Kapitel 1

Das ruhige Wasser des kleinen Flusses plätscherte leise, als Lex die Wäsche mit dem alten ausgebleichten Waschbrett wieder und wieder schrubbte. Die schmierige Seife an seinen Fingern ließ das kalte Wasser in Perlen ablaufen. Er beobachtete, wie die schaumigen Blasen seiner Wäsche von der Strömung flussabwärts getrieben wurden.

„Schau mal Lex! Ich habe etwas gefangen!", rief Liam aufgeregt, als er an seiner Fischerschnur zog.

Er leistete Lex Gesellschaft und saß direkt neben ihm angelehnt an einer mächtigen schattenspendende Eiche, deren Krone fast über die ganze Breite des Flusses reichte. Um sie herum war hohes Schilf, welches die Jungs nahezu verschwinden ließ. Seine Angel war selbstgebaut. Ein einfacherer Ahornstock, an den er eine dünne kaum sichtbare Schnur gebunden hatte. Am Ende machte er eine kleine Schlaufe, in die er einen Wurm gebunden hatte, den er mit seinen Fingern zuvor aus der staubigen Erde gebuddelt hatte. Liam hatte den ganzen Vormittag verbracht, die Würmer zu fangen und sie in seinen Eimer zu packen. Allerdings waren viele aus dem breiten Loch am Boden bereits entkommen.

Lex schwenkte seinen Blick zu Liam rüber und schmunzelte, als er beobachtete, wie Liam mit seinem ganzen Körpereinsatz seine Angel ohne Köder wieder herauszog.

„Einen schönen Fang hast du da!", lachte er.

Liam schaute ungläubig auf die Schlaufe, als wolle er nicht wahrhaben, dass sie wirklich leer war. Dabei war er sich sicher, einen Wurm dran gebunden zu haben.

„Dieser scheiß Fisch!", rief er, sprang auf und drückte seinen Kopf nah an die Oberfläche des Flusses. Seine mittellangen hellblonden Haare wurden an den Spitzen, die im Wasser hingen, sofort dunkler und sogen sich voll. Als er seinen Kopf nach oben warf, schleuderten seine Haare viele kleine Wassertropfen durch die heiße Sommerluft.

„Ich fange dich! Hörst du! Du scheiß Fisch, ich fange dich!", rief er und Lex begann lauthals über Liam zu lachen. Teilweise, weil er von den nassen Tropfen getroffen wurde und weil Lex auf den löchrigen verrosteten Eiseneimer schielte. Er zählte grob die Anzahl an noch nicht geflüchteten Würmern.

„Naja, sieben Versuche hast du noch! Oh jetzt nur noch sechs, ich glaube der Wurm da krabbelt gerade weg!"

„Was! Du bleibst hier", rief Liam und packte den flüchtigen Wurm zurück in der Eimer.

„So wie das aussieht, ernährst du dich heute Abend von Würmern!", stänkerte Lex, als er sich erneut mit einem Lachen auf dem Gesicht seinem Waschbrett zuwandte und weiter weißen Schaum aus der Kleidung putzte.

„Hör auf! Ich habe Hunger und nochmal möchte ich diese Dinger nicht essen", sagte Liam.

„Du hast Glück, dass du überhaupt was hast", sagte Lex. Er wusste, das Nahrung sehr selten war und sich von Würmern, Insekten oder Ähnlichem zu ernähren, war eigentlich vollkommen normal. Allerdings wusste er auch, dass Liam den schleimigen Geschmack von dicken Maden nicht so gerne hatte. „Schau! Letztens hattest du doch ein Festmahl", ergänzte er also, um seinem Freund etwas Hoffnung zu schenken und nicht alles schwarzmalerisch zu sehen.

„Du meinst das Rattenfleisch, das ich neulich zum Mittag hatte?"

„Ja genau das. Ich hatte ewig kein Fleisch mehr."

„Och, komm schon. Hört auf. An der Ratte war nicht so viel dran und außerdem bin ich ein grandioser Rattenfänger und Zubereiter."

„Du hattest einfach Glück, dass die Ratte selbst halbverhungert war und deshalb nicht weglaufen konnte."

Beide schauten sich schief an dann lachten sie. Zwar waren ihre Geschichten nicht ausgedacht, doch sie waren so traurig, dass sie versuchten das Beste aus ihrer Situation zu machen, indem sie darüber lachten.

Die Sonne blendete etwas, als sie durch die dunkelgrünen Blätter der Eiche über ihnen hindurch schien, nicht weit neben ihnen im Gras zirpten Grashüpfer. Einige Schmetterlinge flogen durch die Luft oder saßen zwischen dem Schilf in den bunten Pflanzen. Eigentlich war die Welt ganz anmutig.

„Schau! Die Alte Hengma ist auch am Waschen!", sagte Liam, als er sich aufrichtete und zeigte flussabwärts auf eine etwas in die Tage gekommene Frau. Der Stress des Alltages entfachte hunderte Falten in ihrem Gesicht und ihre Haare waren schon mit ihrem zwanzigsten Lebensjahr kitzegrau geworden. Anders als Lex hatte sie aber nicht nur einen Korb mit Wäsche, sondern drei, die bis obenhin gefüllt waren. Der Platz, an dem sie sich setzte, war, der an welchem sie immer saß.

„Ich finde, sie sieht aus wie eine Hexe!", sagte Liam.

„Sie ist keine Hexe, das weißt du!", entgegnete Lex ernst.

„Woher willst du das wissen? Schau sie dir an! Hast du schon mal jemanden gesehen, der so graues Haar hat und so viele Kinder?"

„Wir wissen beide, dass du erst mit siebzehn Kindern eine Hexe bist und sie hat dreizehn!"

„Aber dreizehn ist die Zahl der Hexen und nicht siebzehn!", sagte Liam. „Schau genau hin. Sie hat ein krummes Bein!"

„Hat sie nicht. Meine Mutter hat mir erzählt, dass die Wachen ihr das Bein gebrochen haben! Danach war es schief zusammen gewachsen. Außerdem weißt du, was die Gläubigen machen mit Menschen, die als Hexe bezeichnet werden. Wenn auch nur der geringste Verdacht besteht, verbrennen sie dich mit all deinen Verwandten. Also sei vorsichtig, wen du als Hexe bezeichnest", entgegnete Lex wütend. Er wollte nicht für ihren Tod verantwortlich sein, weil Liam erzählte die Frau sei eine Hexe. Nein, im Gegenteil, er mochte die alte Hengma sehr gerne. Sie war eine wirklich liebenswerte Frau.

„Spielverderber!", schmollte Liam und wandte sich wieder seiner Angel zu. Doch von den Fischen war keine Spur weit und breit zu sehen. Die Eiche spendete ihm wieder mit ihrer rauen Rinde Halt, um sich anzulehnen.

Auch Lex machte sich wieder daran, die Wäsche zu waschen. Es waren seine Sachen und die seiner Mutter. Insgesamt nicht mehr als ein halber Korb. Doch er wollte sie ordentlich waschen und so schrubbte er gründlich über die ausgegilbten und löchrigen Kleidungsstücke. Zu seinem Erstaunen war er schneller fertig, als er dachte.

„Soll ich deine Sachen gleich mitwaschen? Die Sonne braucht noch einen Moment, bis sie am Horizont verschwindet."

„Willst du das wirklich? Ich habe die Sachen noch nie so gewaschen wie du."

„Der Vorbesitzer hat sie bestimmt gewaschen."

„Kann sein, aber da, wo der jetzt ist, braucht er die Sachen nicht mehr."

Immer wenn Lex Liam ausgiebig betrachtete, fiel ihm auf, wie groß seine Sachen eigentlich waren. Die langen Ärmel waren knapp eine Handlänge zu lang für ihn und wenn er lief, rutschte seine Hose. Er hatte sich inzwischen überlegt die Hose mit einer Kordel zu befestigen, die er aus einer Angelschnur gebastelt hatte. Jetzt rutschte sie nicht mehr und die Länge seiner Ärmel machte er mit Hochkrempeln wett. Allerdings trat er sehr häufig auf die zu lange Hose, die an den Schuhen bereits begann Fransen zu ziehen. Insgesamt sah er in seinen zerfetzten Sachen komplett verloren aus. Doch Lex wusste, dass Liam keine andere Wahl hatte, als die alten Sachen derer zu klauen, die in den gammligen Straßen gestorben waren. Obendrein war dies vollkommen normal. Neue Sachen waren kaum bezahlbar und sollte man doch, aus welchen Gründen auch immer, an ein neues Bekleidungsstück gelangen, das vorher nicht getragen wurde, konnte man davon ausgehen, dass andere bereits Pläne schmiedeten, wie sie deinen toten Körper verschwinden lassen könnten.

„Musst du wissen, aber wenn du sie noch nie gewaschen hast... Vielleicht liegt es daran, dass kein Fisch anbeißt. Wenn alle wegschwimmen, weil sie dich riechen", neckte Lex.

„Das stimmt doch gar nicht, ich habe mich doch erst gewaschen", entgegnete Liam etwas schmollig auf den Kommentar von Lex. Um zu beweisen, dass er nicht stank, hob er seinen Arm und roch darunter. Ein Fehler, den er sogleich bereute. Und er begann zu husten.

„Bah! Wenn du wusstest, dass ich so schlimm rieche, warum hast du das nicht schon früher gesagt?", fragte Liam von sich selbst angewidert und begann seine Sachen auszuziehen. Er machte sich keine Gedanken, dass andere ihn sehen könnten, schließlich waren sie alleine am Rande des Flusses und es war üblich, dass sich das arme Volk im Fluss der Stadt wusch. Zusätzlich hatten sie ihre Waschstätte mitten im hohen Schilf.

„Hier!", sagte Laim und übergab Lex seine Hose und sein Oberteil.

„Gib mir alles und nicht nur die Hälfte!", sagte Lex etwas genervt. Was er nicht ausstehen konnte, war, wenn er eine Sache nur halb fertig machte. Es nervte ihn, später nochmal die Sache anzugehen, die er schon halb begonnen hatte. Nichts zu Ende zu bringen war allerdings Liams Stärke.

„Was, meine Unterhose auch?"

„Natürlich. Wovor hast du Angst, dass die alte Hengma dir beim Schwimmen zuschaut? Wir wissen beide, dass sie nicht mal einen Meter weit schauen kann."

„Stimmt, ich habe gehört: Neulich soll sie Nachts unterwegs gewesen sein, als sie gegen eine der Laternen lief und weil sie so schlecht sehen kann, hat sie sich bei der Laterne entschuldigt", spottete Liam. Schließlich zog er doch all seine Sachen aus und warf Lex die Unterhose zu.

Lex beobachte, wie Liam sich langsam dem Fluss näherte. Vorsichtig schob er seinen rechten Zeh in das Wasser. Zwar berührte er es kaum, doch er zog ihn sofort zurück. Weil er schon den ganzen Vormittag beschäftigt war die Wäsche zu waschen, wusste Lex, wie kalt das Wasser war. Er nahm seine Seife, brach ein Stück heraus und warf es Liam an den Kopf, der sogleich sein Gleichgewicht verlor. Wasser spitzte in alle Richtungen, als er in den Fluss fiel und auch Lex bekam eine Dusche des kalten Flusswassers ab. Von aller Luft beraubt, schoss Liam nach oben. Er saugte gierig nach Luft. Und rief: „Au! Was sollte das?"

„Wenn du dich schon wäscht, dann mach er richtig", sagte Lex unbeeindruckt und zeigte auf das Stückchen Seife, welches neben Liam schwamm.

Liam grinste bis über beide Ohren. Zwar war Seife nichts Besonderes, doch für ihn, der alles alleine machen musste und nichts geschenkt bekam, war selbst diese kleine Geste wertvoller als alles andere.

Lex bemerke es nicht, doch er konnte kaum seine Augen von Liam lassen. Er beobachtete, wie Liams blonde Haare nass von seinem glatten Gesicht hingen. Sein ganzer Körper glich eher der einer adligen Dame, die keine Unreinheiten auf der Haut hatte. Das war bizarr, obwohl Liam in den Gassen der Stadt lebte und nichts besaß, sah Liam in den Augen von Lex perfekt aus. Das feuchte Wasser preschte gegen Liams Körper und Lex genoss den Blick der sich ihm bot. Als er schließlich bemerkte, dass er nicht vorankam in dem, was er tat, lehnte er sich zurück und schaute in den Himmel.

Es dauerte nicht allzu lang und Liam kam klitschnass aus dem Fluss. Er stellte sich zwischen die Sonne und Lex und beugte sich über ihn. Das nasse Wasser in seinen Haaren tropfte auf Lex herab.

„Hey! Was tust du? Du machst mich nass! Hör auf!", beschwerte sich Lex.

„Du bist doch schon nass."

Tatsächlich hatte Liam recht. Lex waren die Ärmel in den Fluss gerutscht und hatten sich vollgesaugt mit dem kalten Wasser.

„Bist du schon fertig?", fragte Liam.

Beschämt schaute Lex auf Liams Sachen. Er war immer noch beim ersten Kleidungstück.

„Der Dreck sitzt sehr fest, das wird noch ein bisschen dauern", sagte er schließlich.

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