Kapitel 19 ❀ la mort
ALIÉNOR
Es war hell. Unglaublich hell.
Für einige wenige Sekunden dachte ich tatsächlich, dass ich einfach aus einem Albtraum erwachen würde, der nicht der Realität entsprach, bis mir der Ausflug am letztem Nachmittag einfiel. Meine Todesängste nahmen mich augenblicklich wieder ein, als wäre ich direkt auf dem Schiff. Ich riss meinen Kopf erst nach rechts und anschließend nach links, ehe ich erschrak, als ich eine mir unbekannte Person erblickte.
Tausend Fragen lagen mir auf der Zunge, jedoch schnitt mir die dunkelhaarige Frau mit dem sanften Lächeln im Gesicht das Wort ab: „Alles ist gut, Liebes. Du bist in Sicherheit. Trink erstmal einen Schluck Tee."
Sie reichte mir eine Tasse, die ich zögernd entgegen nahm. Erst jetzt bemerkte ich, dass ich in irgendeiner Art von Schlafzimmer zu sein schien.
Es roch nach alten Holz und ein kleines Fenster beleuchtete die spärliche, rustikale Einrichtung. Schon lange hatte ich mich nicht mehr in einer bürgerlichen Wohnung befunden.
„Wo bin ich hier?", krächzte ich weiterhin. Mein Hals schmerzte, meine Stimme klang kratzig, meine Erinnerungen schienen verschwommen und ich schnappte immer noch panisch nach Luft.
„In dem Haus meiner Familie - genauer gesagt in Méray, das ist ein kleines Dorf am Ufer des Sees, der zum Schloss Valençay gehört. Wir sind in der Nähe von Turin, Savoyen... für den Fall, dass deine Erinnerungen sind so gut wie ausgelöscht sind?", wollte sie mitfühlend wissen.
Zögerlich nickte ich. „Ja... ja, ich weiß nun, wo ich bin... nur wieso bin ich hier? Was ist geschehen?"
„Letzte Nacht zog ein gewaltiger Sturm über den See auf. So weit ich von meinem Gatten erfahren habe, ist das Segelschiff, welches gestern noch hier anlegen wollte, untergegangen. Irgendein junger Mann muss dich aus dem Wasser gefischt haben und hat dich anschließend zu uns gebracht. Du warst vollkommen unterkühlt und sahst aus, als seist du kurz vor deinem Ende", erklärte sie lächelnd, ehe sie resigniert ihre Lider senkte.
„Du kannst wirklich von Glück reden, dass er dich rettete, Liebes.... Ach, und da ist ja der junge Mann!"
Perplex wirbelte ich herum und schaute direkt in die Augen meines Retters.
„Rafael...", hauchte ich, bevor ich augenblicklich realisierte, was dies zu bedeuten hatte. Um jedoch darüber zu reden, ließ ich mir keine Zeit, sondern stolperte bloß aus meinem Bett, auf ihn zu. Überfordert trat er einen Schritt auf mich zu, bevor er mich im letzten Moment noch auffing. „Oh Gott, Rafael..."
„Sie kennen sich?", erkannte die Dame überrascht, Rafael beachtete sie jedoch kaum. „Alles ist in Ordnung, Aliénor", säuselte er beruhigend. „Ich hab' dich... ich hab' dich..."
„Lass mich nie wieder los... bitte", keuchte ich wimmernd und fuhr mit den Fingerkuppen über sein Gesicht, während er mich mit seinen Armen fest an sich drückte, als würde er meine Bitte damit sofort in die Tat umsetzen.
„Aliénor? Prinzessin Aliénor? Oh Hoheit, ich hatte ja keine Ahnung", bemerkte sie mit einer Mischung aus Überraschung und Angst in der Stimme, ehe sie sich verneigte.
„Danke für Ihre Fürsorge, Madame, doch muss ich nun zurück nach Haus'. Ich werde Euch einige Reiter zusenden, die Euch zum Dank für alles, was Ihr für mich tatet, Nahrung, Kleidung und Schmuck zukommen lassen", erklärte ich ihr schweratmend, griff nach meinem nach wie vor durchnässten Pelz und wandte mich an Rafael, als mir in das Unglück erneut in den Sinn kam: „Was ist mit den anderen Besatzungsmitgliedern geschehen, und wo ist Papa?"
„Aliénor, du musst dich wieder hinlegen", versuchte Rafael mich zu überzeugen, mir noch weiterhin die Ruhe anzutun und auch die freundliche Dame riet mir dazu: „Hört auf Euren Freund, Prinzessin. Noch etwas Schlaf würde euch gut-"
„Nein", unterbrach ich sie emotionslos und blickte daraufhin erneut zu Rafael, unfähig an seine Taten zu denken und mich zu fragen, wie er überhaupt nach Savoyen gekommen war, da ich keine Ahnung hatte, wo sich mein Vater befand und wie es um seine Gesundheit - ja um sein Leben stand. „Wo. Ist. Papa?"
Ich schaute in seine wunderschönen blauen Augen, aber er wandte sich von mir zu der Madame, die mich aufgepäppelt hatte: „Könnten Sie einen Boten zum Schloss Valençay schicken, der deren Bewohnern mitteilt, dass es Prinzessin Aliénor gut geht und sie so schnell es geht zurück nach Hause kommt?"
„Natürlich." Sie verneigte sich erneut und verschwand keine Sekunde später.
Kaum hatte sie den Raum verlassen, griff ich nach seinem Arm: „Was hat das alles bedeuten? Rafael sag es mir... spuck es aus, bitte!" Mit Tränen in den Augen legte ich meine Hand auf seine Schulter. „Bitte!"
Er atmete einmal tief ein und aus, ehe er mir endlich die langersehnte Antwort gab: „Verzeih mir, Aliénor. Aber leider kam ich zu spät. Zwar konnten sich einige Besatzungsmitglieder an Land retten, doch andere erfroren oder ertranken... man glaubt, dass genau das höchstwahrscheinlich mit deinem Vater geschah.
Er galt letzte Nacht für vermisst, d-doch jemand hat ihn gefunden. Er ist tot. Es tut mir so unendlich leid."
~*~
RAFAEL
„Wir haben uns heute hier versammelt, um den Tod des Herzogs Louis II. von Savoyen-Piemont zu betrauern."
Stumm beobachtete ich, wie Aliénors Mutter zwei ihrer jüngeren Kinder an den Händen hielt und leise in die Schulter ihre Cousine Marie-Thérèse' weinte. Aliénors Hand umschloss die meine und auch sie schaute mit tränenüberströmten, aber gefassten Gesicht hinüber zu dem Sarg ihres Vaters, der zu Grabe getragen wurde.
Es war alles so plötzlich geschehen, dass noch niemand es vollständig realisiert hatte.
Aliénors Vater war tatsächlich gestorben. Ich konnte mir gar nicht ausmalen, wie schlimm es für die ganze Familie und vor allem für seine zweitälteste Tochter sein musste, ihn verloren zu haben.
Doch nicht nur seine engsten hatten einen Verlust zu bedauern: Ein ganzes Land war nun ohne einen Monarchen. Ganz Savoyen-Piemont war in eine tiefe Trauerstimmung verfallen. Louis II. war ein wahrer Segen für sein Land gewesen: Keine Todesurteile oder Kriege während seiner gesamten Regierungszeit, stetige finanzielle und zwischenmenschliche Hilfe für die verlassenen und trostlosen Menschen in diesem Herzogtum.
Aliénors Bindung zu ihrem Papa war jedoch eine andere gewesen. Er war ihr Vorbild gewesen, und hatte bis auf sein Aussehen alles an sie vererbt: Der ausgeprägte Freiheits-und Gerechtigkeitssinn, der Sinn für Humor und der Drang etwas zu erleben, zu erfahren.
Sie hatte mir jedoch ebenfalls erzählt, wie sehr sie sich selbst für den Tod ihres Vaters verantwortlich machte.
Schließlich war sie diejenige gewesen, die nach langem Überlegen trotz aller Warnungen mit ihm auf den See hinausgefahren und mit ihm an Deck gekommen war - so sagte sie.
Meine Wenigkeit hatte aber eher das Gefühl, dass sie unbedingt einen Schuldigen für den Tod ihres Vaters suchte, da sie jenen nicht wirklich wahr haben wollte und konnte.
Der Gedanke ließ sie einfach nicht los, obwohl im Endeffekt keiner die Schuld trug. Es war einfach passiert. Die Natur konnte nur Gott allein steuern.
Liebevoll strich ich über ihr hellblondes Haar und bemerkte die empörten Blicke des Kaisers von Frankreich nicht.
Seitdem herausgekommen war, dass ich mithilfe eines Unbekannten aus dem Palast entkommen und Aliénor anschließend hinterher geritten war, war ich vorerst als noch gefährlicher als zuvor eingestuft worden.
Den Titel „Gesuchter Verbrecher" hatte ich jedoch nur bis zu dem Zeitpunkt von den französischen Behörden tragen müssen, bis Aliénor ihrer Mutter und Tante erklärt hatte, dass sie nur wegen mir am Leben sei.
Von da an behandelten die beiden adeligen Frauen mich anders. Bloß der Kaiser hatte mir bis jetzt noch keine Audienz gewährt, und schaute griesgrämig durch die Gegend, selbst wenn alle um ihn herum trauerten.
~*~
Selbst am späten Abend dieses bedrückenden Tages ließ ich Aliénors Hand nicht los und war mit ihr in ihre Gemächer des Wohntrakts der herzoglichen Familie verschwunden.
Ihr Vater war im Wald beerdigt worden, da er sich dies laut seiner Frau immer gewünscht hatte, und somit befanden sich noch einige Trauergäste dort.
Am stillen Abendessen hatte ich ebenfalls teilnehmen dürfen und ich genoss die Zweisamkeit mit meiner Liebe.
Nun war tatsächlich keine einzige Person mehr unter der Hofgesellschaft, die uns schief von der Seite anschaute oder mich sofort einkerkern lassen wollte.
Die Blondine hatte ihren Kopf auf meinem Schoß platziert, sodass ich ihren Kopf hatte tätscheln können, als durch den Vorraum ihres Salons zwei Personen eintraten. Es handelte sich um Aliénors Mutter Marie-Louise und ihre Tante Marie-Thérèse.
Noch ehe Aliénor sich vollständig hatte aufrichten können, ergriff die Madame das Wort: „Wir haben etwas mit euch zu besprechen."
♔ . ♔ . ♔
Mir tut es in der Seele weh, dass ich Aliénors Pa hier sterben lasse :/ Ich mochte ihn wirklich sehr gern...
┏━━━━━━━━━━━┓
Übersetzungen
┗━━━━━━━━━━━┛
( TITEL ) → Der Tod
━━━━━━━━━━━━━━━━━
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top