Kapitel 3
Der Schlamm des Weges schmatzte bei jeden Schritt den Lex und Liam durch ihn hindurch wagten. Ihre Füße waren von einer Schicht heller Bräune überzogen und seinen linken Schuh hatte Lex beim Durchqueren des finsteren Waldes bereits verloren. So spürte er nur den eiskalten regendruchtränktem Boden, wie er sich zwischen seinen Zehen hindurchzwang.
Links und rechts spucke großgewachsene Nadelhölzer ihre vom Wind gelösten Nadeln auf sie herab. Ein Sturm zieht auf.
„Entschuldige Liam! Wir hätten wohl doch noch eine weitere Nacht in dem verbrannten Überresten des Dorfes bleiben sollen", sagte Lex mit lauter Stimme, um die Geräuschkulisse des Winds zu übertönen. Umbarmherzig zog er durch die dünne Schicht an Kleidung und legte seine fröstelnden Finger immer fester um Lex' Brust.
Liam blieb stumm.
Die dicke Akkumulation von schwarzen Gewitterwolken, die unaufhörlich die beiden verfolgte, kündigte bereits in diesem Moment heftige Blitze und Donnerschläge an. Noch waren sie weit weg. Noch hatte Lex Zeit einen Unterschlupf zu finden. Noch hatte Lex die Möglichkeit den Spuren der Menschen aus dem Dorf zu verfolgen, bevor der Regen sie auf immer verwischen würde.
Die tiefen frischen Furchen deuteten darauf hin, dass die Bewohner erst kürzlich diesen Weg bestritten haben mussten, die Fußabdrücke im Schlamm ließen Lex erkennen, dass es wohl unter einer ähnlichen Situation wie seiner geschehen sein musste.
Gerade bewunderte Lex, dass sie einen Wagen, der so weit in die Bodenschicht des Weges eindrang, durch die Oberflächenwurzeln der Fichten zerren konnten, doch schon bald fand er jenen hölzernen Karren verlassen, festgefahren und aufgegeben, zurückgelassen mitten auf dem Waldweg.
Als Lex ihn genauer untersuchte, fielen ihm rostige Metallketten auf, die in regelmäßigen Abständen an den Holzbrettern angebracht waren.
„Wie ich es mir dachte. Wir holen auf. Was auch immer auf diesem Wagen war, wird nun von den Menschen aus dem Dorf getragen. Es wird sie ausbremsen und wir sind schneller."
Wie ein Geist schwebte Fussel über den Boden. An seinen Pfoten war kaum ein klumpen Dreck zu erkennen. Dabei war er weiter gewachsen, so groß, dass die Bezeichnung Riesenwolfshund angemessen erschien. Er schüttelte sein Fell und wirbelte die darin steckenden grünen Nadeln durch die Gegend, immer geduldig wartend Lex oder Liams Befehle zu erhalten. An seiner Pfote schien ihm sichtliche eine Verletzung Probleme zu bereiten. Er wagte es kaum beim Auftreten sein Gewicht auf seine vorderen Klauen zu stellen. Lex hatte die Nadeln vom Angriff des Monsters zwar mühselig aus Fussels Körper gezogen, allerdings hinterließ der Kampf tiefe Spuren. In Sorge beobachte er die Pfote. Die Einstichstelle hatte sich rot entzündet und blaue Linien begannen den Fußrücken nach oben und unten zu kraxeln.
Sie gingen weiter, überquerten allerlei Hindernisse und Wurzeln, stiegen über große Steine und enge Passagen und liefen über Hügel hinweg, bis sich schließlich, die stehende Luft verdrängen ließ, die Vögel einen neuen Gesang zwitscherten, die Temperatur sich veränderte und der Geruch von Algen und Fisch durchsetzt war. Lex sah es als erster, als er sich über den Kamm des Berges mühte. Ein Blaues Land, Wellen die rauschend die Luft einschlossen und in ihrem fließen weiße gerade Linien netzförmig verbunden. Bisher hatte er nur in Erzählungen von einem solchen Ort gehört. Er starrte die wunderbare Natur an, bewunderte ihren Glanz und verglich sie mit der stinkenden Stadt, die an der Küste errichtet wurden war. Selbstverständlich war der Stadtkern gezeichnet vom Prunk der Gläubigen. Wie sauber ihre errichteten Gebäude strahlten im Gegensatz zum Ring herum. Die Armut der Arbeitenden und Ausgebeuteten funkelte dumpf bis zu ihm.
Damit etwas leuchten kann, muss etwas anderes finster sein, waren die Worte seiner Mutter damals, die sich Lex in die Erinnerung zurückrief und nie war es ihm deutlicher als er den Blick vom Berg auf die Stadt die wie eine Abartigkeit herausstach aus der Schönheit der Natur. Ihm überkam das Gefühl, dass er dieses Meer überqueren musste. Nur so könnte er für Liam Sicherheit garantieren. Nur so konnte er den Gläubigen entrinnen und nur so könnte er Liam helfen. Nur so könnt er das Lächeln, das er so liebte wiederbeschaffen. Es machte ihn traurig zu erkennen, dass Liam auch diese wunderbare Aussicht nicht zu interessieren schien. Er schaute nur ohne Emotionen in die Ferne, wie eine Puppe, geführt an festen Seilen an deren Ende der Schrecken lauerte, ihn fest im Griff hatte und gehorsam machte.
Der Abstieg war schneller als Lex dachte, die Stadt wurde immer größer und größer und bald schon hatte er gepflasterten Boden unter seinen Füßen. Ein dreckiger Mensch mehr oder weniger würde niemandens Interesse wecken. Außerdem würde der Aufenthalt nur kurz sein. Bis sie eine Möglichkeit fanden würden das große Blau zu überqueren.
Lex' Taschen waren leer und voller Löcher. Geld besaß er nie. Eine Überfahrt zu bezahlen war voller Unmöglichkeit, auf einen Schiff zu arbeiten zu gefährlich, denn die Gläubigen würden einen Anhaltspunkt auf ihren Verbleib herausfinden. Er brauchte eine andere Möglichkeit.
Der Hafen war unruhig. Überall rannten Menschen umher und schleppten schwere Säcke, Kisten und andere Dinge durch die Gegend. Die großen Dreimaster, die an den hölzernen Stegen mit dicken Tauen verknotet wurden waren, warteten geduldig von den festen Holzkränen beladen zu werden. Der Duft des toten Fisches war allgegenwärtig und lockte unzählige Möwen herbei. Fischer zogen aus ihren Netzen gefangene Krabben, Makrelen und Barsche, die sie mit lautem Geschrei versuchten frisch und teuer zu verkaufen.
Lex vernahm Gespräche in verschiedenen Sprachen und Stadien des Alkohols. Menschen die sich unterhielten, wie ihre Waren gestapelt werden würden, wie die besten Wege durch die tiefen gefährlichen Gewässer seien und wie die Kolz auf einem Schiff neulich ausgebrochen sei und dieses nun ein Geisterschiff wäre, dass wohl im Meer Herrenlos herumschwamm. Er hörte auch, dass am morgigen Tag keine Seekontrollen stattfinden sollten und dass einige nochmal vor dem Abfahren das Bordell besuchen müssten.
„Lauft weiter und bleibt nicht stehen!", schrie ein Mann in strenger Stimme. Er trieb Menschen gefesselt in Eisenketten auf einen Kutter. Verleibte – Menschen die sich verkauften, um ihren elenden Dasein ein Ende zu setzen und in die Dienste eines Wohlhabenden den Gläubigen wohlgesonnen Herren beizutreten. Sie opferten ihre Zunge, damit sie ihre Entscheidung niemals widerrufen würden. Die Arbeiten waren schwer – je nachdem was der Besitzer erwünschte, doch auf der anderen Seite hatten sie etwas zum Essen, zum Trinken, einen Ort zum Schlafen und sie mussten keine Angst haben, nachts von anderen überfallen zu werden.
Lex hatte Liam einst versprochen niemals in diesen Dienst einzutreten, doch es war seine beste Möglichkeit, das Meer zu überqueren, die er nach langem Überlegen gefunden hatte.
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