20. You are worth it
Jess
Mein Herz krampfte sich zusammen, nachdem ich die E-Mail an NJ abgeschickt hatte. Es tat mir unendlich leid, ihm all das sagen zu müssen, doch ich wollte ehrlich zu ihm sein, denn das verdiente er. Wenn nicht er, wer dann sonst?
Ein Teil von mir hoffte, dass er mich nicht aufgeben würde und der andere Teil hatte sich selbst bereits aufgegeben. Ich befand mich gerade zwischen zwei Welten, in einem jämmerlichen Zustand, der es mir nicht erlaubte, klar zu denken.
In den Nächten schlief ich kaum, trotzdem erwachte ich morgens bereits gegen acht Uhr. Diese innere Unruhe machte mich total verrückt!
Hingegen meinen sonstigen Gewohnheiten stand ich nur noch zum Essen auf und checkte die nicht vorhandenen E-Mails auf meinem Handy. Wir konnte ich auch erwarten, dass NJ mir zurückschrieb? Was hatte ich mir nur dabei gedacht, ihn meinen Depressionen auszusetzen? Aber wem sonst hätte ich all das anvertrauen sollen? Vielleicht antwortete er irgendwann, vielleicht auch nie wieder.
Normalerweise hätte ich mich mehrmals am Tag in den Rollstuhl gesetzt, um zu meinem Laptop zu fahren und die E-Mails anzuschauen. Doch ich traute mich kaum, diese mit dem Handy zu checken, weil ich Angst hatte, dass NJ entweder gar nichts, oder eine Art Abschiedsmail geschrieben hatte, in welcher er mir erklärte, dass er sich das nicht antun müsse. Und wenn es so kam, dann war es meine eigene Schuld, denn ich trieb das mit meiner E-Mail geradezu voran.
Nachdem ich den halben Sonntag im Bett verbracht hatte, beschloss ich endlich aufzustehen. Das Kribbeln in meinen Beinen, wenn ich still da lag, machte mich wahnsinnig. Kam es mir nur so vor, oder wurde es wirklich jeden Tag schlimmer? Vielleicht bildete ich mir das nur ein.
Also biss ich meine Zähne zusammen, hievte mich in den Rollstuhl und rollte in Richtung Laptop. Bevor ich diesen allerdings startete, antwortete ich auf Annes Whatsapp Nachricht. Sie machte sich große Sorgen seit ich ihr mitgeteilt hatte, dass es mir nicht gut ging und ich die Gruppentherapie wahrscheinlich nicht mehr besuchen wollte. Doch sie versuchte nicht, mich umzustimmen, was ich ihr hoch anrechnete. Schließlich war das unser Deal gewesen. Ich sollte es einmal versuchen und wenn ich feststellte, dass es mir nichts brachte, brauchte ich kein zweites Mal hinzugehen.
Seufzend textete ich Anne zurück. „Bin gerade aufgestanden."
Dies sollte für den Anfang genügen, zumindest wusste sie, dass ich noch am Leben war. Meine kurze Antwort ließ Anne außerdem wissen, dass ich im Moment nicht zu weiteren Gesprächen aufgelegt war. Als meine beste Freundin respektierte sie das immer.
Nervös und mit schweißnassen Händen startete ich endlich den Laptop und schaute aus dem Fenster, bis endlich die Internetverbindung stand. Mein Herz raste wie verrückt, als ich den Email Account öffnete und zu meiner großen Überraschung auf den Namen [email protected] starrte.
NJ hatte zurückgeschrieben. Aber was? Nach dieser E-Mail musste er furchtbar enttäuscht von mir sein, vielleicht hasste er mich auch. Um das herauszufinden, musste ich jedoch anfangen zu lesen. Also gab ich mir einen Ruck, öffnete die Mail und nahm seine Worte in mir auf.
Liebe Jess,
um ehrlich zu sein, bin ich nicht enttäuscht von dir, sondern einfach nur traurig, dass es dir psychisch so schlecht geht. Ich dachte, ich könnte das ändern, doch das war eine Illusion. Schließlich bin ich nur ein ganz normaler, junger Typ, der genauso viel Ahnung von der Psyche eines Menschen hat, wie von den Zutaten für eine Torte. Ich weiß, es ist ein dummer Vergleich, aber dies soll dir zeigen, dass es für mich sehr schwer ist, einzuschätzen, was ich dir nun am besten sagen soll. Deswegen schreibe ich einfach was nun in mir vorgeht.
Ich habe Angst um dich und ich mache mir Vorwürfe, dass ich dir dazu geraten habe, diese Gruppentherapie zu starten. Ich wollte nicht, dass es dir schlechter geht, sondern besser. Wenn ich könnte, würde ich sofort zu dir fliegen, nur um dich sehen zu können und um dir zu sagen, dass ich für dich da bin. Ich würde dich auch in den Arm nehmen, aber nicht nur weil du es willst, sondern auch, weil ich es will.
Ich möchte gerne für dich da sein, Jess. Heute und in der Zukunft. Ich kann nachvollziehen, dass du mir keine Bürde auferlegen willst, das tust du auch nicht. Es war meine Entscheidung, dir damals zurückzuschreiben und die Korrespondenz fortzuführen. Ich hätte den Kontakt jederzeit abbrechen können, doch warum sollte ich das tun? Es ist wundervoll mit dir zu schreiben, es ist so, als ob wir uns ganz nahe sind, wenn wir uns erzählen, was in uns vorgeht, oder was wir erlebt haben. Selbst diese Bilder, die wir uns schicken, sind ein Teil von uns. Ich werde keines von ihnen löschen, ich werde alle aufheben, denn sie erinnern mich an dich.
Es liegt an dir, ob du mir nun zurückschreibst, denn ich werde dich zu nichts drängen. Du sollst nur wissen, dass ich dich wirklich sehr vermissen würde. Wenn du schreibst, schenkst du mir ein Lächeln und du gibst mir das Gefühl, dass ich ganz ich selbst sein kann. Ich muss mich nicht verstellen, genauso wenig wie du in eine Rolle schlüpfen musst. Wahrscheinlich fühlen wir uns deshalb so wohl, wenn wir miteinander korrespondieren. Bitte denk darüber nach, bevor du eine Entscheidung fällst.
Ich könnte es verstehen, wenn du dir eine Auszeit nehmen willst, und egal wie lange sie dauert, du sollst eines wissen: Ich werde dir zurückschreiben, wenn du es gerne möchtest. Aber ich muss auch akzeptieren, wenn du dich dagegen entscheiden solltest.
Zum Schluss möchte ich dir noch sagen, dass du in meinen Augen ein ganz besonderer Mensch bist, den ich immer in meinem Herzen behalten werde.
Alles Liebe, NJ
P.S.: Ich habe dir ein Foto von meinem Bein mitgeschickt, das operiert wurde. Man kann die große Narbe deutlich sehen.
Mein Herz klopfte noch immer wie verrückt, als sich seine E-Mail zu Ende gelesen hatte, die eines verdeutlichte: NJ war nicht sauer auf mich!
Bevor ich meine Gedanken jedoch ein wenig sammeln konnte, schaute ich mir das Foto an. Die Narbe war bestimmt zwanzig Zentimeter lang, begann über dem Knie und zog sich noch ein Stück über das Schienbein hinunter. Es musste eine große OP sein, die er hinter sich gebracht hatte, eine sehr große sogar.
Als ich das Bild wegklickte, begann ich zu weinen. Er wollte nicht, dass ich den Kontakt abbrach, das konnte ich deutlich zwischen seinen Zeilen lesen, doch er zwang mich zu nichts. Er war der liebevollste und einfühlsamste Mensch, den ich jemals kennengelernt hatte. Ich fühlte mich so schuldig und schlecht, ich schämte mich für das, was ich geschrieben hatte. Und doch entsprach es der Wahrheit.
Ein Teil von mir litt unter fürchterlichen Ängsten, dass er eines Tages aus meinem Leben verschwinden würde. Der andere Teil wünschte sich nichts mehr, als dass er bleiben sollte, für immer.
In den letzten Tagen hatte ich sehr viel nachgedacht, über mein Leben und meine Unfähigkeit mein Schicksal anzuerkennen, über die Gruppentherapie und über NJ. Wenn er doch nur in meiner Nähe wohnen würde, wäre alles viel einfacher. Gleichzeitig machte sich der Gedanke in mir breit, wie egoistisch ich doch war. Ich konnte doch nicht von ihm verlangen, mich ständig zu besuchen, denn er hatte wahrscheinlich andere Dinge zu tun.
Malcom platzte in mein Zimmer hinein und unterbrach meine wirren Gedankengänge abrupt, als er mich dazu aufforderte, zum Abendessen zu kommen.
„Ich trage dir nicht ständig das Essen ins Zimmer", lautete seine Aussage.
Mit gekreuzten Armen vor seiner Brust blieb er im Türrahmen stehen, während sein Blick auf mir ruhte. Dieser wirkte etwas besorgt und gleichzeitig angepisst. Selbst mein kleiner Bruder hatte meine Depressionen satt, doch wer konnte ihm das verübeln?
Irgendwie hatte Malcolm ja Recht, ich konnte mich nicht ewig in meinem Bett verstecken, nicht für den Rest meines Lebens. Außerdem begann mein Magen so abartig zu knurren, dass ich es nun vorzog, mit dem Rollstuhl aus meinem Zimmer zu fahren, um das Abendessen gemeinsam mit meiner Familie einzunehmen. Zwischendurch textete ich kurz mit Anne, um ihr mitzuteilen, dass sie mich am morgigen Tag nicht zur Gruppentherapie fahren müsse. Sie nahm das mit einem einsilbigen Ok zur Kenntnis.
Während ich an meiner Pizza kaute, unterhielten sich meine Eltern mit Malcolm und Stephanie, die auch anwesend war. Ich beteiligte mich kaum an diesem Gespräch, nur dann, wenn jemand direkt eine Frage an mich richtete. Nachdem ich alles aufgegessen hatte, verabschiedete ich mich von Stephanie und rollte in mein Zimmer zurück. Dort angekommen, legte ich mich sofort wieder ins Bett und griff nach meinem Handy.
Ich wollte NJ zumindest eine kurze Nachricht zukommen lassen, denn er sollte nicht denken, dass ich den Kontakt zu ihm abbrechen wollte.
Lieber NJ,
ich habe heute deine E-Mail bekommen und werde dir antworten, wenn es mir wieder etwas besser geht. Danke, dass du mich nicht aufgibst.
Alles Liebe, Jess
Diese Worte meinte ich absolut ehrlich und ich wusste, dass er es auch so verstehen würde.
Nachdem ich die knappe E-Mail abgeschickt hatte, bettete ich den Kopf auf das Kissen und war binnen kürzester Zeit eingeschlafen.
Der nächste Tag brachte Regen und Sturm fast wie im Herbst. So gesehen war ich froh, nicht vor die Tür gehen zu müssen, doch ich langweilte mich entsetzlich. Krampfhaft versuchte ich das Kribbeln in meinen Beinen zu ignorieren, während ich Videos auf YouTube anschaute.
Als ich genug davon hatte, begab ich mich in Richtung Laptop und begann NJs restliche E-Mails auszudrucken. Eigentlich wusste ich nicht, warum ich das tat, doch mir war einfach danach zumute. Sorgfältig sortierte ich die Mails nach Datum, legte mich mit dem Papierbündel ins Bett und begann alle der Reihe nach zu lesen. Jede Einzelne brachte mich zum Lachen und alle zeigten mir, wie nahe wir uns gekommen waren. Er war ein wundervoller Mensch, der mein Herz mit Freude erfüllte, wann immer ich es brauchte.
Stunden vergingen, doch ich tat nichts weiter als in diese E-Mails einzutauchen, dich ein unendliches Glücksgefühl in mir hervorriefen. Warum konnte ich nicht wieder gesund sein? Dann würde ich nach Amerika fliegen und ihn besuchen.
„Nein, das würdest du nicht, du würdest Ballett tanzen", raunte meine innere Stimme mir zu, die ich am liebsten ignorieren wollte.
„Hör auf!", sagte ich laut. „Hör einfach auf!"
Wütend ballte ich meine Hände zu Fäusten und ließ mich in den Kissenstapel zurücksinken, als ich auch schon eine weitere Stimme vernahm.
„Jess? Ist alles in Ordnung mit dir?"
Malcom stand mit besorgtem Gesichtsausdruck in meinem Zimmer und kam jetzt auf das Bett zugelaufen, an dessen unteren Ende er sich hinsetzte. Seine Augen hefteten sich fragend auf den Papierstapel, welcher vor mir lag. Ich tat so, als hätte ich seinen Blick nicht bemerkt und räumte das Papier scheinbar achtlos zur Seite.
„Ja, mir geht es gut", erklärte ich nun.
„Das redest du dir ein", lautete seine Antwort, als er begann meine Hand zu streicheln. „Ach Jess, ich wünschte, ich könnte dir helfen", murmelte er leise und irgendwie resigniert.
„Es ist nur im Moment etwas schwierig für mich", stammelte ich verlegen. „Aber das wird schon wieder."
Malcolm rückte näher an mich heran und hauchte mir einen sanften, brüderlichen Kuss auf die Wange.
„Ich hab dich lieb, Jess", sagte er seufzend.
„Ich dich auch, Kleiner."
Geschwisterliebe war etwas sehr Wertvolles, das erkannte ich in solchen Momenten immer wieder.
„Wenn ich irgendetwas für dich tun kann, dann lass es mich wissen", bot Malcolm an, worauf ich antwortete: „Du kannst mir bei Gelegenheit neue Farbpatronen für den Drucker besorgen."
„Ok, wird gemacht. Ich muss jetzt los, bin mit Stephanie verabredet."
Und schon war er verschwunden. Lächelnd schaute ich ihm hinterher. Ich wusste noch genau, wie es sich angefühlt hatte, damals in Tim verliebt zu sein. Mehr als vier Jahre lag das nun zurück, nichts war davon übriggeblieben, die Liebe hatte sich in Hass und Gleichgültigkeit umgewandelt.
Manchmal fragte ich mich, ob ich jemals wieder jemanden finden würde, der mich wirklich liebte. Vielleicht würde mir das helfen, über den Verlust des Tanzens hinwegzukommen. Das hörte sich an wie eine Traumwelt und ich schüttelte die Gedanken daran schnell ab. Stattdessen tauchte ich wieder in NJs E-Mails ein, die mich bis in die Nacht hinein beschäftigten.
Drei Tage vergingen, bevor ich mich in der Lage dazu fühlte, ihm zurückzuschreiben. Doch dazu brauchte ich absolute Ruhe, was mich dazu veranlasste, diese Aktivität in die späten Abendstunden zu verlegen, wenn meine Eltern zu Bett gegangen waren. Somit zog sich der Tag wie Kaugummi dahin, obwohl Malcolm mir eine ganze Stunde Gesellschaft leistete und ich alle Mahlzeiten gemeinsam mit meiner Familie einnahm. Zwischendurch textete ich mit Anne, die mich am Wochenende besuchen kommen wollte.
Kurz nach dem Abendessen zog ich mich wieder in mein Zimmer zurück, um mir Gedanken über das machen, was ich NJ schreiben wollte. Ich fühlte mich nicht mehr schlecht oder schuldig, weil ich Angst davor hatte, ihn vielleicht irgendwann zu verlieren. Meine Reaktion war menschlich und er verstand es vollkommen. Sonst hätte er mir nicht geantwortet und vor allem nicht auf diese Art und Weise.
Gerade als ich beginnen wollte, einige Videos auf YouTube anzuschauen, läutete die Klingel. Wer besuchte uns denn zu dieser späten Stunde? Ich spitzte meine Ohren und als ich eine Männerstimme hörte, wurde ich erst recht neugierig. Schritte näherten sich plötzlich meinem Zimmer, ich hielt den Atem regelrecht an, als die Türklinke heruntergedrückt wurde. Meine Augen weiteten sich vor Überraschung, als ich Norman erblickte, der hinter meiner Mum den Raum betrat.
„Hier ist Besuch für dich, Jess", sagte meine Mutter lächelnd, bevor sie sich wieder zurückzog, um uns alleine zu lassen.
Ein wenig überrumpelt kam ich mir schon vor und ich wollte wissen, warum er hier einfach aufkreuzte.
„Warum bist du hierhergekommen?", richtete ich deshalb meine Frage an ihn.
„Gegenfrage. Warum bist du am Montag und heute nicht zu der Gruppensitzung gekommen?", konterte er.
„Weil es mir nichts bringt", erwiderte ich und gab ihm mit einer Handbewegung zu verstehen, dass er sich auf das Bettende setzen sollte, was Norman auch tat.
Seine Augen ruhten auf meinem Gesicht, als er eine Bemerkung machte, die mich wirklich erstaunte.
„Das Problem kenne ich. Das hatten wir fast alle nach unserer ersten Sitzung."
„Was?!" Ich wusste nicht, was ich von dieser Aussage halten sollte und so hörte ich einfach zu, als er erneut zu sprechen begann.
„Auch ich bin nach der ersten Gruppensitzung nicht mehr hingegangen, weil ich dachte, es bringt nichts. Christopher hat mich nach zwei versäumten Sitzungen zu Hause besucht, um mit mir zu reden und heute tue ich das Gleiche bei dir."
„Aber warum?" Die Worte flossen einfach so aus meinem Mund, ohne dass ich darüber nachdachte.
„Weil jeder Mensch es wert ist, sich um ihn und sein Schicksal zu bemühen."
Im ersten Moment wusste ich nicht, was ich darauf sagen sollte, doch dann fasste ich mich wieder.
„Aber wenn ich nicht will? Niemand kann mich dazu zwingen."
„Es wird dich auch keiner zwingen, Jess. Die Entscheidung liegt letztendlich bei dir, aber du sollst wissen, dass du immer herzlich willkommen bist."
Ein wenig nachdenklich nickte ich ihm zu. „Und du bist nur hierhergekommen, um mir das zu sagen?"
„Ja, und um zu sehen, wie es dir geht."
„Ich lebe noch."
„Das sehe ich", erwiderte er.
Sein Sarkasmus prallte an mir ab, wie an einer Felswand. Ich konnte es nicht ertragen, wenn er so mit mir sprach. Am liebsten wollte ich weglaufen, doch das ging ja nicht. Ich war an dieses Bett und an den Rollstuhl gefesselt, was mich gerade maßlos aufregte. Wieso konnte nicht alles wie früher sein? Warum konnte ich nicht verschwinden, wenn mir Diskussionen auf die Nerven gingen? Hätte ich meine Beine gebrauchen können, wäre ich nun aus dem Zimmer herausstolziert, doch so musste ich Norman bitten zu gehen, denn ich wollte einfach nur meine Ruhe haben.
„Würdest du mich bitte alleine lassen?" Eigentlich klang das mehr nach einer Feststellung, als nach einer Frage.
Glücklicherweise verstand Norman sofort, dass mit mir nicht zu verhandeln war. Binnen kürzester Zeit erhob er sich und verschwand nachdem er mir ein „Wir sehen uns hoffentlich bald, Jess", zugerufen hatte.
Darauf konnte er vermutlich lange warten, bis in alle Ewigkeit. So wie es im Augenblick aussah, würde ich die Gruppentherapie nicht mehr besuchen. Seltsamerweise fühlte ich mich ein wenig unwohl, nachdem ich Norman so kurzerhand hinauskomplimentiert hatte, doch das lag mit Sicherheit daran, dass ich ansonsten eher ein höflicher Mensch war, der keinem absichtlich auf den Schlips trat – es sei denn ich fühlte mich eingeengt. Vermutlich war gerade das passiert.
Normans plötzliches Auftauchen engte mich wirklich ein. Normalerweise wäre ich nun an die frische Luft gegangen, um einen klaren Kopf zu bekommen, doch es war mühselig, sich jetzt in den Rollstuhl zu hieven und kurz nach draußen zu rollen, um festzustellen, dass es in Strömen regnete, was ich sehr wohl hören konnte. Also hatte sich das erledigt.
Ohne darüber nachzudenken griff ich nach dem Papierstapel und begann erneut NJs E-Mails durchzulesen. Als ich bei der letzten angekommen war, musste ich schwer schlucken. Er machte sich große Sorgen um mich, was ich rührend fand.
Ein Lächeln umspielte meine Lippen, als ich nach meinem Handy tastete, um endlich die längst fällige E-Mail an ihn zu schreiben. Obwohl ich es mir schwer vorgestellt hatte, flossen die Buchstaben nur so aus meinen Fingern. Ich schrieb mir alles von der Seele, ich bedankte und entschuldigte mich bei ihm.
Es tat gut, ihm all das sagen zu können, was ich wollte, ihn wissen zu lassen, wie sehr er mir fehlte und es war einfacher die richtigen Worte zu finden, als ich es mir ausgemalt hatte. Vielleicht trug Normans Besuch dazu bei, dass mir bewusst wurde, was ich an NJ hatte. Er war mein Seelenverwandter, der genau wusste, wie er mit mir umzugehen hatte und der mich verstand. Ich versuchte so gut wie möglich, meine Gefühle in dieser E-Mail auszudrücken.
Konzentriert arbeitete ich mich immer weiter vor, was meine Emotionen betraf, bis ich am Ende angekommen war. Ein erleichtertes Aufatmen entfuhr meiner Kehle, als ich endlich den letzten Satz geschrieben hatte. Nun galt es alles nochmals durchzulesen, bevor ich die Mail abschicken würde. Letztendlich war es halb zwei nachts, als ich auf senden klickte.
Erschöpft lehnte ich mich im Bett zurück, es hatte mich viel Kraft gekostet, meine Gefühle niederzuschreiben, doch NJ hatte nichts anderes verdient.
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Danke an alle, die bis hierher durchgehalten haben. Ihr seid sicher schon gespannt darauf, wie es nun weitergeht, nachdem Jess sich dazu entschieden hat, Niall zu antworten. Ich kann euch sagen, dass im nächsten Kapitel etwas passiert...
Vielen Dank an alle, die immer voten und Kommentare schreiben! Das ist total lieb von euch!
LG, Ambi xxx
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