Kapitel 59

Es tat mir in der Seele weh, dass mein Vater so verletzt war. Er liebte meine Mutter noch immer. Er hatte die Hoffnung nie aufgegeben. Er war stark. Jedoch musste es sein.

Ich legte meine Hand behutsam auf seinen Arm. Er zuckte kurz zusammen, schaute jedoch trotzdem nicht hoch.
Wir schwiegen eine Weile lang.

,,Wir... wir müssen den Plan besprechen.", hauchte er. Sein ganzer Körper zitterte währenddessen.

,,Hast du schon eine Idee?"

,,Nein." Er sprach so leise, dass ich Mühe hatte ihn zu verstehen.

,,Welches Element hat sie denn?"

,,Feuer."

Wasser und Feuer. Elemente, die nicht unterschiedlicher hätten sein können. Menschen, die genauso unterschiedlich waren.

,,Wann wollen wir sie denn angreifen?"

,,So.. schnell wie möglich, oder?" Er zögerte immer wieder. Konnte es immernoch nicht wahrhaben.

,,Ja. So schnell wie möglich." Die Spannung zwischen uns war unerträglich. Zum Greifen nah.

,,Wie wollen wir den Krieg denn beenden?", fragte ich. Er schaute mich an. Ich ihn. Er verstand, was ich damit meinte. Verstand meine Aussage dahinter.

,,Ich.... ich weiß es nicht."

,,Ich auch nicht....
Aber... aber eine Frage habe ich noch. Der Krieg war die ganze Zeit meine... Mutter? Aber wie kann das sein? Immerhin steht in den Büchern, dass es eine Organisation gäbe, die uns vernichten wolle. Das haben uns auch alle Lehrer erzählt. Ich und meine... Mutter wollten doch vor einigen Monaten zu dieser Organisation. Das ergibt keinen Sinn, wenn es diese Organisation doch nicht gibt."

,,Die Organisation gibt es. Aber sie ist nicht gefährlich."

,,Und wenn sie es bald wird? Sie könnten es ja anderen Menschen erzählen."

,,Die Menschen glauben sowas nicht. Sie würden die Personen, die erzählen, dass es Menschen gibt, die die Elemente beherrschen können, für verrückt erklären."

Es stimmte. Hätte mir jemand früher sowas erzählt, dann hätte ich ihn auch für verrückt erklärt.
Doch trotzdem hatte ich dem Brief leichten Glauben geschenkt. Trotzdem war ich in den Garten gegangen, mit gepackter Tasche, und hatte gewartet.

,,Solange die Organisation nicht angreift, ist alles gut. Immerhin haben wir gerade größere Probleme."

,,Ja."

,,Sie kommt!" Sein Blick verweilte, wie schon so oft, auf mir. Seine Augen suchten meine. Kurz ließ er allen Emotionen freien Lauf. Kurz konnte man hinter sein Gesicht schauen. Alle Gefühle sehen.
Doch als ich ihm tief in die Augen schaute, zog ich scharf die Luft ein.
Tausend Gefühle. Emotionen.
Wut.
Trauer.
Schmerz.
Angst.
Freude.
Und mehr.

Ich verstand nicht, warum er glücklich war.
Warum er Angst hatte.
Doch wusste ich ja auch nicht, was gerade in seinem Kopf vorging.
Wusste nicht, was er gerade dachte.
An wen er dachte.

******************

,,Warum?!"

,,Warum nicht?" Sie grinste mich wieder an. War die einzige, die lachte.

,,Du weißt, dass sie mir wichtig ist!"

,,Das weiß ich."

Tränen fielen auf die schwarzen Haare von Ariana. Ich hielt sie in meinen Armen. Sie war bewusstlos. Überströmt mit blauen Flecken.
Eindeutige Spuren.
Zeichen.

,,Warum hast du es dann getan?! Warum?"

,,Weil es Spaß macht."

,,Es macht dir Spaß andere zu schlagen?!"

,,Es macht mir Spaß dich leiden zu sehen."

Wiederholt schnappte ich hektisch nach Luft.
Wiederholt schwitzte ich.
Wiederholt schaute ich sie schockiert an.
Wiederholt war ich sprachlos.

Wie konnte man nur so scheußlich sein?

,,Warum wehrst du dich nicht?", flüsterte ich.

,,Gegen was?"

,,Die Stimme." Schockiert schaute sie mich an. Dann holte sie aus und schlug mich. Wieder. 

,,Sei still.", fauchte sie und verschwand nach oben.

Warum schlug eine Mutter ihr Kind?

Warum tat sie all das?

Warum hatte sie Spaß daran, wenn ich litt?

Auf all meine Fragen gab es eine Antwort. Eine Antwort, die zu jeder Frage passte:

Wegen der Stimme. Ihrer Hoffnungslosigkeit. Ihrer Schwäche.

Sie wehrte sich nicht. Hatte vielleicht schon aufgegeben.

*******************

,,Ruh dich aus." Ariana lag vor mir. Ich hatte sie in ein Gästezimmer gebracht. Meine Mutter bestand darauf, dass wir hier blieben.
Ariana war außerdem noch schwach. Zu schwach.
Ich hatte wirklich Angst um sie.
Immerhin war sie meine Freundin.
Ich wollte nicht auch noch sie verlieren.

Nachdem ich sie zugedeckt hatte, verließ ich das Zimmer. Sie hatte mir einfach nur zugenickt. Zu mehr war   sie nicht in der Lage.

Seit wir hier angekommen waren, hatte mein Herz nicht mehr aufgehört zu schmerzen. Ich hatte nicht aufgehört Tränen zu vergießen.

Und auch jetzt war es so. Auch jetzt schluchzte ich und weinte. Auch jetzt hatten meine Wangen einen rosigen Ton angenommen. Auch jetzt waren meine Wimpern völlig durchnässt.

*************
Ich hatte einen Weihnachtswunsch.
Einen, der nicht leicht zu erfüllen war.
Einen, bei dem ich definitiv ein Wunder bräuchte.
Denn dieser Wunsch war nicht leicht.
Keine Kleinigkeit.

Ich wünschte mir, dass all das ein Ende nahm. Dass wir alle nicht mehr diese Schmerzen ertragen mussten.

Obwohl ich nicht an Wunder glaubte, hoffte ich leicht auf eines.  
Ich wusste, dass es sinnlos war, aber es war gut zu hoffen.
Immerhin konnte mir das niemand nehmen.
Niemand konnte mir die Hoffnung wegnehmen.
Den Glauben.
Nicht schonwieder.
Das würde ich nicht zulassen.

*****************

Langsam öffnete ich meine Augen. Die Sonne blendete mich sofort und ließ mich meine Augen wieder zukneifen. Nach einigen Sekunden öffnete ich sie wieder, schaute schnell in eine andere Richtung und versuchte mich an das helle Licht zu gewöhnen.
Allmählich funktionierten meine Sinne wieder und ich hörte das Zwitschern der Vögel. Hörte das Plätschern des Flusses. Die Lache der Kinder.
Die warmen Strahlen der Sonne vertrieben meine Gänsehaut, die ich gerade noch wegen der Kälte hatte.
Obwohl es Winter war, schien die Sonne und es gab keinen Schnee.

Ich beendete meine Gedanken und schwang mich aus dem Bett. Meine Füße berührten den kalten Laminat. Sofort bekam ich wieder eine Gänsehaut. Schnell tapste ich zum Schrank, um mir Socken zu nehmen.
Ich schlief immer ohne Socken. Es war einfach eine Angewohnheit.

Nachdem ich das Zimmer verlassen hatte, ging ich in das Nebenzimmer, in welchem Ariana schlief.
Erst klopfte ich. Dann ging ich hinein.
Ich erwartete eine schlafende Ariana.
Doch als ich auf das leere Bett blickte, stockte mein Atem. Schnell durchsuchte mein Blick den Raum.

Nirgends war Ariana in Sicht.
Nun hetzte ich nach unten. War die Treppen fast hinunter gefallen.

,,Wo ist sie?", hatte ich atemlos gefragt. Meine Mutter schaute mich schräg an.

,,Wer?" Sie wusste doch genau wer.
Sie wusste doch genau, wo sie war.
Sie wusste es doch genau.

,,Ariana!" Ich stapfte zu ihr und stellte mich vor sie. Bedacht darauf, sie nicht zu berühren.

,,Bei deinem Vater."
Wow. Tolle Information.

,,Und wo ist er?!" Langsam wurde ich wütend. Mir war gerade definitiv nicht nach Spaßen.

,,Im Krankenhaus." Sie sagte es so gelangweilt. Desinteressiert.

,,Wie im Krankenhaus? Was ist passiert?"

,,Diese Ariana hatte einen Schwächeanfall. Dein Vater ist mit ihr zum Krankenhaus gefahren. Nicht weiter schlimm."
Nicht weiter schlimm? Nicht weiter schlimm?! Das war sehr wohl schlimm.

,,Ich möchte zu ihr."

,,Dann geh doch." Sie war richtig spaßig drauf.

,,Aber ich weiß doch garnicht, wo das Krankenhaus ist."

,,Ruf dir ein Taxi." Ihr Ernst?

,,Ich habe kein Geld."

,,Dann besorg dir einen Job." Ich atmete einmal laut ein und aus, um nicht völlig durchzudrehen.

,,Sag mir doch einfach, wo das Krankenhaus ist!"

,,Straße geradeaus, dann links. Dann rechts. Zweimal. Und dann wieder links. Dann einfach nur noch geradeaus." Sie sprach so hektisch, sodass ich einen kurzen Moment brauchte, um mir ihre Anleitung ansatzweise zu merken.

,,...Danke." Sofort verschwand ich wieder aus der Küche und stürmte nach oben, holte meine Jacke, zog mich schnell an und verschwand dann aus dem Haus. Ich war froh, dass mein Vater mit Ariana gefahren war. Dass es nicht meine Mutter war.

Draußen angekommen atmete ich die frische Luft ein. Genoss den kurzen Moment der Ruhe.
Der Sturm hatte angefangen.
Gestern schon.
Und er würde definitiv nicht so schnell aufhören.

Mal wieder beendete ich schnell meine Gedanken und schritt weiter.
Nun gut, mal los.

Zu Ariana!
Zum Krankenhaus!

Ich hoffe inständig, dass es Ariana gut ging. Dass wieder alles in Ordnung wäre. Dass sie, ihrem Zustand entsprechend, stabil war.

Hoffte es so sehr.
So verdammt sehr.
So sehr, dass sogar ein paar Tränen meine Wange hinunter tropften und meine Jacke durchnässten.

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