036 | Louis

Louis P.o.V.

"Es tut mir leid", wiederholte Harry seine Worte und ließ seine Hand auf meiner Wange liegen. Er strich mit seinen Daumen immer wieder die Tränen weg und nahm auch seine andere Hand dazu.

"Ich wollte es nicht, nur-" Ich sah ihn mit verschleiertem Blick an und zog meine Nase hoch. "K-Kannst du deine Hände wegnehmen?", fragte ich leise und fuhr mit meinem Ärmel über die Augen. Harry nahm Abstand und ließ seine Hände sinken. "Danke", murmelte ich und atmete auf.

Gestern hatte er nicht auf einziges meiner Worte gehört und jetzt machte er es direkt. Was soll mir das zeigen? Soll es mir verdeutlichen, dass das gestern ein Fehler war? Das es nie wieder vorkommt?

Zuhause war mein Kopf leer und ich dachte nicht über die Situation nach. Doch jetzt war mir durch Harrys Anwesenheit unglaublich schummrig und die Gedanken kreisten nur so in meinem Kopf.

Ich lehnte mich an die Wand hinter mir und sah zu Harry, welcher sich auf der Bettkante niederließ. Eine Weile sahen wir uns einfach nur an, bis ich die Spannung jedoch nicht mehr aushielt und den Blickkontakt abbrach.

Die Gefühle in mir waren das reinste Chaos. Ich wusste nicht was ich fühlen sollte, wie ich weiter machen konnte und was jetzt als nächstes passieren würde. Übermorgen war Harrys Verhandlung. Vor ein paar Tagen hätte ich noch gesagt, dass wir es feiern würden. Vielleicht hätten wir Essen bestellt und die Zeit zu zweit genossen. Ohne diese Mauern. Einfach vollkommen ungezwungen. Vielleicht hätten wir ein paar Küsse ausgetauscht, vielleicht wäre noch mehr draus geworden.

Doch jetzt konnte ich nicht mehr daran denken, ohne dass meine Hände anfingen zu zittern.

Ich schloss meine Augen, vernahm Schritte und erschrak, als Harry mir plötzlich wieder so nah war. "W-Was?", wimmerte ich leise und sah zu ihm hoch. Er legte seine Hand auf meine Schulter und zog mich an seine Brust. Seine Arme schlang er um meine Taille und legte seinen Kopf auf meinen. Fest biss ich mir auf die Lippe und schüttelte leicht meinen Kopf. "Nicht", krächzte ich, wieder den Tränen nahe.

Doch Harry schüttelte nur seinen Kopf. "Lass dich fallen, so wie ich es immer machen musste. Tag für Tag, obwohl ich Angst hatte." Unsicher löste ich mich von ihm und drückte mich etwas weg, nur um ihn besser ansehen zu können. "Wie bitte?", fragte ich unsicher nach. Das konnte doch jetzt nicht sein Ernst sein. Wie stellte er sich das vor?

"L-Lass dich fallen", wiederholte Harry zögerlich und küsste meine Stirn so wie ich es immer bei ihm gemacht hatte. "Ich kann nicht", flüsterte ich und legte meine Hand an seine Brust, um ihn noch weiter weg zu drücken. "Das geht nicht mehr... Nicht nach dem du... Du hast mich fast umgebracht", sagte ich aufgebracht. Ich ging schnell bei Seite und nahm noch ein paar Schritte Abstand.

"Ich hätte es niemals soweit kommen lassen", versicherte er mir, doch ich glaubte ihm nicht. Nicht ein einziges Wort was aus seinem Mund kam schenkte ich Vertrauen. "Hättest du nicht?", fragte ich und schlang meine Arme um mich selbst. mir war auf einmal unglaublich kalt. "D-Du warst doch vollkommen weggetreten, du hättest es nicht einmal gemerkt. Harry, du..." Ich schluckte und schüttelte meinen Kopf. Nochmal wollte ich es nicht aussprechen.

"Ich hätte es niemals getan. Niemals."

"Sicher? Du erzählst mir doch jetzt nur irgendwas, damit ich mich wieder beruhige. Damit es keine Probleme am Donnerstag gibt.", erwiderte ich aufgebracht und griff mir in die Haare. Das alles machte mich vollkommen irre.

Plötzlich erklang ein dumpfer Schlag. Mit aufgerissenen Augen blickte ich zu Harry, welcher seine Faust noch gegen die Wand stemmte. Mit seinen grünen Augen fixierte er mich. Nicht einen Millimeter bewegte ich mich. Angst durchströmte meine Adern. Zittrig holte ich Luft und hielt sie an.

"Weil du mir verdammt wichtig bist. Louis, ich könnte dir nicht einfach das Leben nehmen. Niemals. Du bist der einzige, denn ich bei mir haben will. Nur dich allein."

Ich schluckte und atmete aus. "D-Das hat sich aber überhaupt nicht so angefühlt. Warum musstest du mir auf diesem Weg zeigen, dass dir so etwas selbst angetan wurde? Erwartet mich das jetzt immer?", brachte ich noch so gerade raus bevor ich mein Gesicht in meinen Händen vergrub.

Für einen Moment blieb es still, doch als ich zu Harry sah, holte er tief Luft und ließ seine Hand sinken. Sie war gerötet und schien zu schmerzen. Denn sie war immer noch zur Faust geballt. Harry kam einen Schritt näher, was mich dazu brachte einen zurückzugehen.

"Wir hätten nicht gemeinsam duschen sollen. Deine Idee war nett, aber ich hätte es ablehnen müssen. Und wenn, dann hätte ich dich einfach nur küssen sollen. Dein Körper ist unglaublich und ich konnte mich einfach nicht zurückhalten." Er holte Luft und fuhr fort. "Wie ich dich gewürgt habe, das war noch nicht mal das schlimme ... Es waren deine Augen, die Tränen und wie du mich in dem Moment einfach angesehen hast. Ich weiß nicht was für ein Kurzschluss das war und das was ich danach getan habe... Es tut mir so unglaublich leid Lou. So sehr. Ich wünschte ich konnte rückgängig machen. Aber ich habe es und verzeihen werde ich es mir nie. Du hast dann auch noch gesagt, dass du so etwas magst... Sowas ist falsch. Und die Kontrolle abgegeben, dass-"

Ich sah Harry mit großen Augen an und schluckte. So viel hatte er in all der Zeit nicht gesagt. Nicht ein einziges Mal. Vollkommen überwältig öffnete ich meinen Mund, ohne dass ich überhaupt etwas sagen wollte. Denn ich wusste nicht was man darauf erwidern konnte.

Harry setzte sich wieder auf das Bett zurück und rutschte nach hinten an die Wand, um sich anzulehnen. Ich verfolgte jede seiner Bewegungen und war immer noch perplex. "W-Wie, Was..." Leicht schüttelte ich meinen Kopf und ging langsam auf und ab.

"Ich braue einen Moment." Harry erwiderte nichts darauf, er nickte lediglich und verschränkte die Arme vor seiner Brust. Meine Gedanken waren jetzt vollständig durcheinander. Meine Gefühle konnte ich nicht einordnen und die Angst steckte immer noch in meinen Knochen. Ich dachte über den gestrigen Tag nach, doch ich fing nur wieder an zu zittern und biss mir auf die Lippe.

Ich musste hier raus.

"Ich gehe", murmelte ich und nahm den Schlüsselbund von meinem Gürtel. Ich schloss die Zellentür auf und wollte sie gerade öffnen, als Harry hinter mir auftauchte und die Tür zuschlug.

"Nein!" Seine Stimme jagte mir einen Schauer über den Rücken. Ängstlich zuckte ich zusammen und drehte mich ganz langsam um. Zögerlich sah ich zu Harry hoch und presste mich mit dem Rücken näher an die Tür. "H-Harry", flüsterte ich verstört. Mein Mund wurde trocken und das Blut in meinen Adern gefror. Unfähig mich zu bewegen schloss ich meine Augen. Was würde er jetzt machen? Als ich seinen Atem auf meinen Lippen spürte versteifte ich mir nur noch mehr.

"Lass dich fallen."

Wimmernd schüttelte ich meinen Kopf und spürte wie Harry mir den Schlüsselbund aus der Hand nahm und weglegte. "Es tut mir so leid Louis, bitte glaub mir das. Bitte." Harry klang unglaublich verzweifelt. Zögerlich öffnete ich meine Augen. Mein Blick wanderte zu seinem Arm hinunter, welcher in einem dicken Verband eingewickelt war.

Harry folgte meinem Blick und versteckte seinen Arm hinter seinem Rücken. "Denk da nicht drüber nach." Langsam schüttelte ich meinen Kopf und versuchte normal zu atmen. "Du hast... Du hast dir selbst..." Harry nickte. "Das ist nicht das erste Mal, aber jetzt geht es nicht um mich." Harry Stimme war fest. Er klang so überzeugt und war irgendwie anders.

Spielte er mir etwas vor? War das der echte Harry? Gab es einen echten Harry?

Mein Kopf schmerzte und ich konnte und wollte auch nicht weiter darüber nachdenken. Mir wurde alles zu viel. Auf einmal überforderte mich alles. Ich konnte kaum noch stehen. Am liebsten würde ich mich einfach hinlegen und liegen bleiben. Das war zwar keine Lösung, dass wusste ich, aber momentan schien es sehr verlockend.

Einfach nur hinlegen und atmen. Nichts anderes machen.

Harry legte seine andere Hand an meine Wange und sah mich an. "Lass dich fallen."

Wie hypnotisiert tat ich das, nach dem er verlangte. Was sollte schon passieren. Schlimmer konnte es doch eh nicht mehr werden, oder? Jetzt war ich wenigstens bei Harry. Auf einer Ebene. Vielleicht war es auch die Verzweiflung, die mich dazu brachte. Harrys Lippen auf meinen betäubten meine chaotischen Gedanken. Zögerlich erwiderte ich den Kuss. Und konnte nicht verhindern, dass ich vor lauter Überforderung anfing zu weinen.

Warum war Harry stärker als ich, so gefasst und überzeugend?

Seine Zunge, welche über meine Unterlippe strich, holte mich aus meinen Gedanken zurück in die Realität. Langsam löste ich mich von dem innigen Kuss und sah Harry verweint an. "W-Was tust du", schniefte ich und zitterte leicht.

"Dir zeigen, dass du mir wirklich etwas bedeutest."

Konnte ich ihm glauben? Nach dem er mich gestern so verletzt hatte?

"Du bist so anders", schluchzte ich und schüttelte meinen Kopf. Ich konnte nichts von dem was hier gerade geschah verarbeiten. Nicht mal ansatzweise. Harry verhielt sich anders. Noch nie war er so. Eigentlich war er zurückhaltend, beobachtete die Situation und war vorsichtig. Doch jetzt?

Er küsste mich erneut und presste seine Lippen fest auf meine. Zuerst wollte ich nicht erwidern und versuchte ihn von mir zu stoßen, doch es ging nicht. Ein ganz kleiner Teil in meinem Inneren genoss es, dass Harry mich mit seinen Lippen liebkoste. Das er mir damit den Verstand raubte und mein Herz zum Höherschlagen brachte. Ich musste nun komplett wahnsinnig sein.

Warum vertraute ich ihm auf einmal wieder? Nur weil seine Lippen mit meinen verbunden waren?

Wie ein Ertrinkender krallte ich mich an seinen Schultern fest und ließ mich darauf ein. Meine Tränen stoppten und leise seufzte ich in den Kuss, als er eine Hand in meinen Nacken legte und mich näher an ihn zog. Eng umschlungen lehnten wir an die Tür und küssten uns immer weiter. Das Kribbeln kam zurück, breitete sich in meiner Brust aus und sorgte dafür, dass mir warm wurde.

Als Harry sich von mir löste ließ ich meine Augen geschlossen. Ich traute mich nicht ihn anzusehen. Nicht jetzt. Unsicher biss ich auf meine Lippe, welche von den ganzen Küssen leicht brannte.

Es dauerte einen Moment bis ich langsam meine Augen öffnete. Es lag aber an Harry, welcher seine Hand auf meiner Wange liegen hatte und mit seinem Daumen immer wieder auf und ab strich. "Lou?"

Ich blinzelte mehrmals und nickte benommen. "J-Ja?" Meine Stimme klang brüchig. Irgendwie hörte ich mich nicht nach mir selbst an. War das alles vielleicht einfach nur ein schlechter Traum? Womöglich wachte ich gleich in meinem Bett auf und wir hatten Montag morgen und nichts von all dem war passiert.

"Es tut mir leid." Harry blickte traurig auf mich herab und küsste meine Stirn. "Das tut es mir wirklich. Ich werde dich nicht nochmal so anfassen, versprochen." Erneut drückte er seine Lippen auf meine Stirn, bis er sich von mir löste und einen Schritt nach hinten ging. Tief atmete ich durch und strich mir durchs Gesicht. Meine Augen taten weh, mein Kopf war unglaublich schwer, meine Wangen brannten und trotzdem nickte ich.

Harry hielt mir seine Hand hin, welche ich nur zaghaft annahm. Mit Schwung, weswegen ich erschrocken quiekte, zog er mich in seine Arme und legte sie fest um meine Taille. Für einen Moment verweilten wir in der Position, doch von Sekunde zu Sekunde wurde es mir zu viel. "Ich möchte trotzdem noch raus, bitte."

Harry ließ locker und nahm seine Hände von meinen Seiten. "Kommst du später wieder?"

Fest biss ich mir auf die Lippe und verschränkte die Arme vor meiner Brust. Es dauerte bis ich eine passende Antwort parat hatte. Unsicher sah ich auf den Boden und stockte, bis ich mich dazu überwinden konnte es auszusprechen.

"I-Ich habe dir versprochen, d-dass ich dir helfen werde. Es sind weniger als 48 Stunden bis zur Verhandlung und ich habe gesagt, dass ich dann und auch danach bei dir sein werde." Harry sah mich überrascht an. "Ich habe gedacht, dass du mir nicht mehr helfen wirst."

"Mir kam kurz der Gedanke, a-aber... Aber was wäre ich für ein Mensch... Wenn... Wenn ich dich fallen lassen würde."

"Aber ich habe dich verletzt."

"Es ist nicht deine Schuld."

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2043 Wörter 08/12/2020



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