28. Revelation
Jess
Mein Gesicht überzog sich mit flammender Röte, als ich sein Hemd erwähnte, weil mir im Moment nichts Besseres einfiel. Ich konnte diesem Niall doch nicht sagen, dass ich total auf seine Brustbehaarung abfuhr! Oh Gott, dieser Tag kostete mich wirklich meine letzten Nerven!
Zuerst die stressige Fahrt nach London, während der wir ununterbrochen die Musik von One Direction anhörten, weil Anne darauf bestand, dass ich die Texte können müsse. Dann der Stau bis zu diesem protzigen Fünf-Sterne-Hotel, wo ein Bediensteter Annes Wagen in der Tiefgarage parkte, und wir mitsamt unserem Gepäck wie zwei Stars in die oberste Etage geleitet wurden. NJ musste echt nicht mehr alle Tassen im Schrank haben! Er hätte sich doch nicht in solche Unkosten stürzen müssen, nur um mich zu sehen. Das hätten wir viel einfacher haben können, indem er mich zuhause besuchte. Aber nein, es musste ja London sein.
Persönlich hatte ich natürlich nichts gegen diese Stadt, im Gegenteil. Ich fand sie sogar wunderschön. Nur rief sie gewisse Erinnerungen in mir wach, die ich am liebsten für immer verdrängen wollte. Das Letzte, was ich in London aktiv getan hatte, war, Ballett zu tanzen. Hier fand mein allerletzter Auftritt vor diesem verhängnisvollen Unfall statt, der mich zum Krüppel machte. Obwohl ich versuchte diese Gedanken mit aller Gewalt aus meinem Kopf zu verdrängen, gelang es mir nur zum Teil.
Glücklicherweise lenkte mich nun das Meet & Greet Programm von One Direction ein wenig ab. Ich fand es ja schon beachtlich, welche Sicherheitsvorkehrungen getroffen wurden, um diese Typen zu schützen. Sie mussten wirklich ziemlich begehrt sein. Eines fiel mir allerdings sofort positiv auf: Es waren keine Teenager mehr, sondern junge Männer, NJ hatte wirklich nicht gelogen.
„Möchtet ihr erst Fotos mit uns machen und dann die Autogramme, oder umgekehrt?", erkundigte sich der Typ mit den braunen kurzen Haaren und braunen Augen.
Wenn ich mich recht erinnerte, hatte er sich gerade als Liam vorgestellt. Ich überließ es Anne, darauf zu antworten, die das auch sogleich erledigte, indem sie ihre One Direction CD Sammlung auf den Tisch legte. Grinsend machten sich die Sänger daran, alles zu unterschreiben. Sie signierten auch ein Poster, welches Anne extra für mich aufgetrieben hatte, denn keiner sollte wissen, dass ich eigentlich nicht zu ihren Fans zählte.
Artig bedankte ich mich für das unterschriebene Poster, welches nun ordentlich zusammengerollt auf dem Tisch lag. Nun wurde es Zeit für die Bilder. Zu diesem Zweck platzierten sich die Jungs gemeinsam mit Anne um, bzw. hinter meinem Rollstuhl. Mehrere Fotos wurden geschossen und zum Schluss wurden sogar welche mit unseren Handys gemacht. Na toll! Dafür konnte ich mir jetzt auch nichts kaufen.
Meine Ungeduld wuchs von Minute zu Minute. Wann würde ich NJ endlich begegnen? Er hatte auf meine letzte Nachricht noch immer nicht geantwortet, wie ich gerade feststellte, als ich heimlich mein Handy checkte.
Anne schien natürlich keine Eile zu haben, sie unterhielt sich mit Harry, ihrem ehemaligen Schwarm. Wenn man mich fragte, hatte diese Schwärmerei nie aufgehört, sie war echt total von ihm angetan. Langsam wurde ich nervös und zu meiner Überraschung gab es jemanden in diesem Raum, der das zu bemerken schien. Niall, der Ire beugte sich zu mir herab und wisperte leise: „Du hast es gleich überstanden, keine Sorge."
Konnte er etwa meine Gedanken lesen? Das fand ich ziemlich erschreckend, um ehrlich zu sein.
„Wie lange dauert denn so ein Meet & Greet?", richtete ich meine Frage an ihn.
Bevor er jedoch darauf antworten konnte, meldete sich einer seiner Bandkollegen, ich glaube, es war Louis, zu Wort.
„Ich geh nochmal aufs stille Örtchen, komme gleich wieder."
„Da muss ich auch hin!" Zayn, der dunkle Typ stürzte sogleich hinter Louis her, nachdem sich die beiden von uns verabschiedet hatten.
„Sorry, ich muss auch nochmal kurz weg", meinte Liam freundlich grinsend und reichte mir seine Hand.
Gott sei Dank schien sich das Spektakel nun dem Ende zuzuneigen. Zu meiner Überraschung legte Harry nun einen Arm um Annes Schulter und sagte: „Ich würde dich gerne nochmal kurz entführen."
Als sein Blick zu mir ging, fügte er noch hinzu: „Keine Angst, ich bringe sie gleich wieder zurück."
Sekunden später sah ich mich in der kuriosen Situation, alleine mit Niall in diesem Raum zu sein. Immerhin gab mir das die Gelegenheit, ihn ein bisschen näher zu betrachten, wobei ich versuchte, möglichst nicht auf sein halbgeöffnetes Hemd zu starren.
Schließlich suchte ich mir ein anderes Ziel, seine Augen. Blau wie das Meer und unglaublich lebendig wirkten diese auf mich. Ich hatte noch niemals solch schöne blaue Augen gesehen. Sie nahmen mir fast die Fähigkeit zu atmen. Auch NJs Augen waren blau und in jenem Moment betete ich innerlich vor mich hin.
„Bitte lieber Gott, lass NJ solche Augen haben, denn sie sind wunderschön."
So sehr ich es auch versuchte, ich konnte meinen Blick nicht von seinem Gesicht abwenden. Doch dann wurde meine Aufmerksamkeit auf etwas anderes gelegt, auf den angenehmen Klang seiner Stimme.
„Würdest du mir kurz deine Hand reichen, Jess?"
Verwundert kam ich seinem Wunsch nach. Ich wusste nicht, was er damit bezweckte, doch im Augenblick scherte ich mich auch nicht darum. Je schneller die Zeit hier verging, desto eher würde ich NJ sehen.
„Jess?"
Nialls Finger hielten meine Hand sanft, aber dennoch fest umklammert.
Meine Atmung beschleunigte eigenartigerweise, als ich ein leises „Ja", hervorstieß.
„Es wird Zeit, dass du dein Versprechen einlöst."
Dieser Satz ließ eine tiefe Verwirrung in mir aufsteigen. Was bitte meinte er damit?
„Welches Versprechen?", fragte ich deshalb stirnrunzelnd, und noch immer in seine himmelblauen Augen schauend.
Langsam wurde er mir unheimlich, was mein Herzklopfen immens verstärkte. Als die nächsten Sätze aus seinem Mund kamen, trafen mich diese allerdings wie ein Blitz.
„Das Versprechen, das du mir gegeben hast."
Und dann wiederholte er die Worte, die eigentlich nur NJ und ich kannten. „Versprich mir, dass du versuchst zu laufen, wenn ich dir meine Hand reiche."
Binnen Sekunden geriet meine Welt ins Straucheln. Woher wusste Niall von meiner Korrespondenz mit NJ? Hatte dieser etwa alles ausgeplaudert, oder...?
Ich brachte den Gedanken nicht zu Ende, denn Niall hielt plötzlich sein Handy in der freien Hand und scrollte mit seinen Fingern über das Display. Seine Augen auf das Handy geheftet, zitierte er nun einige Sätze, die NJ und ich uns geschrieben hatten, und die ich niemals vergessen würde.
„Immer wieder stelle ich mir vor, wie du versuchst, die ersten Schritte zu gehen und du kannst mir eines glauben: Ich wäre wahnsinnig gerne dabei und würde deine Hand halten, nur um dir zu zeigen, dass du keine Angst zu haben brauchst. Denn nichts ist unmöglich, wenn man es wirklich will."
Er machte eine kurze Pause und atmete tief durch, um dann mit dem Lesen fortzufahren.
„Es hat mich sehr berührt, dass du meinetwegen Tränen in deinen Augen hattest und ich frage mich immer wieder, warum gerade du es bist, den mein Schicksal so beschäftigt. Vielleicht war es kein Zufall, dass diese E-Mail bei dir gelandet ist, vielleicht sollten wir uns im Internet treffen, damit jeder sich beim anderen aussprechen kann."
Meine Gedanken rasten, ich besaß keine Kontrolle mehr, weder über sie, noch über mich. Mit tränenbenetzten Wangen nahm ich seine nächsten Sätze auf, die mir die Gewissheit verschafften, wer hier vor mir stand.
„Lieber NJ, ich weiß nicht, wo ich anfangen soll zu schreiben, und was überhaupt noch relevant ist. Ich kann nicht mehr, ich bin so todtraurig, ich bin am Ende. Ich muss die ganze Zeit weinen, auch jetzt, also sei mir bitte nicht böse, falls sich Tippfehler in dieser Mail befinden sollten."
Eine Träne tropfte wohl auf Nialls Hand, und das war der Moment, indem er aufsah.
„Jess", flüsterte er, „bitte nicht weinen. Du hast mit mir geschrieben, ich bin NJ, das ist die Abkürzung von Niall James, meinen beiden Vornamen."
„Das..., das kann nicht sein..." Meine Stimme zitterte so sehr, dass ich sie fast nicht erkannte.
„Doch, Jess. Schau auf meine Hände, ich habe dir ein Foto von ihnen geschickt."
Obwohl die Tränen mir ein wenig die Sicht versperrten, erkannte ich es. Jeden einzelnen Finger hatte ich mir damals eingeprägt, sogar die Form seiner Nägel. Das waren NJs Hände, daran gab es keinen Zweifel. Die Zeit schien für einen Augenblick lang still zu stehen, doch dann vernahm ich seine leise, angenehme Stimme.
„Bitte, Jess, ich möchte..., ich möchte, dass du aufstehst und versuchst zu laufen. Ich werde deine Hand nicht loslassen, das verspreche ich dir."
Ungläubig starrte ich ihn an und wieder schien die Zeit still zu stehen. Doch je intensiver ich in seine blauen Augen schaute, desto mehr spürte ich die Kraft und den Wunsch in mir aufsteigen, es zu tun. Hier und jetzt, an Ort und Stelle, wollte ich es versuchen!
Niall ließ mich nicht aus den Augen, er verfolgte jede meiner Bewegungen, die ich nun ausführte. Das Abstützen meiner freien Hand an der Armlehne des Rollstuhls, ebenso wie den Versuch, mich aufzurichten, der eigenartigerweise gleich beim ersten Mal glückte. Als ich auf beiden Beinen stand, erfasste mich ein sonderbares Zittern. Zum ersten Mal seit vielen Monaten spürte ich den Boden unter meinen Füßen.
Die Tatsache, dass Niall meine Hand noch immer in der seinen hielt, bewirkte, dass mein Wille von Sekunde zu Sekunde stärker wurde. Verbissen kämpfte ich gegen die Ängste an, welche ich verspürte, und wie durch ein Wunder gelang es mir, diese zu unterdrücken. Vorsichtig setzte ich einen Fuß vor den anderen. Es war schwer, es tat weh, weil meine Beine sich wie Blei anfühlten, doch ich wollte nicht aufgeben.
Ich hatte es ihm versprochen!
Der zweite Schritt gestaltete sich nicht minder schwierig, doch auch diesen führte ich aus. Langsam, wie in Zeitlupe schien ich mich zu bewegen und alles was ich spürte war, dass NJ, oder besser gesagt Niall, noch immer meine Hand hielt.
Beim dritten Schritt verließen mich jedoch die Kräfte. Ich begann zu straucheln und landete direkt in Nialls Armen, die mich nicht losließen. Auch nicht, als ich von einem Weinkrampf geschüttelt wurde. Alle Emotionen, die sich in den letzten Sekunden, Minuten, Stunden, Tagen, Wochen und Monaten angesammelt hatten, suchten nun ihren Weg nach draußen. Es konnte nicht wahr sein, was gerade passierte!
Der Sänger einer Boyband entpuppte sich als jener junge Mann, mit welchem ich seit Monaten im Internet verkehrte, der mir immer wieder Mut zusprach, wenn es mir schlecht ging, der mich zum Lachen brachte, der mich tröstete und der in den schlimmsten Stunden meines Lebens für mich dagewesen war. Dass er seine wahre Identität nicht preisgegeben hatte, tat weh und ich wusste nicht, wie ich damit umgehen sollte. Vor allem im Moment nicht, da er mir das Gefühl gab, eine wichtige Stütze zu sein. Enttäuschung, Hoffnung, Wut und Zuneigung stürzten gleichermaßen auf mich ein, als ich seine Arme spürte, die meinen Körper fest umschlangen.
Ich konnte nicht umfallen, selbst wenn meine Beine nachgeben sollten. Niall würde mich tragen, falls nötig, dessen war ich mir bewusst.
Hilflosigkeit breitete sich in mir aus, als meine Tränen langsam versiegten und ich seine leisen Worte hörte.
„Ich bin so stolz auf dich, Jess. Du hast es geschafft, zu laufen, du bist so tapfer."
Ein kleines Schluchzen, welches ich jedoch mit aller Macht zu unterdrücken versuchte, entwich kurz meiner Kehle. Sprechen war in meiner derzeitigen Verfassung unmöglich und Niall, der das zu bemerken schien, richtete eine Frage an mich, die mit einem Nicken beantwortet werden konnte, was ich auch tat.
„Soll ich dich zum Rollstuhl tragen?"
Das Gefühl, welches in mir aufstieg, als ich meine Arme um seinen Nacken legte, war unbeschreiblich. So viel Geborgenheit und Wärme hatte ich noch niemals gespürt, zumindest nicht in dieser geballten Form.
Seine starken Arme hoben meinen Körper mit einer gewissen Leichtigkeit und sehr vorsichtig in die Höhe. Er wollte mir nicht wehtun, das spürte ich.
Verwirrt und gleichzeitig unglaublich erleichtert, schaute ich erneut in seine Augen, die fragend, beinahe unsicher dreinblickten, als er seine Frage stellte.
„Bist du ok, Jess?"
„So halbwegs". Endlich hatte ich meine Sprache wiedergefunden.
„Hör zu", begann Niall, „wir haben im Moment leider nicht viel Zeit, da unser Auftritt kurz bevorsteht. Aber nach dem Konzert können wir uns in aller Ruhe unterhalten."
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, ich wusste nicht, was ich denken sollte, ich wusste gar nichts mehr. Alles war nun anders. Es gab keinen NJ, nur Niall, den Sänger einer Boyband. Diesen Schock musste ich erstmal verdauen.
Viel Zeit blieb mir im Augenblick nicht dafür, denn ein Typ kam plötzlich in den Raum gestürmt und forderte Niall dazu auf, sich für die Bühne fertig zu machen.
„Ok, Jess, die Security wird sich jetzt um dich und Anne kümmern. Versuche das Konzert zu genießen."
Während er lächelte, streichelte er sanft über meine Hand, um kurz darauf zu flüstern: „Bitte sei mir nicht böse."
Sekunden später entschwand er meinen Blicken und Anne tauchte neben mir auf.
„Harry hat mir alles erzählt", begann sie. „Ich..."
„Sei einfach still, ok?", schnitt ich ihr schroff das Wort ab. „Ich möchte jetzt nicht darüber reden, sondern dieses Konzert hinter mich bringen."
Mir war nach Heulen zumute, aber ich wusste nicht wieso. Vor wenigen Minuten war ich meine ersten Schritte an der Hand eines jungen Mannes gelaufen, der unendlich süße E-Mails schreiben konnte, und von dem ich glaubte, dass er ein ganz normales Leben führen würde. Und dann rannte ich, sinnbildlich gesprochen, gegen eine Wand. Nichts war wie vorher, keiner konnte mir helfen das Chaos in meiner Seele zu beseitigen. Niemand außer mir selbst vermochte das zu tun.
„So, Ladies, es geht los."
Die Stimme des Sicherheitsbeamten, der uns bereits in den Backstage Bereich gebracht hatte, ertönte plötzlich neben uns. Dann wurde mein Rollstuhl angeschoben, in Richtung Arena. Von dort aus ging es zu den Zuschauertribünen, wobei die Plätze für Gehbehinderte eine ziemlich gute Sicht aufwiesen, wie ich sogleich feststellte. Anne, die einen normalen Sitzplatz direkt neben mir belegte, war schon ganz aufgeregt.
„Oh mein Gott, Jess! Gleich kommen die Jungs! Ich kann es immer noch nicht fassen, dass wir mit ihnen sprechen durften! Das habe ich nur dir zu verdanken!"
Ihre kurze, aber liebevolle Umarmung quittierte ich mit einem Lächeln. Wenigstens Anne hatte an diesem Abend ihren Spaß.
Als die Deckenbeleuchtung erlosch, und der Vorspann auf einer großen Leinwand zu sehen war, schnellte der Geräuschpegel in der Arena gewaltig in die Höhe. Noch nie zuvor hatte ich ein Konzert erlebt, bei welchem es so laut zuging, bevor die Band überhaupt auftrat. Das konnte ja heiter werden!
Ich musste ehrlich zugeben, dass mir das Erscheinungsbild der Bühne auf jedem Fall zusagte. Es sah keineswegs kitschig aus, wie ich es anfangs vermutete, und auch der Auftaktsong des Konzert, Clouds, gefiel mir eigentlich recht gut, zumal dieser live viel besser klang als von der CD. Überhaupt schienen die Jungs eher auf dem Trip zu sein, rockigere Lieder zu singen, als schnulzige Balladen.
Je mehr das Konzert fortschritt, desto öfter ertappte ich mich dabei, wie ich mitsang und klatschte. Verdammt, sie waren echt gut! Sie konnten wirklich singen und Niall spielte sogar Gitarre. Es fiel mir schwer, den Blick von ihm abzuwenden und ich spürte, dass er voll und ganz in der Bühnenshow aufging. Nichts wirkte gekünstelt oder aufgesetzt, bei keinem von den Jungs.
Geflasht von so viel Power ertrug ich sogar die ruhigeren Songs und musste lachen, als Harry den Text von 18 kurzerhand in eine nicht so ganz jugendfreie Version änderte. Das waren schon lange keine Milchbubis mehr, das waren junge Kerle, sexy wie die Hölle. Sie wussten es genau und spielten es ihrem Publikum gegenüber gnadenlos aus.
Was für eine Show! Sie war mitreißend, lustig und vor allem eines; ehrlich. Ich mochte keine Marionetten und bisher sortierte ich jede Boyband in diese Kategorie, doch auf One Direction traf dies keineswegs zu. Meine Vorurteile sollte ich alle schleunigst revidieren. Nur ein bitterer Nachgeschmack blieb am Ende des Konzerts übrig: Niall hatte mir nicht die volle Wahrheit über sich erzählt, das lag mir schwer im Magen und ich wusste noch immer nicht, wie ich damit klarkommen sollte.
Einerseits zog mich alles zu ihm hin, andererseits versuchte mein Innerstes ein bisschen auf Abstand zu gehen. Vielleicht um zu sehen, ob er wirklich so liebenswürdig war, wie er sich im Internet gegeben hatte, als er sich als NJ ausgab. Obwohl diese zwei Buchstaben keiner Lüge entsprangen, fühlte ich mich trotzdem irgendwie gekränkt.
Dieses Gefühl hielt die ganze Zeit über an, selbst als wir im Hotel eintrafen, hatte es sich noch nicht gelegt. Anne hingegen erlebte wohl den Abend ihres Lebens, denn kurz bevor wir von zwei Sicherheitsbeamen in Richtung der Aufzüge begleitet wurden, tauchte Harry plötzlich in unserem Blickfeld auf.
„Hey, ich wollte euch fragen, ob ihr uns in der Hotelbar Gesellschaft leisten wollt", sagte er lächelnd.
„Aber gerne doch", sprudelte es aus Anne hervor.
Die beiden schienen sich prächtig zu verstehen. Da mir jedoch keineswegs der Sinn nach einem Treffen in der Bar stand, ließ ich die beiden wissen, dass ich unser Zimmer aufsuchen würde. Annes enttäuschtes Gesicht verschaffte mir zwar den Hauch eines schlechten Gewissens, aber sie kämpfte ja auch nicht mit den Dingen, die mich gerade beschäftigten. Niall Horan, der Sänger einer berühmten Boyband, schrieb monatelang mit mir im Internet und später über Skype, ohne dass ich die geringste Ahnung davon hatte. Und das Einzige, was er sagte war: „Sei bitte nicht böse auf mich."
Was sollte ich nun davon halten?
Seufzend wartete ich, bis der Security Mitarbeiter die Tür zu unserem Hotelzimmer öffnete, obwohl ich das auch sehr gut alleine gekonnt hätte. Trotzdem bedankte ich mich höflich, bevor ich er sich mit dem Hinweis, dass ich jederzeit die Rezeption anwählen könne, falls ich etwas benötigen würde, verabschiedete.
Ganz in Gedanken versunken rollte ich durch das Zimmer, auf das große Doppelbett zu. Doch irgendetwas schien anders zu sein, als noch vor einigen Stunden. Argwöhnisch drehte ich mich ein wenig zur Seite, und dann sah ich es. Ein großer Strauß roter Rosen sprang direkt in meine Augen. Dieser stand auf dem kleinen Beistelltisch, der sich neben der eleganten Sitzecke befand. Ohne zu zögern rollte ich in Richtung Blumenstrauß, dem ein kleine Karte beigefügt war. Als ich diese öffnete, und zu lesen begann, bebten meine Lippen unkontrolliert.
„Alles Liebe, von jemandem der dich gern hat. N."
Das konnte kein Zufall sein! Die Karte, welche damals meinem Geburtstagsblumenstrauß beigefügt war, enthielt im Prinzip fast den gleichen Satz. Ich hatte NJ nie erzählt, was in dieser Karte stand und das bedeutete, dass die einundzwanzig roten, wunderschönen Rosen, welche ich zu meinem Geburtstag erhalten hatte, nicht von Norman, sondern von Niall höchstpersönlich stammten! Jetzt wurde mir auch klar, weshalb er versucht hatte mich zu überzeugen, den Strauß nicht zu entsorgen!
Es machte die Entscheidung leichter für mich, zu meinem Handy zu greifen und ihm einen Text via Skype zu schicken. Da er vermutlich mit den anderen in der Hotelbar saß, konnte ich nur hoffen, dass er diesen auch zeitnah lesen würde.
„Danke für die Blumen, sie sind genauso wunderschön wie der Geburtstagsstrauß."
Mein Groll auf ihn war zumindest ein bisschen verflogen, doch ich wollte eine konkrete Antwort auf die Frage, warum er seine wahre Identität so lange verschwiegen hatte. Um das herauszufinden, würden wir auf jeden Fall miteinander reden müssen.
Zu meiner Überraschung antwortete Niall sofort auf meine Nachricht.
„Ich hatte gehofft, dass sie dir gefallen und, dass du den Wink mit dem Zaunpfahl gleich verstehen würdest."
Nun beschloss ich zum Angriff überzugehen.
„Willst du mich nicht in die Hotelbar bitten?"
„Warum sollte ich?"
„Weil wir miteinander reden müssen?!" Er konnte vielleicht dämlich Fragen stellen!
„Aber warum willst dich ausgerechnet in der Hotelbar mit mir treffen? Es wäre doch viel besser, wenn wir das auf dem Zimmer erledigen würden", kam es nun zurück.
„Also ich bin in meinem Zimmer", textete ich zurück.
Zu meiner Überraschung schrieb er: „Ich auch."
Das hatte ich jetzt nicht vermutet.
„Warum bist du denn nicht bei den anderen in der Bar?", erkundigte ich mich neugierig.
„Weil ich keine Lust hatte, und eigentlich wollte ich mich lieber mit dir alleine unterhalten", gab er zur Antwort, gefolgt von dem Satz, der mein Herz plötzlich schneller schlagen ließ. „Hast du etwas dagegen, wenn ich bei dir vorbeischaue?"
„Nein, ganz und gar nicht."
Nun war es besiegelt. Niall würde gleich hier auftauchen und hoffentlich meine Fragen beantworten. Keine Minute später klopfte es auch schon an meine Zimmertür.
„Jess, ich bin's, Niall."
Schnell rollte ich zur Tür, um diese zu öffnen und das Erste, was in mein Blickfeld geriet war ein weißes Shirt mit Knöpfen, die offenstanden und den Blick auf seine Bruthaare freigaben. Nicht schon wieder! Das war mein absoluter Schwachpunkt. Es kostete mich wirklich große Überwindung, meinen Kopf anzuheben, und in seine blauen Augen zu schauen, was auch nicht die beste Idee war, da mich diese total in ihren Bann zogen.
„Darf ich mich setzen?"
Ich schluckte kurz, um dann zu antworten: „Natürlich."
Eifrig rollte ich zur Seite, damit er problemlos an meinem Rollstuhl vorbeigehen konnte. Sein Blick, dem ich nun folgte, huschte kurz durch das Zimmer, als er sagte: „Ich hoffe, es ist alles zu deiner Zufriedenheit."
Entschlossen kreuzte ich die Arme vor meiner Brust, denn ich wollte diesen Smalltalk beenden und gleich zur Sache kommen.
„Warum hast du mir nicht gesagt, wer du wirklich bist?", brachte ich schärfer als geplant hervor.
Mein Brustkorb hob und senkte sich heftig, aufgrund meiner beschleunigten Atmung, während ich auf seine Antwort wartete. Und wieder einmal schien die Zeit stillzustehen, als ich in seine blauen Augen schaute, die mich komplett untergehen ließen.
_____________
Uhhhhhhhhh, schon wieder ein Cliffhanger! Und Jess ist ein klein wenig sauer auf Niall und möchte Antworten haben. Wie die wohl ausfallen werden? Seid ihr schon gespannt aufs nächste Kapitel? Aber hey, sie ist gelaufen! Sie hat es tatsächlich mit Nialls Hife geschafft!
LG, Ambi xxx
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top