30. Fallen

Jess

Mein Herz klopfte noch immer wie verrückt, nachdem Niall die Tür hinter sich zugezogen hatte. Fast konnte ich es nicht glauben, was heute passiert war, und doch handelte es sich nicht um einen Traum, der einfach so vergehen würde.

Das Zimmer, in welchem ich mich aufhielt, war ebenso real wie das komfortable Bett, auf dem ich gerade saß. Aber diese Dinge riefen ganz und gar nicht das Herzklopfen in mir hervor, sondern ein junger Mann, mit dem ich seit Juli im Internet verkehrte, und dem ich heute zum ersten Mal begegnet war. Nachdem ich den anfänglichen Schock überwunden hatte, dass es sich hierbei um einen Sänger der wohl zur Zeit berühmtesten Boyband handelte, versuchte ich einfach ihn so zu sehen, wie ich es die ganze Zeit getan hatte. Als einen überaus sensiblen, liebevollen, witzigen und humorvollen Menschen, dem etwas an mir lag.

Mein anfänglicher Unmut, weil er seine wahre Identität nicht preisgegeben hatte, verwandelte sich im Laufe des Abends in Verständnis und Sympathie. Sicher war es nicht einfach, so berühmt zu sein wie er. Man konnte praktisch keinen Schritt alleine tun, stand sofort in der Öffentlichkeit und vermutlich war es sehr schwer, echte Freunde zu finden, die nicht an seinem Status und seinem Geld interessiert waren. Erst jetzt begriff ich einige Sätze, die er mir geschrieben hatte, richtig. Niall war fast täglich von vielen Menschen umgeben und trotzdem irgendwie einsam, weil ihm eine richtige Freundin fehlte; eine, die sein Herz liebte, so wie ich es tat.

Niall besaß eine unglaubliche Ausstrahlung, seine blauen Augen wirkten wie ein tiefer Ozean, in den ich hineintauchen wollte, und seine Stimme verleitete mich zum Träumen, ganz zu schweigen von seiner Brustbehaarung, die ich jedoch nur hatte ansatzweise sehen können. Doch keineswegs trugen nur die äußerlichen Dinge dazu bei, dass ich mich so zu ihm hingezogen fühlte; vielmehr handelte es sich um seine Gabe, mir zuzuhören und auf mich eingehen zu können, ebenso wie seinen grenzenlosen Humor auszuspielen, wann immer dieser nötig war.

Schon vor längerer Zeit hatte ich mich in seine inneren Werte verliebt, die er in jeder Email zum Ausdruck brachte. Wenn er schrieb, fühlte es sich manchmal an, als würde er mich auf Händen tragen, aber er konnte mich ebenso gut einfach ins kalte Wasser werfen, um mich zum Nachdenken anzuregen. Doch heute, nach unserem persönlichen Kennenlernen, hatte ich mich komplett in ihn verliebt.

Von meinen eigenen Gefühlen überrannt, saß ich im Bett und starrte auf mein Handy, weil ich nicht wusste, ob ich ihm noch etwas schreiben sollte. Vermutlich war er ebenso aufgeregt wie ich, das hatte ich ihm ansehen können, und es machte ihn noch viel sympathischer. Er war ein Star, er konnte jede Frau haben, die er wollte, doch er bemühte sich um einen Menschen, der gerade versuchte wieder laufen zu lernen.

Eine Träne tropfte aus meinem rechten Auge, als ich realisierte, dass Niall der Auslöser für meine Bemühungen und den Sinneswandel in mir war.

Es hatte sich so toll angefühlt, die ersten Schritte an seiner Hand zu laufen, so, wie ich es ihm vor gar nicht allzu langer Zeit versprach. Seine Berührung löste eine unendliche Geborgenheit und Stärke in mir aus. Beides gab mir schließlich den Mut, mich auf meine Beine zu stellen und zu laufen. Ich konnte es noch immer nicht glauben, dass ich dies vollbracht hatte. So lag ich nun in meinen Bett, unfähig einzuschlafen und noch immer total aufgewühlt. Mein Leben veränderte sich gerade zum Positiven, schöner, als ich es mir jemals erträumen konnte.

Der Geruch seines Aftershaves befand sich noch immer in meiner Nase und wenn ich meine Augen schloss, sah ich sein hübsches Lächeln vor mir. Wenn Niall lachte, ging die Sonne auf und es gab keinen Grund mehr, traurig zu sein. Zumindest löste er dieses Gefühl in mir aus. Ich wollte ihm so gerne noch etwas schreiben, aber mein Herz quoll vor Freude über und ließ meine Gedanken unkonzentriert dahinfließen. Sie drehten sich im Kreis. Ich konnte nicht aufhören an ihn zu denken. Erst das Geräusch, welches mein Handy fabrizierte, als eine Skype Nachricht einging, ließ mich aufschrecken.

„Frühstück um elf bei mir?"

Niall hatte also vor, den nächsten Tag gleich mit einem netten Frühstück zu zweit zu beginnen, was mich innerlich jubeln ließ.

Meine Finger gehorchten kaum, so sehr zitternden diese, als ich auf dem Display zu tippen begann.

„Gerne. Welche Kleiderordnung hattest du denn vorgesehen?"

Sein lässiger geschriebener Satz, der sich nun vor meinen Augen ausbreitete, ließ mich prompt laut auflachen.

„Ich bestehe auf Mickey Mouse!"

„Dann bestehe ich auf die Jogginghose!", konnte ich mir nicht verkneifen zu schreiben, worauf Niall in seiner unkomplizierten Art antwortete.

„Kein Problem! Ich komme dich dann abholen."

„Warum denn das?"

„Weil ich es will."

Diese Aussage war deutlich und duldete keinen Widerspruch. Außerdem zeichnete sie sein Verantwortungsbewusstsein aus. Er wollte mich nicht alleine über den Flur rollen lassen, was ich unglaublich süß fand. Trotzdem stellte ich mir noch immer die Frage, ob er sich ebenso in mich verliebt hatte, wie ich mich in ihn. Aber das würde ich spätestens morgen herausfinden.

Niall schrieb noch ein: „Gute Nacht, Jess, schlaf gut", gefolgt von drei Küsschen in Form von xxx.

Ich wollte nicht hoffen, dass ich zu viel in seine Sätze hineininterpretierte, sonst würde mein Herz nämlich Höllenqualen erleiden. Verliebt sein konnte man schließlich nicht einfach abstellen und mich hatte es wirklich voll erwischt.

Am nächsten Morgen holte mich der Wecker um zehn Uhr aus dem Tiefschlaf. Kein Wunder, denn nach der späten Korrespondenz mit Niall war ich lange nicht zur Ruhe gekommen, sondern schlief erst in den frühen Morgenstunden ein. Ich hatte nicht einmal wahrgenommen, wann Anne ins Zimmer gekommen war. Sie schlief noch tief und fest neben mir und ließ sich auch nicht durch das Geräusch des Weckers irritieren. Vermutlich war es ziemlich spät geworden, oder eher früh, das konnte man sehen wie man wollte.

Mit einem Schwung schlug ich die Bettdecke zurück, bevor ich mich in den Rollstuhl hievte, um in das luxuriöse Bad zu fahren. So groß die Versuchung auch sein mochte, die wenigen Schritte zu laufen, ich traute mich nicht, dies alleine zu vollbringen. Mit Niall an meiner Seite hätte das sicherlich anders ausgesehen.

Um kurz elf vor saß ich, mit meinem Mickey Mouse Schlafanzug bekleidet, den ich extra nur für Niall mitgenommen hatte, wieder in meinem Rollstuhl und wartete auf sein Eintreffen. Pünktlich auf die Minute klopfte es leise an der Zimmertür.

„Jess, ich bin's, Niall."

Einen letzten Blick auf Anne werfend, die in einen murmeltierähnlichen Schlaf verfallen zu sein schien, rollte ich grinsend in Richtung Tür. Als ich diese zaghaft öffnete, begann mein Herz wie wild zu schlagen. Ein blaues Augenpaar blitzte mir entgegen, und als ich Nialls Lächeln sah, wusste ich, dass an diesem Tag nichts mehr schief gehen konnte. Er trug tatsächlich seine graue Jogginghose, sowie ein einfaches weißes Shirt, welches zu meinem Leidwesen seine Brusthaare versteckte.

Ein wenig schmollend schaute ich zu ihm hoch und sagte: „Hättest du nicht ein Shirt mit Knöpfen anziehen können?", worauf er herzlich zu lachen begann.

„Du darfst sie dir nachher aus der Nähe betrachten, ok?"

Wie gut er mich doch kannte!

Immer darauf achtend, dass ich ihn nicht überholte, rollte ich neben Niall den Gang entlang. Wir passierten einige Türen, dann stoppten seine Schritte plötzlich.

„Sind wir schon da?", fragte ich, doch er schüttelte lächelnd seinen Kopf.

„Da hinten ist die Tür zu meiner Suite. Glaubst du, du schaffst es, bis dorthin zu laufen, wenn..."

„Wenn du mir deine Hand gibst?", vervollständigte ich den Satz, was ihn zu einem Lächeln animierte.

„Ja, das hatte ich sagen wollen."

Vorsichtig versuchte ich die Entfernung zu schätzen; es handelte sich bestimmt um zehn Meter, die ich zurücklegen musste, doch ich wollte es auf jeden Fall versuchen. Eigentlich konnte gar nichts passieren, denn falls ich es nicht schaffte, war Niall an meiner Seite.

„Ok, ich mache es", sprudelte aus mir heraus.

„Echt jetzt? Das ist toll!"

Ohne ein weiteres Wort zu sagen, reichte ich ihm meine Hand, welche er sogleich in die seine nahm. Der Moment als unsere Finger sich berührten, machte mir bewusst, wie sehr ich ihm vertraute, aber auch, welche Gefühle diese einfache Geste in mir hervorrief. Mein Bauch glich einem Ameisenhaufen, so sehr kribbelte es darin. Dennoch brachte mich nichts davon ab, meinen Plan zu ändern. Entschlossen kämpfte ich mich aus dem Rollstuhl und als ich auf meinen Beinen stand, atmete ich zunächst tief durch, bevor ich den ersten Schritt versuchte.

Es ging besser als erwartet, es fiel mir leichter als gestern, und die Gewissheit, dass Niall mich jederzeit auffangen würde, tat ein Übriges, um mich anzuspornen. Langsam und stetig schritt ich in Richtung der Tür, die mein Ziel war.

Die kurze Unsicherheit, welche von mir Besitz ergreifen wollte, bekämpfte ich mit dem Gedanken daran, dass Niall mich niemals loslassen würde. Auch heute gaben mir seine Hand, aber vor allem seine Anwesenheit, die nötige Kraft und den Mut, es durchzuziehen. Ich kämpfte und ich gewann, obwohl ich mit zitternden Beinen vor der Tür zu seiner Suite verharrte, nachdem ich den letzten Schritt gegangen war. Niall schien zu spüren, dass es mich meine ganze Kraft gekostet hatte, den Weg von meinem Rollstuhl bis hierher zurückzulegen, denn er umfasste sofort meine Taille mit seinem linken Arm.

„Ruhig atmen, Jess", wisperte er leise in mein Ohr. „Du hast es geschafft und ich bin wahnsinnig stolz auf dich."

Sein Kompliment bewirkte, dass eine kleine Träne meine Wange hinabrann; eine Träne voller Glück. Selbst meine Stimme zitterte, wenngleich nicht so stark wie meine Beine, als ich erwiderte: „Ich kann es nicht glauben, dass ich bis hierher gelaufen bin."

Es war mehr, als ich mir noch vor einer Stunde zugetraut hatte und dies zeigte, wie einzigartig seine positive Ausstrahlung auf mich wirkte. Glaube konnte bekanntlich Berge versetzen und in diesem Fall stimmte das zu einhundert Prozent.

Nachdem Niall die Tür mittels seiner Codekarte geöffnet, und mich zu seinem Bett getragen hatte, kümmerte er sich um den Rollstuhl, der noch immer im Gang stand. Kaum hatte er das Teil in seine Suite geschoben, klopfte es auch schon an der Tür.

„Zimmerservice, Ihr Frühstück, Mr Horan."

Wie auf Kommando begann mein Magen zu knurren, was mir außerordentlich peinlich war, doch Niall sah mit einem charmanten Grinsen darüber hinweg. Der Bedienstete des Hotels schob einen Servierwagen, bestückt mit dem tollsten Frühstück, das ich jemals zu Gesicht bekommen hatte, in die Suite und verschwand, nachdem Niall ihm ein üppiges Trinkgeld reichte.

„Wollen wir im Bett frühstücken?", lautete meine erstaunte Frage, die von Niall mit einem: „Klar, deswegen solltest du ja Mickey Mouse tragen", beantwortet wurde.

Auf dem Servierwagen befanden sich außer den kulinarischen Genüssen auch zwei Tabletts mit ausklappbaren Füßen, welche man problemlos im Bett hinstellen konnte. Er hatte wirklich an alles gedacht. Aufmerksam beobachtete er, wie ich meine Beine langsam und unter Anstrengung anhob, damit ich bequem im Bett Platz nehmen konnte. Sie fühlten sich noch immer sehr schwer an, aber nicht mehr ganz so schlimm wie gestern.

„Ok, Jess, was möchtest du gerne essen? Ich lade dir alles auf dein Tablett, was draufpasst", erklärte der Sänger mit einem Augenzwinkern.

„Rühreier mit Lachs, Brötchen, Butter, Käse, Marmelade und Kaffee bitte!", sprudelte es aus mir hervor, wobei ich gleichzeitig ein schlechtes Gewissen bekam. Er musste mich bedienen, weil ich nicht in der Lage dazu war, meine Beine richtig einzusetzen. Das musste unbedingt aufhören! Ich wollte nicht ständig von ihm bedient werden, auch wenn ich es in jenem Augenblick genoss.

Minuten später saßen wir beide im Bett, um unser Frühstück zu vertilgen.

„Normalerweise stehe ich nach einem Konzert sehr viel später auf", erklärte Niall grinsend. „Aber da du nun in London bist und ich so viel Zeit wie möglich mit dir verbringen möchte, verzichte ich gerne auf meinen Schlaf."

Das hörte sich ziemlich gut an, sehr gut sogar, um ehrlich zu sein.

„Mir ist schon klar, dass wir nicht eben mal so in einem Restaurant essen gehen können", entfuhr es mir.

Erstaunt zog er seine rechte Augenbraue nach oben, um mich dann mit einem leicht amüsierten Gesichtsausdruck zu betrachten.

„Echt jetzt?", fragte er mit einem Augenzwinkern, worauf ich ihn kurz in die Seite zwickte.

„Ich möchte nicht von einer Horde weiblicher Teenager überrannt werden", lautete meine Aussage, die ihn zum Lachen reizte.

„Keine Angst, das wird nicht passieren, Jess. Niemand weiß, dass du gerade mit mir in meinem Bett sitzt und frühstückst. Alles, was wir in London tun, wird unter uns bleiben."

„Na das hoffe ich doch", entfuhr es mir.

Als ich in seine Augen schaute, bemerkte ich, dass diese komplett von seinem Lächeln erfasst wurden. Dies wirkte wie ein Zauber auf mich, dem ich nicht entfliehen konnte. Alles an ihm nahm mich gefangen, so sehr, dass ich nicht aufhören wollte, ihn anzuschauen. Erst als er mich ansprach, zuckte ich ein wenig zusammen.

„Magst du Honig?"

„Klar! Ich liebe ihn!"

Lächelnd beobachtete ich, wie er eine Brötchenhälfte mit Butter und Honig beschmierte, sich dann zu mir herüberbeugte und sagte: „Mach den Mund auf, Jess."

Gehorsam öffnete ich meine Lippen, damit Niall das Brötchen ein Stück hineinschieben konnte. Als ich genießerisch davon abbiss, schloss ich kurz meine Augen. Schnell kaute ich den Bissen, schluckte ihn hinunter und sagte: „Das ist lecker, kann ich noch mehr davon haben?"

„So viel du willst."

Es endete damit, dass wir uns schließlich gegenseitig fütterten, so lange, bis nichts mehr vom Essen übrig war.

„Oh mein Gott, ich bin so satt, ich platze gleich", stöhnte ich, nachdem wir den letzten Krümel verdrückt hatten.

„Dann solltest du dich jetzt ausruhen", meinte Niall grinsend, als er die Tabletts vom Bett räumte, um sich kurz darauf wieder zu mir zu gesellen.

Der Wunsch, sich in seine Arme kuscheln zu wollen, wurde immer stärker; er wuchs zu seinem Berg heran, den ich erklimmen musste; koste es was es wolle. Also rückte ich vorsichtig ein Stück näher an ihn heran, sodass unsere Schultern sich berührten, und wartete ab, was passierte. Niall deutete meine Absicht sofort richtig, denn er legte einen Arm um mich und zog mich ganz nahe zu sich heran.

„Willst du kuscheln?", flüsterte er mir ins Ohr.

„Ja", wisperte ich mit hochrotem Gesicht zurück.

Obwohl ich mir meine Aufregung nicht anmerken lassen wollte, verriet mein pochendes Herz, was ich gerade fühlte. Doch es war nicht nur mein Herz, sondern auch Nialls, das außergewöhnlich schnell schlug. Engumschlungen lagen wir im Bett, mein Kopf auf seiner Brust gebettet, während seine Finger mit meinen Haaren spielten.

„Weißt du, wie lange ich schon davon geträumt habe, dich in meinen Armen zu halten, Jess?", flüsterte er.

Seine Frage machte mich unendlich glücklich, denn auch ich hatte in der Vergangenheit davon geträumt, beinahe jeden Tag, um ehrlich zu sein.

„Wie lange?"

„Ich glaube, seitdem du mir zum ersten Mal zurückgeschrieben hast, wollte ich das tun."

Mit dieser Antwort zauberte er ein Lächeln auf mein Gesicht, denn auch ich verspürte diesen Wunsch seit Anbeginn unserer Brieffreundschaft im Internet. Es war so gut, dass wir uns getroffen hatten und es fühlte sich absolut richtig an, hier mit ihm zu kuscheln, obwohl noch keine vierundzwanzig Stunden seit unserem persönlichen Kennenlernen vergangen waren.

In diesem Augenblick lehrte mich das Leben eine neue, sehr wichtige Lektion: Es kam nicht darauf an, wie lange man jemanden kannte, sondern ob die Chemie zwischen zwei Personen stimmte. Und das war zwischen Niall und mir auf jeden Fall gegeben.

Als ich dem schnellen Schlag seines Herzens lauschte, musste ich lächeln. Dass er genauso aufgeregt war wie ich, zeugte von der Stärke seiner Gefühle zu mir. Ich war mir plötzlich sicher, dass wir das Gleiche füreinander empfanden, obwohl es noch keiner von uns ausgesprochen hatte.

Das Austesten von Grenzen in unseren Korrespondenzen zahlte sich nun ein wenig aus; es ließ mich mutig werden.

„Niall?"

„Hm?"

„Wolltest du nicht dein Shirt ausziehen?"

Meine Frage, die ihn ziemlich breit grinsen ließ, bewirkte, dass er mir einen Satz ins Ohr flüsterte, der mich ganz aufgeregt werden ließ.

„Ich hätte es lieber, wenn du es mir ausziehst."

Kneifen war jetzt nicht angesagt, also löste ich mich von seinem Körper, wartete bis er sich aufgesetzt hatte, und begann dann langsam das Shirt über seinen Kopf zu ziehen. Beim Anblick seiner Brustbehaarung musste ich erstmal schlucken. Ich stand total darauf, denn diese war exakt so, wie ich es liebte; nicht zu viel und nicht zu wenig.

Sekunden später lagen meine Hände auf seiner Brust und streichelten sanft durch die Haarpracht, was Niall sichtlich zu genießen schien. Zumindest verriet sein zufriedenes Lächeln das.

„Sie sind wunderschön und sexy", murmelte ich leise, meine Augen noch immer auf seine Brust geheftet.

Als ich spürte, dass Nialls Atem meinen Nacken kitzelte, fühlte ich schon wieder ein immenses Kribbeln in mir aufsteigen. Es befand sich überall; auf meiner Haut, in meinem kompletten Körper und vor allem in meinem Bauch.

Förmlich darauf wartend, dass gleich etwas passieren würde, verharrte meine Finger plötzlich in ihrer Bewegung, und dann geschah es auch schon. Der sanfte Hauch seiner Lippen, die angefangen von meiner Stirn, ihren Weg zu meiner Nasenspitze und schließlich zu meinem Mund wanderten, erzeugte Purzelbäume in meinem Magen. Mein kompletter Körper bebte vor Aufregung und der Sehnsucht, endlich seinen Kuss zu spüren. In diesem Moment lebte ich nur dafür.

Zärtlich und liebevoll legten sich seine Lippen auf meine, während seine Hand sanft durch mein Haar glitt. Mit geschlossenen Augen genoss ich diesen beinahe schon magischen Augenblick. Erst als unsere Lippen sich wieder voneinander lösten, erwachte ich aus meinem tranceartigen Zustand, der mich ich den letzten Minuten gefangen hielt.

„Jess."

Als ich sein Wispern vernahm, öffnete ich die Lider, um in seine wundervollen blauen Augen zu schauen, die auf mein Gesicht fixiert waren. Mit bebenden Lippen hauchte ich schließlich ein „Ja?", heraus, darauf wartend, dass er noch etwas hinzufügen würde.

Nialls Hand streichelte sanft über meine rechte Wange, was die Schmetterlinge in meinem Bauch höher fliegen ließ und ich wusste nicht, wie mir geschah, als er schließlich die Worte aussprach, die so unendlich viel für mich bedeuteten.

„Ich hab mich in dich verliebt, Jess."

Aufrichtig und ehrlich, so wie auch seine Sätze in unseren Korrespondenzen rüberkamen, erklang dieser Satz in meinen Ohren. Als ich den Sinn jedoch vollständig erfasste, begann mein Herz vor Freude zu rasen. Obwohl ich ganz still dalag, schien ich außer Atem zu sein und meine Stimme zitterte ein bisschen. Aber ich brachte es fertig, ihm zu antworten.

„Ich hab mich auch in dich verliebt, Niall."

Es war der bisher wundervollste Augenblick meines Lebens, als unsere Lippen sich erneut zu einem Kuss fanden, der jedoch unglücklicherweise vom Vibrieren eines Handys unterbrochen wurde.

Wie ich sogleich ein wenig verärgert feststellte, handelte es sich um einen Anruf von Anne. Sie hätte sich wirklich keinen schlechteren Zeitpunkt aussuchen können, aber da ich annahm, dass sie vor Sorge, wo ich abgeblieben war vermutlich fast Amok lief, zog ich es vor, das Gespräch entgegenzunehmen. Zum Glück nahm Niall das mit Humor, denn er musste plötzlich grinsen, als er meine überaus nette Begrüßung hörte.

„Na, bist du von den Toten auferstanden?", plapperte ich ins Telefon, worauf ein entrüstetes Schnaufen zu vernehmen war.

„Jess, wo um Himmels Willen steckst du? Ich mache mir entsetzliche Sorgen!"

Obwohl Annes Stimme wirklich nervös und aufgeregt klang, konnte ich mir nicht verkneifen, in lässigem Tonfall zu antworten.

„Ich liege im Bett."

Nur zu gerne hätte ich jetzt ihr Gesicht gesehen.

„Aber nicht in deinem!"

„Das habe ich auch nicht behauptet." Seufzend setzte ich hinzu: „Ich bin bei Niall, wie du dir sicher denken kannst und du hast uns gerade beim Küssen gestört."

Nialls Blick wirkte unbezahlbar, außerdem hatte er Mühe, ein lautes Lachen zu unterdrücken.

„Du nimmst wohl auch kein Blatt vor den Mund, oder?", zog er mich grinsend auf, nachdem ich das Gespräch mit Anne beendet hatte.

„Nein, warum sollte ich? Oder hast du ein Problem damit, dass meine beste Freundin über unsere morgendlichen Aktivitäten Bescheid weiß?", erkundigte ich mich augenzwinkernd.

„Nicht im Geringsten, sie gehört ja schließlich zu unserem inneren Kreis."

Es gefiel mir, wie er sich ausdrückte und auch, wie er dabei lächelte. Niall bereicherte mein Leben um ein Vielfaches, das wurde mir in jenem Moment bewusst. Vor allem, als er mich wieder in seine Arme zog und mir ins Ohr flüsterte: „Wo waren wir denn stehengeblieben, Miss Meyers?"

Schlagartig tauchte eine Frage in meinem Kopf auf, die ich ihm eigentlich schon gestern hatte stellen wollen, was jedoch in Vergessenheit geriet.

„Wie hast du eigentlich damals meine Adresse herausgefunden?"

Mit einem breiten Grinsen lehnte er sich in das Kopfkissen zurück, um dann zu sagen: „Ich bin Niall Horan, schon vergessen?"

„Nein, NJ", konterte ich blitzartig, worauf er ein kurzes Lachen ausstieß.

„Weißt du, Jess, ich besitze Kontakte, die es mir ermöglichen, anhand einer Email Adresse den Ort des Absenders herauszufinden. Es gibt ein spezielles Team in unserem Management, das sich um solche Dinge kümmert", erklärte er nun.

Eigentlich hätte mir das klar sein müssen, denn so wie diese Jungs geschützt wurden, sollte wohl auch ein Team vorhanden sein, welches sich um Angelegenheiten wie Internet Security kümmerte. Falls die Jungs Drohbriefe in ihren Email Postfächern vorfinden sollten, war es bestimmt ein Leichtes für diese Leute, herauszufinden, wo der Absender saß, und wie sein richtiger Name lautete.

„Ok, du hast gewonnen", sagte ich lächelnd.

„Nicht ganz", meinte Niall und zog plötzlich einen Umschlag unter einem der Kissen hervor, den er mir nun überreichte. „Ich schulde dir noch etwas, Jess."

„Was?" Etwas perplex öffnete ich den weißen Briefumschlag, doch das, was ich daraus hervorzog, ließ mich laut jubeln.

„Eine Autogramm von Katy!"

Und schon fiel ich Niall um den Hals, dessen Hände sich sanft auf meine Hüften legten, als ich sein Gesicht mit lauter kleinen Küssen bedeckte. Doch bevor wir unseren Kuss vertiefen konnten, war es Nialls Handy, das uns störte.

„Shit happens! Da hat wohl jemand was dagegen, dass wir knutschen", meinte er seufzend und nahm sogleich das Gespräch entgegen.

Wie sich herausstellte, handelte es sich um den Tourmanager, der die Jungs zu einer Besprechung zusammentrommelte.

„Ok, ich bin in zehn Minuten da", hörte ich Niall sagen. „Ich muss Jess noch in ihr Zimmer bringen."

Wie sehr wünschte ich mir plötzlich laufen zu können; alleine, ohne fremde Hilfe. Einfach nur an seiner Hand, weil wir verliebt waren und nicht, weil er mich stützen musste. Ich schaffte es momentan ja noch nicht einmal mit Nialls Hilfe von seiner Suite in mein Zimmer. Nur im Rollstuhl konnte ich diese Strecke zurücklegen, aber das sollte sich ändern.

„Möchtest du noch mal probieren zu laufen, Jess?"

Als Niall seine Frage an mich richtete, nickte ich entschlossen. Ich wollte so viele Schritte wie nur möglich gehen.

Langsam richtete ich mich im Bett auf, während er sein Shirt überzog. Nachdem er das erledigt hatte, nahm er meine Hand und begleitete mich Schritt für Schritt nach draußen. Natürlich machten meine Beine irgendwann schlapp, denn seine Suite lag am anderen Ende des langen Gangs. Das Schöne daran war, dass er mich den Rest der Strecke trug. Seine starken Arme zu fühlen, die sich schützend um meinen Körper legten, tat so unendlich gut. Ich lehnte meinen Kopf an seine Schulter, bis wir das Zimmer erreicht hatten, und Niall mich sanft auf dem Boden abstellte.

„Danke", brachte ich hervor.

„Bitte", hauchte er in mein Ohr, bevor er sagte: „Ich bin gleich wieder da, ich muss noch deinen Rollstuhl holen."

Fast hätte ich vergessen, dass dieser noch in Nialls Zimmer stand.

Anne hatte mir eine Nachricht per Whatsapp geschickt, wie ich sogleich feststellte, nachdem Niall mich auf dem Bett abgesetzt hatte. Sie sei mit Harry zum Essen unterwegs und würde in Kürze wieder auf dem Zimmer eintreffen. Wenigstens brauchte ich mir keine Sorgen um sie zu machen.

Lächelnd schaute ich auf, als Niall den Rollstuhl vor sich herschiebend, in meinem Blickfeld auftauchte. Er stellte diesen direkt neben dem Bett ab, sodass ich jederzeit hineinsteigen konnte. Dann setzte er sich neben mich, nahm meine Hände in die seinen und schaute mich mit seinen wunderschönen Augen an.

„Ich möchte, dass du mir etwas versprichst, Jess."

Binnen Sekunden kamen die Worte über meine Lippen, die mich selbst erstaunten, aber mich auch wissen ließen, wie viel er mir nach dieser kurzen Zeit bedeutete: „Alles was du willst."

„Gut." Nialls Hände legten sich vorsichtig auf meine Oberschenkel. Nur alleine das Bewusstsein diese Berührung spüren zu können, erzeugte ein immenses Glücksgefühl in meinem Herzen.

„Bitte versprich mir, dass du morgen versuchst, die Strecke von deinem bis zu meinem Zimmer komplett zu gehen."

Meine Antwort erzeugte ein Lächeln auf seinem Gesicht.

„Wenn du mir deine Hand gibst."

„Das werde ich, Jess."

„Gut, dann verspreche ich es."

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Hey, ich bin wieder zurück aus London und wollte euch nicht länger mit dem nächsten Updaten warten lassen. Ich hoffe, ihr mochtet das Kapitel und auch die Entwicklung zwischen Niall und Jess, die sich immer näher kommen. ;)

London war spitze und die beiden Konzerte von 1D, die ich gesehen habe, waren einfach das Größte! Wir hatten beide Male Sitzplätze, ein paar Meter von B-Stage entfernt. Ich konnte Nialls Augen sehen, er ist so verdammt hübsch! Eigentlich sind das alle vier aber ihr wisst ja, er ist mein Liebling ;)

LG, Ambi xxx



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