023 | Louis
Louis' P.o.V.
Überrascht über Harrys Zustimmung fing ich breit an zu lächelnd und schritt auf ihn zu. Langsam hob ich meine Hand und legte sie auf seinem Oberarm ab. "Mach dir keine Sorgen, wir schaffen das." Auch, wenn ich es mittlerweile oft gesagt hatte, hatte ich das Gefühl, dass Harry es nicht oft genug hören konnte.
Harry nickte leicht und schaute mich an. "Musst du wirklich gehen?" Seinen Gesichtsausdruck konnte ich nicht ganz deuten, doch die Verzweiflung war deutlich sichtbar.
"Ja, das muss ich. Das hier ist immer noch meine Arbeit. Ich habe mich an die Dienstzeiten zu halten und die nächste Schicht beginnt Montag um 7 Uhr. Viel kann ich daran nicht ändern. Tut mir leid Harry." Er erwiderte daraufhin nichts, sondern nickte nur ganz leicht und biss sich auf die Lippe. "Wir sehen uns am Montag Harry." Ein letztes Mal strich ich ihm über den Oberarm, drehte mich um und ging aus der Zelle hinaus.
Ich zögerte kurz, drehte mich zu Harry und doch schloss ich dann die Tür ab. Ich lehnte mich gegen die Zellentür und atmete tief aus. War es richtig? Ja, es war richtig Harry zu helfen, aber meine Gefühle? Es brachte mich alles durcheinander und mit wirren Gedanken machte mich daran zum Auto zu kommen.
Ich setzte mich hinter das Steuer und legte meine Stirn gegen das Lenkrad. Für einen Moment verweilte ich in dieser Position und seufzte. Wenn ich könnte würde ich Harry einfach eintüten und mitnehmen. Und das Wortwörtlich. Er sollte nicht hier versauern und das ich jetzt zwei Tage auch nicht den geringsten Kontakt zu ihm hatte gefiel mir absolut nicht. Ich wollte nicht darüber nachdenken was mit ihm vermutlich nur in diesen wenigen Tagen passieren könnte. Vor allem jetzt, wo er damit angefangen hatte sich zu öffnen und jemanden an sich heranzulassen.
Nach weiteren Minuten, in denen ich in meinen Gedanken nachging, fuhr ich nach Hause und gerade als ich zur Tür hineinging begann mein Handy zu klingeln. Ich nahm den Anruf entgegen und war überrascht die Stimme meiner Schwester zu hören.
"Hey Lou."
"Hey Fizz, was gibt es?"
"Daniel hat gesagt, du kommst morgen? Warum denn erst morgen? Komm doch heute schon." Ich musste etwas schmunzeln. "Weil ich heute noch ein paar Dinge zu erledigen habe, wie einkaufen zum Beispiel."
"Kannst du das nicht wann anders machen? Wir haben genug zu essen und du warst schon lange nicht mehr hier. Bitte Lou." Plötzlich hörte ich auch die Stimmen meiner anderen Geschwister und wie sie bettelten. Dem konnte ich ganz und gar nicht widerstehen und gab nach. "Okay, ihr habt gewonnen. Ich fahre dann gleich los. Bis nachher." Ich hörte noch wie sie jubelten, bevor sie auflegten. Mit nun deutlich besserer Laune legte ich mein Handy beiseite und ging ins Bad.
Nach einer erholsamen Dusche und deutlich bequemeren Klamotten packte ich meine Übernachtungstasche und machte mich auf den Weg nach Doncaster. Es lagen nun drei Stunden Fahrt vor mir. Ich hoffte das es keinen Stau gab, denn es wird eh schon spät sein, wenn ich zuhause ankommen würde.
Leider war das Glück nicht auf meiner Seite. Kurz vor Nottingham stand ich ungefähr eine Stunde im Stau. Es war bereits nach 22 Uhr, als ich endlich das Auto vor meinem Elternhaus parkte. Müde rieb ich mir die Augen, schulterte meine Tasche und begab mich zum Haus. Schnell schloss ich die Tür auf und das was mich erwartete hatte ich nicht gedacht.
Die Zwillinge sowie Fizzy lagen gegen das Sofa gelehnt und waren am Schlafen. So wie es aussah waren sie aber beim Warten eingeschlafen, denn sie hatten die Haustür direkt im Blick, wenn sie denn wach wären. Leise schloss ich die Tür und stellte meine Tasche ab. Mit einem Lächeln auf den Lippen ging ich langsam ins Wohnzimmer und entdeckte Daniel, welcher die kleinsten auf dem Arm hatte und sie gerade die Treppe hochbrachte. Ein Lächeln bildete sich auf meinen Lippen.
Es dauerte nicht lange und er stand wieder neben mir und nahm mich in die Arme. "Schön das du es doch noch früher geschafft hast. Die Mädchen haben den ganzen Abend von nichts anderem gesprochen."
"Wie kommt es eigentlich das sie hier sind. Was ist mit Mark?" Eigentlich lebten die drei bei ihm und seiner Frau und jüngsten Zwillinge hier bei Daniel.
"Sie wechseln sich immer mal wieder ab. Momentan sind sie zwei Wochen hier. Die Mädchen sind vorgestern angekommen und als sie hörten das du auch kommen wolltest, haben sie dich direkt angerufen. Es ist wirklich schön, dass du hier bist." Er zog mich erneut in seine Arme und ich erwiderte die Umarmung fest. "Ja, ich brauchte echt mal ein bisschen Abwechslung und das hier kommt mir gerade gelegen. Wir haben übrigens ein paar Dinge zu besprechen."
Verwundet schaute er mich an. "Wenn es so etwas wichtiges ist, dann sollten wir es auf morgen verschieben. Komm bringen wir die Mädchen ins Bett und dann ab ins Bett. Die Fahrt war bestimmt anstrengend." Zustimmend nickte ich. Die Mädchen wachten nicht auf als wir sie ins Bett brachten. Sie würden sich morgen bestimmt freuen, wenn wir dann gemeinsam frühstückten.
Und so war es.
Ich saß bereits mit Daniel und den kleinsten am Frühstückstisch als meine drei anderen Schwestern die Treppe herunterkamen. Schnell stand ich auf und nahm die drei in meine Arme. Fest drückte ich sie an mich und küsste jede von ihnen auf die Stirn.
"Du bist endlich hier", freute sich Fizz und lehnte sich an mich. Daisy und Phoebe schmiegten sich an meine Beine. "Kommt, wir setzten uns hin und essen was. Heute Mittag gehen wir in den Park. Mark kommt auch mit seiner Frau, wir haben gerade telefoniert."
Freudig nickten sie und gemeinsam setzten wir uns alle an den Tisch und frühstückten zusammen. Es war ein kleines Chaos, doch so war es schon immer. Doris und Ernest waren gerade zwei Jahre alt und benötigten die volle Aufmerksamkeit von Daniel. Daisy und Phoebe kamen nächstes Jahr in die Schule und Fizzy war bereits in der 6. Klasse. Lottie wäre jetzt eigentlich in der 8. Klasse.
Während des Frühstücks dachte ich immer wieder an Harry zurück und als ich auf die Uhr sah, fiel mir auf, dass auch er jetzt bei Frühstück saß. Ich konnte es nicht verhindern und dachte kurz daran wie es wäre, wenn er jetzt auch hier mit am Tisch saß. Ein normales Leben lebte und von seinen Dämonen Abschied nahm.
Schnell schüttelte ich meinen Kopf, um von den Gedanken frei zu kommen. Es war absurd. Selbst wenn er eventuell aus dem Gefängnis frei kam... Ach, was machte ich mir eigentlich für Gedanken. Ich bemerkte Daniels fragenden Blick auf mir und schüttelte nur leicht den Kopf und murmelte ein leises 'Später'.
Nach dem Frühstück machten sich die Mädchen fertig und die Zeit nutzte ich, um mit Daniel zu sprechen. Als Lottie starb, war meine Mutter schon von Mark getrennt und lebte bei Daniel. Deswegen wusste er genauso gut über alles Bescheid. Das hoffte ich zumindest.
Ich reichte ihm gerade einen Teller, den er in der Spülmaschine einsortierte. "Du bist schon den ganzen Morgen ein bisschen hibbelig. Also über was möchtest du sprechen?"
Etwas nervös war ich wirklich, denn es war ein schöner Morgen und ich wollte diesen nicht gerade zerstören. "Es geht um meine Arbeit." Verwirrt schaute er mich an. "Um deine Arbeit? Wie kann ich dir denn da helfen?"
Ich seufzte leise und strich durch meine Haare. Es fiel mir zuerst etwas schwer, doch dann begann ich Daniel über Harry aufzuklären und stellte ihm schlussendlich die Frage auf deren Antwort ich ziemlich gespannt war.
"Was ist damals wirklich mit Lottie geschehen?"
Daniel schaute zuerst ziemlich erschrocken, doch dann nickte er langsam und lehnte sich mit verschränkten Armen gegen die Arbeitsplatte. "Ich wusste das irgendwann diese Frage aufkommt. Ich hatte nur nicht gedacht, dass es so dazu kommen würde. Das mit Harry tut mir unglaublich leid. Von ihm wussten wir damals überhaupt nichts. Als wir das Urteil erhielten, dass die Jungen hinter Gitter kamen, haben wir nicht weiter darüber nachgedacht sondern waren nur froh, dass sie ihre gerechte Strafe erhielten."
Langsam nickte ich. "Ja, Harry ist wirklich eine arme Seele und ich versuche ihm so gut es geht zu helfen."
"Du magst ihn, oder?" Lächelnd schaute mich Daniel an. "Auch wenn es verdammt traurig ist was du über ihn erzählst hast du ein kleines Lächeln auf deinen Lippen sobald du seinen Namen nennst."
"Ja, ich mag ihn tatsächlich sehr gerne. Aber das bestärkt mich nur noch mehr darin ihn helfen zu wollen."
"Aber um zurück auf Lottie zu kommen, dass was Harry dir über sie erzählt hatte ist war. Die Mädchen hatten sich gestritten und Lottie wollte zu dir. Jay und ich haben es nicht mitbekommen, Fizz hat es uns später gebeichtet."
"Das heißt Fizz weiß auch was wirklich passiert ist?" Schnell schüttelte mein Stiefvater seinen Kopf. "Oh Gott nein, sie kennt auch nur die beschönigte Version. Und dabei würde ich es auch gerne belassen. Sie haben gerade Jays Tod gut überstanden. Ich möchte da nicht noch mehr wachrütteln."
Verstehend nickte ich. Meine Mutter starb bei der Geburt der Zwillinge. Es kam damals zu Komplikationen und sie verblutete. Schuld war aber auch der Krebs, welcher sich während der Schwangerschaft entwickelt hatte. Ich vermisste sie auch, aber meine Geschwister ohne sie aufwachsen zu sehen tat noch mehr weh.
Daniel und ich schauten auf, als wir die Mädchen hörten, wie sie die Treppe hinunterkamen. Direkt beendeten wir unser Gespräch und lächelten uns nur an. "Du wirst das richtige tun was Harry angeht. Das weiß ich." Wir gingen gemeinsam zu den Mädchen und machten uns auf den Weg in den Park.
Wir verbrachten dort viele schöne Stunden in der Sonne und abends trafen wir uns alle zusammen bei Mark und kochten. Es war schön wieder die Familie um einen zu haben. Sie nahmen einem einfach alles. Die Sorgen und die Ängste.
Man fühlte sich einfach nur geliebt. Und wieder verirrten sich meine Gedanken zu Harry.
Am Montag musste ich direkt zu ihm. Hoffentlich kam er über das Wochenende alleine zurecht. Ich wusste das Niall meine Vertretung war, aber Niall war auch sehr gesprächig und ich hoffte, dass Harry ihn nicht versucht hat zum Schweigen zu bringen.
Das Wochenende ging schneller vorbei als ich es eigentlich wollte. Wir hatten uns auch direkt wieder für das Wochenende in zwei Wochen verabredet. Auch wenn es eine weite Strecke war, wollte ich meine Familie öfter besuchen. In den letzten Wochen hatte ich das einfach zu sehr vernachlässigt.
Jetzt stand ich etwas nervös vor Harrys Zelle und schloss diese auf. Als ich die Tür öffnete blickte ich auf Harry, welcher direkt aufsprang und mich in seine Arme zog.
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1778 Wörter 16/08/2020
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