Kapitel 67

,,Es..sie.. sie ist tot." Seine Stimme klang einerseits erfreut und andererseits so zerstört.
Zittrig atmete er ein.

,,Sie und Ariana sind tot."

Und auch wenn ich mich in diesem Moment freuen wollte, wenn ich am liebsten Luftsprünge gemacht hätte, konnte ich nicht.

Ich musste automatisch an all die Dinge denken, die ich mit Ariana erlebt hatte. Wir beide zusammen. Weinend. Einander tröstend.
Hatten versucht über Frau Coopbeers Tod hinweg zu kommen.

Hatte sie mich schon da gehasst?
Weil sie der Meinung war, dass ich Schuld war?
Vielleicht war ich das ja auch.
Aber woher sollte ich das wissen?
Woher hätte ich das auch nur ahnen können?

Hatte sie mich gehasst, weil sie wegen mir im Koma lag?
Oder war das Plan?
Aber das wäre doch zu riskant gewesen, oder?

Ich blickte da einfach nicht mehr durch. Das war alles so... kompliziert.

Plöztlich schossen mir Tausende von Szenen in den Kopf. Gedankenverloren musste ich an Zayn denken.

Würde er ihren Tod verkraften?
Würde er meinen womöglichen Tod verkraften?

Mein Herz schlug schnell. Ich schien es nicht mehr unter Kontrolle zu haben. Aber das konnte man doch garnicht.

Die Geräte piepsten laut.
Verzweifelte Schreie drangen zu mir durch. Meine Gedanken waren aufeinmal benebelt. Mein Atem ging schnell. Die Stimmen lachten.
Freuten sich über meinen Zustand.

,,Aylin! Aylin!" Ich spürte Zayns hektischen Atem. Fühlte seine Träne auf meiner Wange.

Und wie als ob mir irgendeine Macht Erlaubnis erteilt hatte, konnte ich kurz reden. Konnte kurz sagen, was gesagt werden musste.

,,Es tut mir leid." Es war zwar nur ein leises Flüstern, doch war ich mir sicher, dass er es gehört hatte.

,,Nein Aylin. Dir brauch nichts leid tun." Nur noch halb bekam ich mit, wie er mir einen Kuss auf die Stirn gab. Nur noch leicht bekam ich mit, wie die Tür geöffnet wurde.

Tschüss.
An alle.
An alle, die mich gehasst hatten.
Mich gemobbt hatten.
Vielleicht wart ihr dafür bestimmt mich zu hänseln.
Vielleicht.
Vielleicht auch nicht.
Vielleicht hatte ich damals übertrieben.
Vielleicht auch nicht.

,,Zur Seite! Möglicherweise können wir sie noch retten!"

Daran glaubte ich nicht.
Was ein Pessimist ich aber auch war.

*****************

Ich wusste, dass ich in so einer Ebene war, die zwischen dem Tod und dem Leben war.
Ich wusste, dass Zayn gerade um mich bangte.
Ich wusste, dass die Ärzte gerade um mein Überleben kämpften.

Und trotzdem wollte ich irgendwie nicht wieder aufwachen.
Denn wenn ich aufwachen würde, dann wäre diese Ruhe, die in dieser Ebene herrschte, verschwunden.

Dann würde ich endlich das volle Amt der Königin einnehmen müssen.
Dann müsste ich den Familien in das Gesicht schauen, deren Verwandten, Geliebten, ich umgebracht hatte.
Dann müsste ich ihnen erzählen, dass sie mir wichtig seien.

Wer würde mir schon glauben?

Mich als Königin akzeptieren?

Ganz genau.
Keiner.
Absolut keiner.

Vielleicht war das einer der Gründe, weshalb ich in diesem Moment sterben wollte. Vielleicht aber war es auch die endlose... Lustlosigkeit.
Ich hatte meine Aufgabe doch erfüllt.
Dann hatten sie doch alle gesagt, dass sie mich in Ruhe lassen würden.
Dass ich dann tun dürfte, was ich wolle.
Und wenn es nunmal das war, was ich wollte?
Wenn ich eben nicht weiterleben wollte?
Warum hinderten sie mich dann daran?

Und da fiel es mir auf.
Da bemerkte ich es.

Ich würde nie frei sein. Ich würde immer Aufgaben haben. Hatte ich die eine erledigt, würde eine neue dazu kommen.
Den Krieg hatte ich beendet, nun sollte ich eine gute Königin werden.
Vielleicht könnte ich dabei glücklich werden.
Möglicherweise könnte ich irgendwann lächelnd und glücklich auf mein Volk herab blicken.
Vielleicht würden sie mich lächelnd und stolz anschauen.

Vielleicht auch nicht.

Das konnte ich doch nicht wissen.
Aber eins wusste ich.

Ich würde es tun müssen.
Als Entschuldigung für die Morde, die ich begangen hatte.

Weil ich doch garnicht wirklich die Kraft hatte mich zu wehren.

Ach, ich übertrieb alles wieder.

Übertrieben. Das waren meine Gedanken.

Diese Selbstzweifel mussten doch irgendwann nerven, oder?

Vielleicht hatte mich Ariana deswegen nicht mehr gemocht.

***************

Langsam kam ich wieder zu Sinnen.
Langsam öffnete ich die Augen.

Schwarz.
Das war die Farbe des Raums in dem ich mich befand.

Ängstlich.
So fühlte ich mich.

Betäubt schaute ich um mich.

Ich war allein. Neben mir piepende Geräte. Vor mir ein schwarzer Schrank. 

Das einzige, was in diesem Raum weiß war, war die Platte, auf der ich lag.

Irgendwie passten wir zusammen.
Wir beide waren Außenseiter.

Meine Gedanken wurden durch ein lautes, langes Zischen unterbrochen.

Verwirrt betrachtete ich die weiße Platte.

Es brauchte mindestens zehn Sekunden, bis ich begriffen hatte, dass das Loch, welches funkelte und zischte, gerade noch nicht da gewesen war.

War ich das gewesen?

Nein, das konnte nicht sein, oder?

Du bist echt komisch. Natürlich warst das du, du Hohlkopf.

Oh.
Aber wie.. wie konnte das sein?

Du bist nunmal mächtig. Du bist das Kind, das den Krieg beenden sollte. Du solltest dich gegen Hunderte und ihre Verbündeten auflehnen. Wie sonst hättest du es allein geschafft? Und da braucht man nunmal mehr als ein Element.

Komischerweise erschrak mich diese Entdeckung nicht. Es kam mir gar nicht ungewöhnlich vor.
Schon viel schlimmeres und erschreckenderes hatte ich immerhin erfahren.
Komischerweise erschrak ich mich bei dem Klang ihrer Stimmen in meinem Kopf nicht.

Es fühlte sich irgendwie so vertraut an mit ihnen so zu reden.
Und so fragte ich weiter.
Genoss diese kurze Zeit. Frei von allen Attacken. 

Aber der Krieg war doch meine Mutter, oder?

Seit wann konnte ich mich eigentlich mit den Stimmen in Gedanken unterhalten? Früher musste ich immer reden. Lag es an meiner wachsenden Macht? Wahrscheinlich.

Lamia. Sie hieß Lamia. Und ja, aber das wusste sonst niemand. Sonst hätte das Volk sie doch niemals herrschen lassen. Und so hat der Rat etwas in die Welt gesetzt, was die Menschen glaubten. Denn dass es einen Krieg gab, konnten sie nicht verheimlichen. Lamia war es nämlich, die diese Organisation gründete. Sie war diejenige, die die Menschen in unsere Welt führte und Aufstände anzettelte.
Deswegen war sie der Krieg. Der Rat glaubte, dass wenn sie sterben würde, die Organisation mitsterben würde.
Der Rat ließ, als sie dem Volk alles erzählten, dabei das wichtigste Detail weg. Deine Mutter. Und da wurdest du geboren. Lamia hatte ihren eigenen Untergang zur Welt gebracht.

Dass sie mich nur zur Welt gebracht hatte und sich danach einen Dreck um mich geschert hatte, erwähnte ich nicht. Aber ich wusste, dass die Stimmen Bescheid wussten.

So fragte ich weiter.
Gierig nach Informationen, auf die ich schon so lange gewartet hatte.
Zitternd am zuhören.
Manchmal kneifte ich mich, um sicherzustellen, dass das kein Traum war. Dass das kein Alptraum war.

Und jedes Mal hatte ich gemerkt, dass all das die Wahrheit war.

Autsch.
Das würde blaue Flecken geben.

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