042 | Louis
Louis' P.o.V.
Leise öffnete ich die Schlafzimmertür und blickte zu Harry, welcher seit seinem schrecklichen Zusammenbruch schlief. Das Ganze war jetzt schon über vier Stunden her und so wie es aussah, würde er noch eine ganze Weile schlafen.
Ich schlich ins Zimmer hinein, öffnete das Fenster und setzte mich zu Harry auf die Bettkante. Er drehte sich leicht und schmiegte sich mehr an das Kopfkissen. Das Haargummi hatte sich aus seinen Locken gelöst und nun lagen sie vollkommen wirr auf dem Kissen. Vorsichtig nahm ich es weg und band es mir ums Handgelenk.
Harrys Gesicht war immer noch von roten Stressflecken übersät und er schien auch nicht wirklich entspannt schlafen zu können. Vorsichtig zog ich die Decke höher und legte meine Lippen auf seine Stirn. Ich bemühte mich ihn dabei nicht zu wecken und blieb dann noch für einen Moment neben ihm sitzen.
Wie konnte man ihm so etwas schlimmes antun? Er war damals doch noch ein Kind... Ich schüttelte leicht meinen Kopf. Nein, es war egal wie alt er war. Sowas hatte niemand verdient.
Als ich mir sicher war, dass er nicht aufwachte stand ich wieder auf und verließ leise das Zimmer. Nach dem ich die Tür nach einem letzten Blick geschlossen hatte, widmete ich mich dem Geschirr vom Frühstück und wusch es ab.
Auch im Wohnzimmer sorgte ich für Ordnung. Schnell flitzte ich noch in den Keller und packte Harrys neue Klamotten in die Waschmaschine. Ich hatte mir nicht viel dabei gedacht, da Harry ziemlich tief und fest schlief, nur leider war es nicht mehr der Fall als ich zurückkehrte.
Ich stellte den Wäschekorb schnell beiseite und sprintete ins Schlafzimmer. Harry hatte immer noch die Augen geschlossen, allerdings war er vollkommen unruhig und schlug um sich herum. Ohne lange zu überlegen ging ich zu ihm hin und hielt seine Hände fest. Nicht, dass er sich noch verletzte...
Schlagartig öffnete er seine Augen und starrte mich an. Es lag so viel Verzweiflung und so viel Schmerz in ihnen, dass ich für einen Moment wegschauen musste. Das Gefühl in meinem Inneren wurde unerträglich. "Lou", wimmerte Harry und kniff seine Augen fest zusammen. "Ich bin hier, Hazza. Ich bin hier."
Vorsichtig strich ich ihm eine Locke aus seiner verschwitzten Stirn und legte meine Hand an seine Wange. Harry war ziemlich aufgeheizt, weswegen ich die Decke etwas beiseiteschob. "Louis", schniefte er und fing an zu weinen. Direkt setzte ich mich neben ihn und zog ihn mehr an meine Brust. "Ich passe auf dich auf. Hörst du?", flüsterte ich in sein Ohr und bekam als Antwort ein leichtes Nickten.
Ich war mir nicht sicher, ob er es wirklich verstand oder nur nickte, damit er wieder Ruhe hatte. Harry konnte ich in den letzten Stunden einfach nicht gut einschätzen. Ich kannte mich mit der ganzen Thematik nicht aus und hatte noch nie Kontakt zu jemanden, welcher so gebrochen war. Dennoch schreckte es mich nicht ab. Es brachte mich eher noch mehr dazu mich reinzuhängen und dafür zu sorgen, dass es ihm bald besser ging.
Ein letztes Mal strich ich durch seine Locken und atmete auf, als er seine Augen wieder schloss und langsam wegdämmerte. Wie viel Kraft ihn der Anfall heute gekostet haben muss... Als ich mir sicher war, dass er wieder tief und fest schlief, verließ ich das Schlafzimmer nach einem letzten Blick über meine Schulter und schloss die Tür wieder.
Ich würde mich gerne wieder zu ihm legen, doch ich hatte noch ein paar Dinge zu tun. Bevor ich jedoch anfing, vibrierte mein Handy. Beim Lesen der Nachricht schlug ich mir gegen die Stirn und seufzte. Das hatte ich ja total vergessen...
— Daniel —
Hey Großer,
wie sieht es aus? Ist Harry freigesprochen worden? Ich schätzte mal ja, sonst hättest du dich bereits gemeldet. Genießt die Zeit zusammen. Sehen wir dich trotzdem in zwei Wochen?
Grüß ihn von mir.
Daniel x.
13:09 pm
— You —
Hey, ja Harry ist draußen. Tut mir leid, dass ich mich nicht gemeldet habe. Momentan ist alles etwas schwierig. Harry hat einiges zu verarbeiten... Es geht uns den Umständen entsprechend. Mich nimmt das alles so mit... Natürlich werden wir uns in 2 Wochen sehen :)
13:10 pm
Ich legte mein Handy wieder weg und schrieb in der Küche eine Einkaufsliste. Ich musste warten bis Harry wieder wach war, damit ich ihm Bescheid sagen konnte, dass ich einkaufen gehen würde. Jetzt einfach zu gehen wäre unverantwortlich. Hoffentlich kam er die eine Stunde auch alleine zurecht. Nicht, dass er genau dann die nächste Panikattacke hatte oder wieder versuchte den Verband zu lösen...
Nachdem ich alles erledigt hatte, konnte ich mich nicht mehr ganz so gut von meinen Sorgen ablenken. Ich schaute noch einmal kurz bei Harry vorbei, doch er lag quer im Bett und ohne ihn zu wecken hätte ich mich nicht dazulegen können, weswegen ich mich mit einer frischen Tasse Tee auf das Sofa setzte und nach dem neuen Buch griff, was ich vor ein paar Tagen angefangen hatte.
Bevor ich es aufschlug kam mir Harrys Therapie in den Sinn. Er hatte nächste Woche einen Termin... Ob ihm das half...?
Automatisch musste ich wegen der Therapie auch an Liam denken. Direkt fing ich an zu grinsen, da mir gestern noch gesagt worden war, was für eine Strafe er erhalten würde. Obwohl es dem Richter nicht zustand über laufende Gerichtsverfahren zu sprechen, versicherte er mir, dass Liam nicht nur wegen Urkundenfälschung, sondern auch wegen mehrer anderer Straftaten ins Gefängnis wanderte.
Vielleicht merkte er dann auch selbst wie grausam sowas werden konnte. Nicht das ich ihm die Gewalt auch wünschte... Obwohl... meinetwegen konnte er ruhig in die eine oder andere Schlägerei geraten. Vielleicht waren die Wärter an dem Tag dann auch besonders langsam...
Ich richtete meinen Blick wieder auf das Buch in meinen Händen und seufzte leise. Komisch bald wieder in einer Buchhandlung zu arbeiten. Das war das komplette Gegenteil von dem, was ich bisher immer gemacht hatte. Als Jugendlicher war ich die meiste Zeit -neben dem Fußball- nur in Buchhandlungen und Bibliotheken, doch irgendwann nahm die Polizeischule so viel Zeit ein, dass ich für nichts anderes mehr Zeit hatte.
Als ich mit dem Lesen fertig war strich ich gedankenverloren über das Buchcover und merkte gar nicht, wie Harry aus dem Schlafzimmer kam. Erst als der Dielen knarzten und Harry wimmerte drehte ich mich herum. Als ich ihn so ansah, könnte ich glatt anfangen zu weinen.
Harry sah einfach noch viel schlimmer aus. Seine Augenringe waren unglaublich dunkel, seine schönen Locken das reinste Chaos und obwohl er so groß und breit gebaut war, war er gerade vollkommen in sich zusammengefallen.
"Ich bin hier", erwiderte ich schnell und ging zu ihm rüber. Sanft zog ich ihn in meine Arme und strich über seinen Rücken. Er krallte sich an meinem Shirt fest und fing an zu zittern. "Shhhh, es wird alles wieder gut." Ich wiederholte es immer wieder, bis Harry mich traurig ansah und kaum merklich mit seinem Kopf schüttelte.
Vorsichtig strich ich seine Locken aus dem Gesicht und fuhr mit meinen Fingerspitzen über seine Kieferpartie. "Doch Haz, es braucht vielleicht sehr viel Zeit, aber es wird besser."
Harry schüttelte wieder seinen Kopf und klammerte sich mehr an mich. Da ich nicht lange mit beinahe seinem gesamten Gewicht auf mir hier stehen konnte ließen wir uns auf den Boden fallen. Direkt zog ich ihn wieder in meine Arme und strich ihm durch die Locken. "Tief durchatmen", murmelte ich besorgt, als er anfing schneller zu atmen und unruhiger wurde. "Harry, rief durchatmen", wiederholte ich etwas lauter und hatte plötzlich seine gesamte Aufmerksamkeit.
"Tief Luftholen und ganz langsam ausatmen." Ich lächelte als er es machte. "Gut, sehr gut und direkt nochmal." Harry beruhigte sich mit der Zeit und langsam hatte ich das Gefühl, dass er wieder hier bei mir war und nicht in seiner Welt.
Womit ich allerdings absolut nicht gerechnet hatte war, dass er jetzt noch mehr über seinen Stiefvater reden wollte. "Er hat... Ich musste..." - "Hazza, du musst dich nicht jetzt dazu zwingen zu reden. Fühl dich bitte nicht von mir genötigt, okay?" Jedoch schüttelte er seinen Kopf und biss sich kurz auf die Lippe.
"I-Ich halte das nicht länger aus, ich... ich will das loswerden... Ich..." Schnell nickte ich, legte meine Hand an sein Kinn und drückte sein Gesicht zu mir. "Okay, ich höre dir zu", wisperte ich und würde ihn am liebsten küssen, um zu zeigen das ich für ihn da war, doch ich wusste nicht ob das jetzt so gut war.
Deshalb küsste ich nur seine Stirn und legte meinen Kopf an seinen.
Da Harry sich anscheinend noch sammelte fiel mein Blick auf den Verband, welchen er versucht hatte aufzumachen. Zum Glück ist es ihm nicht gelungen. Irgendwie musste ich mir deswegen etwas einfallen lassen. Er durfte unter keinen Umständen diesen Verband aufgrund von Selbstbestrafung öffnen. Niemals.
"Er-" Harry schluckte hörbar und drehte seinen Kopf weg. "Er hat mich angefasst. Ü-Überall, aber am s-schlimmsten... Mein R-Rücken", wimmerte er. Ich nahm seine Hand in meine und drückte sie leicht. Mir kamen die Tränen bei dem was er aushalten musste, wenn er mal nicht das machen wollte zu was sein Stiefvater ihn zwang. Bei den Gedanken wie lange Harry sich das schon mit sich herumschleppte wurde mir schlecht.
"G-Gemma hat er... hat er in Ruhe gelassen, aber nur w-weil..., weil ich... Ersatz. I-Ich habe mich a-angeboten. Sie sollte nicht-" Ich schluchzte und wischte mir die Tränen weg. "Es tut mir so leid Harry. So unglaublich leid."
Er hatte so viel auf sich genommen... Harry sprach nicht weiter, aber das musste er auch nicht. Ich konnte mir denken, was er noch alles mit ihm gemacht hatte. Dabei zog sich mein Magen zusammen und ich wurde unglaublich wütend auf diesen Mann. Doch er war unauffindbar. Er würde niemals Gerechtigkeit erfahren...
"L-Lou?" Harry schniefte und sah mich verloren an. "Komm her", flüsterte ich und breitete meine Arme aus. "Du bist so stark Hazza. So unglaublich stark." Vorsichtig küsste ich seinen Kopf und atmete auf, als er mich nicht wegdrängte, sondern sich noch näher an mich schmiegte. "H-Hilfe", schluchzte Harry und vergrub sein Gesicht in meinem Shirt.
Schnell nickte ich und bejahte es. "Du bist nicht allein. Ich helfe dir, Hazza. Ich helfe dir." Harry löste sich für einen kurzen Augenblick von mir und sah mich mit geröteten Augen leidend an. "Müde." - "Na komm, dann gehen wir zurück ins Bett."
Es dauerte noch einen Moment, doch dann gingen wir beide Hand in Hand ins Schlafzimmer zurück. Das Fenster schloss ich, bevor wir uns beide hinlegten. Ich hatte noch die Jogginghose ausgezogen. Harry wollte es ebenfalls, doch seine Hände zitterten zu stark. "Darf ich dir helfen?"
Harry sah mich etwas perplex an. Nickte dann jedoch leicht. Auch wenn mein Knie wieder schmerzte, vermutlich einfach wegen dem ganzen körperlichen Stress - hockte ich mich vor Harry und zog ihm die Hose und auch die Socken aus. Er reagierte kaum darauf, dass ich ihn auszog. "Geht es?"
Er brummte nur und ließ sich dann von mir ins Bett helfen. Ich legte mich neben ihn und keuchte, als Harry sich schon fast auf mich warf. Seine Locken kitzelten an meinem Kinn und mit seinem Gewicht auf mir war es etwas schwer zu atmen, doch das war mir gerade egal.
Hoffentlich konnte ich ihm helfen...
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28/02/2021
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