045 | Louis

Louis' P.o.V

Tatsächlich war die Stimmung nicht so angespannt wie ich es beführet hatte. Harry war dennoch während des Frühstücks immer näher zu mir gerutscht, bis er seine Hand auf meinen Oberschenkel legen konnte.

Anne war ein wunderbarer Mensch. Sie war eine so liebevolle Mutter und mir tat es unglaublich leid, dass durch so einem Mistkerl wie Tom Harris, alles auseinandergerissen wurde. Es brachte auch nichts darüber nachzudenken, wie es gewesen wäre, wenn es das Arschloch nicht gegeben hätte.

Vermutlich hätte ich Harry niemals kennengelernt, also hatte es am Ende auch etwas Gutes. Obwohl ich diesen Weg nicht bevorzugen würde jemanden kennenzulernen...

"Ach jetzt habe ich schon so viel von mir erzählt", lachte sie und nahm ihre Teetasse in die Hand. "Danke für das leckere Frühstück. Vielleicht könnten wir sowas ja öfter machen?"

Überraschenderweise antwortete Harry direkt und nickte wild. Er war zwar während des Frühstücks die meiste Zeit still, hörte jedoch aufmerksam zu und hing seiner Mutter gespannt an den Lippen. "Gerne", erwiderte ich und lächelte. "Jetzt haben wir ja alle Zeit der Welt dazu", schmunzelte ich und sah zu Harry, welcher meinen Blick erwiderte.

"Louis? Dürfte ich dich was fragen?" - "Natürlich", antwortete ich direkt und drehte mich wieder zu Anne. "Ich bin dir mehr als nur dankbar das du dich um meinen Sohn kümmerst. Wirklich. Ohne dich... Ich möchte nicht wissen was noch alles im Gefängnis passiert wäre, aber... Warum Harry? Oder warum überhaupt? Nach dem was du mir erzählt hast... Wie er auf dich los ist... Ich hätte mich das gar nicht getraut", gestand sie leise.

Harry drückte die Puppe, welche auf seinem Schoß lag, fester an sich und sah auf den Teller. Er hatte bisher nur eine Brötchenhälfte gegessen....

Tief atmete ich durch und sammelte meine Gedanken. "Niemand hat Harry angesehen. Also schon, aber nicht richtig. Weißt du was ich meine? Sie haben gesehen, wie er auf andere los ist, Gewalt angewendet hat oder einfach nur laut wurde. Doch niemand hat es hinterfragt. Keinen hat es interessiert, dass er sich hinter etwas versteckt hat, was er nicht ist." Kurz sah ich zu Harry, welcher seine Hand von meinem Oberschenkel nahm.

Anstatt ihn zurückziehen zu lassen, griff ich nach seiner Hand und sprach ihn direkt an. Er sollte sich nicht als Fremder am Tisch fühlen, welcher ausgegrenzt und ignoriert wird.

"Du hast dich in den ersten Tagen hinter einer Fassade von einem sehr aggressiven Menschen versteckt... Eine Woche später ist das gekippt und du hast so getan als wärst du der größte Arsch auf Erden. Auch da warst du noch sehr impulsiv und bist laut geworden, aber... Du hast mir nichts mehr getan und hast mich an dich herangelassen."

Ich sah kurz zu Anne und erzählte dann weiter. "Es hat auch einfach nicht zusammengepasst und manchmal, wenn ich kurz davor war die Zellentür zu schließen, da bist du eingefallen. Gebückte Haltung, langsame Schritte, als würdest du versuchen dich selbst vor etwas zu schützen, was nicht hier, sondern da ist", erklärte ich und tippte gegen seine Stirn.

"Ich war zwar bereits an meinem ersten Tag Harry zugeteilt, aber alle anderen Insassen waren nicht mal ansatzweise so wie er. Sie prahlten mit ihren Straftaten oder stellten es auf ihrer Haut zur Schau." Kurz zuckte Harry zusammen und sah mich gar nicht mehr an.

"Hazza, dein Tattoo ist anders... Es ist für dich dein Schild, Menschen die dir gezeigt haben was es bedeutet wenn man eine Sekunde stark ist und nicht nachgibt. Sie stärken dir den Rücken und du möchtest sie nicht vergessen", während ich sprach strich ich über seinen Rücken und sah ihn lächelnd an.

Es hatte lange gedauert bis ich es verstanden hatte. Wie aggressiv er wurde als ich ihn in den ersten Tagen darauf angesprochen hatte... Er wollte sie einfach nur so schützen, wie sie in schützten und ihm Sicherheit vermittelten.

Anne sah mich aufgeregt an, ließ es aber dabei und fragte nicht nach. "Naja und es gab einen Abend... Er war für längere Zeit auf der Krankenstation. Weißt du noch? Du hattest schlimme Albträume und hast um Hilfe gebeten", erzählte ich und strich Harry eine Locke hinters Ohr.

"Mir war da schon längst bewusst, dass etwas nicht stimmte und ich sollte recht behalten...", murmelte ich und wand mich wieder an Anne. "Danke, dass du nicht weggeschaut hast."

Ich lächelte und strich Harry über den Oberarm. "Ich konnte einfach nicht. Niemals hätte ich ihn da alleine gelassen. Niemals." Harry sah mich nicht an und schluchzte plötzlich. "H-Hazza? Hey", flüsterte ich, stand auf und legte meine Arme von hinten um ihn.

Anne stand ebenfalls auf und breitete ihre Arme aus. Ich löste mich von Harry und stupste ihn kurz an. Es dauerte nur wenige Sekunden, da lag er in den Armen seiner Mutter und weinte. Mir schien es aber, als wären es Tränen der Erleichterung. Seine Haltung wurde auch immer entspannter und ich hatte das Gefühl, dass er endlich losließ.

Lächelnd betrachtete ich die beiden und war froh, dass sie am Gericht aufgetaucht war. Wie hatte sie davon erfahren? Ich ließ den beiden ihre Zeit und setzte nochmal neuen Tee auf. Als beide sich wieder hingesetzt hatten, konnte ich meine Neugier jedoch nicht zurückhalten. "Anne? Wie bist du... Wie bist du auf Harry aufmerksam geworden?"

Sie fing an zu lächeln und sah zu ihrem Sohn. "Es war reiner Zufall. Der Bruder meines Mannes, Robin, ist mit dem Richter befreundet. Wir veranstalten einmal die Woche ein kleines Essen mit unseren Freuden und mein Schwager hat dann von einem ziemlich traurigen Fall erzählt. Eigentlich durfte er es nicht, aber er musste einfach mit jemanden darüber sprechen und als der Name von Harry gefallen ist..."

Anne fing dabei an zu weinen und schnell reichte ich ihr ein Taschentuch aus der Packung, welche neben mir lag. Es war schon die 2. innerhalb der anderthalb Stunden die Anne bereits hier war. "Danke", lächelte sie und tupfte sich damit unter den Augen entlang.

"Deine Schminke ist ein wenig unters Auge gerutscht", erwähnte ich, weswegen sie mich überrascht ansah. "Wie aufmerksam, ich gehe mal kurz ins Bad", murmelte sie und huschte schnell in das nebenliegende Badezimmer.

Direkt drehte ich mich zu Harry und legte meine Hände an seine Wange. "Love? Ist alles in Ordnung oder wird dir das zu viel?" Harry zog sich die Nase hoch und wischte sich mit dem Ärmel durchs Gesicht. "Ich bin müde", flüsterte er und sah mich schüchtern an.

"Dann legst du dich gleich auf das Sofa und schläfst ein bisschen", erwiderte ich und strich durch seine weichen Locken, welche in einem wunderschönen Schokoladenbraun glänzten und nicht mehr so strohig aussahen. "Aber Mama ist doch noch hier..." - "Ach Hazza, sie war doch nicht das letzte Mal hier", flüsterte ich und gab ihm einen Kuss auf die Stirn.

Anstatt zu antworten nahm er seine Unterlippe zwischen die Zähne und zog seine Augenbrauen zusammen. Er überlegte eine Weile, bis er mich dann mit einem Funkeln in den Augen ansah. "Ich lege mich nachher hin, aber nur wenn du dich zu mir legst." - "Abgemacht", lächelte ich und küsste ihn kurz. Harry hatte jedoch andere Absichten und zog mich etwas näher an ihn heran sodass ich fast vom Küchenstuhl kippte. "Hazza", lachte ich leise gegen seine Lippen und stütze mich auf seinem Oberschenkel ab.

"Was machst du denn?", fragte ich und sah in seine grünen Augen. "Wir haben uns die ganze Zeit nicht geküsst... Warum nicht?" Erstaunt sah ich ihn an und lächelte dann. "Na deine Mutter ist auch hier, das gehört sich nicht", erwiderte ich leise und küsste seine Nasenspitze. Er gab nur einen unzufriedenen Ton von sich, weswegen ich grinsen musste.

Er fühlte sich langsam wohl.

Für einen Moment sah ich ihn an und wollte kurz aufstehen, doch Harry hinderte mich daran und zog mich auf seinen Schoß. "Hey", keuchte ich und sah ihn erschrocken an. "Harry?" - "Du sitzt immer so", murmelte er und griff nach der anderen Brötchenhälfte, welche schon seit einer Stunde unberührt auf deinem Teller lag und biss hinein. "Ja, wenn wir keine Gäste haben", wisperte ich, küsste seine Stirn und stand wieder auf.

"Ist sonst alles in Ordnung? Sag mir bitte wenn du es nicht mehr aushältst und das Gefühl hast dich zurückziehen zu müssen." Harry sah mich für einen Moment still an und nickte anschließend. Lächelnd beugte ich mich nochmal zu ihm und küsste seine weichen Lippen. "Ich liebe dich", flüsterte ich anschließend in sein Ohr und schmunzelte, als sich dabei seine Nackenhärchen aufstellten.

"Louis?", rief Anne dann und bat mich zu sich in den Flur. "Ja?", fragend sah ich aus der Küche hinaus zu ihr. "Ich weiß es gehört sich nicht die Bilder anderer so zu studieren, aber ist das Johannah?" Blinzelt sah ich sie an und nickte. "Ja, das ist meine Mutter." Woher...?

"Ach, wie klein die Welt doch ist", lachte sie und sah sich das Bild, auf dem meine Mutter mich als kleinen Jungen auf dem Schoß hatte, an. "Wie geht es ihr? Ich habe seit dem wir als Jugendliche in einem Ferien Camp waren nichts mehr von ihr gehört." Als sie zu mir sah, konnte ich ihren Blick nur traurig erwidern.

"Sie ist vor fast zwei Jahren bei der Geburt meiner jüngsten Geschwister gestorben." - "Das tut mir leid Louis... Schade, ich hätte sie gerne nochmal getroffen."

"Sie dich bestimmt auch", murmelte ich und schluckte. Langsam machte sich das Gefühl von Heimweh in mir breit. Wie gut das ich meine Familie nächste Woche sehen würde... Mit Harry musste ich da auch noch drüber sprechen...

"Ich glaube ich mache mich langsam auf den Weg", sprach sie an, als wir beide wieder in die Küche gingen. Harry hatte seine Arme verschränkt auf den Tisch gelegt und war am Schlummern. "Er ist sehr müde, oder?"

"Er hatte schlimme Bauchschmerzen bevor du hier warst. Harry ist auch immer sehr früh wach. Mit der Nervosität zusammen..." Ich holte schnell die rosane Decke und breitete sie über seinen Schultern aus.

"Harry ist so... anders", murmelte Anne und sah ihren Sohn für einen Moment still an. "Früher... Er war so ein offenes, liebes Kind und jetzt..."

Ich strich Harry durch die Locken und richtete die Decke ein wenig. "Ich weiß, du hast keinen Vergleich, aber ich hatte es schon vorhin erwähnt, er hat sich schon stark verändert. Er... Er versteckt sich nicht mehr, er zeigt Gefühle. Harry weint -das hast du ja selbst gesehen- , schreit manchmal oder lacht. Es ist noch viel zu selten, aber... das wird sich auch bald ändern."

"Wie?", fragte Anne und sah mich neugierig an. Ich holte lächelnd mein Handy hervor, schaltete es an und zeigte ihr ein Bild. "Sie hat noch keinen Namen, aber wir werden sie nächste Woche nach dem Besuch bei meiner Familie in Doncaster abholen."
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1778 Wörter 14/03/2021

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