025 | Louis

Louis' P.o.V.

Mit aufgerissenen Augen schaute ich Harry an und es schien als würde er keinen Spaß machen. Seine Lippen waren zu einem geraden Strich zusammengepresst und der Blick in seinen Augen zeigte, dass er wirklich keinen Witz machte.

Ich öffnete meinen Mund, um etwas zu erwidern, doch ich schloss ihn direkt, da ich mit so etwas nicht gerechnet hatte und dementsprechend auch keine Antwort parat hatte.

Doch auf einmal fing Harry leise an zu lachen. "Ich würde dich nicht umbringen. Aber ich meine alles andere ernst. Lass mich nicht fallen, bitte."

Schnell nickte ich und nahm seine Hand in meine und drückte sie leicht. "Werde ich nicht. Das verspreche ich dir." Um das Versprechen zu besiegeln nahm ich seine Hand hoch, führte sie zu meinen Lippen und küsste seinen Handrücken. Als ich zu Harry hochschaute umspielte ein leichtes Lächeln seine Lippen. Auch ich musste lächeln und ließ seine Hand langsam los und griff nach der Tasche, die ich mitgebracht hatte.

"Ich war heute Morgen schon so frei und habe mit dem Anstaltsleiter geredet. Und..." Ich machte eine Pause und packte die Tasche aus und hielt sämtliche Werke von Charles Bukowski in der Hand. "Habe dir ein paar Sachen mitgebracht. Ich mag die Bücher ganz gerne, vielleicht findest du sie ja auch gut. Wir können übrigens jeder Zeit zu Herrn Walker und mit ihm sprechen. Es ist dir überlassen wann du es machen willst. Doch solltest du nicht allzu lange damit warten. "

Mit großen Augen schaute er mich an und griff direkt nach den Büchern, machte ein paar Schritte nach hinten und ließ sich auf das Bett fallen. Es war für einen Moment ziemlich ruhig, bis Harry mich mit ein paar Tränen in den Augen ansah. "Danke", flüsterte er leise.

Ich nickte und lehnte mich gegen die Wand. "Es ist nicht viel, aber vielleicht kannst du dir wenigstens so die Zeit etwas besser vertreiben. Ich weiß, dass sie dir so ziemlich alles genommen haben was Spaß macht, weil du-"

"Weil ich ein paar Mal zu viel auf die Wärter los bin", beendete er traurig seinen Satz und schaute auf den kleinen Stapel Bücher, denn er neben sich aufgebaut hatte.

Harry nahm sich eins der Bücher und schlug es direkt auf. "Mark Tomlinson?" Fragen schaute er zu mir hoch.

"Die gehören meinem Stiefpapa, aber du darfst sie haben. Das hat er mir sehr deutlich versichert." Ich erinnerte mich kurz an Samstag, wie Mark nur darauf beharrt hatte, dass ich die Bücher bloß mitnehme, als ich ihm von Harry erzählt hatte.

"Stiefpapa?" In seiner Stimme schwang Verwirrung mit. "Ja, ich bin in einer großen Familie aufgewachsen. Und ich habe nur Stiefschwestern. Meine Mutter war mit mehreren Männern zusammen in einer Beziehung. Deswegen habe ich neben einem Stiefvater auch einen Stiefpapa." Harry nickte nur und blätterte in dem Buch.

Es war mir schon oft aufgefallen das besonders Harrys Zelle ziemlich leer war. Und da hatte ich gedacht, dass ich ihm wenigstens etwas mitbringen konnte. Herrn Walker hatte ich auch schon informiert und er war auch direkt einverstanden. Vermutlich dachte er, dass wenn Harry sich etwas wohler fühlt, dass er eher mit der Sprache rausrückt. Davon das Harry kaum etwas hatte wusste er nichts. Aber so abwegig war es nun auch nicht. Hier gab es hunderte von Zellen und alle im Überblick zu behalten war schwer, vor allem wenn die richtigen Leute mit Geld geschmiert wurden.

Und diese Leute hielten zusammen.

Schließlich wollte niemand auffliegen. Das zu korrigieren wäre mit sehr viel Aufwand verbunden, doch wenn Harry hier raus war -wenn es überhaupt klappte- dann lasse ich mich auch wieder versetzten.

Allein was hier passiert war machte mir den alten Bürojob sehr attraktiv. Lieber wälzte ich tausende von Akten und war an den Schreibtisch gebunden, als das ich hier noch weiter mit Bekloppten arbeitete. Auch mein Knie würde es sehr begrüßen, wenn ich nicht von morgens bis abends herumlaufen würde. Allein der Stress der vergangenen Tage ließ es wieder anschwellen und schmerzen.

"Louis?" Ich schreckte aus meinen Gedanken und schaute Harry fragend an. "Ja?"
"Ist es nicht Zeit für das Frühstück?" Überrascht blickte ich auf meine Uhr und nickte. "Ja tatsächlich, wie hast du-"

"Jahre lange Erfahrung", Harry lachte zwar, doch ich fand nicht, dass es eine Sache war, über die man lachen konnte. Um genau zu sein fand ich das sogar äußerst traurig.

Nach wenigen Minuten saß Harry beim Frühstück und ich lehnte mich wieder an die Wand und beobachtete ihn ein bisschen. Doch plötzlich stand Niall neben mir und stupste mich breit grinsend an. "Na, wie war dein Wochenende werter Kollege?"

Ich musste etwas schmunzeln und nickte dann. "Es war wirklich gut. Ich habe meine Familie besucht und das war auch dringend nötig." Niall grinse noch breiter, falls das überhaupt möglich war. Ob seine Wangen nicht schon schmerzten?

"Ich fliege auch bald wieder nach Irland und besuche sie. Ich kann es kaum erwarten. Es ist bestimmt schon zwei Monate her, dass ich da war."

Da er auf einmal so betrübt wirkte schenkte ich ihm ein Lächeln und drückte seine Schulter leicht. Wir sprachen noch ein bisschen miteinander, bis ich mich verabschiedete. "Wir sehen uns beim Mittagessen." Ich hob noch kurz meine Hand und schritt dann zu Harry und löste seine Ketten vom Tisch. "Ich habe noch nie in meinem Leben einen Menschen gesehen, der so viel lacht und lächelt." Harry klang alles andere als begeistert, weswegen ich kurz lachte. "War er so schlimm? Ich hatte gehofft ihr kommt gut miteinander klar."

Harry nickte leicht. "Er ist okay, wenn er schweigen würde. Ich habe es ihm mehrmals gesagt, doch allein meine Drohungen hat er nicht ernst genommen."

"Vielleicht bist du nicht so angsteinflößend wie du denkst", grinste ich und ging mit ihm zusammen zu seiner Zelle zurück. Doch wir waren nicht alleine.

"Hätten sie beide Zeit?"

Ich nickte und gemeinsam liefen wir zu den Besprechungsräumen. Diese waren eigentlich dafür gemacht, wenn einer der Häftlinge Besuch bekam. Nacheinander betraten wir den Raum und ich nahm Harry die Ketten ab. Jedoch ließ ich es mir nicht nehmen und strich kurz mit meinen Fingerspitzen über seinen Unterarm. Schnell nahm ich dann doch wieder Abstand, legte die Ketten über meine Schulter und verschränkte meine Arme als Herr Walker begann zu sprechen. Harry setzte sich auf einen der Stühle und schaute von mir zum Anstaltsleiter und ließ seinen Blick auf ihn ruhen.

"Ich habe von Herrn Tomlinson gehört, dass sie sich dazu entschieden haben eine Aussage zu tätigen. Ich bin nicht dafür hier. Keine Sorge. Ich drängte zu nichts, doch möchte ich sie kurz darauf hinweisen was auf sie zukommt. Doch lassen sie sich davon bitte nicht negativ beeinflussen, aber da steckt leider eine Menge Aufwand und Arbeit hinter. Einfach wird es keineswegs. Deswegen wäre es auch gut, wenn sie nicht so lange mit ihrer Aussage warten würden."

Ja, die Situation war schwierig. Zwar wollten wir Harry gerne die Zeit geben, die er bräuchte, jedoch brauchte all das auch enorm viel Zeit, weswegen es einfacher wäre, wenn man mit all dem bald beginnen könnte. Schließlich musste Harry hier raus. Und das dringender als alles andere. Denn ich hatte das Gefühl, dass wenn Harry erst einmal aus dem Gefängnis war man etwas gegen seine Dämonen machen konnte. Doch die Antwort auf die Frage, ob er hier heraus kommen könnte stand noch in den Sternen. Und das war etwas, was ich gewiss nicht mochte.

Ich wollte die Sicherheit, dass er aus dem Gefängnis kam. Doch bis dies überhaupt entschieden wird, wird es wohl noch etwas dauern.

Harry rutschte unruhig auf seinem Stuhl herum und schaute kurz zu mir. Kaum merklich nickte ich ihm zu. Er sollte wissen, dass ich wirklich zu hundert Prozent hinter ihm stand.

Da Harry nichts erwiderte nahm Herr Walker es anscheinend als ein Zeichen anzufangen und begann Harry aufzuklären. Ich wusste bereits was er sagen würde, da ich schließlich die Anträge mit ihm vorbereitet hatte.

Er erklärte ihm, dass er das was Harry zu berichten hätte und aufnehmen würde. Anschließend würde das Video dem beauftragten Richter vorgelegt werden, samt der Akten und anderen Indizien, die es gab. Schließlich blieben die wirklich verwertbaren Beweise auf der Strecke. Auch würde, wenn das Verfahren beginnen würde es nicht allzu viel Zeit in Anspruch nehmen, denn man war stets bemüht unschuldige so schnell es ging aus den Gefängnissen zu entlassen.

"Doch leider müssten sie nicht nur mit mir, sondern dann mit einem Psychologen sprechen. Dieser wird ihren Geistigen Zustand beurteilen. Er wird dann entsprechend einen Therapieplan aufstellen, welcher sie nach der Freilassung begleitet. Ebenso sollen sie Kontakt mit ihrer Familie aufnehmen. Es gibt Wohnungen, welche von speziellen Ämtern finanziert werden, doch auch der Kontakt zur Familie wird gerne für so etwas genutzt."

Harry war ziemlich angespannt, als Herr Walker die letzten Worte ansprach. "Keine Familie", presste Harry aus zusammengebissenen Zähnen hervor.

"Gut, dann werde ich es berücksichtigen und schauen ob momentan freie Appartements gibt. Dies muss dann ebenfalls beantragt werden. Haben sie sonst noch Einwände? Sonst würde ich sie bitten wieder in die Zelle zurückzugehen."

Da Harry aber keine Anstalten machte etwas zu sagen, sondern nur nickte, legte ich ihm wieder die Ketten an und brachte ihn zu seiner Zelle. Auf dem Weg dahin dachte ich kurz darüber nach, wie es wäre, wenn Harry bei mir einziehen würde. Doch schnell schüttelte ich meinen Kopf und verwarf den Gedanken schnell wieder.

In der Zelle angekommen legte ich die Ketten beiseite und setzte mich mit etwas Abstand zu Harry auf das Bett. "Was hältst du von dem was er gesagt hat?"

Es dauerte einen Moment bis Harry antwortete. Doch während er sprach schaute er kein einziges Mal auf. Sein Blick war stets auf seine Hände gerichtet.

"Es ist okay. Nur... Nur ich kann das nicht alleine durchstehen." Der fröhliche Harry von heute Morgen war wieder verschwunden. Langsam nickte ich und legte meine Hand auf seine verschränkten Hände. "Ich bin da Harry. Du bist nicht alleine."

"Warum ich? Warum?"

"Das habe ich dir doch schon gesagt Harry. Du bist mir wichtig."

"Kann ich dir vertrauen Louis?"

Ich seufzte leise und rutschte näher an Harry heran. "Weißt du was?" Ich legte meine Hände an seine Wange und drehte seinen Kopf zu mir. "Wenn ich merke das du wieder Zweifel hegst. Dann werde ich das hier tun." Ich beugte mich leicht vor und küsste seine Stirn. "Und sowas mache ich wirklich nicht bei jedem Harry. Du kannst mir glauben, dass du mir wichtig bist. Ich werde es so oft wiederholen, bis du mir glaubst."

Ein letztes Mal küsste ich seine Stirn bevor ich wieder auf Abstand ging und ihn lächelnd anschaute. Auch er hatte ein leichtes Lächeln auf seinen Lippen und nickte leicht. "Okay."

Ich saß noch eine Weile bei Harry und leistete ihm einfach Gesellschaft. Wirklich viel war für mich nicht zu erledigen. Mittags saß ich, nach dem Harry gegessen hatte und seit langem wieder auf den Hof durfte, mit Niall gemeinsam beim Mittagessen.

Es war tatsächlich ein bisschen anstrengend mit ihm, aber es schien mir, dass er genau deswegen noch keinen hier näher kannte. Aber es machte mir nichts aus, dass er so viel lächelte und nicht aufhörte zu reden. Ich mochte es eh lieber, wenn ich zuhören konnte.

Später brachte ich Harry zum Abendessen. In der Zeit bis dahin redete er darüber, wie toll es draußen auf dem Hof war und wie viel sich verändert hatte, seitdem er das letzte Mal draußen war. Wann das war, wollte er mir allerdings nicht sagen. Einerseits hörte ich Harry gerne bei dem zu was er erzählte, denn das tat er gewiss viel zu selten. Es war komisch ihn so viel reden zu hören, aber anscheinend hatte ihm die frische Luft wirklich gutgetan. Er blühte regelrecht auf. Doch mich beschäftigte auch das Gefühlschaos, die Stimmungsschwankungen und das ganze hin und her in Harrys Inneren.

Wie oft hatte er allein heute seine Sichtweisen, seine Körpersprache und vor allem auch seine Laune gewechselt? Das Einzige was heute gefehlt hatte war die Wut. Es war zwar gut, dass es fehlte, dennoch waren seine Stimmungswechsel wirklich unglaublich.

Ob das wohl auch eine Folge der psychischen Belastung war?

Vollkommen geschafft und müde kam ich wieder zuhause an. Da ich das ganze Wochenende über nicht einkaufen war, holte ich es jetzt nach und war mehr als nur froh, als ich endlich ins Bett konnte.

Doch gerade als ich mich ins Bett legte plagten mich wieder meine Gedanken. Doch ein Gedanke war seit heute Morgen die gesamte Zeit in meinem Kopf präsent.

Was wäre, wenn Harry wirklich hier einziehen würde?

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2072 Wörter 19/08/2020

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