021 | Harry
Harrys P.o.V.
Müde rieb ich mir meine Augen. Seit heute Morgen war ich wieder in meiner Zelle und ich musste mich direkt wieder hinlegen. Die vergangenen Tage waren einfach zu viel. Viel zu viel. Doch hier in der Zelle hatte ich nicht wirklich Ruhe. Es fiel mir schon die Decke auf dem Kopf, allerdings war das etwas, was ich zu schätzen gelernt hatte. Schließlich habe ich lange ohne einem Dach über dem Kopf gelebt und jetzt eins zu haben war purer Luxus.
Geschafft kletterte aus dem Bett. Es tat mir einfach alles weh und mit lautem Ächzten streckte ich mich ausgiebig. Meine Knochen knackten und vor Schmerz stöhnend legte ich meine Hände auf meinen unteren Rücken. Zu allem Überfluss schmerzten meine Knie und meine Schultern waren steinhart. Es fühlte sich an als hätte ich mich Jahre lang nicht mehr bewegt.
Mehr oder weniger stimmte das auch. Aber so wie ich mich jetzt fühlte, war schon lange her. Langsam lief ich in meiner Zelle auf und ab. Ich musste mich wieder etwas bewegen. Vielleicht lockerten sich wenigstens dann ein paar der Muskeln. Seufzend blieb ich stehen und dehnte meine Muskeln. Doch auch das half nicht wirklich.
Immer wieder kamen mir die Ereignisse der vergangenen Tage in den Sinn. Eigentlich wollte ich nicht über alles nachdenken, allerdings konnte ich es auch nicht verhindern. Egal wie sehr ich mich dagegen stemmte, an Louis musste ich fortlaufend denken. Und dabei war er gestern kaum da.
Ich hatte den ganzen Tag gewartet und er war nur zur Mittagszeit einmal da, hat sich erkundigt wie es mir ging und verschwand dann direkt wieder.
Zugeben wollte ich es nicht, doch ich vermisste ihn. Er war der Einzige, welcher sich für mich interessierte. Dennoch bereitete es mir Bauchschmerzen, dass ich ihm ein paar Sachen anvertraut hatte. Ich hatte Angst, dass er es missbrauchen würde. Auch wenn Louis bei weitem nicht alles wusste.
Erschöpft vom Nachdenken und Umherlaufen setzte ich mich auf das Bett und lehnte mich an die kalte Wand. Als ich meine Augen für einen kurzen Moment schloss erinnerte ich man den Kuss zurück und musste automatisch lächeln.
Dieses Gefühl wollte ich wieder spüren.
Doch was sollte daraus schon werden?
Nichts.
Deswegen durfte ich eigentlich nicht daran denken, aber ich konnte es nicht lassen. Er ging mir einfach nicht mehr aus dem Kopf. Sobald ich meine Augen schloss sah ich einen liebevoll lächelnden Louis, der mich aufmunternd anschaute und mir helfen wollte.
Doch was war, wenn er mich einfach fallen lassen würde? Jeder der mir bisher helfen wollte hat mich fallen lassen. Oder sogar noch schlimmer...
Besser wäre es, wenn ich ihn nicht zu nah an mich heranlassen würde. Bloß war Louis mir näher als jeder andere Mensch.
Vielleicht sollte ich zuerst herausfinden warum er so nett war. Was er sich davon versprach mir zu helfen. Niemand hilft einfach so.
Jeder hat insgeheim Absichten.
Ich hatte mich Louis ein wenig geöffnet und in einem schwachen Moment meinerseits um Hilfe gebeten. Allerdings war das kein Grund. Man konnte oft um Hilfe bitten, doch bekam man dann auch immer welche?
Es erinnerte mich an Mary. Sie war auch nett und dann?
Mir wurde schlecht als ich an die Zeit zurückdachte und fing an zu zittern. Meine Finger krallte ich in die Bettdecke und presste meine Lippen fest aufeinander. Und versuchte bei Leibeskräften die Erinnerungen und die Bilder aus meinem Gedächtnis zu verbannen.
Doch ich schaffte es nicht. Immer wieder flammten Bruchstücke von Erinnerungen auf, welche mich zusammenzucken ließen.
"Harry! Was ist das hier?" Ängstlich drehte ich mich zu Mary um und versuchte so ruhig wie möglich zu antworten. Sie wollte, dass man anständig mit ihr sprach.
"Ich habe dort bereits gewischt, habe ich einen Fehler gemacht?"
Mary lachte auf. "Das ist doch nicht gewischt. Mach es nochmal neu." Ich ließ meine Schultern hängen und schaute in den großen Flur. Seit vorgestern hatte ich nichts mehr gegessen und geschlafen hatte ich vielleicht ein paar Stunden.
"Aber ich habe es doch so gemacht wie du es verlangt hast." In dem Moment wo ich den Satz beendete, merkte ich, dass es ein Fehler war. Mit aufgerissenen Augen starrte ich sie an. Marys Gesicht verfinsterte sie sich und sie schnappte sich den Putzeimer und schneller als ich schauen konnte goß sie ihn mir über. Das kochendheiße Wasser brannte sich in meine Haut. Ich konnte meinen Schmerzenschrei nicht unterdrücken. Es ging einfach nicht. Es fühlte sich an, als hätte man mir meine Haut abgezogen. Vor Schmerz krümmte ich mich zusammen, unfähig überhaupt Luft zu holen.
"Du hast eine Stunde."
Keuchend riss ich meine Augen auf und atmete schwer. Mein Herz schlug unnormal schnell und
die Schmerzen die ich damals empfand breiteten sich über meine Haut aus. Nur mit Beherrschung konnte ich so gerade einen Schrei unterdrücken. Wenn ich jetzt auf mich aufmerksam machen würde, dann standen die Wärter direkt wieder in der Tür. Und gerade jetzt wollte ich niemanden sehen.
Nach einigen Minuten hatte ich mich wieder beruhigt und der eingebildete Schmerz klang ab. Doch meine Nerven waren so aufgerieben, dass ich die nächste Erinnerung nicht unterdrücken konnte. Ich wollte es, doch es ging nicht.
Weinend saß ich auf der Matratze in einem kleinen Räumchen und hielt die Strickjacke meiner Mutter fest in meinen Händen. Durch die Jahre war sie schon vollkommen verschlissen. Der Saum der Ärmel löste sich langsam auf und auch ihr Parfüm konnte ich nicht mehr riechen. Aber dennoch hatte diese Jacke etwas beruhigendes. Plötzlich wurde die Tür aufgerissen und Mary funkelte mich böse an. "Ich hatte dir eine halbe Stunde Pause genehmigt. Seit fünf Minuten warte ich auf dich." Kraftlos schaute ich sie an. Ich konnte und wollte nicht mehr. Doch bevor Mary einen Schritt auf mich zumachen konnte, kam jemand Unbekanntes und zog sie beiseite. Die Tür fiel wieder zu und ich war wieder in Dunkelheit gehüllt. Es war das letzte Mal das ich Mary gesehen hatte. Kraftlos und ausgehungert sackte ich zusammen. Doch aus Angst, dass sie wieder kommen könnte, schaffte ich es nicht meinem Körper Ruhe zu gönnen. Meine Nerven waren überstrapaziert und vollkommen ausgereizt.
Nun war ich mehr als nur verkrampft.
Ich wollte nicht mehr.
Ich konnte nicht mehr.
Plötzlich ertönte ein Klopfen und mit großen Augen schaute ich zur Tür. Louis stand in dieser und lächelte mich an, doch sein Lächeln fiel als er mich genauer betrachtete. Er war der Erste und der Einzige der sich vorher ankündigte bevor er wirklich die Zelle betrat. Allein das sollte mir zeigen, dass er anders war. Das er über seine Handlungen nachdachte und ein wirklich ehrlicher und freundlicher Mensch war.
Doch die Zweifel blieben bestehen.
"Hallo Harry, ich habe dir dein Mittagessen mitgebracht." Er stellte das Tablett auf den kleinen Tisch und schaute dann zu mir. "Was ist los?" Besorgnis spiegelte sich in seinem Gesicht wieder. "Hattest du wieder einen Albtraum?" Langsam schüttelte ich meinen Kopf. Es war schließlich die Wahrheit.
Ich hatte keinen Albtraum. Mein Leben war einer.
"Möchtest du darüber reden?" Doch ich schüttelte erneut meinen Kopf. Es reichte schon das ich es gerade durchlebt hatte. Nochmal wollte ich mich nicht damit beschäftigen.
"Ich habe gedacht du möchtest heute lieber noch einmal hier in Ruhe essen. Ich bleibe auch währenddessen hier und leiste dir etwas Gesellschaft. Gestern hatte ich ja keine Zeit."
Verwirrt darüber zeigte ich auf die Kameras. Schließlich war es nicht gerne gesehen, wenn man sich in den Zellen länger als nötig aufhielt.
"Darüber wollte ich noch mit dir sprechen. Darf ich mich setzen?" Immer noch verwirrt nickte ich und beobachtete Louis skeptisch.
"Die Kameras wurden abgeschaltet. Du hast nun deine Ruhe hier. Keiner sitzt hinter einem Monitor und kann dich beobachten." Misstrauisch zog ich meine Augenbrauen zusammen. Warum sollten die Kameras abgeschaltet worden sein?
"Warum?"
Louis atmete tief durch und schien sich sammeln zu müssen. "Ich möchte dir nichts Böses, dass möchte ich auf gar keinen Fall. Als Liam da war bist du eingeschlafen. Und allein Anschein nach ist Liam nicht der für den er dich ausgibt." Er stoppte und schaute mich prüfend an. Doch ich wusste nicht was ich sagen sollte. Mir blieben förmlich die Worte im Hals stecken.
"Er hat durch die Gutachten versucht die Akte glaubwürdiger zu gestalten un dich definitiv hier halten zu können. Was er nicht wusste war, dass ich das Gespräch aufgezeichnet hatte."
Mein Kopf war wie leergefegt. "W-Was?" Perplex starrte ich Louis an. "Aber ich habe doch nie etwas gesagt." Louis schaute mich überrascht an und fing plötzlich an zu lächeln. "Ich hatte schon Angst das du durchdrehst, aber du wirkst unglaublich gefasst... Liam hat einfach seine Wunschvorstellungen in das Gutachten geschrieben."
Langsam nickte ich und biss mir auf die Lippe. Bevor ich eine Frage stellen konnte, setzte Louis fort, weswegen ich ihn aber auch nicht unterbrach.
"Ich habe danach sofort mit dem Direktor gesprochen. Er hat sich die Aufnahme und auch die Akte angesehen. Daraufhin hat er sich dazu entschlossen mit dir zu sprechen. Der Anstaltsleiter ist davon überzeugt das du unschuldig bist. Wir haben gestern nach einem Weg gesucht wie wir das alles angehen könnten. Aber egal wie wir es drehen und wenden, es hängt auch viel von dir ab."
Und das war der Punkt wo ich nicht mehr ruhig und gefasst Louis Worte aufnahm. Wutentbrannt stand ich auf und schaute auf ihn hinab. Kurz tänzelten schwarze Punkte vor meinen Augen. Für einen Moment blieb ich still stehen, als die Punkte verschwanden explodierte ich förmlich.
"Du hast was? Was hast du?" Ich wurde immer lauter und schrie ihn förmlich an. Louis war allerdings ruhig und stand ebenfalls auf. "Harry", flüsterte er. Doch ich wollte es gerade nicht hören.
"Was hast du alles erzählt. Louis ich habe dir vertraut, vertraut das du nichts erzählst!" Sauer griff ich nach seinen Schultern und schüttelte ihn. "Warum Louis? Warum?" Tränen traten mir in die Augen.
Ich hatte es gewusst.
Ich hätte es ihm nicht sagen sollen.
Ich hätte ihn nicht an mich ran lassen sollen.
Alle halbwegs guten Momente mit Louis verbannte ich aus meinem Kopf und verstärkte meinen Griff.
"Verschwinde." Mit Kraft schubste ich ihn in Richtung Tür.
"Harry." Louis blieb ruhig und hatte nicht einen Funken Angst in den Augen. Es war eher Besorgnis welche aufblitze. Doch weswegen brauchte er sich Sorgen machen? Er hatte doch Spaß daran mein Vertrauen zu missbrauchen. Vermutlich lachte er mit Liam nachher über mich.
Ich stoppte in meiner Bewegung als sich zwei kühle Hände auf meine vor Wut aufgeheizten Wangen legten. "Ich habe ihm nichts von dem erzählt was du mir anfertraut hast. Das habe ich nicht. Das würde ich niemals Harry. Ich bin ehrlich, ich hatte es zuerst überlegt, doch ich wollte dich nicht übergehen und habe mich dagegen entschieden."
"Warum sollte ich dir glauben?"
"Weil du mir wichtig bist."
Und dann tat er etwas, worauf ich nicht vorbereitet war. Ich brauchte einen Moment bevor ich überhaupt realisieren konnte was hier gerade geschieht.
Louis küsste mich.
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1813 Wörter 08/08/2020
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