Kapitel 21 ❀ cauchemars
ALIÉNOR
Keuchend schreckte ich auf.
Mein Herz klopfte mir nahezu bis zum Hals und ich starrte in die Dunkelheit meines Schafzimmers, ehe meine Augen augenblicklich feucht wurden und ich spürte, wie sich meine Kehle zuschnürte. All das war wie eine weitere Strafe für mich. Diese Albträume, die mich schon seit Nächten verfolgten und wach hielten.
Schwer schluckend bemühte ich mich, mich selbst zu beruhigen und versuchte, das Bild von meinem sterbenden Vater aus dem Kopf zu bekommen, bevor ich mich zu Rafael drehte, der friedlich neben mir schlummerte. Vorsichtig rüttelte ich etwas an seinem Arm.
„Rafael...", krächzte ich leise und wiederholte meinen Versuch. „Bitte wach auf..."
Ich sah im Mondschein, wie seine Augenlider aufflatterten und er mich kurzzeitig musterte, bevor er sich durch seine Ellenbogen aufstützte, um mit meinem Kopf auf einer Höhe zu sein. „Aliénor, was ist geschehen?"
„R-Rafael", hauchte ich erneut mit bebender Stimme und kleine Tränen flossen mir über die Wangen, als er mich schon automatisch in seine Arme zog, sodass ich mich an ihn schmiegen konnte. Obwohl ich mich nicht vollständig beruhigen konnte, merkte ich augenblicklich, wie gut mir seine körperliche Nähe tat.
„Shhh, alles ist gut", wisperte er liebevoll und gab mir einen kleinen Kuss auf den Scheitel. „Albtraum?"
Langsam nickte ich. „So viel passiert in letzter Zeit... i-ich kann einfach nicht mehr... - die komische Anspannung zwischen meiner Schwester und mir, dann wirst du verhaftet; dazu kommen die ständigen Bälle und Reisen, und dann segnet Papa auch noch das zeitliche, und..." Ich brach ab und atmete einmal tief durch.
„Weißt du... jedes Mal sehe ich ihn im eiskalten Wasser, w-während er ertrinkt... u-und ich stehe daneben und kann nichts tun", erklärte ich ihm schluckend. „I-Ich komme mit seinem Tod immer noch nicht zurecht und werde es wahrscheinlich auch niemals... ich will, d-dass es aufhört..."
Er nahm mein Gesicht in seine Hände und blickte mir in die Augen, ehe er mir einen zärtlichen Kuss auf die Lippen drückte. „Ich kann dir deinen Papa auch nicht wiedergeben, aber du trägst keine Schuld. Niemand kann etwas für das Geschehene, Aliénor, und niemand verurteilt dich."
„Trotzdem kann ich nicht aufhören, an ihn zu denken", gab ich keuchend zu und vergrub mein Gesicht in seiner Halsbeuge. „Ich bin im Streit mit ihm auseinander gegangen... weißt du, wie schlimm es ist, dass unsere letzte Unterhaltung so negativ verlief?"
„Ich kann dich voll und ganz verstehen... doch trotz alledem habt Ihr Euch geliebt... und du brauchst keine Angst zu haben, dass du nie wieder glücklich sein kannst... die hast du doch, n'est-ce pas?", fragte er vorsichtig nach, worauf ich schniefend nickte und nahezu entschuldigend zu ihm aufsah. Er setzte sich noch einmal auf.
„Schau mal: Das Leben geht weiter, Aliénor. Wir zwei sind zusammen und selbst, wenn dein Vater nicht mehr unter uns verweilt, wirst du damit zurechtkommen... gestern warst du doch auch so glücklich..."
„Ja...", schniefte ich. „Das bin ich auch so sehr, Rafael, und ich will auch niemand anderen bis auf dich... bloß es fühlt sich so an, als sei ein Teil von mir an diesem Abend mit ihm gestorben..."
~*~
Und erneut reisten wir weiter. Dieses Mal ging es zum Wintersitz der kaiserlichen Familie - genauer gesagt in das Château Cheverny, ein wunderschönes Schloss süd-westlich von Paris, in der der Geburtstag meiner Tante Marie-Thérèse gefeiert werden sollte.
Wie so oft hatte ich wenig Lust auf eine Veranstaltung dieser Art und genoss die Zeit zuhause, selbst wenn mir etwas Abwechslung möglicherweise ganz gut tun würde. Rafael wachte in jeder Nacht an meiner Seite und half mir durch die schwere Zeit, und wie alle anderen hielt er die Idee, zu verreisen in diesem Falle für eine gute.
Das einzig enttäuschende an der Angelegenheit war, dass Flora und Charles nicht dabei sein konnten. Mein älterer Bruder beanspruchte seit dem Tod meines Vaters seine Nachfolge für unser Herzogtums. Nun war er an der Reihe, einige Dinge bezüglich der Krönung, die bald schon stattfinden sollte, mit Flora und einigen Beamten zu klären, weshalb die beiden leider nicht teilnehmen konnten.
Meine jüngeren Geschwister blieben zudem ebenso erst einmal zu Hause, wo sie von der Baronin und einigen Angestellten umsorgt wurden.
━━
Wie jedes Schloss und jeder Palast, der im Besitz der kaiserlichen Familie von Frankreich war, war unser neues, kurzzeitiges Zuhause wundervoll und strotzte nur so vor Pracht.
Mit offenem Mund betrachtete ich die vielen Bilder an den Wänden, die liebevoll dekorieren Möbel und den wertvollen Kronleuchter in meinem und Rafaels Zimmer.
Diese Einrichtung gefiel mir um einiges besser, als das unübersichtliche Versailles, das schon eher eine kleine Stadt war. Hier konnte ich mich jedoch an Valençay erinnern, ohne mich aber zu langweilen.
Trotz alledem war es eigenartig zu wissen, dass ich nun mit Rafael zusammenlebte, wenn mein Vater mich davor gewarnt hatte, auf das Ansehen der Familie Acht zu geben und aufzuhören, nur an mich zu denken... - in einer gewissen Art und Weise tat ich nämlich die ganze Zeit das, was er mir vorgeworfen hatte.
Während Rafael seiner Arbeit nachging, saß ich alleine in unseren Gemächern über einen guten Roman gebeugt; als ich Schritte auf dem Gang vernahm.
Wie erwartet, klopfte man an meiner Tür und ich bat die Person hinein. Doch anstatt von meiner Mutter oder meiner Zofe, erblickte ich Louis-Antoine in der Türschwelle.
„Oh, Bonjour", begrüßte ich ihn schwach lächelnd und klappte das Buch, das ich so eben noch studiert hatte, zu, um mich zu erheben und vor ihm zu knicksen.
Es war schon seltsam, dass ich dies die letzten Wochen lang nie getan hatte; jetzt aber, wo wir uns besser verstanden, in einem Hofknicks versank. Jedoch tat ich dies aus bloßem Respekt, der nun auf beiden Seiten für einander existierte.
„Bonjour. Ich hoffe, Euch gefällt es hier", entgegnete er ernst wie sonst auch und sah sich etwas in unseren Räumlichkeiten um.
„Selbstverständlich", erwiderte ich zufrieden, und bemerkte, wie sich die altbekannte Stille zwischen uns beiden anzubahnen schien.
Irgendwie machte mich es etwas traurig, dass er - obwohl er in die Freundschaft eingewilligt hatte - nach wie vor nicht sonderlich gesprächig war.
Möglicherweise fand meine Enttäuschung ihren Grund darin, dass ich noch zarte Gefühle für ihn hegte, die ich zwar noch immer nicht verstand, aber auch versuchte zu unterdrücken.
Zumindest aber konnte ich mir sicher sein, dass diese Empfindungen auf seiner Seite nicht mehr existierten... wenn sie es überhaupt jemals hatten.
„Wisst Ihr...", begann er schließlich doch.
„Ich habe aufgrund des Geburtstags meiner Mutter recht viel Zeit an dem heutigen Tage. Da ich hörte, dass Ihr ein großer Bücher-Liebhaber seid, dachte ich, dass einer umfangreichste Roman-Sammlungen Frankreichs Euch vielleicht interessieren würde..."
Geschmeichelt über seinen Vorschlag, den er sicherlich nutzen wollte, um unsere Freundschaft zu stärken, lächelte ich zu meinen Füße herab.
„Es wäre mir eine Freude, Cousin."
♔ . ♔ . ♔
┏━━━━━━━━━━━┓
Übersetzungen
┗━━━━━━━━━━━┛
( TITEL ) → Albträume
( n'est-ce pas? ) → Nicht wahr? / Oder?
( Bonjour ) → Guten Tag / Hallo
━━━━━━━━━━━━━━━━━
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top