8. Kapitel

TW. Panikattacken, Tod, Blut & Waffen

"Ähm, Hyunjin? Warum ist es so dunkel?" Doch als Antwort erhielt ich nur ein leises Wimmern. Vorsichtig tastete ich mich aus meinem mehr oder weniger gutem Versteck und wedelte mit meinen Armen, um den Älteren zu finden. "Hyunjin, wo bist du? Kannst du was sagen?" Schon wieder keine Antwort, nur ein angsterfülltes Keuchen. "So dunkel..." Endlich spürten meine Finger etwas, was sich menschlich anfühlte.

"Hey, ist alles gut?" Ich merkte, dass der Junge mir gegenüber heftig am Zittern war. Immer wieder schnappte er nach Luft, doch es hörte sich eher so an, als ob er ersticken würde. Ich ließ meine Hand seinen Arm runterwandern und verschränkte seine Hand mit meiner. Versuchte ihm Schutz zu geben, auch wenn ich nicht ganz verstand, was gerade passierte. Irgendwie musste ich ihn beruhigen, sonst kippte er mir hier wegen Sauerstoffmangel noch um.

Als ich mich neben ihn setzte, fiel mir ein, was meine Schwester mir über Panikattacken erzählt hatte. Dass sie plötzlich aufkamen und die Mitmenschen es teils nicht verstehen konnten, weil sie keine Trigger erkennen konnte. Doch nur weil manche ihn nicht sahen, hieß es nicht, dass es ihn nicht gab.

Verzweifelt versuchte ich mich zu erinnern und überlegte gleichzeitig was davon hier möglich war. Olivia hatte früher extreme Panikattacken. Dadurch, dass sie Trans war, hatte sie ziemlich viel Hate abbekommen, der sich natürlich negativ auf ihre Psyche auswirkte. Sie litt unter Sozialphobie, Vertrauensproblemen und am schlimmsten waren bei ihr die Selbstzweifel, welche selbst nach 2 Jahren Therapie noch nicht weg waren. Doch ich hörte, dass sowas echt lange dauern konnte...

Ich zwang mich dazu, mich wieder auf die Gegenwart zu konzentrieren. Ich rutschte näher an Hyunjin rann, um ihm meinen Arm um die Schulter legen zu können. Die andere Hand hielt immer noch seine und wurde fast zerquetscht. Zuerst wollte er mich wieder wegschubsen, doch ich blieb hartnäckig. Als er seinen Wiederstand lockerte, begann ich vorsichtig mit ihm zu reden. "Du bist in Sicherheit. Niemand wir dir etwas antuen, ich beschütze dich", versprach ich ihm.

"Nein, er darf nicht sterben!" Ich ließ mir von meiner Verwirrung nichts anmerken und drehte sein Gesicht in meine Richtung. Obwohl ich nichts erkenne konnte, hatte ich das Gefühl unsere Augen würden sich treffen. "Hörst du meinen Atem? Versuche ihn mir nachzumachen." Ich legte seine freie Hand auf meinen Brustkorb und atmete besonders deutlich. "Tief Luft holen, ja du machst dass super." Am Anfang waren seine Versuche noch sehr zittrig, doch es wurde mit der Zeit besser.

Als ich das Gefühl hatte, er war auf dem Weg der Besserung, leitete ich den nächsten Schritt ein: Ablenkung. Liv hatte ich früher immer nach ihren Hobbies und Freunden ausgefragt, doch da ich keine Ahnung hatte, was er mochte, musste ich anders anfangen. "Zähle mir fünf Sachen auf, die du gerade spürst."

Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern und er unterbrach sich häufig selbst, doch ich verstand ihn trotzdem. "D-deine Hand in m-meiner. Die, die Matratze u-unter mir. Deinen A-atem auf- meiner Wange. Den Bo-boden an meinen- Füßen. Und mein T-Shirt, w-welches über meine Rücken reibt." Ich lobte ihn und machte direkt weiter. "Sag mir jetzt vier Dinge, die dein Körper ohne deine Einwilligung macht", wies ich ihn an.

"Mein g-ganzer Körper zittert. Ich schwitze und meine Finger krallen sich in deine. Ich kann meine Augen nicht öffnen." Sanft verstärkte ich meine Umarmung, saß jetzt fast auf seinem Schoss. "Du machst dass sehr gut. Und jetzt drei Geräusche", forderte ich ihn auf. "Deine Stimme, das rascheln, wenn ich mich bewege und-", für den letzten Punkt brauchte er etwas länger und wir lauschten zusammen in die Stille rein. "Das leise klackern in den Rohren."

Überrascht, dass er so was wahrnehme konnte machte ich weiter. "Und was für zwei Gerüche sind hier?" Kurz zögerte er, sprach dann aber sicher. "Dein Parfüm und der Geruch nach Gummi." Ich nickte, obwohl er es nicht erkenne konnte. "Und was siehst du?" Ich spürte eine leichte Bewegung, glaubte er würde gerade den Kopf schief legen. "Dunkelheit."

Kurz herrschte eine Stille, dann stellte ich meine letzte Frage. "Geht es dir jetzt besser?" Bevor er antwortet zog er mich nun komplett auf sich und versteckte seine Nase in meiner Halsbeuge. "Ja, danke." Sein Atem an meinem Hals verursachte bei mir eine angenehme Gänsehaut. Erst in dem Moment wurde ich mir meiner Situation bewusst.

Ich saß breitbeinig auf Hyunjin und er kuschelte sich an mich. Und dass komischste, es machte mir nichts aus. Ich hätte gedacht ich würde ihn sofort wegstoßen und mich in Sicherheit bringen wollen, wie sonst immer. Doch stattdessen tat ich das genaue Gegenteil, ich schlang meine Arme um ihn, damit ich Hyunjin noch näher sein konnte. Was stimmte mit meinem Körper nicht, seit wann erlaubte er Körperkontakt?

Ich kam nicht weiter, mir den Kopf darüber zu zerbrechen, da Hyunjin anfing zu sprechen. "Ich denke mal, ich bin dir jetzt eine Erklärung schuldig, stimmts?" Tatsächlich war ich neugierig, aber ich wollte ihn zu nichts zwingen. "Wenn du noch nicht bereit bist, dann musst du nicht", sprach ich mit sanfter Stimme zu ihm.

"Ich hab keine Ahnung, warum das gerade so ist, aber irgendwie will ich es endlich jemandem erzählen. Warum ich genau dir vertraue, frag ich mich auch, aber es ist halt einfach so. Und jetzt hör zu und genieß es, dass mein Körper sich dir öffnen will." Ich gab ihm ein Zeichen zu beginnen und Hyunjin atmete tief durch, bevor er anfing zu erzählen.

"Ich war acht als es passierte. Wir lebten damals in einem großen Haus, weil mein Dad viel verdiente. Er arbeitete als Arzt in einem Krankenhaus und war dadurch nur selten zu Hause. Trotzdem versuchte er meiner Schwester und mir eine perfekte Kindheit zu bieten. Er trug Yeji und mich quasi auf Händen, erfüllte uns jeden Wunsch. Bis zu diesem Abend..." Seine Stimme brach am Ende, doch er fing sich schneller als gedacht und fuhr fort mit seiner Erzählung.

"Es war der 29. Juli und ein Freitag. Dad hatte seit langem mal wieder das Wochenende frei und wir wollten alle zusammen, als Familie einen Ausflug in den Freizeitpark machen. Nur dass daraus nie was geworden ist." Ich konnte verstehen, dass er Zeit brauchte, trotzdem nervte es mich, da es immer spannender wurde.

"Ich ging früh ins Bett, da ich am nächsten Tag ausgeruht sein wollte. Doch ich hatte einen Albtraum, weshalb ich zu meinen Eltern ins Bett wollte, damit sie mich beschützten. Doch als ich aus meinem Zimmer trat, merkte ich, dass zwei Fremde Personen mit Taschenlampen bei uns im Erdgeschoß rumliefen.

Ich hatte Angst, weshalb ich schneller rannte und meine Eltern weckte. Sie glaubten mir zuerst nicht, doch als ich nicht nachgab wollte mein Dad selbst nachsehen. Die schlechteste Entscheidung seines ganzen Lebens. Meiner Mom war das alles nicht geheuer, weshalb sie die Polizei rief, die versprach so schnell wie möglich zu kommen.

Danach wollte sie ihren Mann zurückrufen, doch es war zu spät... Sie wollte gerade aus dem Zimmer treten, als man Kampfgeräusche von unten hörte. Ich als kleines, dummes Kind dachte, ich könnte meinem Dad helfen, deswegen schlich ich die Treppe runter und erkannte, wie die beiden schwarz maskierten meinen Dad mit einer Pistole bedrohten. Ich verstand dass alles damals noch nicht. Ich wusste nicht, wie gefährlich solche Waffen sind.

Ich lief durch den Raum und umarmte sein Bein, mit der Hoffnung es würde alles wieder gut werden. Ich erinnere mich nicht mehr, was danach genau alles passiert ist, aber als man endlich Polizeisirenen hören konnte, war der Mann mit Pistole kurz abgelenkt. Sie wollten fliehen, doch mein Dad stellte sich ihnen in den Weg, sagte, dass sie nicht an ihm vorbeikommen würden.

Der Typ mit Pistole flehte ihn an, zur Seite zu gehen, da er sonst schießen würde. Aber mein Dad war schon immer furchtlos, ich glaube in diesem Moment unterschätzte er die Situation einfach. Er glaubte nicht, der Maskierte würde sich trauen zu schießen. Doch er lag falsch, und ich sah es. Genau in dem Moment, wo der Mann abdrücken wollte, schrie ich ihn an, zur Seite zu gehen.

Allerdings schreckte ich somit den Pistolentyp auf, der deshalb abdrückte. Ich hatte meine Augen zusammengekniffen, doch als ich sie wieder öffnete war da überall Blut. Auf dem Teppich, an den weißen Wänden, sogar am Fenstern. Die beiden Einbrecher hauten ab, aber ich hatte nur Augen für meinem Dad. Ich kniete mich neben ihn, flehte ihn an wieder aufzuwachen. Doch das tat er nie wieder. Er verblutete direkt vor meinen Augen und ich konnte nichts machen.

Als der Krankenwagen eintraf hatte er bereits keinen Herzschlag mehr. Für mich brach damals meine Welt zusammen, weil ich nicht verstehen konnte, dass mein Dad wegen mir gestorben war. Obwohl sie es versucht zu verstecken, merke ich, wie selbst meine Mom mir die Schuld für seinen Tod gibt.

Dass einzig gute war, dass er die beiden Einbrecher wirklich solange aufhalten konnte, dass sie der Polizei direkt in die Arme kannten.

Seit dieser Nacht habe ich unglaubliche Angst vor der Dunkelheit, weil jedes mal, wenn ich die Augen zumache, sehe ich dieses Bild vor meinen Augen, wie mein Dad blutverschmiert auf dem Boden liegt."

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Armer Hyunjin :'(

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