29. Comfort zone

Niall

Wir saßen uns direkt gegenüber. Ich auf dem eleganten Sofa und Jess in ihrem Rollstuhl, eine Armlänge von mir entfernt. Mein Blick lag auf ihrem hübschen Gesicht, der kleinen Stupsnase, den vollen Lippen, und ich hatte nur den einen Wunsch: Jess zum Lächeln zu bringen.

Im Moment schien sie ein wenig verstört zu sein, was ich ihr aber nicht verübeln konnte. Es musste ein Schock gewesen sein, herauszufinden, wer sich wirklich hinter dem Pseudonym NJ verbarg. Warum nur hatte ich das nicht bedacht? Was stellte ich mir eigentlich vor? Dass sie überglücklich in meine Arme fallen würden, nachdem sie festgestellt hatte, dass ich ein berühmter Sänger war?

Jess wollte eine Antwort von mir, und sie wollte sie jetzt. Also sollte ich ihr schleunigst die Wahrheit erzählen.

„Jess, ich wollte dich nicht anlügen", begann ich nervös. „Es ist nur so..., ich dachte, wenn ich dir sage, oder in diesem Fall schreibe, dass ich Niall Horan, Sänger von One Direction bin, du es nicht glauben würdest, und mich als Freak abgestempelt hättest."

Ich machte eine kurze Pause.

„Sei ehrlich, das hättest du getan. Du hättest den Kontakt zu mir abgebrochen, und das wollte ich unter allen Umständen vermeiden."

Ein wenig unsicher beobachtete ich, wie sie nachdenklich an ihrer Unterlippe nagte, wobei sich ihr niedliches Gesicht mit einem Hauch dezenter Röte überzog.

„Ja, das hätte ich vermutlich getan", gab sie schließlich zu.

„Ok, dann..."

Sie ließ mich nicht ausreden, sondern stellte noch eine Frage.

„Wieso hast du es mir nicht gesagt, als wir via Skype geschrieben haben? Wir hätten die Webcam benutzen können."

Seufzend erwiderte ich: „Das hielt ich für keine gute Idee, denn du hast dich so negativ zum Thema Boybands geäußert, dass ich Angst hatte, du würdest..."

„Ich würde?"

„Du würdest mich komplett ablehnen."

Jetzt war es endlich draußen.

„Jess, bitte sei nicht sauer auf mich, ok?", versuchte ich es erneut.

„Ich..., ich kann gar nicht sauer auf dich sein, verstehst du? Du hast mir so geholfen, ich weiß nicht, was ich ohne dich getan hätte. Ich..."

Plötzlich liefen Tränen aus ihren wunderschönen braunen Augen. Unaufhaltsam und ohne Vorwarnung rannen diese über ihre Wangen hinab. Langsam streckte ich den linken Arm aus und legte vorsichtig meine Hand auf ihre. Als ich beruhigend mit meinem Daumen über ihre zarte Haut streichelte, verschränkten sich unsere Finger binnen Sekunden miteinander. Ich spürte, wie sehr sie mich in diesem Augenblick brauchte, aber auch wie nahe wir uns bereits gekommen waren, ohne uns auch nur ein einziges Mal zu sehen.

Eine warme Welle flutete durch mein Herz und meinem Bauchgefühl folgend, schob ich meinen Körper ein Stück nach vorne, um sie mit meinem freien Arm zu umfassen. Ohne zu zögern schmiegte sie ihre Wange an meine. Ich konnte ihren Atem spüren, der meine Haut streifte, und ihren wundervollen Geruch aufnehmen.

„Alles wird gut, Jess. Ich bin da", flüsterte ich leise.

Ihre Stimme war kaum wahrzunehmen, so zart und dünn wie ein sanfter Windhauch.

„Ich weiß, Niall... und... ich hab dich lieb."

„Ich hab dich auch lieb, Jess."

Es war wohl der bisher schönste Augenblick meines Lebens, denn von Jess ein „Ich hab dich lieb" zu hören, bedeutete so viel mehr, als ein „Love you" von meinen Fuckbuddies. Sie meinte es absolut ehrlich, genau wie ich.

Minuten später saßen wir nebeneinander auf dem großen Doppelbett. Ich hatte sie dorthin getragen, sie war so leicht wie eine Feder, zumindest fühlte es sich so an. Jess' Kopf lehnte an meiner Schulter, während ich einen Arm locker um ihren schlanken Körper geschlungen hielt. Unsere Unterhaltung hatte ein wenig stockend begonnen, aber nun flossen die Worte nur so über unsere Lippen.

„Wie hat dir denn unsere Show gefallen?", fragte ich neugierig.

Jess antwortete grinsend: „Du wirst es vielleicht nicht glauben, aber ich hatte Spaß! Es war super!"

„Wirklich?"

„Ja, ganz ehrlich! Ich würde dich niemals anlügen."

„Bitte kein Wort mehr von Lügen heute Abend", seufzte ich laut.

„Sorry, aber so war das nicht gemeint", sagte sie ein wenig erschrocken. „Wir haben doch alles geklärt, Niall. Ich bin dir nicht böse, ok?"

Und dann begann sie meine Hand zu streicheln, wahrscheinlich eher unbewusst, doch diese Geste verfehlte ihre Wirkung nicht. Alles in mir brannte lichterloh und die Gewissheit, dass ich mich in Jess verliebt hatte, bekam ich in jener Sekunde. Da es mir jedoch fern lag, die Dinge zu überstürzen, ließ ich nur das angenehme Gefühl auf mich wirken, welches die Berührung ihrer Finger auf meiner Haut auslöste.

„Dann bin ich beruhigt", erwiderte ich grinsend, was Jess mit einem Lächeln quittierte.

Ob sie ahnte, wie ihr Lächeln auf mich wirkte? In meinem Bauch kribbelte es so heftig, wie nie zuvor. Ich hatte sie die ganze Zeit gespürt, diese Anziehungskraft zwischen uns; in den E-Mails, die wir schrieben und auch in den Skype Korrespondenzen. Aber dieses Gefühl in der Realität zu spüren, wenn wir wie jetzt nebeneinander saßen, war noch viel heftiger.

„Weißt du, was ich jetzt toll fände?", unterbrach Jess meine Gedanken.

„Was denn?"

„Eine große Portion Schokoladeneis!"

Dann prustete sie los und ich stimmte mit einem lauten Lachen ein.

„Du meinst wohl eher zwei Portionen", korrigierte ich, nachdem unser Gelächter wieder verstummte.

„Ja, zwei Portionen Eis und ich möchte, dass du mir etwas auf deiner Gitarre vorspielst."

„Das ist gar kein Problem", ließ ich sie wissen. „Sie liegt in meinem Zimmer."

Schnurstraks war ich auf den Beinen, bestellte zuerst telefonisch das Eis und lief anschließend zur Suite am anderen Ende des Ganges, um die Gitarre zu holen. Ich besaß mehrere davon, doch eines der Instrumente befand sich grundsätzlich während der Tour in meiner Reichweite. Ohne Musik konnte ich nicht leben.

Als ich wieder zu Jess zurückkehrte, wartete sie bereits ungeduldig auf mich.

„Ich habe Anne gerade getextet, dass wir auf dem Zimmer sind und Eis essen. Dann kommt wenigstens niemand auf die Idee, uns zu stören."

„Du kennst meine Bandkollegen nicht, die machen sich gerne einen Spaß aus sowas", entgegnete ich mit einem Augenzwinkern.

Ich war noch immer fürchterlich aufgeregt, überspielte das aber gekonnt.

„Also, was spielst du mir vor?", erkundigte sich Jess mit einem Blick auf meine Gitarre.
Bevor ich darauf antworten konnte, klopfte es an die Zimmertür.

„Zimmerservice, Ihr Eis, Mr Horan."

Jess' braunen Augen funkelten vor Freude, als sie auf die süße Köstlichkeit blickte, die der Bedienstete des Hotel nun auf dem Tisch vor dem Sofa abstellte. Sogleich nahm ich eine der großen Glasschalen in die Hand, nachdem ich dem Angestellten ein ordentliches Trinkgeld ausgehändigt hatte.

„Jess, ich bringe dir das Eis."

Ich wollte höflich sein, und ihr jede Unbequemlichkeit ersparten, doch sie schien andere Pläne zu verfolgen. Ohne zu zögern kamen die Worte aus ihrem Mund.

„Nein, ich möchte versuchen zu laufen. Gibst du mir deine Hand, Niall?"

Dieser unglaubliche Vertrauensbeweis rührte mich fast zu Tränen. Zum zweiten Mal an diesem Tag wollte sie ihr Versprechen einlösen; an meiner Hand, welche sie niemals loslassen würde.
„Natürlich, ich glaube, es gibt nichts, was ich im Moment lieber tun würde", antwortete ich, während ich meine Schritte zum Bett lenkte.

Dort streckte ich meine Hand aus, die Jess sogleich ergriff. Ihre zarten Finger umschlossen die meinen ganz fest, auf der Suche nach dem Halt, den sie benötigte. Und ich gab ihn ihr, mit allem was ich konnte. Selbst mein Herz war bei ihr, als sie sich langsam auf die Beine stellte.

Ihre staksigen Bewegungen wirkten noch immer ein bisschen unsicher, doch Jess schaffte es tatsächlich, das Sofa zu erreichen. Es waren genau sechs Schritte, die sie dafür hatte zurücklegen müssen. Die doppelte Anzahl jener von vor einigen Stunden. Ich war unglaublich stolz, dass sie das schaffte und nahm sie kurz in die Arme, bevor sie sich vorsichtig auf das Sofa setzte.

Es fühlte sich toll an, sie umarmen zu können, und noch viel besser, sie mit dem Schokoladeneis zu füttern, was Jess sichtlich genoss. Nach mehreren Löffeln der leckeren Eiscreme wollte sie jedoch eine kurze Naschpause einlegen, wie sie sich ausdrückte.

Diese Gelegenheit nutzte ich, um schnell nach meiner Gitarre zu greifen und einen improvisierten Text zu singen. Dazu passte die Melodie von Frozen, einem niedlichen Disney Film, den ich zusammen mit meinem Neffen angeschaut hatte.

„Do you wanna get some ice cream? Will you take me to the shop? Can't go into the cellar, I don't want Stracciatella, where do I get the choc? I am so alone here, without ice cream, what am I gonna do? Do you wanna get some ice cream? I won't want to get it til I'm with you." *

Das Lied verfehlte seine Wirkung nicht, denn Jess begann schallend zu lachen, so sehr, dass Tränen ihre Wangen hinunterliefen.

„Du bist so genial, Niall!", japste sie atemlos. „Ich liebe deinen Humor!"

„Und ich liebe deinen."

Sorgsam lehnte ich die Gitarre an einen der Sessel und widmete mich erneut dem Schokoladeneis. Doch Jess protestierte sofort. „Jetzt bin ich dran, dich zu füttern!"

Es endete schließlich damit, dass wir mit schokoladenumrandeten Mündern auf dem Sofa saßen und zu kichern anfingen. Wir konnten beide so albern sein, was ich jedoch herrlich fand. Mit einer Frau, die sich schwer tat zu lachen, würde ich nie etwas anfangen wollen. Jess besaß einen Humor, der meinem so sehr ähnelte, dass es schon fast beängstigend war, und gleichermaßen eine Wohltat; denn so konnte sich keiner von uns beiden blamieren.

Nachdem wir das Eis vollends aufgegessen hatten, wollte Jess noch eine kleine Kostprobe meiner Stimme, die ich ihr nur allzu gerne gab. Sie durfte sich das Lied aussuchen, welches ich nun mit der Gitarre vortrug und wählte den Song 18 von unserem noch aktuellen Album.

„Eigentlich mag ich lieber schnellere Lieder, aber der Song gefällt mir einfach", erklärte sie lächelnd, bevor ich mit meiner Darbietung startete.

Es herrschte einen Moment lang Stille, nachdem ich das Lied zu Ende gebracht hatte, die jedoch nicht unangenehm wirkte, sondern eher beruhigend. Jess' Augen fixierten meine und ließen damit mein Herz schneller schlagen.

„Du hast eine wunderschöne Stimme, Niall, sie bringt mich echt zum Träumen", sagte sie, noch immer lächelnd.

„Danke für das Kompliment, aber deine Stimme ist auch sehr angenehm."

Während ich die Gitarre wieder zur Seite legte, erwiderte Jess etwas auf meine Äußerung. „Ich kann aber nicht singen.".

„Das stimmt nicht. Jeder Mensch kann singen, der eine besser, der andere schlechter", entgegnete ich augenzwinkernd. „Dafür kann ich nicht tanzen."

„Ach Unsinn! Ich habe dich auf der Bühne beobachtet, du kannst das sehr wohl."

„Naja, vielleicht ein bisschen herumhampeln aber...."

Meine Stimme brach ab. Eigentlich hatte ich sagen wollen: „Kein Ballett", doch schien plötzlich nicht angemessen zu sein. Sicher würde es schmerzliche Erinnerungen in ihr hervorrufen, und das wollte ich vermeiden.

„Sprich dich ruhig aus, Niall." Jess ließ nicht locker. „Was wolltest du gerade sagen?"

Als ich den Kopf schüttelte, ergriff Jess meine Hand, was erneut ein heftiges Kribbeln in meinem Bauch auslöste.

„Bitte, du musst keine Rücksicht nehmen. Als wir miteinander geschrieben haben, hat es doch auch geklappt."

Ein tiefes Seufzen entwich meiner Kehle, bevor ich mich dazu entschloss, eine Antwort zu formulieren.

„Ich wollte eigentlich sagen, dass ich kein Ballett tanzen kann."

Jess' Reaktion fiel komplett anders aus, als ich es erwartete. Sie warf den Kopf in den Nacken und begann hemmungslos zu lachen. Völlig verwundert blickte ich zu ihr, um dann zu fragen: „Was bitte ist daran so lustig?"

Langsam wischte sie sich die Lachtränen aus den Augen und entgegnete dann: „Ich habe mir gerade vorgestellt, wie du in einem Spitzenröckchen und Ballettschuhen aussehen würdest."

„Du bist gemein! Es gibt auch Männer, die Ballett tanzen und die tragen ganz sicher was anderes!", protestierte ich empört.

„Ja, Strumpfhosen! Und zwar so enganliegende, dass sich alles dabei abzeichnet."

„Stehst du drauf?"

„Nicht wirklich, aber man weiß dann zumindest, mit was man zu rechnen hat."

Vorsichtig rückte ich ein Stück näher an sie heran. Unsere Arme berührten sich fast und als ich meinen Kopf zu ihrem Ohr beugte, spürte ich das Kitzeln ihrer langen Haare.

„Besorg mir ne Strumpfhose, und du siehst, mit was du rechnen kannst", flüsterte ich schelmisch grinsend.

Wieder einmal zeigte sich, wie ähnlich unser Humor gestrickt war, denn Jess konterte sofort: „Für den Anfang würde es reichen, wenn du dein Shirt ausziehst, damit ich die volle Pracht deiner Brustbehaarung sehen kann."

Ich schlug mit der flachen Hand gegen meine Stirn.
„Stimmt! Da war was! Du wolltest mir ja das Hemd vom Leib reißen!"

Fast gleichzeitig brachen wir in Gelächter aus, das jedoch verstummte, als wir uns intensiv in die Augen schauten, was Jess plötzlich erröten ließ.

„Oh Gott, es ist so peinlich, was ich manchmal geschrieben habe", murmelte sie ein klein wenig verlegen.

„Denkst du mir geht es anders?", seufzte ich leise, wobei meine Wangen sich ganz heiß anfühlten.

Vermutlich glühten diese in ihrem schönsten Rot, da mir gerade die Sache mit der Penisgröße in den Sinn kam.

„Niall?"

„Ja?"

„Lass uns einfach so tun als ob..."

Sie verhaspelte sich, dass ich mich gezwungen sah, den Satz zu beenden.
„Als ob wir manche Dinge nie geschrieben hätten?"

„Jein. Lass uns so tun, als ob es heute Abend nicht relevant ist, ok?"

Nach dieser Aussage lehnte sie ihren Kopf an meine Schulter und schloss ihre wunderschönen Augen. Beinahe gleichzeitig begannen unsere Finger miteinander zu spielen und verschränkten sich schließlich ineinander.

„Es ist so schön, hier zu sitzen und endlich mit dir reden zu können", vernahm ich ihr leises Flüstern.

„Ja, das finde ich auch."

Manchmal war es nicht nötig, dass zwei Menschen sich unterhielten, um sich etwas zu sagen. Oftmals drückte Stille viel mehr aus, wie gerade in unserem Fall.

Ich lauschte ihrem Atem, der hin und wieder schneller ging, ich nahm das sanfte Drücken ihrer Finger wahr, die mit meinen noch immer fest verschlungen waren, und ich konnte spüren, dass sie sich wohl fühlte; genau wie ich.

Für mich war es unglaublich wichtig, dass man sich mit der Person, die einem etwas bedeutete, wohl fühlte. Und bei Jess konnte ich das auf jeden Fall sagen. Sie war mir so unglaublich ans Herz gewachsen, und trotz ihrer körperlichen Beeinträchtigung, die schönste junge Frau der Welt.

Im Gegensatz zu manch anderen betrachtete ich die Menschen nicht nur mit meinen Augen, sondern mit meinem Herzen, was zugegeben manchmal etwas schwierig sein konnte, wenn jemand sich nicht öffnete. Aber hier war das Gegenteil der Fall.

Jess hatte sich mir schon vor langer Zeit geöffnet, obwohl ich mir sicher war, dass es noch sehr viel in ihrem Innersten zu entdecken gab. Dafür hatte ich nun fast eine Woche Zeit, was beinahe schon an Luxus grenzte. Normalerweise sah ich die Frauen, mit denen ich mich abgab, nicht länger als achtundvierzig Stunden am Stück. Bei einigen war ich dann wirklich froh gewesen, als diese Zeitspanne sich dem Ende zuneigte. Doch bei Jess hatte ich das Gefühl, dass selbst diese Woche viel zu kurz sein würde, um allem gerecht zu werden.

Ich war so vertieft in unsere gemeinsame komfortable Stille, dass ich leicht zusammenzuckte, als Jess mich ansprach.

„Niall?"

„Ja?"

„Würdest du mir bitte in den Rollstuhl helfen? Ich muss mal für kleine Mädchen und möchte noch nicht alleine ins Bad laufen."

Das verstand ich vollkommen. Sie hatte zwar heute schon ein kleines Wunder vollbracht, doch sie sollte sich keineswegs irgendwelchen Strapazen aussetzen. Wenn Jess alleine im Bad sein würde, konnte ich ihr nicht helfen, falls sie stürzen sollte.

Ohne einen Ton zu sagen, erhob ich mich, wartete bis sie ebenfalls aufgestanden war, wobei ich ständig ihre Hand hielt, und führte sie dann bis zum Rollstuhl, der mitten im Zimmer stand. Ich sah wie sie kämpfte, was mir unglaublich imponierte.

„Ich bin so stolz auf dich", wisperte ich, nachdem Jess im Rollstuhl Platz genommen hatte, mit welchem sie nun selbstständig und ziemlich schnell durch die geöffnete Badezimmertür fuhr, die sie jedoch gleich hinter sich schloss, nachdem ihre Lippen das Wort Danke geformt hatten.

„Ruf mich, wenn du Hilfe brauchst", rief ihr hinterher.

„Das geht schon, keine Sorge", kam es prompt zurück.

In ihr schlummerte eine beträchtliche Menge Energie und ich betrachtete es als meine Aufgabe, diese aus ihr heraus zu kitzeln. Vielleicht würde es eine Weile Zeit in Anspruch nehmen, vielleicht würde es auch schneller gehen als gedacht. Ich musste es auf mich zukommen lassen und durfte vor allen Dingen nicht ungeduldig werden.

Sicher benötigte Jess noch eine Menge Zeit, um wieder auf die Beine zu kommen, aber alleine die Tatsache, dass sie am heutigen Tag bereits dreimal einige Schritte gelaufen war, zeugte von einer gewissen Entschlossenheit. Sie wollte es! Sie wollte es wirklich.

Ganz in Gedanken versunken, entging mir fast, dass der Rollstuhl beinahe geräuschlos über den Teppichboden in meine Richtung glitt. Jess blickte mich grinsend an und sagte: „Ich würde jetzt gerne einen Cocktail trinken, wie sieht es mit dir aus?"

„Ich bin dabei!"

Etwa fünf Minuten später wurden wir mit lautem Hallo in der Hotelbar von meinen Bandkollegen, Anne, sowie einigen Mitarbeitern der Crew begrüßt. Keiner von ihnen schien mehr nüchtern zu sein, was mich jedoch nicht störte. Nach unseren Konzerten ging es immer so zu.

„Was möchtest du denn gerne trinken?", erkundigte ich mich bei Jess, nachdem ich den Rollstuhl am oberen Ende des Tisches platziert hatte und einen Stuhl direkt neben sie gezogen hatte, auf den ich mich nun setzte.

„Also ich würde gerne einen French 21 probieren", erwiderte sie grinsend, worauf ich ein heiseres Lachen ausstieß.

„Oh weh! Aber nur einen, Jess!", ließ ich sie wissen.

„Einverstanden! Trinkst du einen mit?"

Liam und Louis blökten im Chor: „Aber nur einen, Niall!"

Das Gelächter am Tisch schwoll zu einer unbeschreiblichen Lautstärke an, während ich nur mit den Schultern zuckte. Es konnte schließlich jedem Mal passieren, betrunken zu sein. Da ich jedoch nicht plante, diesen Abend so zu beenden, blieb es tatsächlich bei einem French 21, sowie einem Bier, während Jess der Cocktail durchaus reichte.

„Er schmeckt gut", lautete ihr Urteil, nachdem sie den ersten Zug durch einen pinken Strohhalm genommen hatte, mit welchem das alkoholhaltige Getränk serviert wurde.

„Ich hatte vorhin zwei Mojitos", meinte Anne grinsend.

„Was? Und da trinkst du jetzt noch einen Cocktail?", wunderte sich Jess über ihre beste Freundin.

„Lass sie doch, ich pass schon auf sie auf", erklärte Harry in gewohnter Gentleman Manier.

„Nun gut. Da Anne alt genug ist, um das selbst zu entscheiden, halte ich mich da raus", meinte Jess, bevor sie mir zuprostete.

Die Atmosphäre am Tisch war ungezwungen, lustig und steigerte sich im Minutentakt ins Ausgelassene. Ich fand es toll, dass wir nun alle zusammen feierten, nachdem ich mich mit Jess ausgesprochen hatte. Aber morgen wollte ich auf jeden Fall Zeit mit ihr alleine verbringen, sei es vor oder nach dem Konzert. Sie sollte spüren, wie wichtig sie mir war. Aufgrund dieser Tatsache sah ich es als selbstverständlich an, Jess später nach oben zu begleiten, als sie mir zu verstehen gab, dass sie langsam müde wurde. Auch Liam verließ gemeinsam mit Sophia die Bar, während die anderen noch dablieben.

„Weißt du, Niall, ich bin es nicht mehr gewöhnt, auszugehen und all das. Deswegen werde ich schneller müde als sonst, aber ich denke, nach einer Woche London sollte sich das ändern", erklärte Jess, als wir uns im Aufzug befanden.

„Das ist gar kein Problem. Du sollst den Aufenthalt hier ja genießen und dich nicht überanstrengen", beruhigte ich sie lächelnd.

„Danke für dein Verständnis."

Ihre liebenswürdige Art brachte mein Herz zum Schmelzen.

Liam und Sophia verabschiedeten sich unmittelbar nachdem wir den Aufzug verließen von uns, indem sie eine Gute Nacht wünschten.

„Ich finde, die beiden sind ein tolles Paar", ließ Jess verlauten, als wir vor ihrer Zimmertür standen.

„Das finde ich auch."

Ich beobachtete, wie Jess ihre Karte in den Schlitz des Türschlosses steckte. Plötzlich hielt sie inne und fragte: „Möchtest du noch mit reinkommen?"

„Willst du denn, dass ich mit reinkomme?", lautete meine Gegenfrage.

Sie hob ihren Kopf, um in meine Augen zu blicken, was schon wieder dieses Kribbeln in meinem Bauch auslöste.

„Eigentlich ja, aber wenn Anne dann auftaucht, weil sie ins Bett möchte..."

„Ok, wie wäre es, wenn du dann mit zu mir kommst? Ich muss mein Zimmer mit niemandem teilen", schlug ich vor.

Nachdenklich schaute sie auf ihre zierlichen Hände, die genauso wundervoll waren wie sie selbst.

„Ich weiß nicht... Eigentlich... Also eigentlich wollte ich mir das für später, also vielleicht morgen oder übermorgen aufheben, verstehst du?"

Mein Herz machte vor Freude einen Satz, doch ich beherrschte mich, ging vor dem Rollstuhl in die Hocke und platzierte meine Hände vorsichtig auf ihren Oberschenkeln. Sofort legte Jess ihre Hände auf meine und streichelte sanft darüber, was mein Herz erneut zum Rasen brachte. Trotzdem versuchte ich mich zusammen zu nehmen.

„Also, Prinzessin, kommst du alleine klar?"

„Sicher. Du hast ein behindertengerechtes Zimmer für mich gebucht, schon vergessen?" Sie zwinkert mir zu. „Aber wenn du möchtest, kannst du mich noch durch die Tür schieben."

„Das tue ich gerne."

Kaum war ich ihrem Wunsch nachgekommen, rollte sie zum Bett, schlug die Decke zurück und sagte: „Ich hab meinen peinlichen Mickey Mouse Schlafanzug mitgenommen. Ich hoffe, es macht dir nichts aus."

Anschließend hielt sie das Teil in die Höhe, was mir ein Grinsen entlockte.

„Das ist super! Ich hab meine Jogginghose auch dabei!"

„Dann kann ja nichts mehr schief gehen."

„Also dann, gute Nacht und schlaf gut", verabschiedete ich mich schmunzelnd.

Als ich die Türklinke in die Hand nahm, rief sie nochmals nach mir.

„Niall?!"

Eine Drehung und ich schaute in ihre wunderschönen Augen.

„Ich hab dich lieb."

„Ich hab dich auch lieb, Jess."

Als ich Sekunden später die Tür hinter mir schloss und alleine auf dem Gang stand, explodierte eine gewaltige Welle an Gefühlen in mir. Jess war einzigartig und ich hatte mich in sie verliebt. Jetzt konnte ich nur hoffen, dass sie das Gleiche für mich empfand.

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*Melodie "Do you wanna build a snowman?" - aus Frozen, Text ausgedacht von Catrifa Thrums (danke Süße, das war spitze!)
Niall nennt sie Prinzessin :D , wie findet ihr das?
Ich hoffe wirklich sehr, dass euch das Kapitel gefällt. Es war ein bisschen schwierig zu schreiben, da es sehr viele Emotionen enthält und ich hoffe, ich konnte sie gut rüberbringen. Nun wisst ihr, was in Niall vorgeht. Seid ihr jetzt gespannt darauf, wie es in Jess aussieht?

Ihr müsst jetzt ganz tapfer sein, weil das nächste Update erst am kommenden Samstag hochgeladen wird. Ich bin nämlich ab Montag in London, natürlich auch um 1D live im O2 zu sehen.

Danke für die über 6,3 k reads und über 900 Votes und die tollen Kommentare, die ich immer bekomme! Ihr seid irre!

LG, Ambi xxx




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