Kapitel 33
Da stand er nun am vereinbarten Treffpunkt, frisch gewaschen; und den Dreck aus seinen Haaren mit einem alten Holzkamm befreit, dem schon die ein oder andere Zacke fehlte. Selbst den hartnäckigen Schmutz unter seinen Fingernägeln hatte er sich mit einer Bürste entfernt. Sorgenvoll blickte er dem Stand der Sonne entgegen. Liam sollte schon längst hier sein. Doch von dem Jungen war weit und breit keine Spur zu sehen.
Jedoch war Lex nicht untätig. Er nutzte die zusätzlich gewonnene Zeit, um Fussel abzurichten. Neben den Dingen, wie sich auf Befehl und Handzeichen hinzulegen, hinzusetzen und zu knurren, konnte er problemlos Stöckchen oder andere Dinge holen. Lex war nicht nur von seiner Lerngeschwindigkeit überrascht, sondern auch von der Perfektion, die Fussel zu Stande brachte. Der Hund konnte sogar beim Apportieren zwischen den verschiedenen Gegenständen, die er bringen sollte, unterscheiden. Mit Freude gab er dem Kleinen ein Stück Fleisch, das sofort freudig bellend verschlungen wurde. Stolz streichelte Lex das flauschige Fell, die Umgebung fast vergessend – Er bereute keine einzige Sekunde, Fussel damals mitgenommen zu haben und so schloss er den Welpen fest in seine Arme und drückte ihn.
„Ich dachte, ich bin der Einzige, den du umarmst."
Lex wandte sich von Fussel ab.
„Da bist du ja endlich. Du wolltest schon viel früher hier sein. Weißt du, wie viele Sorgen ich mir gemacht habe, als du ..."
Liam ließ ihn nicht ausreden und steckte ihm eine Weintraube in den Mund. Der perplexe Gesichtsausdruck von Lex, als sich die Süße in seinem Mund verbreitete, brachte Liam zum Lachen.
„Lex, ich bin zu spät, das tut mir leid. Aber ich habe auf den Weg bereits den Ort aufgesucht, den Juni uns gebeten hatte zu überprüfen", sagte Liam. „Außerdem musste ich vorsichtig sein. Ich wollte wissen, ob mir jemand folgt. Und ich habe etwas besorgt. Also insgesamt haben wir jetzt mehr Zeit füreinander." Den letzten Teil sagte er mit einem schelmischen Grinsen.
„Was hast du denn besorgt?", entfuhr es Lex überrumpelt von den Informationen.
„Das ist ein Geheimnis. Das erfährst du nur, wenn wir gleich auf den Markt gehen und uns die fahrenden Händler anschauen!"
Lex verschränkte die Arme, spielte Liam vor, dass er ein wenig beleidigt sei. Doch schließlich übermannte ihn die Fröhlichkeit, die sich in Lex' Körper ausbreitete. Er konnte nicht anders, als den tiefen Wunsch zu hegen, Liam um den Hals zu fallen, ihn zu küssen. Allerdings war ihm ebenso bewusst, dass hier auf der Straße in der Öffentlichkeit weder ein guter Ort, noch ein guter Zeitpunkt dafür wäre. So standen beide nur da und lächelten einander an. Eine Welt, in der er sein durfte, wie er wollte, ohne von der Gesellschaft beäugt, gerichtet und verurteilt zu werden, war sein größter Wunsch. Andere würden es Existenz nennen oder Würde, aber für ihn waren diese so weit entfernt wie der Mond oder die Sterne am Nachthimmel.
„Es ist genauso, wie Juni es vorhergesagt hatte. An der Stelle befand sich eine Leiche. Genauso widerlich eingehüllt in süßem Duft und zerrissen wie alle anderen, die wir gefunden hatten. Die Häuserwände waren zerkratzt. Der Boden auch. Ich kann mir auch nicht vorstellen, was eine solche Zerstörung anrichten kann."
„Juni ist unglaublich. Er hat nur anhand der Morde ein Muster erkannt, an dem das Biest zuschlägt", sagte Lex erstaunt.
„Nicht nur das. Er hat ebenso anhand der Fußspuren, die er gefunden hat, die Größe und mit der Tiefe in den Boden das Gewicht bestimmt. Womit er die perfekte Dosis des Schlafmittels errechnet hat", ergänzte Liam.
„Dennoch hättest du dort niemals alleine hingehen sollen! Was ist, wenn dir was passiert wäre? Was, wenn das Vieh noch dagewesen wäre?"
„Mir ist nichts passiert, Lex. Ich kann auf mich aufpassen. Außerdem habe ich dir bereits gesagt, dass ich schauen wollte, ob mich jemand verfolgt hat. Obwohl mir Oborous zugestanden hatte, dass ich gehen darf, wann ich möchte. Aber ich traue ihm nicht eine Sekunde über den Weg."
„Verdammt, Liam, hat er dir was getan?"
„Ja, er hat mir Schuhe anfertigen lassen", sagte Liam.
Lex schaute ihn verwundert an.
„Warum sollte er dir Schuhe anfertigen lassen?"
„Kann ich mir auch nicht erklären. Aber sie passen richtig gut."
Jetzt, wo Liam es erwähnte, ließ er seinen Blick auf die Füße fallen. Anstelle der löchrigen, zersprungen, viel zu großen Dinger, die Liam sonst trug, schienend nun schwarze, herrliche, aus Leder gefertigten Schuhe. Die Sohle war weit weg davon, abgetreten zu sein und von einer Dicke, dass man die spitzen Steine des Untergrundes unmöglich durchdrücken fühlte. Ohne Frage würde dieses neue Paar ein Vermögen gekostet haben. Wahrscheinlich so viel, dass Lex nur im Traum daran denken konnte, ein ähnliches Schuhwerk zu besitzen.
„Sie sehen verdammt gut aus. Pass auf, dass Fussel sie nicht zerfleddert oder Menschen auf dumme Gedanken kommen", entgegnete Lex.
Er freute sich für Liam, dass dieser endlich mal ein Kleidungsstück in seinem Besitz wusste, dass ihm wirklich passte. Verglichen mit den anderen Sachen, die er sonst tagein-tagaus trug.
„Ich kann dir zwar nicht erklären, weshalb man mir Schuhe kauft; oder mir Speisen voller Früchten und Fleisch bereitstellt. Allerdings vermute ich, es hat was mit dieser Blauen Rose zu tun, Lex", sagte Liam schließlich.
„Was meinst du?"
„Pass auf! Als ich in diese Kutsche gestiegen bin, hatte ich ein ungutes Gefühl und die Neugierde ließ mich erkennen, dass auf dem Boden des Innenraumes die Reste von blauen Blütenblättern und Stielen herumlagen. Sie haben es zwar versucht zu beseitigen, allerdings gelang es ihnen nur bedingt, die Spuren auf dem rauen roten Samtboden zu verwischen."
In Lex' Gesicht standen Schock und Angst geschrieben, als ihm bewusst wurde, dass die Geschichten, die er zuvor noch dem seltsamen Hirngespinsten eines Verrückten zugeschrieben hatte, tatsächlich stimmten.
Die Gläubigen schienen wirklich Gefallen an einer Pflanze gefunden zu haben – einer ganz bestimmten blauen Blume, die es schaffte Menschen gefügig und gar abhängig zu machen. Sie hatten es erlebt und als er über die blauen Flecken an seinem Rücken strich, fiel ihm ein, wie gefährlich berauschend ihre blauen Blätter beim Rauchen wirkten. Und nicht nur das. Offenbar schienen die Gläubigen momentan experimentell zu testen, wie man aus dieser Pflanze einen möglichst hohen kommerziellen Gewinn schöpfen konnte.
„Oburous verteilte die Blaue Pflanze an die Menschen im Elendsviertel, deswegen waren sie dort. Deswegen will er sich bei mir wissen, weil ich weiß, was diese Pflanze macht", versuchte Liam Lex zu überzeugen. Obwohl sich diese Geschichte sehr stimmig für Lex anhörte, überwandte er das Gefühl nicht, dass hinter dieser Nähe noch etwas anderes stecken musste.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top