009 | ...
Erinnerung
Alles um mich herum war einfach nur dunkel, ängstlich presste ich mich an die alte Steinmauer. Ich konnte noch gerade vor unheimlichen Gestalten verstecken.
Es war jetzt schon mehr als zwei Wochen her, dass ich vor meinem Stiefvater geflüchtet war. Ich fühlte mich einfach nur noch schwach und ausgelaugt. Mein Magen schmerzte. Ich hatte einfach so einen unglaublichen Hunger. Die Bauchschmerzen waren stechend und mein Magen zog sich immer wieder schmerzvoll zusammen. Kraftlos drückte ich mir meine Hand auf den Magen, in der Hoffnung der Schmerz würde unter den geringen Druck, welchen ich aufbringen konnte, nachlassen.
Dem war aber leider nicht so. Zittrig richtete ich mich auf, schulterte meine Tasche und schlag meine Arme fest um mich. Meine Locken hingen mir vor Dreck und Fett überzogen im Gesicht.
Niemand konnte mir helfen.
In der Schule hatte ich keine Freunde und meine Schwester hatte sich schon lange, aufgrund unseres Stiefvaters, von der Familie abgewandt. Ich wusste nicht wo sie wohnte. Das wollte sie nie sagen, aus Angst das er vorbeikommen könnte. Ich wusste das ich auch Großeltern hatte, nur habe ich sie nie wirklich, bis auf meine Oma mütterlicherseits, kennengelernt.
Langsam mit schweren Schritten schlurfte ich die Straße entlang. Die Dunkelheit umhüllte mich fast gänzlich. Das wenige Licht, welches von den Laternen ausstrahlte, erhellte die Straße soweit, dass ich wenigstens sehen konnte wohin mein nächster Schritt mich brachte.
Meine Füße taten schon unglaublich weh, als ich endlich bei der Bäckerei ankam. Ich schlich um das alte Gebäude herum und blickte zur Hintertür. Und tatsächlich, wie vor zwei Tagen hing eine Tüte an der Klinke. Schnell schaute ich mich um, griff nach der Tüte und schaute hinein. Zwei Brötchen und ein Teilchen befanden sich in dieser. Mehr als nur glücklich hielt ich die Tüte fest, als würde mein Leben dranhängen und lief so schnell ich konnte dahin wo ich herkam. Vermutlich hatte Barbara mitbekommen das ich abgehauen war. Aus Angst, dass sie aber meine Eltern kontaktierte sobald ich zu ihr kam, hielt ich mich tagsüber von der Bäckerei fern.
Völlig außer Atem ließ ich mich nieder. Meine Lunge brannte und mein Hals schnürte sich zu. Mit zittrigen Händen griff ich in meine Tasche und holte eine Wasserflasche hervor. Langsam trank ich ein paar Schlucke, bis ich mich über den Inhalt der Tüte hermachte.
Gesättigt und mehr als nur müde, platzierte ich die Tasche auf meinem Schoß und schloss meine Augen für ein paar Minuten. Aus den Minuten wurden allerdings Stunden. Als ich meine Augen wieder öffnete war es hell und die Sonne stand schon hoch am Himmel.
In der Gasse, in welcher ich mich befand, konnte man von der Straße nicht wirklich sehen. Somit war ich vor neugierigen Blicken geschützt. Ich wusste, dass ich nicht ewig hier bleiben konnte. Aber was blieb mir anderes übrig? Ich wollte ganz sicher nicht mehr nach Hause. Und wo sollte ich anfangen Gemma zu suchen?
Aus meiner Tasche holte ich eine Mütze hervor und zog sie mir über. Meine Haare versteckte ich darunter, stand auf und klopfte mir so gut es ging den Dreck und Staub von den Klamotten. In der Hoffnung etwas zu finden, was mir helfen konnte spazierte ich los. Ich hatte es in den vergangenen Tagen immer mal wieder getan und nach verschiedenen Dingen Ausschau gehalten. Nur leider hatte ich nichts gefunden. Diesmal ging ich nicht links aus der Gasse, sondern mal rechts herum. Vielleicht fand ich ja heute etwas.
Stunden später blieb ich vor einem großen Gebäude stehen und legte meinen Kopf in den Nacken,r um das ganze Gebäude betrachten zu können. Es war wirklich schön und sah wirklich alt aus. Dadurch das mein Körper gerade zur Ruhe kam merkte ich, wie erschöpft ich eigentlich war.
Warum ich genau hier stehengeblieben bin erklärte sich leicht. Neben mir befand sich ein Stand wo ein paar Menschen Essen verteilten. Vielleicht bekam ich auch etwas? Hoffnungsvoll stellte ich mich ebenfalls an. Als ich an der Reihe war, schaute mich die Frau erschrocken an.
"Ben? Ben! Hier ist ein Kind!" Sie zeigte mit der Hand auf mich und kam um den Stand herum auf mich zu. Mit einem panischen Blick beobachtete ich sie. "Mein Junge, was machst du denn hier?"
"Darf ich etwas zu essen bekommen?" Meine Stimme war leise und brüchig. Ich hatte seit Tagen kein einziges Wort gesprochen.
Die ältere Dame nickte schnell. "Ja, natürlich. Du bist das erste Kind, welches hier auftaucht." Besorgt schaute sie mich an. "Wie lange bist du denn schon auf der Straße?" Ihr Blick wurde zunehmend trauriger umso länger sie mich betrachtete.
"Seit mehr als zwei Wochen", antwortete ich wahrheitsgemäß.
Ein älterer Mann kam zu uns und schaute von der Dame zu mir und wieder zurück. "Schwester Maria?"
"Ben, na endlich. Wir nehmen diesen Jungen auf!"
Mit aufgerissenen Augen schaute ich zu ihr hinauf. Unfähig etwas zu sagen, so perplex wie ich war. Ich schielte zu dem Mann.
"Aber wir haben keine freien Betten mehr. Es tut mir wirklich leid, aber-"
Diese Maria unterbrach ihn direkt indem sie die Hand hob und ihn mahnend ansah. "Dann kommt er mit zu mir ins Zimmer. Er ist doch noch ein kleiner Junge."
Ergeben nickte der Mann.
Maria griff nach meiner Hand. Schnell entzog ich ihr diese. "N-Nicht anfassen", keuchte ich und Panik kam in mir auf. "B-Bitte nicht." Meine Stimme zitterte und ich steckte meine Hände tief in die Taschen meiner Jacke.
Maria schaute mich mitleidig an und zeigte mir die Richtung, in die ich schlussendlich mit ihr ging. Im Gebäude war es angenehm warm. Mein Körper entspannte sich allmählich. Ich hatte gar nicht gemerkt wie verkrampft ich eigentlich war.
"Hier ist mein Zimmer. Das Badezimmer ist direkt nebenan. Geh dich waschen und ich hole dir etwas zu essen, mein Junge."
Dankbar nickte ich. Als sie ging atmete ich tief durch und schaute mich in dem kleinen Zimmer um. Es war spärlich eingerichtet und ein Kreuz hing über der Tür. Auf dem Schreibtisch lag neben der Bibel eine Brille. Eine Vase mit Blumen befand sich auf dem Nachtisch.
Ich wusste nicht ob ich ihr trauen konnte, jedoch schien sie mir für das erste nichts Böses zu wollen. Ich griff in meine Tasche hinein und holte die letzte saubere Wäsche, welche ich besaß, hinaus und ging in das kleine angrenzende Bad. Ich hatte sie für etwas Besonders aufgehoben. Es war vielleicht auch einfach nur dumm zu hoffen, dass etwas Besonderes geschehen würde.
Als ich mich selber im Spiegel saß erschrak ich und lies die Klamotten auf den Boden fallen. Die Locken, welche unter der Mütze hervorschauten, waren noch dreckiger als sie sich anfühlten. Ich war völlig blass und meine Augen strahlten überhaupt nicht mehr. Das taten sie noch nie wirklich, aber jetzt war es wirklich extrem. Meine Lippen waren völlig ausgetrocknet und kleinere Hautfetzten lösten sich ab. Meine Wangen waren eingefallen. Ich sah alles andere als gesund aus. Ich ähnelte eher einem Geist. Aber vielleicht war es auch genau das was ich war. Ein Geist. Jemand der einfach nur herumspukte und niemanden hatte. Für immer allein in der Ewigkeit.
Ich löste den Blick vom Spiegel und schloss die Tür ab. Anschließend zog ich mich langsam aus und stieg unter die Dusche. Das Wasser, welches in den Ausguss floss war dunkel und schmutzig. Ich griff nach dem Duschgel und schrubbte mir mit einer Bürste den Dreck von meinem Körper. Ich schrubbte so lange bis ich mich auch nicht mehr dreckig fühlte. Das dauerte allerdings seine Zeit. Meine Haut schmerzte und war völlig gerötet. Jedoch fühlte ich mich endlich sauber.
Fertig geduscht und in den neuen Klamotten setzte ich mich auf das Bett. Maria kam mit einem Tablett wieder und platzierte es neben mir.
"Hier mein Junge. Iss die Suppe und das Brot. Sie wärmt dich wieder auf. Danach erzählst du mir bitte woher du kommst und wo deine Eltern sind."
Ich nickte lediglich und griff nach der Schüssel. Ich würde zwar die Suppe essen, aber erzählen wo meine Eltern waren, würde ich definitiv nicht. Mein Stiefvater würde mich mit Sicherheit bestrafen, wenn ich wieder nach Hause kommen würde. Zaghaft begann ich zu essen und versuchte nicht weiter darüber nachzudenken, was noch alles auf mich zukommen würde.
Als ich die Suppe, sowie das Brot aufgegessen hatte, nahm Maria das Tablett und stellte es auf den Schreibtisch.
"Nun, wo kommst du her und wo sind deine Eltern?"
"Sie sind tot."
"There are wounds that never show on the body that are deeper and more hurtful than anything that bleeds."
Laurell K. Hamilton
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1410 Wörter 31/05/2020
Hallo, ich melde mich auch mal wieder. Ich hab momentan einfach unglaublich viel außerhalb von Wattpad zu tun. Ab Mittwoch werde ich wieder aktiver
: ) xx
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