05. Late

Niall

Nachdem wir uns einige Stunden im Pool vergnügt hatten, wo die wildesten Wasserschlachten zwischen Louis, Harry, Liam und meiner Wenigkeit stattfanden (Zayn, unser Nichtschwimmer, döste wie immer auf seiner Liege), beschlossen wir, unsere Suiten aufzusuchen, duschen zu gehen und das Abendessen einzunehmen. Mein Magen knurrte bereits heftig, als wir mit dem Aufzug in die oberste Etage fuhren, was meine Bandkollegen dazu veranlasste, sich darüber lustig zu machen.

„Na, Niall, verdrückst du nachher wieder ein halbes Nilpferd?", fragte Harry augenzwinkernd, worauf ich nur antwortete: „Besser ein halbes Nilpferd, als einen ganzen Engländer!"
Da ich der einzige Ire in unserer Band war, konnte ich auch guten Gewissens Witze über Engländer reißen, was meine Bandkollegen mir jedoch keineswegs übel nahmen. Fünf Jahre One Direction hatten uns zusammengeschweißt, außerdem kannten wir uns so gut, dass man den Humor jedes Einzelnen verstand.

In meiner Suite angekommen, sprang ich zunächst unter die Dusche, seifte mich gründlich ein, und trällerte dabei ein Lied vor mich hin. Meine Muskeln entspannten sich durch den warmen Wasserstrahl, ich schloss meine Augenlieder, lehnte mich gegen die Wand und plötzlich wanderten meine Gedanken zu Jess. Ich versuchte mir vorzustellen, wie sie wohl aussah.

Eines war sicher: Sie besaß eine supertolle Figur, denn das war das Privileg einer Balletttänzerin. Gut durchtrainierte Beine, oh Shit, sie saß ja in einem Rollstuhl! Diese schreckliche Tatsache löste ein Gefühl einer unendlichen Traurigkeit in mir aus. Wieso musste so etwas passieren?

Ein junger, gesunder Mensch war aus seinem Leben, aus seinen Träumen, herausgerissen worden und befand sich nun in einer Identitätskrise, die so schlimm war, dass es fast schon an eine Depression grenzte. Ich wollte sie dort unbedingt herausholen, doch ich wusste nicht wie. Ich hatte weder Psychologie studiert, geschweige denn, besaß ich einen Funken Erfahrung auf diesem Gebiet. Um es auf den Punkt zu bringen: Ich war ein blutiger Laie, wenn es darum ging, mich mit seelischen Problemen meiner Mitmenschen zu beschäftigen. Alles was ich konnte, war, gut zuhören. Trotzdem wollte ich mein Möglichstes versuchen, ihr zu helfen. Die Art, wie sie schrieb, ließ sie sehr sympathisch wirken und ihre winzige Brise Sarkasmus, von der ich hatte kosten dürfen, reichte aus, um mich schmunzeln zu lassen.

Mit einem Seufzen drehte ich das Wasser ab, stieg aus der Dusche und griff nach einem der großen, blütenweißen Badetücher. Just in diesem Augenblick gab mein Handy, welches ich neben dem Waschbecken auf der Ablage deponiert hatte, einen Ton von sich, der den Eingang einer Whatsapp Nachricht ankündigte. Schnell schlang ich das Handtuch um meine Hüften und trabte zum Waschbecken, um das Handy an mich zu nehmen. Dort blinkte mir eine Nachricht von Kelly entgegen.

„Ich kann es kaum erwarten, mein neues Reitkostüm auszuprobieren."

Daraufhin verzog sich mein Mund zu einem überbreiten Grinsen, denn sie meinte damit ihre neue Unterwäsche.

„Rot oder Schwarz?", textete ich nun eifrig zurück, und während ich auf eine Antwort wartete, lief ich quer durch das Zimmer, um eine frische Boxershorts aus meinem Koffer zu holen. Ich packte diesen nie wirklich aus, das lohnte sich gar nicht, da wir uns sowieso nur maximal drei Tage im gleichen Hotel aufhielten. Kaum hatte ich die Boxershorts übergestreift, traf auch schon die nächste Nachricht ein.

„Rate mal!"

Da ich auf solche Ratespielchen keine Lust hatte, schrieb ich das, was in meinem Kopf vorging, und was ich ihr auch ins Gesicht gesagt hätte: „Ich will hoffen, dass sie rot ist, denn das steigert meinen Schärfegrad um Einiges!"

„Und wie sieht es bei schwarz mit roten Streifen aus?", kam es prompt zurück.

Kelly machte mich echt wahnsinnig! Natürlich liebte ich rote Unterwäsche bei einer Frau über alles, doch meine Hormone ruderten derart unkontrolliert durch meinen Körper, dass es mir im Augenblick vollkommen egal war, wie ihre Reizwäsche aussah. Ich würde ihr diese sowieso binnen kürzester Zeit vom Leib reißen, das stand fest. Felsenfest sogar! Schließlich war ich seit Wochen auf Entzug, was das Thema Sex betraf.

Das Mitglied einer berühmten Boyband zu sein, brachte nicht nur Vorteile mit sich. Ich konnte ja nicht jede x-beliebige Tussi aus einer Bar abschleppen, ich musste vorsichtig sein, um nicht in den Schlagzeilen der Boulevard Presse zu landen. Somit beschränkte sich der Kreis jener, die dazu auserkoren wurden, eine, oder mehrere Nächte mit mir zu verbringen, auf eine Handvoll Frauen, die vor allem intelligent genug waren, nicht darüber in der Öffentlichkeit zu plaudern. Schweigen und genießen hieß die Devise, wenn man mit Niall Horan im Bett landen wollte.

Kelly gehörte zu jenen, die mehr als nur verschwiegen waren. Ich konnte mich hundertprozentig darauf verlassen, dass unsere Bettgeschichte nicht nach draußen getragen wurde, sondern alles, was wir so anstellten, in den vier Wänden des Hotelzimmers blieb.

Seufzend versuchte ich, mir einen guten Text einfallen zu lassen, damit die Korrespondenz auf Whatsapp beendet werden konnte, denn ich kam vor Hunger fast um. So schrieb ich einfach zurück: „Babe, lass uns das Ratespiel beenden, ich muss los, sonst bin ich bis zu unserem Treffen verhungert und die Reitstunde fällt aus."

Es funktionierte tatsächlich, denn sie antwortete mit einem Schlichten: „Ich wünsche dir süße Träume und freue mich schon auf dich! Love you, Kelly."

Ich nahm es niemals ernst, wenn meine Bräute mir ein Love you schickten, denn sie liebten nur eines: Meinen Körper, oder um es noch genauer zu definieren, ein ganz bestimmtes Teil davon. Die wahre Liebe in meinem Leben musste ich erst noch finden, was leichter gesagt, als getan war. Gerade als ich das Handy weggelegt, und ein T-Shirt über den Kopf gestreift hatte, klopfe es an meine Zimmertür.

„Niall? Bist du fertig? Oder vergnügst du dich als NJ?"

Zayn nervte mich echt total mit dieser Aussage. Warum konnten die Jungs mich nicht einfach in Ruhe lassen, was dieses Thema anging? Wieso musste Louis auch die Nachricht von Jess lesen? Am liebsten hätte ich ihm dafür eine Ohrfeige verpasst, diesem blöden Sack! Ich hasste es, wenn jemand in meine Privatsphäre eindrang, selbst wenn es sich dabei um meine Bandkollegen handelte, die alle wie Brüder für mich waren. Doch die Mails eines anderen zu lesen, ging eindeutig zu weit.

„Ich komme ja schon", maulte ich in Richtung Tür, schlüpfte dann in eine Jeans, zog meine Converse Schuhe an, und trabte mit knurrendem Magen zum Ausgang der Suite.

Zwanzig Minuten später saßen wir in einem Steakhouse, das wir extra ausgesucht hatten, weil dort die besten Filetsteaks serviert wurden. Dies war uns nämlich noch vom letzten Jahr in guter Erinnerung geblieben. Doch selbst während des Essens zogen die Jungs mich auf.

„Na, Niall, wie geht es NJ? Hat er heute schon mit seiner kleinen Freundin getextet oder eine E-Mail verschickt?", fragte Harry grinsend, den ich am liebsten sofort zum Schweigen gebracht hätte, indem ich seinen Mund mit der heißen Folienkartoffel, welche auf meinem Teller lag, zustopfen wollte. Doch das zählte im Zweifel als Körperverletzung und diente nicht gerade dazu, Ruhe am Tisch einkehren zu lassen. So griff ich ganz relaxed nach meinem Handy, um eine Whatsapp Nachricht an Kelly zu verfassen.

„Kannst du mir bitte ein Foto von deinem Reitdress schicken?"

Ein Empörtes: „Dann ist ja die ganze Überraschung hin!", war ihre Antwort darauf.
„Schick mir bitte ein Foto, es muss ja nicht von der neuen Unterwäsche sein, ok?", textete ich nun.

Was ich damit bezwecken wollte, war denkbar einfach. Die Jungs sollten von Jess und den E-Mails, welche wir austauschten, abgelenkt werden, und wenn es nur für diesen Abend sein würde, das war mir im Moment herzlich egal. Glücklicherweise konnte ich auf Kelly zählen, denn sie sendete nun ein schönes Bild von ihrer absolut scharfen, dunkelvioletten Reizwäsche, welches ich den Jungs präsentierte.

„Alter Schwede", stieß Liam hervor, „ich wünschte Sophia würde so etwas tragen."
„Dann kauf es ihr doch", erwiderte ich grinsend, um mich kurz darauf meinem Filetsteak zuzuwenden.

Der Trick klappte tatsächlich, denn in den folgenden Minuten wurde wirklich nur über Reizwäsche diskutiert, ein sehr dankbares Thema, wie ich feststellen musste. Denn alle meiner vier Bandkollegen ließen sich nun gründlich darüber aus, welche Dinge sie in diesem Punkt bevorzugten. So konnte ich in Ruhe mein Steak, nebst Beilagen verspeisen, ohne dass die Unterhaltung nochmals auf das Thema E-Mails abschweifte.

Nach dem Abendessen fuhren wir zurück ins Hotel und suchten die dortige Bar auf. Da wir inzwischen alle einundzwanzig und älter waren, konnten wir auch Alkohol trinken, so viel es uns beliebte. Ich probierte den Hauscocktail, welcher durchaus Gnade vor meinem übersensiblen Gaumen fand. Somit blieb es nicht bei einem, sondern es wurden drei daraus.

Etwas angeheitert verließ ich gegen ein Uhr nachts die Bar, in Gesellschaft von Liam, der bereits das Maß überschritten zu haben schien. Jedenfalls konnte er nicht mehr so gut geradeaus laufen wie ich. Trotzdem schafften wir es ohne Probleme bis zum Aufzug, der uns direkt nach oben brachte. Mein Verantwortungsgefühl forderte mich dazu auf, Liam noch bis zum Eingang seiner Suite zu begleiten, bevor ich ihm eine gute Nacht wünschte, und meine eigene aufsuchte.

Dort betrat ich zunächst das Badezimmer, zog mich anschließend bis auf meine Boxershort aus, und legte mich ins Bett. Nach kurzer Zeit schlief ich ein und pennte bis zum nächsten Morgen durch.

Da meine innere Uhr jedoch noch in der europäischen Zeitzone schwebte, war es erst fünf Uhr morgens, und stockdunkel draußen, als ich einen Blick in Richtung Fenster warf. Stöhnend drehte ich mir zur Seite, jetzt war Fernsehen schauen angesagt, um sich die Zeit zu vertreiben. So griff ich nach der Fernbedienung und zappte mich durch die Kanäle. Als ich den Sportkanal entdeckte, auf welchem gerade ein Tennismatch lief, legte ich die Fernbedienung wieder zur Seite und versuchte mich auf das Match zu konzentrieren. Doch meine innere Unruhe ließ dies nicht so ohne weiteres zu. Sie bewirkte, dass ich immer wieder vom Spiel abgelenkt wurde, bis ich schließlich nach meinem Handy griff, und automatisch nach den eingegangenen E-Mails schaute.

Mein Herz flatterte ganz aufgeregt, als ich die Adresse [email protected] erblickte. Sie hatte mir zurückgeschrieben! Als ich auf die Uhrzeit des Postengangs blickte, bekam ich jedoch sofort ein schlechtes Gewissen, denn die Mail war schon vor einigen Stunden eingegangen. Genauer genommen betrachtet, musste Jess mir sofort zurückgeschrieben haben, also quasi mitten in der Nacht.

„Shit", murmelte ich vor mich hin.

Wieso hatte ich nicht früher auf meine E-Mails geschaut? Schnell öffnete ich den Text und begann konzentriert zu lesen.

Hallo NJ,
es ist übrigens deine Schuld, dass ich so einen Heißhunger auf Eis entwickelt habe. Nun sitze ich hier, vor meinem Laptop, esse Vanilleeis und versuche, deine Fragen möglichst präzise zu beantworten.

Du hast absolut Recht, es fühlt sich schrecklich an, seine Beine vom einen auf den anderen Tag nicht mehr spüren zu können. Es ist so, als ob ein Teil von dir stirbt und damit auch ein Teil deiner Persönlichkeit. Ich bin nicht mehr Jess, die Balletttänzerin, sondern ich fühle mich gerade wie ein menschliches Wrack, dessen Daseinsberechtigung ich erst noch herausfinden muss.

Da ich seit meinem vierten Lebensjahr tanze, oder besser gesagt, getanzt habe, weiß ich gar nicht, was ich nun mit meiner Zeit und mit meinem Leben überhaupt, anfangen soll. Es ist schwer, seinen Traum aufgeben zu müssen und einfach einen neuen zu suchen, funktioniert leider nicht so gut. Manchmal denke ich, es wäre besser gewesen, wenn ich diesen Unfall nicht überlebt hätte. Für meine Familie und meine wahren Freunde wäre das sicher grausam gewesen, doch irgendwann hätten sie sich damit abgefunden. Ich hingegen muss mich nun für den Rest meines Lebens damit abfinden, nie wieder tanzen zu können.

Verdammt, sie war so verzweifelt! Ich musste einen Moment lang unterbrechen, bevor ich weiterlesen konnte, denn diese Sätze gingen mir so nahe, dass sich kurzzeitig kleine Tränen in meinen Augen bildeten. Nachdem ich diese weggewischt hatte, begann ich erneut die Wörter in mir aufzunehmen.

Ja, ich wollte es beruflich machen und war quasi schon auf dem Weg dorthin. Ich hatte einen Vertrag am London Theatre unterzeichnet. Dort werden nur die besten Tänzerinnen genommen (ohne jetzt eingebildet klingen zu wollen). Wenn du es bis dahin geschafft hast, stehen dir alle Wege offen, vorausgesetzt, du gibst dir Mühe und holst alles aus dir heraus. Mein Traum war es, irgendwann auf dem Broadway in New York zu tanzen, aber der wird sich nun nicht mehr erfüllen. Das tut sehr weh, ich weiß oft nicht, wie ich damit klarkommen soll und könnte manchmal den ganzen Tag nur heulen. Sorry, dass ich so melancholisch werde, es tut mir echt leid. Ich könnte es verstehen, wenn du nicht mehr weiterlesen, oder mir nicht antworten willst.

Ich wollte weiterlesen und ich würde ihr auf jeden Fall antworten, das stand fest. Dieses Mädchen schüttete mir gerade ihr Herz aus, obwohl wir uns nicht kannten. Sie vertraute mir, einer völlig fremden Person, aber genau das war es, was mich plötzlich so zu ihr hinzog. Ich wollte alles über sie erfahren, und ihr vielleicht ein bisschen Mut und Fröhlichkeit zurückgeben. Das war das Mindeste, was ich für Jess tun konnte.

Mittlerweile saß ich in meinem Bett, die Augen konzentriert auf das Display des Handys geheftet, während das Tennismatch unbeachtet an mir vorüberzog. Diese E-Mail zu lesen erforderte meine volle Aufmerksamkeit, mein ganzes Herz und meine Seele wurden von den Sätzen erfüllt.

Das Kribbeln in meinen Oberschenkeln hat vor ungefähr zwei Wochen begonnen, der Unfall liegt bereits drei Monate zurück. Mittlerweile komme ich mit dem Rollstuhl ganz gut klar, man bekommt ja in der Reha alles beigebracht, um alleine zurechtzukommen. Trotzdem gibt es einige Dinge, die ich nicht tun kann. Ich wollte zum Beispiel viel lieber Schokoladeneis anstatt Vanille essen, aber das befindet sich im Keller, und da komme ich alleine nicht hin. Da es bereits ein Uhr nachts ist, kann ich auch niemanden aufwecken, der das für mich erledigen könnte. Welche Eissorte magst du denn am liebsten?

Ein kleines Lächeln umspielte meine Lippen, als ich die Passage mit dem Eis las. Ich versuchte mir vorzustellen, wie sie mitten in der Nacht vor ihrem Laptop gesessen, Eiscreme in sich hineingeschaufelt, und diesen Text geschrieben hatte. Dinge, die sehr persönlich waren, und die sie mit Sicherheit nicht jedem anvertrauen würde. Doch die Anonymität des Internets ließ es zu, dass man manchmal Grenzen überschritt.

Ihre Geschichte war bei mir gut aufgehoben, ich würde niemandem davon erzählen, sondern einfach nur versuchen, Jess ein bisschen aufzurichten. Keiner konnte mir das verbieten, außerdem war nichts Verwerfliches daran, mit einer 20-jährigen über ihren Gesundheitszustand zu schreiben. Ich seufzte kurz, bevor ich mich erneut der E-Mail widmete.

Du hast übrigens Recht, Tim konnte sich bisher nicht dazu entschließen, mir zu antworten und ich denke, er wird dies auch nicht tun. Er ist einfach ein feiges Schwein, entschuldige diesen herben Ausdruck, doch das ist mein Empfinden ihm gegenüber.

„Ein feiges Schwein!? Er ist ein Stück Scheiße!", schrie ich kurz auf, beruhigte mich jedoch sogleich wieder.

Schließlich wollte ich Zayn nicht wecken, der in der Suite nebenan hauste und wahrscheinlich noch im Tiefschlaf lag. Er konnte wirklich zu jeder Tages- und Nachtzeit pennen, was ich oft beneidenswert fand. Ich musste mich immer erst an die veränderten Zeitzonen gewöhnen und acht Stunden Differenz steckte ich nicht einfach so weg, obwohl ich nach dem Genuss von mehreren Cocktails ziemlich gut geschlafen hatte.

Ich blinzelte kurz, bevor ich erneut mit großer Spannung auf mein Display starrte. Die E-Mail war ziemlich lange, doch das störte mich nicht im Geringsten und ihr nächster Satz ließ mich plötzlich laut auflachen.

Ich finde es schön, dass du keine Nacktbilder von mir sehen willst, aber irgendwo auch bedenklich. Ich meine, du bist 21, alle Jungs in diesem Alter wollen gerne Nacktfotos von weiblichen Wesen sehen. Bist du schwul?

„Nein, liebe Jess, ich bin nicht schwul, wenn du wüsstest, wie unschwul ich bin (gab es dieses Wort überhaupt?), dann würdest du dich wahrscheinlich vor mir in acht nehmen", murmelte ich grinsend, während ich den nächsten Satz anpeilte.

Du wolltest wissen, in welchem Monat ich Geburtstag habe. Diese Frage beantworte ich gerne, ich habe im August Geburtstag, am vierzehnten, um genau zu sein. Dann werde ich einundzwanzig. Früher habe ich mich immer darauf gefreut, und mir vorgestellt, dass ich bald in einer Bar in New York sitzen würde, um Alkohol zu trinken. In den USA darf man das erst ab einundzwanzig, ich weiß nicht, ob dir diese Tatsache geläufig ist, deswegen erwähne ich es einfach mal.

Das war mir durchaus bekannt, schließlich hatten unsere Security Leute drei Jahre lang jeden Abend Alkohol in unsere Hotelzimmer schmuggeln dürfen, wenn wir dort auf Tour, oder Promo zugange waren. Das brauchten sie jetzt Gott sei Dank nicht mehr zu tun. Ich verfolgte nun wieder den Text der Email, wie jemand, der ein gutes Buch verschlang.

Ich beneide dich darum, dass du in London lebst, denn ich finde die Stadt super schön, es ist immer etwas los, nicht wie hier auf dem Land, wo ich wohne. Außerdem gibt es in unserer Nähe kein Nandos, ich liebe die Hühnchen nämlich auch, genau wie du. Darf ich fragen, was du arbeitest? Du erwähntest in deiner letzten Email, dass du gerade beruflich unterwegs bist. Ist dein Job interessant und kommst du viel herum? Ich nicht mehr, ich sitze den ganzen Tag zuhause und langweile mich. Ab und zu schaut meine beste Freundin vorbei, meistens am Wochenende. Wie du sicher schon bemerkt hast, gibt es für mich nicht viel zu tun. Früher hatte ich oft Probleme mit meinem Zeitmanagement, heute besitze ich Zeit im Überfluss.

Du brauchst dir übrigens keine Gedanken darüber zu machen, dass du vielleicht etwas Falsches schreiben könntest. Alles was du mir durch deine E-Mail gesagt hast, war vollkommen in Ordnung. Deine Aufmunterungsversuche sind ziemlich witzig, sie haben mich zum Lachen gebracht. Ich finde es schön, mit dir zu schreiben, ich genieße es richtig. Du bist im Moment die einzige Person, der ich all diese Dinge anvertrauen kann, was vielleicht auch daran liegt, dass wir uns nicht kennen. Ich weiß nicht, ob ich einem Menschen, die mir sehr nahe steht, all das erzählen könnte, denn ich möchte niemanden, den ich liebe, zum Weinen bringen. Verstehst du das?

Ich verstand es, doch Jess konnte sich wahrscheinlich nicht vorstellen, dass sich genau jetzt Tränen in meinen Augen bildeten, vor allem, nachdem ich die vorangegangen Sätze verinnerlichte. Sie fand es schön, mit mir zu schreiben und ich war die einzige Person, der sie gewisse Dinge anvertraute. Aber das Wichtigste, dass ich sie zum Lachen bringen konnte, ging mir, aus welchen Gründen auch immer, ziemlich nahe.

Ich wollte damit nicht aufhören, ich nahm mir vor, Jess in jeder E-Mail ein wenig zum Lachen zu bringen. Wenn es sein musste, bis an mein Lebensende. Diesen Vorsatz in meinem Hinterkopf, las ich nun die letzten Zeilen der Mail.

Mein Schreibstil hat dich also gefesselt, dieses Kompliment kann ich durchaus an dich zurückgeben, denn deiner ist ebenso interessant. Ich lese sehr viel und noch dazu gerne, vielleicht färbt das ab. Liest du auch gerne?
Ich möchte dich jetzt nicht weiter langweilen, sondern dir nur sagen, dass ich mich sehr freuen würde, eine Antwort von dir zu erhalten.

Liebe Grüße, Jess

P.S.: Keine Webcam Session, keine Bilder, aber vielleicht magst du es mir ja schreiben: Welche Farbe haben deine Augen?

Ihr letzter Satz haute mich buchstäblich aus den nicht vorhandenen Socken. Sie wollte tatsächlich wissen, wie meine Augen ausschauten. Normalerweise hätte ich ihr ein Foto davon schicken können, nur von meinen Augen. Aber selbst das war zu gefährlich, wenn man, wie ich, Niall Horan hieß.

Irgendwo im Internet geisterten auch Bilder, nur von meinen Augen, umher. Ich konnte es nicht riskieren, dass Jess vielleicht zufällig über diese Fotos stolpern würde und mein Cover aufflog. So, wie sich alles im Moment entwickelte, war es gut und ich wollte nichts daran ändern. Sie sollte NJ vertrauen und ihm alles schreiben, was sie bedrückte.

Nach einem kurzen Durchatmen machte ich mich daran, eine E-Mail an Jess zu verfassen. Dies war bereits die Dritte und es würde hoffentlich nicht die Letzte sein, denn ich wollte sie nun ein wenig aus der Reserve locken.

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Habt ihr eine Vermutung, wie Niall Jess aus der Reserve locken will? Ich möchte mich noch ganz lieb bei allen bedanken, die bisher gewertet und kommentiert haben, das ist richtig super von euch!

Da ich keinen Plan habe, wie man oben am Anfang eines Kapitels eine Widmung einträgt, mache ich es eben an dieser Stelle: Das Kapitel widme ich Mizorika, meiner eifrigen Leserin, die immer kommentiert und votet! 

Das nächste Update kommt am Wochenende, am Samstag!

LG, Ambi xxx


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