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Erinnerung

Jeden Schritt den ich machte tat weh, meine Knie schmerzten, der Rucksack auf meinen Schultern drückte gegen die Striemen auf meinem geschundenen Rücken. Müde, ausgelaugt und mit Flecken in jeglichen blau-lila Tönen übersäht, bog ich in die Straße ein, in der ich wohnte. Vor der Haustür angekommen, kramte ich den Schlüssel hervor und schloss die Tür auf. 

Ohne meine Sachen abzustellen, lief ich die Treppe hinauf in mein Zimmer. Dort angekommen schloss ich nach dem Betreten des Zimmers die Tür ab. Um ganz sicherzugehen, verkeilte ich die Türklinge mit einem alten Holzstuhl, welchen ich mir vor ein paar Tagen nachts aus dem Keller geholt hatte. 

Ich drehte mich um und blickte in meinem Zimmer umher. Es war so ordentlich, nicht eine Sache lag dort wo sie nicht liegen durfte. Ich hatte keine Bilder an meiner Wand. Die wurden mir alle weggenommen. Das einzige Bild was ich besaß war gut versteckt in einem Geheimfach in meiner Notfalltasche neben meiner Tür. 

Ich entledigte mich meiner Jacke und meinen Schuhen. Die Klamotten verstaute ich ordentlich an den dafür vorgesehenen Ort neben meinem Kleiderschrank. 

Meine Hose tauschte ich gegen eine dunkle Jogginghose aus, welche auf meinem Bett ordentlich gefaltet lag. 

Für einen Moment schloss ich meine Augen und atmete tief durch. Anschließend strich ich mir durch die Haare und nahm mir meinen Rucksack. Bevor ich etwas anderes machte, erledigte ich immer zuerst meine Hausaufgaben. In der Schule war ich gut, sehr gut sogar. Das war etwas woran ich festhalten konnte. Ich begann meine Hausaufgaben, sonst konnte ich sie nicht mehr machen, abhängig davon was heute auf mich zukam. Momentan hatte ich sehr viel Pech. 

Hunger hatte ich keinen. Ich habe lernen müssen, dass es einfacher ist, wenn ich mir in der Bäckerei bei Barbara etwas holte, anstatt hier zu essen. Manchmal bekam ich auch etwas gratis. Barbara war ein toller Mensch.

Ich setzte mich an meinen Schreibtisch, nahm mein Heft samt Buch hinaus und schlug es auf. Na dann mal los.

Nach gut einer Stunde war ich fertig und hörte Schritte vor meiner Tür. Schnell stand ich auf, verstaute meine Sachen ordentlich im Schränkchen unter meinem Schreibtisch und kroch in meinen Kleiderschrank. Ich griff nach meinem Pullover, legte diesen über mich und zog die Tür von Innen zu. 

Mein Atmung verlangsamte sich schlagartig. Meine ganze Konzentration lag auf den Geräuschen, welche ich vor meiner Tür vernahm. 

Als es anfing zu klopfen biss ich mir auf die Lippe. Das Klopfen wurde immer lauter bis es schließlich verstummte.

"Ich weiß das du da bist", schrie mein Stiefvater. "Komm sofort raus." 

Mein Herz schlug immer schneller und mir wurde schwindelig, als ich an gestern zurückdachte. Um so mehr ich mich erinnerte, desto mehr spürte ich die Schmerzen von gestern die noch in meinen Knochen steckten. Ich war viel zu langsam in mein Zimmer gegangen. Heute hatte ich mich extra beeilt. 

Solche Fehler passieren mir nur einmal. Die Konsequenzen waren so drastisch, dass ich die Fehler kein zweites Mal begann. Ich lernte aus meinen Fehlern.

Mein Stiefvater sagte nichts mehr, da ich aber auch keine Schritte hörte, stand er immer noch vor meiner verbarrikadierten Zimmertür. Ich entspannte mich langsam und holte tief Luft. Jedoch blieb ich weiterhin im Schrank versteckt. Das stellte sich auch als gute Idee heraus, als plötzlich die Tür mit einem lautem Krachen nach gab. 

"Ein Stuhl.. Wirklich? Was meinst du denn was mich aufhalten kann?" Mein schlimmster Albtraum fing an zu lachen. Seine Schritte wurden immer deutlicher. Vermutlich stand er genau vor meinem Schrank. Ich presste meinen Rücken immer mehr gegen das Holz, in der Hoffnung ich würde hinein sinken und verschwinden. Oft hatte ich mir gewünscht, dass hier ein Weg nach Narnia führte. Die Bücher fand ich so toll. Ich wollte auch ein unentdecktes Reich in meinem Schrank. 

Zurück in der Realität hielt ich mir den Mund zu, damit ich nicht aus Versehen einen Ton von mir gab. Die Schranktür wurde langsam geöffnet. Ich schloß meine Augen, um ihn nicht ansehen zu müssen. 

"Hier versteckst du dich also." Er nahm den Pullover runter und ich merkte wie mir stumm die Tränen über die Wangen liefen. 

"Ach was, warum weinst du denn?" Er schaute mich gespielt mitfühlend an, bis er anfing zu grinsen und mich an meinen Handgelenken aus dem Schrank zog. 

"Deine Mutter ist nicht da. Also werden wir beide jetzt viel Spaß haben." 

Ich schluckte und nickte leicht. Mein Schicksal hatte ich schon lange akzeptiert. Vielleicht hatte ich auch einfach schon aufgegeben. Wer wusste das schon. Würde mich jemand vermissen?

Ich stolperte mit ihm mit. Bei seinen Schritten konnte ich noch nie gut mithalten. Die Stellen an denen er mich begann anzufassen, nach dem er mich auf das Bett legte, fingen an zu kribbeln. Es wandelte sich jedoch langsam zu einem Brennen. Ich spürte den plötzlichen Mut, der über jede Nervenbahn durch meinen Körper floß und sich in meinem Inneren sammelte. 

Ich biss meinem Peiniger in die Hand, trat ihm mit meinen nackten Füßen in den Bauch und flüchtete hinaus aus dem Schlafzimmer meiner Mutter. Mit schnellen Schritten und ohne zurückzuschauen, griff ich nach meiner Notfalltasche, sprang die Treppenstufen hinunter und verschwand durch die Haustür in die Abenddämmerung. 

Das Brennen aus meinem Inneren strahlte nun in meine Beine und ich konnte laufen wie noch nie zuvor. Barfuß lief ich über den kalten Asphalt in Richtung Park. Ich rannte einfach weiter. Nach hinten schauen wollte ich nicht. 

Als ich an meinem Lieblingsplatz im Park angekommen war, blieb ich stehen. Ich merkte wie die Anstrengung in meinen Körper einkehrte und es mir den Hals schmerzvoll zuschnürte. Ich hockte mich hin und nahm meine Boots aus der Tasche und zog sie mir über. Die Jacke, welche ich meiner Mutter stibitzt hatte legte ich mir über die Schultern. 

Ich machte mir keine Gedanken darüber was passieren würde. Ich war nur froh, dass ich nicht eine weitere Nacht als seine nächtliche Vergnügung leben musste.


"It's not the pain and the wounds that are the worst... The worst is the humiliation."
― Pascal Mercier

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1000 Wörter 26/04/2020


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