02. Last dance
Jess
Konzentriert streifte ich meine Ballettschuhe über und wickelte die Bänder um meine Fußgelenke. Die Schuhe waren wunderschön, rosa glänzend, und passten perfekt zu meinem rosa Ballettkleid, welches mit glitzernden Pailletten übersäht war. Heute durfte ich die Hauptrolle in dem Stück tanzen, was mich unglaublich stolz machte. Wie lange hatte ich dafür geübt, meine blutigen Zehen ignoriert und alles gegeben, was ich an Leidenschaft besaß. Das war nun der Lohn. Ich freute mich wahnsinnig auf diesen Auftritt, und als ich endlich auf der Bühne stand, bewegte ich mich, als ob es mein letzter Tanz sein würde. Mit all der Hingabe, Leidenschaft und Freude, die ich für das Ballett in mir trug.
Das Stück war ein voller Erfolg, die Menschen applaudierten endlos und ich verspürte eine grenzenlose Befriedigung, sowie Euphorie in mir aufsteigen. Ich hatte es geschafft, alle zu begeistern. Nun stand meiner Karriere nichts mehr im Weg.
Nach meinem Auftritt stieg ich zu Tim in den Wagen, der sich das Stück selbstverständlich angeschaut hatte, und dann passierte es plötzlich. Das Auto entglitt Tims Kontrolle, fuhr zu schnell um die Kurve, ich sah Blitze, bevor ich in die Dunkelheit überglitt und jemand meinen Namen rief.
„Jess", die Stimme meiner Mutter, die mich auf diese Art und Weise zum Aufstehen bringen wollte, ertönte laut und deutlich durch die geschlossene Zimmertür.
Stöhnend drehte ich meinen Oberkörper ein wenig zur Seite, und zog die Decke über meinen Kopf. Nach diesem Traum, der in regelmäßigen Abständen immer wiederkehrte, erwachte ich schweißgebadet und völlig fertig. Ich hatte keine Lust, mich der Wirklichkeit zu stellen, das Bett zu verlassen, um mich in den Rollstuhl zu setzen, und am Fenster die Vögel im Garten zu betrachten. Alles was ich wollte, war, wieder Ballett zu tanzen. Aber dieser Traum würde sich niemals mehr erfüllen.
Automatisch wanderten meine Gedanken zu Tim. Ich hatte ihm vorgestern eine E-Mail geschrieben, und obwohl ich eigentlich keine Antwort darauf erwartete, den kompletten gestrigen Tag damit verbracht, alle fünf Minuten in den Posteingang meines E-Mail Accounts zu blicken. Das Ganze zog ich bis zwei Uhr morgens durch, ein Grund, warum ich heute extrem mit der Müdigkeit zu kämpfen hatte.
Im Nachhinein ärgerte ich mich über mich selbst, denn Tim hatte natürlich nichts von sich hören lassen. Eigentlich hätte ich es wissen müssen, denn so viel Rückgrat besaß er nicht, um eine verbale Konfrontation per E-Mail mit mir einzugehen. Was hätte er auch darauf antworten sollen? Er wusste ja, dass ich im Recht war, und was er mir angetan hatte.
„Jess!" Die Stimme meiner Mum klang nun fordernder. „Wir wollen zusammen frühstücken!"
Verdammt, warum konnte sie mich nicht einfach in Ruhe lassen? Ich hatte alles so satt. Dieses Leben war nicht mehr lebenswert, zumindest nicht für mich. Die Tage glichen sich wie ein Ei dem anderen, die einzige Ablenkung, die mir wirklich gut tat, war, mich vor den Laptop zu setzen, und an meinem Tagebuch zu schreiben. Wenn meine Finger die Tastatur berührten, besaß ich eine Art Macht über die Buchstaben, die dann aus meinem Kopf, durch meine Finger, auf ein Dokument im Arbeitsspeicher übertragen wurden. Doch manchmal war mir auch das zu viel.
Dann saß ich den halben Tag vor dem Fenster, schaute in den Garten und beobachtete die Vögel. Die andere Hälfte des Tages verbrachte ich dann für gewöhnlich damit, Filme anzuschauen. Gestern fühlte ich mich seelisch betrachtet, ganz gut, weil ich all meinen Frust Tim gegenüber herausgelassen hatte. Heute ließ dieses gute Gefühl erheblich nach, denn es brachte nichts, ein Fass ohne Boden, in diesem Fall sein Gehirn, mit etwas füllen zu wollen, das er sowieso nicht verstand.
„Jess! Kommst du jetzt endlich, oder willst du mir meinen Geburtstag vermasseln?"
Drohend stand mein jüngerer Bruder plötzlich im Türrahmen und als ich ihn erblickte, fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Malcolm wurde heute achtzehn, volljährig, und er durfte Auto fahren. Hoffentlich tat er das verantwortungsvoller als Tim.
Natürlich hatte ich seinen Geburtstag nicht vergessen und auch bereits ein Geschenk besorgt. Internetshopping hieß das Zauberwort, welches selbst mir ermöglichte, Einkäufe ohne fremde Hilfe zu tätigen. Nur war mir, als meine Mutter nach mir gerufen hatte, gänzlich entfallen, dass dieser besondere Tag bereits heute war. Seit ich nach meinem Reha Aufenthalt nach Hause zurückgekehrt war, hatte ich jegliches Zeitgefühl verloren.
Langsam hob ich meinen Kopf ein wenig in die Höhen, grinste in an und sagte: „Komm her, Kleiner, lass dir gratulieren."
Malcolm konnte schließlich nichts dafür, dass es mir so schlecht ging, er war einer der wenigen Menschen, der sich noch bemühte, mich verstehen zu wollen, obwohl es natürlich sehr schwierig für ihn war. Noch vor einigen Monaten hatte ich ihn mit dem Auto überall hin kutschiert, wenn meine Eltern verhindert waren, und jetzt saß ich hier und musste ihn oft genug um Hilfe bitten. Aber er beklagte sich nie, im Gegenteil, er machte sie oft große Sorgen um mich. Bald würde er jedoch von zuhause weggehen, um zu studieren, denn er hatte seine Schule vor kurzem erfolgreich beendet.
Als Malcom sich schließlich auf mein Bett setzte, richtete ich meinen Blick auf ihn.
„Alles Gute zum Geburtstag, Mal", sagte ich und umarmte ihn nun.
Es war eine herzliche Umarmung unter Geschwistern, die wir beide genossen. Er würde mich vermissen, wenn ich nicht mehr hier wäre, genauso wie ich ihn.
„Ich bin gleich bei euch, ok?", versprach ich dann, worauf er mich losließ und aus dem Zimmer verschwand.
Seufzend hievte ich mich in den Rollstuhl, schnappte mir Malcolms Geschenk, das bereits eingepackt auf dem Schreibtisch lag, um dann auf direktem Weg in den offenen Wohnbereich zu fahren, wo bereits meine Eltern, sowie Malcolm am Frühstückstisch saßen. Es gehörte zu unserer Tradition, dass alle zusammen frühstückten, wenn ein Familienmitglied Geburtstag hatte.
„Na, gut geschlafen, Jess?", begrüßte mich mein Vater, der wie immer versuchte, mich so normal wie nur möglich zu behandeln.
„Ja, nur etwas kurz", gab ich zur Antwort, überreichte meinem Bruder sein Präsent, und griff anschließend nach einem der frischen Brötchen.
„Gibt es keine Geburtstagstorte?", wunderte ich mich, meine braunen Augen fragend auf Malcolms Gesicht gerichtet, der gerade voller Freude auf das Marken T-Shirt blickte, welches ich für ihn ausgesucht hatte.
„Die Torte gibt es erst später, wenn Tante Greta und Onkel Pit kommen", erwiderte mein Bruder grinsend, und gab mir anschließend einen Kuss auf die Wange. „Danke, Jess, das T-Shirt sieht cool aus", meinte er.
„Oh nein", stöhnte ich, auf seine erste Aussage hin.
Greta war die Schwester meiner Mutter, die ich überhaupt nicht leiden konnte. Sie war immer dagegen gewesen, dass ich tanzte und beharrte darauf, dass man einen richtigen Beruf lernen müsste, anstatt seine Zeit mit brotlosen Künsten zu vertun.
Diese Frau hatte absolut keine Ahnung, was es bedeutete, mit Leidenschaft zu tanzen und sie wusste auch nicht, wie viel eine Prima Ballerina, die einen festen Vertrag in einem Ensemble am Theater hatte, wirklich verdiente. Ich tanzte, seit ich vier Jahre alt war, oder besser gesagt, ich hatte getanzt. Das war nun vorbei.
Sogleich fiel ich seelisch wieder in ein tiefes Loch, das meine Kräfte und meinen Lebensmut verschluckte. Der Wille, etwas Neues zu beginnen, mich umzuorientieren, und wieder am Leben teilzuhaben, war mir schon lange vergangen, eigentlich hatte ich diesen nie besessen. Mein Ehrgeiz beschränkte sich darauf, meiner Familie so wenig wie möglich zur Last zu fallen, deswegen lernte ich recht schnell, dass ich meine Gedanken und Gefühle verschweigen musste.
Niemand ahnte wirklich, was in mir vorging, nur mein Tagebuch. Selbst meine beste Freundin Anne wusste nicht, wie es in mir aussah. Keiner konnte nachempfinden, was es für mich hieß, nie wieder tanzen zu können.
Ich unterbrach meine eigenen Gedanken, um in die Runde zu fragen: „Habt ihr etwas dagegen, wenn ich mein Stück Torte nachher in meinem Zimmer esse?"
„Nein, habe ich nicht", kam es sofort von Malcolm, worauf meine Eltern ihn erstaunt anschauten.
„Es ist schließlich mein Geburtstag", erklärte er, „und wenn Jess lieber in Ruhe von meiner Torte kosten möchte, kann sie das auch tun."
„Ich wusste, dass ich mich auf dich verlassen kann", bemerke ich erleichtert.
Greta und ihr Mann, der sowieso nichts zu melden hatte, konnten mir gestohlen bleiben.
Nach dem Frühstück rollte ich wieder kurz in mein Zimmer zurück, um nach frischen Klamotten zu greifen, welche ich nach dem Duschen anziehen wollte. Das Duschen war wie immer ein wahnsinnig langer Akt, da ich zuerst aus dem Rollstuhl raus, und mich auf den Klappsitz aus Plastik, welcher im Duschbereich angebracht worden war, hieven musste. Meine Eltern hatten das komplette Badezimmer nach meinen Unfall renovieren lassen und in diesem Zuge bekamen wir eine offene Dusche, die mir so einiges erleichterte. Damit hatten sie allerdings einen großen Teil ihrer Ersparnisse geopfert, doch sie taten es gerne, für mich und weil das Bad auch schon ziemlich alt gewesen war.
Insgesamt benötigte ich fast eine Stunde zum Duschen, Anziehen und Haare trocknen, dann rollte ich wieder in mein Zimmer zurück. Gerade als ich mich fragte, was ich nun mit der restlichen Zeit des Tages anstellen sollte, fiel mir ein, dass ich vielleicht nochmal den Posteingang meines E-Mail Accounts anschauen sollte. Irgendwie wurde ich das Gefühl nicht los, dass ich doch eine Antwort erhalten hatte. Also startete ich den Laptop und wartete mit einer inneren Anspannung darauf, ob ich mit meinem Gefühl richtig lag. Meine Augen wurden groß und rund, als ich tatsächlich eine Mail im Postfach angezeigt bekam. Jetzt wurde es spannend!
Ein Mausklick und ich konnte den Absender sehen, was mich beinahe aus dem Rollstuhl nach hinten kippen ließ. Tim hatte mir tatsächlich geantwortet! Das Eigenartige an der Sache war jedoch, dass er die Mail um fünf Uhr morgens abgeschickt haben musste, eine Uhrzeit, zu der er für gewöhnlich noch schlief. Ich kümmerte mich jedoch nicht weiter darum, sondern begann zu lesen.
„Hallo Jess,
es tut mir leid, wenn ich dir jetzt auf diese E-Mail antworte, die eigentlich für einen gewissen Tim bestimmt war. Du scheinst dich bei der Adresse vertippt zu haben, was ja durchaus vorkommen kann.
Heilige Scheiße, wie war das denn passiert?! Ich schluckte kurz, entschied mich aber in dem Bruchteil von einer Sekunde, einfach weiterzulesen und später nachzuschauen, wie dieser Fehler zustande gekommen war.
Bitte nimm es mir nicht übel, wenn ich dir meine Meinung zu diesem Typen sage, denn was er sich geleistet hat, ist unter aller Sau.
Wer auch immer mir das schrieb, er oder sie hatte verdammt recht und es störte mich nicht im Geringsten, dass derjenige seine Meinung zu diesem Thema abgab, die sich wohl mit meiner deckte. Neugierig las ich nun weiter.
Er sollte sich in Grund und Boden schämen, für das, was er abgezogen hat, und es tut mir leid, dass dir so etwas widerfahren ist. Würdest du mir glauben, wenn ich dir sage, dass nicht alle Männer so sind wie er? Vermutlich eher nicht, aber das tut im Augenblick auch nichts zur Sache.
Ich hatte keine Ahnung, was ich von anderen Männern denken sollte, es war mir auch ziemlich wurscht, denn ich würde so oder so nie wieder einen Freund haben. Wer wollte schon ein verzweifeltes Mädchen, das in einem Rollstuhl saß? Immerhin drückte der Unbekannte (ich war mir fast sicher, dass es ein Mann war), sein Mitgefühl aus, was mich etwas erstaunte, da er mich überhaupt nicht kannte. Aber vielleicht gab es doch noch Menschen, die mitfühlend und sensibel waren. Die nächsten Zeilen bestätigten dann meine Annahme in einer Art und Weise, die mich irgendwie berührte.
Deine Worte in dieser E-Mail, die eigentlich gar nicht für mich bestimmt war, haben mich zum Nachdenken gebracht, und zum Teil auch sehr erschüttert. Es muss schlimm für dich sein, in einem Rollstuhl zu sitzen und zu wissen, dass du nicht mehr tanzen kannst. Ich weiß, es würde sich dumm anhören, wenn ich jetzt sagen würde, dass du die Hoffnung nicht aufgeben sollst, deswegen lasse ich es auch. Würdest du mir den Grund nennen, warum du an diesen Rollstuhl gefesselt bist? Du musst es nicht tun, es ist deine Entscheidung, ob du mir zurückschreiben willst oder nicht. Du sollst nur wissen, dass mich dein Schicksal sehr berührt hat.
Ich wünsche dir alles Glück der Welt, vielleicht hilft das ja, NJ"
Sein letzter Satz schlug in meine Gefühlswelt ein, wie eine Bombe. Er wünschte mir Glück. Wann hatte mir zum letzten Mal jemand so etwas gesagt? Das machte mich wirklich sprachlos! Mit klopfendem Herzen saß ich vor meinem Laptop und ließ nun meine Augen zu den letzten Zeilen wandern, welche ein wenig unterhalb angeführt waren.
„P.S: Ich wollte dich noch wissen lassen, dass ich 21 Jahre alt bin und männlich, es könnte wichtig für deine Entscheidung sein, ob du mir antworten möchtest."
Mein Grinsen wurde ziemlich breit, als ich das las, denn ich hatte Recht, er war männlich!
Fassungslos starrte ich erneut auf die Zeilen, die langsam vor meinen Augen verschwammen. Ich hatte diese E-Mail nicht an Tim geschickt, sondern an jemanden, der 21 Jahre alt, männlich war, und die Buchstaben NJ als Namen hinterlassen hatte. Wie konnte das nur passieren?
Als ich mir kurz die Augen rieb und die E-Mail Adresse genauer überprüfte, fiel mir auf, dass es einen einzigen Buchstaben gab, der diesen Unterschied ausmachte. Das J war dafür verantwortlich. Obwohl mir eigentlich gar nicht danach zumute war, musste ich plötzlich grinsen. Ich hatte gerade den Typen gefunden, der Tim damals seine E-Mail Adresse weggeschnappt hatte! Was für ein dummer, aber dennoch genialer Zufall!
Erneut las ich nun den Text dieses NJ. Neil Jordan, oder Noah Jenkins, wie immer er auch hieß, seine Sätze fanden direkten Zugang zu meinem Herz. Er hatte mich eiskalt erwischt, aber im positiven Sinne.
Nachdem ich den Text zum dritten Mal gelesen hatte, stand für mich fest, dass ich zurückschreiben wollte. Ich war mir nur noch nicht ganz sicher, wie persönlich diese Mail ausfallen würde. Immerhin kannten wir uns nicht und wer sagte mir, dass sein Alter von 21 Jahren wirklich stimmte? Vielleicht verbarg sich dahinter ein alter, perverser Sack, der scharf auf Nacktfotos von mir war. Aber da hatte er sich geschnitten, denn soweit würde ich es nicht kommen lassen.
„Jess!" Die Stimme meiner Mutter ertönte schon wieder durch die halbgeöffnete Tür.
Doch nicht jetzt verdammt! Ich musste mich zusammenreißen, um nicht entnervt zurückzubrüllen.
„Was ist denn?", fragte ich, in einer angemessenen Lautstärke.
„Ich fahre gleich nochmal zum Supermarkt und wollte dich fragen, ob du vielleicht mitkommen willst, oder ob ich dir etwas mitbringen soll."
„Erstens, nein und zweitens, ja, ich möchte gerne eine Packung Aero Mint Schokolade!", antwortete ich in der Hoffnung, jetzt meine Ruhe zu haben.
„Ist ok! Also bis später!"
Erleichtert atmete ich auf, als ich hörte, wie die Haustür ins Schloss fiel. Endlich war ich alleine, denn mein Vater, der sich heute einen Tag frei genommen hatte, war mit Malcolm in seinem Auto unterwegs. Schließlich sollte mein Bruder Fahrpraxis bekommen.
Ich versuchte mich ein wenig zu sammeln, bevor ich nun die Mail schreiben wollte. Gefühlte tausend Fragen lagen mir auf der Zunge. Woher kam NJ? Arbeitete er, oder studierte er? Hatte er eine Freundin? Aus welchem Grund interessierte es ihn so sehr, warum ich in diesem Rollstuhl saß?
Sein Satz „Deine Worte in dieser E-Mail, die eigentlich gar nicht für mich bestimmt war, haben mich zum Nachdenken gebracht, und zum Teil auch sehr erschüttert.", ließ mich wissen, dass es sich nicht um einen gefühlskalten Menschen handelte. Und die letzten Sätze „Du musst es nicht tun, es ist deine Entscheidung, ob du mir zurückschreiben willst oder nicht. Du sollst nur wissen, dass mich dein Schicksal sehr berührt hat. Ich wünsche dir alles Glück der Welt, vielleicht hilft das ja, NJ", waren ja sowas von süß, dass ich fast dahinschmolz.
Ein Fremder schenkte mir weitaus mehr Aufmerksamkeit, als Tim es jemals getan hatte. Es verblüffte mich, was er mit diesen Worten in mir auslöste. Da gab es einen Menschen, der Anteil an meinem Schicksal nahm. Seine Worte klangen ehrlich und aufrichtig, nicht falsch oder schleimig.
Mit einem kleinen Seufzen legten sich meine Finger nun auf die Tastatur, um einfach darauf loszuschreiben, was mir in den Sinn kam, und was ich ihn jenem Augenblick fühlte.
Bevor ich auf den Button zum Absenden der E-Mail klickte, las ich diese noch mehrere Male durch, um sie auf etwaige Fehler zu überprüfen. Ich ergänzte noch zwei Kommas, änderte jedoch an den Satzstellungen, sowie am Inhalt rein gar nichts mehr. Es sollte so bleiben, wie es war, denn der Text spiegelte meine Gefühle und Gedanken perfekt wieder.
Nachdem ich die E-Mail verschickt hatte, atmete ich zunächst tief durch. Ich hatte gerade den Kontakt mit einem Fremden aufgenommen, bzw. seine Kontaktaufnahme erwidert. Eigentlich konnte nichts Schlimmes passieren, denn selbst wenn er nicht das war, was er vorgab zu sein, würde er mir nicht schaden. Ich besaß jederzeit das Recht, nicht mehr zu antworten und seine E-Mail Adresse zu blockieren, falls er mich dann nicht in Ruhe lassen sollte.
Aber ich ging nicht davon aus, dass es so weitergehen, oder enden würde. Ich ging davon aus, dass es vielleicht der Beginn von etwas Neuem werden konnte. Etwas, das mich neugierig machte, aber auch etwas, vor dem man immer gewarnt wurde: Kontakte zu Leuten im Internet zu knüpfen, die man noch nie zuvor gesehen hatte. Da mein Leben aber schon verkorkst genug war, sah ich nicht ein, weshalb ich vor dieser Sache Abstand nehmen sollte. Viel schlimmer, als es mir im Moment erging, konnte es wirklich nicht mehr kommen. Vielleicht antwortete er auch gar nicht mehr, weil es ihm zu viel wurde, sich mit einer psychisch angeknacksten, zwanzigjährigen Ex-Ballerina auseinander zu setzen. Das würde jedoch die Zukunft entscheiden.
Meine nächste Tat, bevor ich mich daran machte, etwas in mein Tagebuch zu schreiben, war, die fehlgeleitete E-Mail nochmals an den richtigen Empfänger zu senden, denn das wollte ich mir nicht nehmen lassen. Irgendwie hatte NJ mir das Gefühl gegeben, dass Tim verbal so richtig eins übergebraten werden müsste, was ich hiermit tat. Mein Tagesziel war somit erreicht, jetzt blieb nur noch das Warten auf eine Antwort übrig. Eine Antwort von NJ.
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