streichelte ich ihre Hand, welche auf der rechten Armlehne des Rollstuhls lag. Langsam hob sie ihren Kopf, warf die langen, hellbraunen Haare ein Stück zurück und lächelte.
In diesem Moment fiel mir auf, wie glücklich sie aussah, vermutlich fühlte sie sich ebenso gut wie ich. Im obersten Stockwerk angekommen, öffneten sich die Türen des Aufzugs und Jess glitt mit ihrem Rollstuhl fast geräuschlos über den Boden. Allerdings stoppte sie nach einigen Metern und sagte: „Ich würde gerne von hier aus laufen. Hilfst du mir?"
„Blöde Frage!"
Schnell streckte ich meine Hand aus, welche Jess sogleich ergriff. Das Aufstellen aus dem Rollstuhl klappte schon ganz gut, soweit ich das beurteilen konnte. Trotzdem ließ ich sie nicht aus den Augen und passte mich ihrem Schritttempo an, als sie einen Fuß vor den anderen setzte.
Ihr Zimmer lag nicht allzu weit von den Aufzügen entfernt, deshalb schaffte Jess die Strecke ohne zwischendurch schlapp zu machen. Deutlich konnte ich die Anstrengung in ihrem Gesicht ausmachen, als wir endlich die Tür erreichten. Während sie mit der rechten Hand nach der Codekarte suchte, hielt die linke sich an mir fest. Zur Sicherheit umfasste mein Arm locker ihre Taille. Unsere Körper waren sich so nahe, dass ich ihren Herzschlag fühlen konnte, der unaufhaltsam schneller wurde, genau wie mein eigener.
Verdammt, warum konnten wir nicht einfach im Zimmer bleiben? Manchmal verfluchte ich meinen Job wirklich, doch es war nicht zu ändern. Jess musste sich umziehen, damit wir rechtzeitig von hier aus in Richtung O2 fahren konnten.
Nachdem sie auf dem Bett Platz genommen hatte, holte ich schnell ihren Rollstuhl, der noch immer im Gang stand.
„Du kannst dich ruhig setzen, Niall. Ich kriege das alles alleine hin", meinte sie, als ich das Zimmer wieder betreten, und den Rollstuhl neben dem Bett platziert hatte.
Obwohl sie in einem Rollstuhl saß, wirkte Jess in vielen Dingen so unglaublich selbstständig, eine Tatsache an die ich mich wirklich gewöhnen musste. Also schaute ich zu, wie sie schnell in Richtung Kommode rollte, um die Schubladen zu öffnen und frische Kleidung hervorzuholen; eine Jeans und ein T-Shirt. Dann fuhr sie in Richtung Bett, hievte sich aus dem Rollstuhl und streifte sich das hellblaue Shirt über den Kopf, um es gegen ein schwarzes zu tauschen.
Der Anblick ihres BHs ließ mich kurz schlucken, denn dieser sah echt sexy aus. In Gedanken erteilte ich mir selbst eine Rüge und ermahnte mich, die wesentlichen Dinge im Blick zu behalten.
„Soll ich dir bei der Hose helfen?"
Meine Frage, die ich wirklich ohne Hintergedanken stellte, ließ Jess plötzlich grinsen.
„Du willst nur meine Beine anfassen, gib es zu, Niall!"
„Und wenn es so wäre?", konnte ich mir nicht verkneifen zu fragen, während ich bereits zum Bett schlenderte.
„Also gut, aber wehe, du reißt meine Jeans in Stücke!", zog sie mich auf, was ich mit einem Lachen kommentierte.
Gemeinsam machten wir uns schließlich daran, die Jeans auszuziehen, was gar nicht so einfach war, da sie ihre Kniebandage trug. Diese Dinger waren mir zum Glück nicht unbekannt, auch ich war jahrelang mit solchen Bandagen durch die Gegend gelaufen, zumindest so lange, bis ich mich zu einer Operation entschloss. Deswegen kannte ich auch alle Tricks, um die Hose schneller auszuziehen, was Jess ein bisschen in Erstaunen versetzte.
„Jahrelange Übung", grinste ich, als ich ihr überraschtes Gesicht sah, nachdem ich ihre Beine von der Jeans befreit hatte.
„Es sieht gut aus, wenn du vor mir kniest, Niall", hörte ich sie sagen, was mich schon wieder zum Schmunzeln reizte.
„Findest du?", flüsterte ich und streichelte vorsichtig ihre Beine.
Sofort fanden sich ihre zierlichen Finger in meinen Haaren, bevor sie zu meinem Nacken wanderten. Ein leichtes Seufzen entsprang meiner Kehle, es tat so gut, ihre Hände auf meiner Haut zu spüren. Unsere Blicke trafen sich erneut und ließen den Wunsch in mir aufkommen, sie endlich richtig Küssen zu wollen; nicht nur auf die Lippen, so wie heute Vormittag, als wir zweimal gestört wurden. Doch eine höhere Macht schien absolut etwas dagegen zu haben, denn das wie auf Kommando vibrierende Handy, welches neben Jess auf dem Bett lag, machte meine Pläne zunichte.
„Ja, Anne, was ist denn?"
Langsam begann ich Anne für ihr mieses Timing zu hassen. Allerdings musste ich mir das Lachen verbeißen, als Jess den nächsten Satz aussprach.
„Also Niall kniet gerade zwischen meinen Beinen, aber du kannst ruhig ins Zimmer kommen, um dich umzuziehen."
Dieses Mädchen war einfach so genial! Sie nahm überhaupt kein Blatt vor den Mund, was ziemlich genau meiner Wesensart entsprach.
„Hat man dir auf der Ballettschule beigebracht so direkt zu sein?", erkundigte ich mich noch immer grinsend, während ich nach der frischen Jeans griff, die Jess bereitgelegt hatte.
„Nein, aber wir Tänzerinnen haben schon einen seltsamen Humor", sagte sie, wurde jedoch sofort danach still. „Ich meinte, als ich noch Tänzerin war..., als... Mist."
Winzige Tränen, die ich jedoch sofort erspähte, glitzerten in ihren hübschen Augen, die durch den Einfall des Lichts einen bernsteinfarbenen Schimmer aufwiesen. Alles an ihr war atemberaubend und wunderschön, angefangen von ihrem Aussehen bis zu ihrem Charakter. Selbst die Tränen verliehen ihrem hübschen Gesicht einen außergewöhnlichen Zug; Makellosigkeit und Traurigkeit zugleich trafen aufeinander.
„Jess", hauchte ich, „bitte nicht weinen."
Es brach mir fast das Herz, als ich ihr leises Schluchzen hörte und einem inneren Gefühl folgend, setzte ich mich neben sie auf das Bett, um sie dann in meine Arme zu nehmen. Sofort legten sich ihre schlanken Arme um meinen Nacken. Ihren zitternden Körper an mich gepresst, vergrub sich ihr Gesicht in meiner Brust, so als ob sie Schutz und Trost suchen würde. Ohne zu zögern gab ich ihr beides. Meine Hände streichelten sanft ihren Rücken, während meine Lippen ihre Tränen wegküssten. Sie wirkte in jenem Augenblick so zerbrechlich, dass ich Angst hatte, ihr wehzutun.
„Lass deine Gefühle einfach raus, Jess. Ich bin bei dir", flüsterte ich leise, worauf sie sich ein wenig fester an mich klammerte.
„Es..., es tut mir so leid..., Niall... ich weiß nicht..."
Als sie abrupt den Kopf hob, platzierte ich einen sanften Kuss auf ihre rechte Wange. Die Purzelbäume, die mein Magen schlug, weil Jess den Kuss plötzlich erwiderte, waren unbeschreiblich und nicht unter Kontrolle zu bringen.
„Danke, dass du für mich da bist", schniefte sie leise in mein Ohr.
Noch immer hielt ich ihren zitternden Körper in meinen Armen, doch ich spürte, dass ihre Atmung ein wenig ruhiger wurde.
„Manchmal... überkommt es mich einfach..."
Es klang wie eine Entschuldigung, die jedoch nicht von Nöten war. Jedenfalls empfand ich das so. Niemand sollte sich für seine Gefühle schämen müssen, ob es sich dabei um Schmerz, Trauer, Glück oder Liebe handelte, das war egal.
„Ist schon ok, Prinzessin, du hast dich gerade schlecht gefühlt, also musstest du es auch herauslassen", versuchte ich sie zu beruhigen. „Es gibt keinen Grund, weshalb du dich entschuldigen müsstest."
Ein kleines Lächeln lag auf ihrem Gesicht, als sie sich vertrauensvoll in meine Arme kuschelte. Am liebsten hätte ich sie gar nicht mehr losgelassen, doch meine Arbeit in Form eines Konzerts am heutigen Abend, machte mir einen Strich durch die Rechnung. Zur Krönung des Ganzen spazierten Anne und Harry eine Minute später in den Raum. Beide schauten ein wenig überrascht drein, als sie Jess' verheultes Gesicht sahen, verloren jedoch keinen Ton darüber.
„Ich ziehe mich dann schnell mal um", meinte Anne an Harry gewandt, der sogleich sagte: „Das werde ich auch tun. Niall, wie sieht es mit dir aus?"
„Geh ruhig, wir sehen uns ja gleich wieder", wisperte Jess, die meine Unentschlossenheit in jenem Augenblick bemerkte.
„Ok, ich komme dich dann abholen", erwiderte ich schließlich und löste mich schweren Herzens von ihr.
Eine Minute später lief ich gemeinsam mit Harry den lagen Gang entlang.
„Bist du ok, Niall?", erkundigte er sich teilnahmsvoll.
Wenn jemand meine Stimmungsschwankungen wahrnehmen konnte, dann war das Harry.
„Ja, bin ich", brummte ich. „Ich mache mir nur Sorgen um Jess. Ich wünschte, ihr würde es bald besser gehen."
„Das kannst du nicht von heute auf morgen erwarten, aber ich glaube, du bist auf dem richtigen Weg, ihr zu helfen", versuchte er mich aufzurichten.
Begleitet durch ein lautes Seufzen entfuhr es mir: „Das hoffe ich so sehr."
Lockenköpfchen lächelte vielsagend, bevor er die Tür zu seiner Suite öffnete, um dann zu flüstern: „Anne hat mir erzählt, wie sehr Jess von dir geschwärmt hat. Also enttäusche mich bitte nicht."
Nun musste ich doch grinsen. „Ich gebe mein Bestes, versprochen!"
Das tat ich wirklich. Angefangen von der Fahrt zum O2, die ich versuchte, so angenehm wie möglich für Jess zu gestalten. Es war schön mitanzusehen, wie gut sie sich mit den anderen Jungs und deren Freundinnen verstand. Natürlich entstand die lockere Atmosphäre auch dadurch, dass Jess ganz normal behandelt wurde. Niemand erwähnte ihren Rollstuhl, in welchen sie steigen musste, nachdem wir am O2 eingetroffen waren.
Es würde zu viel Zeit kosten, die Strecke bis zur Eingangstür mit ihr zu laufen, obwohl ich es liebend gerne getan hätte. Allerdings setzte Jess sich so schnell mit ihrem Rollstuhl in Bewegung, dass mir fast schwindelig wurde. Komisch, wie sehr sich ein Mensch an solche Dinge gewöhnen konnte. Aber ich wusste, dass sie eigentlich viel lieber gelaufen wäre. Ich konnte es in ihren Augen erkennen, die sehnsüchtig auf meine Füße starrten, wann immer ich mich bewegte. Ob das nun im Backstage Bereich beim Aussuchen des Bühnenoutfits für den heutigen Abend war, oder beim Styling, ausgeführt durch Lou. Jess' Augen folgten mir unentwegt und hin und wieder gab sie einen witzigen Kommentar ab.
„Willst du mich anmachen, Niall?", flüsterte sie leise, als ich mich kurz zu ihr hinunter beugte, um ihr einen Kuss auf die Wange zu drücken.
„Wie kommst du denn darauf?", wisperte ich mit unschuldigem Gesichtsausdruck.
„Weil du ein Hemd mit geöffneten Knöpfen trägst. Kannst du die nicht zumachen?"
„Ich dachte, es gefällt dir so!", entgegnete ich schmunzelnd, worauf Jess konterte: „Ich möchte aber nicht, dass jede Frau deine tollen Brusthaare sieht. Die sind nur für mich!"
Meine Lippen befanden sich direkt an ihrem Ohr, als ich hauchte: „Ich zeige sie zwar allen, aber du bist die Einzige, die sie anfassen darf, ok?"
Ein zufriedenes Lächeln umspielte triumphierend ihre Lippen.
„So gefällt mir das, Mr Horan."
Es war so leicht, mit ihr zu kommunizieren, wir verstanden uns fast blind. Keiner nahm dem anderen etwas übel. Wie lange hatte ich nach solch einer Frau gesucht!
Nachdem ich ihr erneut einen Kuss, dieses Mal auf die Lippen, gehaucht hatte, sagte ich: „Hör mal, Prinzessin, ich muss jetzt gleich raus auf die Bühne. Willst du inzwischen mit Anne eure Plätze einnehmen?"
Jess strahlte mich an. „Ja, gerne."
Die Mädels durften am heutigen Abend in unserem Sicherheitsbereich, nahe der Bühne ihre Plätze einnehmen. Diese waren nur für Familienangehörige und sehr enge Freunde gedacht, also besaß Jess jedes Recht, sich dort einzufinden. Sie war ebenso mein persönlicher Gast, wie der Mensch, den ich beeindrucken wollte.
Der heutige Abend schien auf jeden Fall dazu beizutragen, denn unser Konzert lief absolut super ab. Zur Abwechslung vergaß niemand seinen Text und auch die Späße auf der Bühne wurden vom Publikum begeistert angenommen. Trotzdem stand wie immer die Musik im Vordergrund.
Ich sang mir an diesem Abend die Seele aus dem Leib; für Jess. Obwohl ich sie aufgrund der Lichtverhältnisse nicht richtig sehen konnte, ging mein Blick ständig in ihre Richtung. Insgeheim hoffte ich, dass ihr das Konzert genauso gut gefiel, wie das vorherige, vielleicht sogar noch besser. Immerhin war sie nun mit einigen Songs vertraut und mochte diese sogar. Mir lag sehr am Herzen, dass sie Spaß hatte und vor allem, dass es ihr besser ging als noch vor einigen Stunden, als sie in meinen Armen geweint hatte. Zwar war ich durch die E-Mails an ihre Stimmungsschwankungen gewöhnt, doch so etwas mit eigenen Augen zu erleben, fühlte sich doch erheblich schlimmer an. Es ging mir ziemlich nahe, um ehrlich zu sein.
Deshalb freute ich mich auch, gleich nach dem Konzert wieder auf Jess zu treffen, die mich total euphorisch begrüßte.
„Es war so toll, Niall! Noch viel besser als gestern!", rief sie mir entgegen, bevor ich sie überhaupt erreicht hatte.
Ihr Gesicht leuchtete vor Freude und ihr Lächeln gab mir einen inneren Auftrieb. Als ich mich kurz zu ihr hinunter beugte, um sie zu umarmen, hauchte sie einen Kuss auf meine Wange. Diese Geste produzierte schon wieder Ameisen in meinem Bauch. Ich war mächtig verliebt, viel schlimmer, als ich es mir jemals hatte vorstellen können.
Während der Fahrt zum Hotel saßen wir händchenhaltend nebeneinander im Bus, wobei Jess sich ganz eng an mich kuschelte. Wie sehr wünschte ich mir plötzlich, dass sie diese Nacht bei mir verbringen würde, einfach nur m ihre Nähe spüren zu können, denn diese war mir sehr wichtig. Aber ich wollte Jess nicht dazu überreden, wenn, dann musste der Vorschlag schon von ihr selbst kommen.
Als wir endlich nach gefühlten drei Stunden im Hotel eintrafen, suchten wir alle geschlossen die Bar auf, da wir mächtig durstig, und vor allem total aufgedreht waren. Trotzdem trank ich nur wenig Alkohol, mir stand einfach nicht der Sinn danach mich zu betrinken. Viel lieber wollte ich mich später mit Jess befassen. Am heutigen Abend hielt sie sogar etwas länger durch, als gestern. Scheinbar gewöhnte sich ihr Körper wieder an solche Aktivitäten. Es war kurz vor halb zwei, als sie mir ins Ohr flüsterte: „Ich würde jetzt gerne nach oben gehen, Niall. Begleitest du mich?"
„Aber sicher!", antwortete ich wie aus der Pistole geschossen.
Kurz darauf erhob ich mich und lief neben ihrem Rollstuhl her, nachdem wir uns von den anderen verabschiedet hatten. In unserer Zieletage angekommen, stoppte Jess sofort nachdem der Rollstuhl die Türen des Aufzuges passiert hatte und schaute zu mir. Ihr Blick sprach Bände. Sie wollte bis zu ihrem Zimmer laufen, was ich total super fand. Selbst zu dieser späten Stunde war ihre Energie nicht zu bremsen. Unsere Hände verschränkten sich binnen Sekunden ineinander und kurz darauf stand Jess auf ihren Füßen, um die Schritte bis zu ihrem Zimmer zu laufen. Sie schaffte es sogar bis zum Bett, auf welches sie sich dann mit einem erleichterten Aufatmen setzte.
„Alles ok?", erkundigte ich mich, in ihre braunen Augen schauend, die so sehr strahlten, als ob die Sonne darin aufgehen würde.
„Niall", begann sie zögernd, „ich hätte da eine Idee."
„Welche denn?"
Ich hielt noch immer ihre Hand, obwohl sie auf dem Bett saß und nicht umfallen konnte.
„Also ich würde mich jetzt gerne bettfertig machen und dann kommst du mich abholen, ok?"
Mein Herz machte einen Satz, als ich den Sinn dieser Aussage begriff.
„Heißt das, du willst bei mir schlafen?"
Jetzt lächelte sie spitzbübisch.
„Du hast es richtig erfasst. Bei dir, aber nicht mir dir."
Ihre Betonung lag auf den Worten bei und mit. Nun war es an mir zu lachen. „Das hatte ich auch nicht vermutet, schließlich kennen wir uns erst seit ungefähr einem Tag."
„Das stimmt nicht ganz", widersprach sie mir. „Wir kennen uns seit Juli, und ich kenne dich vermutlich jetzt schon besser, als Tim nach vier Jahren."
Diese Aussage wollte ich gar nicht bestreiten. Nun hatte ich es ziemlich eilig, ihren Rollstuhl ins Zimmer zu schaffen, in welchem sie alleine zurechtkam. In der Zwischenzeit suchte ich meine Suite auf und zog meine graue Jogginghose, sowie ein weißes Shirt über. In diesem Aufzug lief ich dann über den Gang, nachdem Jess mich kurz angerufen hatte, um mitzuteilen, dass sie nun fertig sei. Zu meiner Überraschung machte sie jedoch Anstalten, sich aus dem Rollstuhl zu erheben, als wir im Gang standen.
„Ich möchte versuchen zu laufen, Niall."
„Wolltest du das nicht morgen tun?", protestierte ich halbherzig, worauf sie mir ein schelmisches Lächeln schenkte.
„Jetzt ist doch schon morgen, du hast mir das Versprechen gestern vor dem Konzert abgenommen, oder nicht?"
„Das stimmt allerdings", musste ich zugeben, bevor ich ihr meine Hand reichte, damit sie problemlos aufstehen konnte.
Es war eine lange Strecke, zumindest für Jess, doch sie hielt tapfer durch. Fasziniert beobachtete ich wie sie kämpfte, ich konnte ihren Willen förmlich spüren, der mir unglaublich imponierte. Auf der Hälfte der Strecke musste sie jedoch plötzlich stehen bleiben, weil ihre Beine zu zittern begannen. Eine Hand an der Wand abgestützt, und die andere, die meine fest umklammert hielt, legte sie eine Pause ein. Als ich bemerkte, wie schnell sie atmete, umfasste mein Arm automatisch ihre Taille.
„Alles ok, Prinzessin?", flüsterte ich. „Soll ich dich das letzte Stück tragen?"
Wie zu erwarten reagierte sie mit einem Kopfschütteln als Antwort. Ich hatte geahnt, dass sie nicht aufgeben würde. Wir verharrten etwa eine Minute an dieser Stelle, dann begann Jess erneut zu laufen. Entschlossen setzte sie einen Fuß vor den anderen, so lange bis wir die Tür zu meinem Zimmer erreicht hatten. Kleine Tränen glitzerten in ihren hübschen Augen, die nun ihre Wangen benetzten.
„Ich kann es nicht glauben, dass ich es bis hierher geschafft habe", sagte sie mit zitternder Stimme, bevor sich ihre Arme um meinen Nacken legten.
Meine Lippen befanden sich neben ihrem Ohr, in welches ich zärtlich flüsterte: „Ich bin so stolz auf dich, Jess, so unglaublich stolz."
Am liebsten wollte ich den Zauber dieses Augenblicks für immer einfangen, denn dieser fühlte sich so einzigartig an. Als unsere Blicke sich trafen, spürte ich, dass es Jess ebenso erging.
„Danke", wisperte sie leise und noch immer unter Tränen. „Danke, dass du immer für mich da bist."
Schließlich fanden sich unsere Lippen zu einem zarten Kuss, der die Ameisenproduktion in meinem Bauch gewaltig anregte. Obwohl nichts, außer diesem unschuldigen Kuss zwischen uns passierte, hatte ich das Gefühl, in einem brodelnden Vulkan zu stehen. Bevor ich jedoch vollends die Fassung verlor, rief ich mich mental zur Ordnung und trug meine Prima Ballerina zum Bett, in welchem sie es sich bequem machte, während ich den Rollstuhl aus dem Gang holte. Schmunzelnd fiel mein Blick auf ihren Mickey Mouse Schlafanzug, als ich zurückkehrte und mich grinsend neben sie legte.
„Willst du kuscheln?", fragte ich mit einem Augenzwinkern.
Das ließ Jess sich nicht zweimal sagen, denn binnen kürzester Zeit lag sie in meinem Arm, allerdings bestand sie darauf, dass ich vorher mein Shirt auszog. Ihre zierlichen Hände streichelten kurz über meine Brustbehaarung, bevor sie diese zu küssen begann. Mir wurde unglaublich heiß dabei und die Beherrschung, welche ich für gewöhnlich über meinen Körper besaß, schwand einfach dahin. Ich wollte sie richtig küssen, jetzt und hier!
Glücklicherweise schien Jess das Gleiche im Sinn zu haben, denn ihre Lippen suchten die meinen, kaum dass ich mich zu ihr hinüberbeugte. Für einen kurzen Moment empfand ich unseren Kuss als zärtlich, bevor er ins Leidenschaftliche überging.
Als Jess ihre Lippen öffnete, um meiner Zunge Einlass zu gewähren, brannte alles in mir lichterloh. Wenn ich diesen Kuss hätte beschreiben müssen, würde es dafür nur ein geeignetes Wort geben: hungrig. Es fühlte sich an, als hätten wir beide eine Ewigkeit darauf gewartet, viel länger als einen Tag. Das Gefühl, welches sich in mir ausbreitete, als unsere Zungen miteinander kämpften, war beinahe nicht mehr auszuhalten.
Dieser Kuss konsumierte alles von mir, ebenso die Berührungen ihrer Finger, die durch mein Haar glitten und immer wieder meinen Nacken streichelten. Verzweifelt versuchte ich bestimmte Teile meines Körpers unter Kontrolle zu halten, doch es klappte nicht. Die Beule in meiner Jogginghose wuchs zu einer beträchtlichen Größe heran, was Jess natürlich nicht verborgen blieb. Als wir uns nach einer gefühlten Ewigkeit voneinander lösten, setzte sie ihr süßes Grinsen auf, während ich unbeholfen stammelte: „Es tut mir leid, Jess."
„Was tut dir leid?" Der Klang ihrer Stimme brachte mich an den Rand der Verzweiflung, genau wie ihre nächste Frage. „Dass du gerne Sex mit einem Mädchen hättest, das gerade wieder laufen lernt?"
Es fühlte sich an wie ein Schlag ins Gesicht und ich begriff in jener Sekunde, dass ich genau das nicht tun würde. Ich wollte ihren Körper erst auf diese Art und Weise genießen, wenn sie in der Lage dazu sein würde, ihre Beine richtig zu bewegen, alles andere fühlte sie so an, als würde ich sie zu etwas zwingen und über sie herrschen.
„Jess." Ich hauchte einen sanften Kuss auf ihre Lippen und strich eine Haarsträhne aus ihrem hübschen Gesicht. „Du schläfst heute Nacht bei mir und nicht mit mir, schon vergessen?", wisperte ich leise, worauf sie mir das süßeste Lächeln aller Zeiten schenkte.
„Ich weiß, und ich habe auch keine Angst, dass du die Situation ausnutzt, Niall", sprach sie ebenso leise.
Ein erleichtertes Seufzen entwich meiner Kehle, doch im nächsten Augenblick verpasste sie mir erneut eine Schrecksekunde.
„Und jetzt solltest du deine Jogginghose ausziehen", forderte Jess.
„Was?"
„Du hast schon richtig gehört, oder willst du in dem Teil schlafen?"
„Natürlich nicht", entfuhr es mir.
„Gut, dann zieh sie einfach aus und leg dich wieder zu mir."
Diese Aussage ließ mich wissen, dass Jess mir vollständig vertraute, etwas, was mich unendlich glücklich machte. Als sie sich kurze Zeit später erneut in meine Arme kuschelte, begann ich zu realisieren, dass ich mich nicht in einem Traum befand, sondern dass meine Traumfrau hier, bei mir, war.
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OMG über 8 k Reads sind es inzwischen geworden und über 1 k Votes! Ich habe gerade zu den letzten Kapiteln so viele positive Reaktionen bekommen, was mich echt wahnsinnig freut!
Ich hoffe, dass euch dieses Kapitel auch gefallen hat :) - ich musste einfach heute Nacht noch updaten, damit ihr gleich nach dem Aufstehen etwas zu Lesen habt. ;)
LG, Ambi xxx
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