046 | Louis

Louis' P.o.V

"Bis Dienstag Lou, genieß das Wochenende!" Ich nickte nur noch und verabschiedete mich mit einem einfachen Lächeln. Zu mehr war ich einfach nicht in der Lage. Schon seit ein paar Stunden hatte ich mit Müdigkeit zu kämpfen und gegessen hatte ich heute auch noch nicht wirklich was.

Ich wollte nur noch nach Hause.

Nach Hause zu Harry.

Auf dem Weg zur Wohnung dachte ich an den morgigen Tag. Eigentlich wollte ich um die Mittagszeit los nach Doncaster, aber momentan machte es nicht den Anschein, als würde Harry mitfahren wollen. Natürlich konnte ich ihn auch nicht dazu zwingen.

Wenn er jedoch hierbleibt, dann würde ich auch nicht länger als einen Tag zu meiner Familie fahren.

Zurzeit was es gar keine gute Idee Harry allein zu lassen. Die beiden Therapiestunden der vergangenen Woche waren sehr anstrengend. Danach brauche er meist jemanden an dem er sich festkrallen konnte. Wortwörtlich. Wenn ich zu Haustür hineinkam wurde ich direkt angefallen.

Wir kuschelten dann erstmal eine halbe Stunde bis ich mit irgendetwas anderem anfing. Ich hatte das Gefühl, das Harry jeden Tag mehr zu dem wurde was er eigentlich war. Es war ungewohnt diese Veränderungen bei ihm zu sehen, aber das Treffen am Sonntag mit seiner Mutter hatte irgendetwas in ihm ausgelöst.

Als ich endlich in der Straße ankam, in der wir wohnten, musste ich lächeln als ich mein Auto sah. Darin waren die ganzen Dinge versteckt, die man für eine Katze brauchte. Harry traute sich eh nicht hinein, denn vom Fahren wurde ihm immer schlecht. Ob ich ihn vielleicht doch noch überzeugt bekomme morgen mitzufahren?

Schließlich würden wir am Montag sein Kätzchen abholen.

Oben in der Wohnung angekommen schloss ich die Tür auf. Es war nichts neues, dass Harry sie abschloss, wenn er alleine war. Er mochte es lieber, wenn er wusste das er zusätzlich geschützt war.

"Hazza, ich bin wieder zuhause!", rief ich durch die Wohnung, zog meine Schuhe aus und wartete vergebens auf eine Antwort. "Harry?" Hatte er sich wieder im Schlafzimmer eingesperrt? Besorgt klopfte ich an die Tür und öffnete sie anschließend, doch Harry war nicht hier.

Er war überhaupt nicht da.

Etwas panisch sah ich mich nochmal in jedem Raum um. Ich entdeckte seine Brille -auf die war er besonders stolz, da das Gestell ein Leopardenmuster hatte- auf der Kommode im Flur und seine Boots waren nicht an ihrem Platz.

Fuck.

Ich konnte ihn auch nicht anrufen, da er kein Handy besaß. Er konnte damit nichts anfangen und wollte es auch nicht lernen, da er keinen Sinn darin sah. Seiner Meinung nach wäre ich ja eh immer bei ihm.

Schnell zog ich mir meine Vans wieder an und joggte aus der Wohnung hinaus. Ich hatte nicht einmal ansatzweise eine Idee wo ich suchen sollte und in der Wohnung warten... Die Geduld fehlte mir einfach. Aber wo könnte er hin sein?

Ich verließ das Haus und stieß direkt mit jemandem zusammen, welcher die Arme fest um mich legte. "Lou? Du bist schon zurück?" Überrascht drückte ich mich gegen seine Brust und sah zu ihm hoch. "Hazza? Was machst du denn?" Ich schlang meine Arme wieder fest um seine Taille und zog ihn eng an mich.

"Ich war kurz an der frischen Luft... Ich habe Bauchweh", murmele er leise und vergrub sein Gesicht in meiner Halsbeuge.

"Oh... Warum denn das? Hast du wieder vergessen zu essen?" Er schüttelte seinen Kopf leicht, wobei seine Locken mich leicht kitzelten. "Die Butterbrote und die Schokolade habe ich gegessen." Ich löste mich langsam von ihm und nahm seine Hand. "Warum hast du denn dann Bauchweh?"

Auf dem Weg nach oben gestand er mir, dass er wegen morgen unglaublich nervös war. "Muss ich wirklich mit?" Im Flur kickte ich meine Schuhe beiseite und wartete darauf, dass auch Harry seine Klamotten ablegte. "Nein, du musst nicht mit. Ich dachte es wäre nur schön, wenn du mal hier rauskommen könntest."

Harry schien komplett in Gedanken versunken zu sein, weswegen ich ihn an seiner Hand mit ins Schlafzimmer zog. Dort zog ich mich direkt aus und schlüpfte in eine Jogginghose. Harry zog sich auch um und hatte anscheinend eine Antwort gefunden. "Ich habe aber Angst."

Mitleidig sah ich ihn an und legte meine Hände an seine Hüfte. Mit meinen Daumen strich ich über seine nackte Haut und platzierte federleichte Küsse auf deiner Brust. "Du braucht keine Angst haben", flüsterte ich und küsste wieder seine Brust. Für einen Moment legte ich meine Stirn an seinen Oberkörper und genoss Harrys Duft, welcher mich umhüllte.

Wie sehr ich ihn heute vermisst hatte...

"Aber deine Geschwister... Das sind so viele", wisperte er und wurde dennoch immer leiser. "Ach Hazza", schmunzelte ich und löste mich von ihm. "Die Kleinen können lernen gerade sprechen, Daisy und Phoebe sind noch im Kindergarten und Fizzy ist gerade in die 5. Klasse gekommen. Sie sind noch unheimlich jung. Vermutlich finden sie das alles in den ersten Stunden spannend und dann sind sie wieder etwas ruhiger. Mach dir deswegen keine Gedanken."

Vorsichtig legte ich meine Hand an seine Wange und strich mit meinem Daumen über seine Unterlippe. "Außerdem freuen sich Mark und Daniel schon darauf dich kennenzulernen. Bei ihnen brauchst du auch keine Angst haben. Sie mögen dich."

"Aber sie kennen mich nicht und wenn, dann mögen sie mich dann bestimmt nicht mehr." Oh Harry... "Wenn sie dich richtig kennengelernt haben mögen sie dich noch mehr. Da bin ich mir sicher. Es wird ein schönes Wochenende, versprochen."

Harry nickte nach einem Moment langsam. "Okay, dann komme ich mit." Glücklich lächelte ich ihn an, stellte mich auf Zehenspitzen und fing an ihn zu küssen. Harry erwiderte den Kuss direkt und legte seine Arme fester um mich.

Ich genoss es so in seinen Armen zu sein und wollte mich am liebsten nie wieder lösen. "Ach, das wird super", schwärmte ich dann nach einem Moment und lächelte vor mich hin. "Du bist immer so positiv", murrte er. "Ich muss es ja für uns beide sein", erwiderte ich und drückte Harry leicht von mir, aber auch nur um ihn breit anzugrinsen.

Harry legte seine Hände direkt an meine Wange und versuchte mich vom Grinsen abzuhalten.  "Ich liebe dich", lachte ich und nahm seine Hände von meinem Gesicht.  Harry löste sich langsam von mir und sah mich etwas schüchtern an. "Ich dich auch", erwiderte er ganz leise. 

"Hast du noch Schmerzen?" Sanft strich ich mit meinen Fingern über seine nackte Haut und sah ihn gespannt an. "Ein bisschen", murmelte er.

"Möchtest du eine Wärmflasche?" Er schüttelte jedoch seinen Kopf und zog sich seinen Pullover über. "Na dann lass uns mal in die Küche. Ich habe Hunger." Harry lächelte mich wieder an und auf den Weg in die Küche schnappte er sich eines der Bücher und seine Brille aus dem Flur.

Ich hatte sie gestern vom Optiker abgeholt. Ich war froh, dass ich das in Raten bezahlen konnte. Harrys Augen hatten sich durch das Gefängnis so verschlechtert... Naja, aber was sollte man auch erwarten, wenn man Tag für Tag fünf Jahre lang an eine noch nicht mal 2 Meter entfernte Wand starrte. Er brauchte dringend eine Brille und da er sich das Buch sonst ganz nah vor die Nase hielt, konnte ich auch nicht länger warten.

Während ich kochte, saß Harry gegen den Kühlschrank gelehnt auf dem Boden und las son Buch. Ob er doch irgendeinmal Lust hatte mit in die Buchhandlung zu kommen? Momentan antwortete er immer mit einem 'Ich will mich lieber überraschen lassen' auf die Frage, aber ich wusste das mehr dahinter steckte. Harry mochte einfach die Nähe von anderen Menschen nicht. Besonders, wenn sie für ihn komplett fremd waren.

Die Nudeln mit der Tomatensoße waren relativ schnell fertig, weswegen ich mich zu Harry kniete und meine Lippen an seine Schläfe legte. "Essen ist fertig", flüsterte ich und strich durch seine langen Locken. Wie froh ich war, dass er es so beibehielt und sie nicht abschneiden wollte.

"Einen Moment", bat er und schlug die nächste Seite auf. Verliebt betrachtete ich, wie er seine Zungenspitze zwischen den Lippen einklemmte und angestrengt die Zeilen eines Gedichtes las. Die Werke von Bukowski hatten es ihm tatsächlich sehr angetan.

Während des Essens konnte ich mich auch nicht davon abhalten ihn zu beobachten. Der Harry vor zwei Wochen und der Harry jetzt hatten nichts gemeinsam. Überhaupt nichts. Seine Ausstrahlung war eine ganz andere und es erfüllte mich mit einer Menge Stolz, dass er das auf seine Art und Weise relativ gut wegsteckte.

"Das war lecker", schmatze er und wollte direkt wieder nach seinem Buch greifen. "Warte!" Ich legte meine Hand auf seine und hielt ihn davon ab das Buch aufzuschlagen.

"Es gibt auch noch was worüber ich mit dir sprechen möchte."

Harry sah mich verwirrt an bis sich Angst in seinen Augen widerspiegelte. "Ü-Über was denn?", fragte er unsicher und blinzelte mehrmals. "Moment...", hielt ich ihn hin, holte die Autoschlüssel aus dem Flur und legte sie vor ihm auf das Buch.

"Auf der Rückbank ist eine Tasche. Holst du sie her?"

Unsicher nahm er den Schlüssel an sich und betrachtete ihn für einen Moment. "Ist es was Schlimmes? Du bleibst doch bei mir, oder?" Ich nickte schnell. "Natürlich Hazza", erwiderte ich und küsste seine Stirn. "Na los, geh mal die Tasche holen", forderte ich ihn auf.

Etwas unbeholfen stolperte er aus der Küche. Ich konnte mir ein Lächeln einfach nicht verkneifen. Wie er wohl reagieren würde, wenn er die Tasche mit den Näpfen, Spielzeug und ein paar Büchern über Katzen sah?

Als ich hörte wie Harry die Wohnungstür aufschloss ging ich in den Flur und konnte mich noch so gerade auf den Beinen halten. Harry weinte wie ein Schlosshund und schniefte mit ins Ohr, als er mich in seine Arme zog.

Lachend schlang ich meine Arme ebenfalls um ihn, erwiderte somit die feste Umarmung und küsste seine Schulter. Wir blieben eine ganze Weile so stehen, bis Harry sich halbwegs beruhigt hatte und mich verweint ansah. Mit dem Ärmel strich er sich über die Augen und unter der Nase entlang.

"Das ist so viel", schniefte er und hielt die Tasche hoch. "Sie braucht ja auch so viel", lächelte ich und strich über seine gerötete Wange.

"Wann bekomme ich denn mein K-Kätzchen?", fragte er neugierig und zog sich die Nase hoch. "Freunde von Mark haben momentan Babykatzen und am Montag holen wir sie bevor wir nach Hause fahren ab." Harry sah mich mit überrascht an. "S-Schon am Montag?" Seine Augen wurden immer größer und öffnete seinen Mund erstaunt.

Ich lachte und legte meine Finger unter sein Kinn, um seinen Mund wieder zu schließen. "Ja schon am Montag. Möchtest du die Tasche auspacken?" Ohne dass er irgendwas darauf erwiderte rannte er ins Wohnzimmer. Grinsend ging ich ihm hinterher und musste lachen als er den gesamten Inhalt auf dem Boden ausbreitete.

Er sortiere alles haargenau und strich überall mit seinen Fingern drüber. "Lou... Das kostet doch so viel...", murmelte er bedröppelt und sah mich traurig an. "Das ist so viel", wiederholte er leise. "Love? Die ganzen Sachen und auch das Kätzchen ist ein Geschenk. Es stammt aber nicht von mir", ergänzte ich noch und setzte mich zu ihm auf den Teppich. "Von wem denn dann?"

"Von Mark, Daniel und deiner Mama."

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1859 Wörter 21/03/2021

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