➰ 20. KAPITEL ➰
Die größte aller Schwächen ist,
zu fürchten,
schwach zu erscheinen.
(Jacques Bénigne Bossuet)
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Nach der Verhandlung und meinem Urteil, wird mir erlaubt, mich von meiner Schwester zu verabschieden. Ich weiß das ich sie höchstwahrscheinlich niemals mehr wiedersehen werde, denn wenn man erstmal in Infierno ist, bleibt man dort auch. Du kannst nicht für ein paar Monate oder Jahre dein Leben dort verbringen, dafür gibt es ja die normalen Gefängnisse. Außerdem gehen sie davon aus, dass du eh nicht lange überlebst. Wenn du einmal drin bist, dann bis zu deinen Lebensende.
Die zwei Polizisten, einer auf jeder Seite, halten mich am Oberarm fest und führen mich zum Haus. Nach der langen Fahrt im Streifenwagen wollte ich mich vorbereitet fühlen. Vorbereitet zu sein, meine kleine Schwester ein letztes Mal zu sehen und ihr zu sagen, dass alles gut wird. Aber vermutlich wird es das nicht.
Ich sehe, wie sie oben am Fenster steht und mir überglücklich zuwinkt. Poppy kann nicht wissen, dass es unsere letzte Begegnung sein wird.
„Sie haben eine Stunde", sagte der eine Polizist rechts von mir und löst die Handschellen, „Wir werden hier warten"
Für einen Moment hörte die Welt auf, sich zu drehen. Es ist still. Keiner rührt sich oder sagt etwas. Doch dann wacht scheinbar jeder auf, die meisten stürzen sich auf Louis, der wie eingefroren Harry anstarrt, welcher sich vor Schmerzen auf dem Boden hin und her wälzt.
Seine Hände umklammern das rechte Bein, aus dem das Blut fliest und die Blutlache um ihn herum vergrößert sich unglaublich schnell. Ich sollte ihm irgendwie helfen, etwas tun, aber stattdessen stehe ich einfach nur da.
Ylvie schreit irgendwas und sprintet zu Harry. Dieser bewegt sich immer weniger und seine Augen flattern verdächtig, er ist kurz davor das Bewusstsein zu verlieren. Louis liegt ebenfalls am Boden und die Schläge treffen ihn immer wieder, irgendwie will jeder einmal zu schlagen und die ganze Wut rauslassen. Für mich ist das ein grausamer Anblick.
Sie holen eine Trage und schaffen es Harry vorsichtig heraufzuheben. Dann geht alles viel schneller und er ist in Nullkommanichts hereingetragen. Ich bleibe noch ein bisschen stehen und muss erst alles realisieren, was gerade passiert ist. Auch Louis ist schwerverletzt, ihn haben sie allerdings allen Anschein nach in die nächstbeste Zelle geworden. Ein Gefängnis im Gefängnis eben.
Flüchtig reibe ich mir über die Augen und versuche ein wenig wacher zu werden. Langsam funktioniert mein Körper wieder, ich bewege mich Richtung Haus und beschleunige meine Schritte.
Durch die Flur hallen Harrys gedämpfte Schreie und die lauten Stimmen. Alle warten sie in dem großen Saal und diskutieren wild durcheinander. Joona, der beim Tragen von Harry mitgeholfen hat, kommt auf mich zu geschlendert und lächelt mich aufmunternd an. An seinen Händen klebt Blut und ich kann nicht anders als hinzuschauen.
„Alles gut bei dir?", fragt er nach und legt den Kopf schief.
„Nicht wirklich", antworte ich.
Wir beide sagen nichts mehr und lauschen nur Harry der immer weniger schreit, bis schließlich gar nichts mehr kommt. Es ist so ruhig jetzt im Saal, kaum einer redet. Louis hat diese Gruppe direkt in der Mitte getroffen, er ist der Anführer. Sie folgen ihn und sind ohne seine Anwesenheit nichts außer eine Gruppe von ziellosen Leuten. Ich merke, wie viele ungeduldig werden und auf gute Nachrichten hoffen.
Ylvie kommt nach einigen Stunden des Wartens in die Halle und alle Blicke richten sich auf sie. Ihr Gesicht sagt nichts, was Harry betrifft. Sie hat das perfekte Pokerface aufgesetzt, als sie mich mit zusammengeschobenen Augenbrauen zu sich winkt. Mit wackligen Beinen taumle ich zu Ylvie.
„Ebony du musst mir mal kurz helfen", spricht sie leise und legt einen Arm um meine Schulter. Sofort nicke ich.
„Harry geht es jetzt soweit gut, es ist ein sauberer Schuss durch den rechten Oberschenkel gewesen. Ich möchte ihnen jetzt erklären, wie es ihm geht, könntest du solange ein Auge auf ihn werfen, falls er aufwacht?", bittet Ylvie mich und ihre Augen glänzen verdächtig. Mir ist schon von Anfang an klar gewesen, dass sie Harry sehr mag und sie auf eine ganz bestimmte Art mit ihn verbunden ist.
„Ja gerne. Mach dir keine Sorgen", verspreche ich und sie drückt kurz dankend meine Schulter. Ich straffe meine Schultern, um wenigsten den Eindruck von Selbstvertrauen zu erwecken, obwohl mein Puls in schwindelerregende Höhen gestiegen ist und mein Herz schmerzhaft hämmert. Ich bin mir nicht sicher, ob Harry meine Anwesenheit in seiner jetzigen Lage angenehm findet. Wahrscheinlich nicht. Aber da müssen wir beide jetzt wohl oder übel durch.
Ich bin mir sicher das er in seinen Zimmer ist, doch ich bin noch nie dort drin gewesen. Natürlich hatte ich mir genau gemerkt, wo es sich befindet, da ich des Öfteren Ylvie abends in diese Richtung gehen gesehen habe.
Sein Zimmer ist ziemlich abgelegen von den anderen und ich muss ein paar Treppen nach oben wandern. Durch ein paar Flure und vorbei an unbewohnbare Zimmer, seins hatten sie wohl neu hergerichtet. Harry ist allein hier in der Etage.
Seine Zimmertür ist angelehnt. Kaum hörbar öffne ich die Tür ein wenig und schlüpfe hinein. Es ist stickig in den Raum, der Vorhang zugezogen, nur einige Kerzen sind an.
Harry liegt in seinem Bett, leicht zugedeckt und seine Brust hebt und senkt sich regelmäßig. Vorsichtig nähere ich mich ihn und setze mich auf den Stuhl, der direkt neben dem Bett steht. Er sieht sehr erschöpft aus. Um sein Bein ist ein Verband gewickelt und eine Schüssel mit Wasser steht auf den Nachtschrank. Daneben liegt ein Stapel frischer Handtücher.
Ich nehme eins der Tücher, tauche es ins Wasser und wringe es dann aus. Sanft tupfe ich über seine Stirn und betrachte seine Gesichtszüge. Die braunen Locken kräuseln sich in verschwitzten Strähnen um das ovale Gesicht. Harry hat seine Lippen zu einen Strich zusammengepresst und eine steile Falte hat sich über seine Stirn gebildet. Ein Gesichtsausdruck, den ich noch nie bei ihm gesehen habe.
Ich traue mich mit meiner Hand über sein Gesicht zu streichen, über seine Wangenknochen, das markante Kinn und die Schläfe. Eigentlich sollte es mir nicht so wichtig sein ihn so nah zu sein, nichts bedeuten. Doch irgendwie fand ich es schön, dass er die Augen zu hatte und ich ihn bestaunen konnte, solange ich wollte. Leider wurde daraus nichts.
Unerwartet beginnen Harrys Augenlider zu flattern. Seine aufgesprungenen Lippen öffneten sich, formen Worte, ohne das Laute zu hören gewesen wären. Sein Kopf rollte von einer Seite zur anderen. Und dann öffnete er endlich die Augen. Ein milchiger Schleier liegt über seine Iris, und sein Blick zuckt von einer Ecke vom Raum zur anderen, als könnte er nicht recht zuordnen, wen oder was er da vor sich hatte. Er lässt ein seltsames Geräusch von sich, halb Seufzen, halb Stöhnen.
„Harry", flüstere ich leise, „Wie geht's dir?"
Er versucht immer wieder etwas zu sagen, aber es klingt eher wie ein verzweifeltes Röcheln. Seine grünen Augen sind nur einen Spalt geöffnet und trotzdem versucht er sie weiterhin offen zu halten, was offensichtlich sehr anstrengend für ihn ist.
„Wasser", krächzt er, „Ich brauche Wasser"
Fast ein wenig stolz, das er es endlich gesagt hat, schließt er selbstzufrieden die Augen. Ich schaue mich um und sehe ein Waschbecken in der einen Ecke des Raums. Zum Glück finde ich ein Glas auf den Tisch, das ich benutzen kann. Ich spüle es aus und fülle es mit neuen Wasser zum trinken, genau wie überall kommt eine Zeit lang nur dreckiges Wasser heraus. Die Wasserversorgung von Infierno lässt wirklich zu wünschen übrig.
Harry ist zu schwach das Glas selber anzuheben, deshalb hebe ich ihn am Nacken ein wenig hoch und halte ihn das Glas an die Lippen. Zaghaft trinkt er ein paar Schlucke und dann lasse ich ihn wieder ein behutsam ins Kissen sinken.
Ich beobachte ihn eine Weile, wie er mit geschlossenen Augen ruhig ein und ausatmet. Als ich mir schon sicher bin, dass er eingeschlafen ist, ertönt plötzlich seine heisere Stimme:
„Warum bist du hier?"
„Ylvie wollte das ich kurz hier bleibe", erkläre ich und lehne mich an der Stuhllehne an. Seltsamerweise beruhigt es mich zu sehen, dass Harry atmet. Mein Blick gleitet zu seinen Augen. Erschreckenderweise hat er sie geöffnet und das grün fesselt mich. Sprachlos wende ich mich nicht ab, sondern halte den Blick stand.
„Du kannst gehen. Ich werde schon nicht sterben", sagt er, aber es ist mehr ein kraftloses Hauchen.
Ich schüttle den Kopf und schenke ihn ein trotziges Lächeln „Ich glaube ich bleibe liebe noch"
Harry schließt wieder die Augen und murmelt:
„Wie du willst. Tu was du nicht lassen kannst!"
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Ein letztes Kapitel vor der L E S E N A C H T.
Bis jetzt habe ich leider nur ein Kapitel auf Lager, also wird es noch ein bisschen dauern. Aber ich lege jetzt ein Datum fest. Für euch, damit ihr vor schlafen könnt. Und für mich, damit ich einen kleinen Ansporn habe. "25.07.2016"
Vielleicht könntet ihr mich auch noch ein bisschen anspornen indem ihr fleißig kommentiert und votet <3
Also: Harry und Ebony haben sich jetzt ein wenig genähert. Ich freue mich schon so auf eine Kusszene *-* Aber das muss leider noch ein wenig warten. Aber die Lesenacht wird LEGEN ... warte es kommt gleich .... UNCORNGEIL! :D okay das passt jetzt doch nicht so gut zusammen.
- N
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