Kapitel 17 ❀ accro aux tulipes


MARIE BRIENNE

„Aber, Prinzessin... Ihr könnt hier nicht einfach so eintreten, ohne angeklopft zu haben."

Die empörte Stimme der Baronesse ließ mich von meinen Unterlagen aufblicken, und sofort vermuten, um wen es sich bei dieser Prinzessin, die einfach in meine Gemächer stürmte, handelte.

Tatsächlich aber irrte ich mich. Nicht meine verwirrte Schwester stand dort in der Tür zu meinem zweiten Salon, sondern meine spanische Hofdame.

Stets vergaß ich, dass sie ebenso eine Prinzessin - wie ich es war - war. In ihr floss adeliges Blut; jedoch war sie nur die uneheliche Tochter des spanischen Königs, und durfte somit auch keinen Fürsten, Herzog, König und erst recht keinen Kaiser heiraten. Ihr Vater hatte sie schon vor langer Zeit nach Frankreich abgeschoben, da er ihr und ihrer Mutter überdrüssig geworden war.

Selbst, wenn sie mir nicht ebenbürtig war, hatte ich sie zu meiner Hofdame und Vertrauten gemacht. Ich wusste, wie Menschen wie sie waren.
Und bezüglich ihrer schüchternen Art, die durch die wenige Aufmerksamkeit ihrer Eltern zu Stande gekommen war, würde sie auch nichts ausplaudern. Sie war glücklich, wenn sie überhaupt eine Bezugsperson hatte.

Unsere Blicke trafen sich und sie presste ein aufgeregtes „Hoheit" heraus, ehe sie hektisch und ohne auf die Worte der Baronesse zu hören, die Tür hinter sich schloss, nachdem sie kurz vor mir geknickst hatte.

„Mademoiselle Liliette?", entgegnete ich mit einer hochgezogen Augenbraue.
„Ich hoffe, dass Ihr eine gute Ausrede parat habt. Ihr seid Euch sicherlich bewusst, dass ich sehr beschäftigt bin und wenig Zeit für irgendein Hofgeschwätz habe."

„Oh nein, das, was ich Euch zu berichten habe, ist keineswegs Hofgeschwätz", erklärte sie mir und legte sich schweratmend die Hand auf den Bauch. Erst jetzt bemerkte ich, dass sie stark aus der Puste war.

Als ich sie nach wie vor erwartungsvoll anblickte, merkte ich, dass sich ein zufriedenes Lächeln auf ihren Lippen gebildet hatten. Das waren solche Momente, in denen ich ein gewisses Maß an Mitleid für die unschuldige Jüngere empfand. Wenn man ihr nämlich eine Aufgabe auftrug, versuchte sie es stets so gut wie möglich zu machen. Aus Angst, jemandem zu enttäuschen.

Unsere Obsession damit, perfektionistisch zu sein, unterschied sich bloß darin, dass ich die zukünftige Kaiserin von Frankreich war - und sie nicht auf die Gunst aller Leute, sondern nur auf die meine aus war.


„Nach Eurer Anweisung habe ich Eure verehrte Schwester und Eure Schwägerin, die Prinzessin Florentina von Neapel, belauscht."

„Und weiter...?", meinte ich ungeduldig. Dabei übersah ich die Tatsache, dass ich zuließ, dass man in die Privatsphäre meiner Schwester schamlos eindrang. Damals hätte ich dies sicherlich zugelassen. Doch nun galten andere Regeln und vor allem andere Verhältnisse.

„Ihr werdet über diese Nachricht nicht erfreut sein...", erklärte sie mir weiterhin. „Eure Schwester hat heimlich den Soldaten Álvarez in seinem Verlies besucht. Sie hat daraufhin versucht, ihn zu befreien. Doch Euer Verlobter konnte die letzte Nacht aufhalten..."
Unwillkürlich blinzelte ich, doch sie bemerkte die Geste nicht, sodass sie einfach fortfuhr: „Zudem hat Ihre Hoheit selbst zugeben, eine Affäre mit ihm gehabt zu haben."

Erstaunt blickte ich auf. „Mit Eurem Verlobten, seiner Majestät... dem Kaiser, während Eurer Verlobungsfeier im August."

Da ich nach wie vor still war, nahm dies die Prinzessin als Aufforderung wahr, weiterzusprechen: „Und wie es scheint, hegt sie noch Gefühle für Euren Verlobten. J-Jedoch betonte sie stets, dass sie diese Empfindungen verabscheut, und für ihren jetzigen Geliebten durchs Feuer gehen würde."

Nun bemerkte ich, dass sie etwas ängstlich bezüglich meiner Reaktion zu sein schien. Als ich begann, zu lachen, zuckte sie kurzerhand zusammen.

Es war einfach zu lustig.
Meine kleine Schwester Aliénor, der Liebling des Volkes, die freiheitsliebende, gütige Prinzessin, die nur Gutes im Sinn hatte, verstieß also weiterhin gegen das Gesetz und hatte ihren Nichtsnutz von Geliebten mit meinem Verlobten betrogen.

„Seid Ihr denn gar nicht resigniert deshalb, Hoheit? Ihr wirkt gar so, als würde Euch die Situation gar nichts ausmachen...", wollte sie vorsichtig wissen, nachdem ich mich etwas beruhigt hatte.

„Resigniert? Ich? Nein, oh nein. Abgesehen davon, dass ich niemals etwas für Seine Majestät empfinden werde, kann ich Eure Informationen nur zu meinen Gunsten nutzen", erwiderte ich, bevor ich mich erhob, um die Tulpen auf meinem Schreibtisch zu begutachten.
Sanft strich ich über ihre Blütenblätter und beachtete die verwirrten, aber auch faszinierten Blicke der Prinzessin Liliette kaum.

Für einen kurzen Moment hatte ich Angst gehabt, dass Aliénor meine Krone gefährden könnte. Wenn Louis-Antoine mit der Heirat wartete, da sein Herz für meine Schwester schlug, könnte sie mir gefährlich werden.
Da meine kleine Schwester jedoch niemals Ja zu unserem Cousin und zu der Rolle der Kaiserin sagen, und meine Tante dies auch niemals zulassen würde, befand ich mich im sicheren Boot.

Ihre ganzen Probleme mit ihrem Geliebten kamen zudem genau richtig, wenn es hieß, meine Position nun vollständig zu festigen. Louis-Antoine hatte ich schon kalte Füße letzte Nacht gemacht, indem ich ihm gedroht hatte, ihn zu verlassen, wenn er sich nicht endlich entscheiden würde.

Nun würde ich schon noch dafür sorgen, dass ihm und meiner Schwester diese Affäre und ihre Beziehung zu diesem Soldaten mehr als leid tun würde...

~*~


LOUIS - ANTOINE

Erneut hatte sich der nächste Tag viel zu schnell dem Ende geneigt, als ich an diesem späten Nachmittag mit einem Stapel von Dokumenten in meinem Büro saß und mich mit einem Füller bewaffnet durch diese kämpfte. Doch der Haufen wollte und wollte nicht kleiner werden.

Möglicherweise lag dies daran, dass meine Gedanken unumgänglich um Aliénor und Marie Brienne kreisten. Heute Vormittag hatte sich die Hofgesellschaft von der jüngeren Schwester verabschiedet, da jene zurück in ihre Heimat fuhr, um Abstand von Versailles zu gewinnen.
Obwohl dies bezüglich der Angelegenheit mit ihrem Geliebten eigentlich nur Besserung versprach, konnte ich es nicht ertragen, keine Ahnung davon zu haben, wann ich sie wiedersehen konnte.


Es klopfte.
Mit einem deutlichen Herein! gewährte ich der Person Einlass und platzierte meine Feder zurück in dem silbernen Tintenfässchen, um festzustellen, dass meine Verlobte mich besuchte.

Zu meiner Überraschung sprühte sie geradezu vor Euphorie. Mit einem Strauß hellblauer Tulpen in den Händen kam sie stumm lächelnd auf mich zu und ging um meinen Schreibtisch herum, um von hinten einen Arm um mich zu schlingen.
„Müsst Ihr immer noch arbeiten, Louis?", wollte sie amüsiert wissen, während ich mich weiterhin fragte, wieso sie sich plötzlich so verhielt. Gestern und heute Morgen hatte sie mich noch abgewiesen, da ich ihr noch nicht mitgeteilt hatte, wie ich mich entscheiden würde.

„Ja, das muss ich. Sehr lange wohl noch", meinte ich bloß abwimmelnd. Daraufhin sah ihr aus dem Augenwinkel zu, wie sie die verwelkten Rosen in der Porzellanvase auf meinem Schreibtisch für kurze Zeit musterte, um sie schließlich durch ihre Tulpen auszutauschen.
„Das ist doch gleich viel besser... findet Ihr nicht?"

Ihre Sucht nach schönen Blumen erinnerte mich an ihre Schwester Aliénor; bloß dass jene den Rosen, vor allem der roten Variante, verfallen war.
Diese Liebe zu der zarten Lebewesen stellte eine der wenigen Gemeinsamkeiten der beiden Schwestern dar. Mir fiel auf, dass ich bis zu diesem Augenblick ausschließlich Rosen in meinem Büro stehen gehabt hatte. Als wäre dies ein unglücklicher Zufall.

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Meine Gedanken wurden von einem erneuten Klopfen an meiner Tür unterbrochen. „Ja, herein!", rief ich ohne meine genervte Stimmlage zu unterdrücken, worauf eine Wache hinein kam. Was ist denn jetzt schon wieder los?, dachte ich mir und erhob mich daraufhin.

„Ich habe hier ein Schreiben für Eure Majestät", sprach der Soldat und reichte mir eine Pergamentrolle, die ich langsam entgegen nahm. Daraufhin brach ich das Siegel in Zwei und faltete den Brief, der nur aus einigen Zeilen bestand, auseinander. Schnell überflog ich diese.
Mit jedem Wort verengten sich meine Augen mehr.
Schweratmend ließ ich das Schreiben sinken und sah zu dem Soldaten. „Wer hat dies angeordnet?"

Stille.
„Wer hat angeordnet, den Soldaten Álvarez freizulassen und zu der Prinzessin Aliénor in ihre Heimat zu schicken? Wie lange ist dies schon bekannt?!", formulierte ich meine Frage nun lauter aus, wobei ich mir vorkam, als fragte ich ein 6-jähriges Kind. „Antwortet!"

„Darüber ist mir nichts bekannt, Euer Majestät", meinte der Soldat nervös, worauf ich das Schreiben in die nächstbeste Ecke feuerte. Wütend umfasste ich mein Kinn, legte daraufhin den Kopf in den Nacken, und versuchte mich zu beruhigen. Die Unwissenheit dieser Wache, die Unverfrorenheit diesen spanischen Soldaten und die Unfähigkeit meiner Angestellten brachte mich nahezu zur Weißglut.

„Das ist ja furchtbar", bemerkte nun auch meine Verlobte, dessen Anwesenheit ich schon verdrängt hatte. „Wie konnte dies geschehen, Monsieur? Welche unnützen Soldaten haben seine Zelle bewacht?"

„Jene Soldaten sind ebenfalls unauffindbar. Es wird vermutet, dass sie mit von der Partie waren und geflohen sind, Kaiserliche Hoheiten", antwortete der Soldat und schluckte schwer. Wahrscheinlich fürchtete er, dass ich gleich auf ihn los gehen würde.

„Und. Wie. Lange. Ist. Dies. Nun. Schon. Her?", fragte ich mit knirschenden Zähnen und ignorierte die Panik des Angesprochenen.

„Prinzessin Aliénor ist heute früh mit der Ihren Hoheiten der Prinzessin Florentina von Neapel, ihrer Mutter, der Herzogin Marie-Louise, und ihren jüngeren Schwestern aufgebrochen. Wir haben herausgefunden, dass der Soldat Álvarez etwa eine Stunde später mit einer anderen Kutsche folgen konnte."

„Dann verfolgt diesen perversen Verbrecher!", knurrte ich und haute mit der Faust auf den Tisch, dass die Anwesenden in meinem Büro zusammenzuckten.
„Selbst wenn sie schon bald in Savoyen-Piemont eingetroffen werden, verlange ich, dass unverzüglich Suchtrupps zum Schloss Valençay geschickt werden!"

Keuchend ließ mich auf meinen Sessel nieder, während ich Marie Briennes Beschwerden über die Versailler' Wache oder ihre Hand, die sie auf meine Schulter gelegt hatte, nicht beachtete.

Da tat ich Aliénor den Gefallen, ließ diesen Soldaten am Leben und sie half ihm zu fliehen.
Ich konnte mir schon vorstellen, was die beiden in diesem Moment zusammen trieben. Nun ergab es auch alles einen Sinn... Wieso hätte Aliénor zustimmen wollen, in ihre Heimat zu fahren, um eine Auszeit von Versailles zu nehmen, wenn sie dadurch noch mehr von ihrem Geliebten getrennt sein würde?

In mir brodelte es vor Wut. Am liebsten wäre ich selbst nach Savoyen-Piemont gefahren, um diesem Dreckskerl eigenständig den Hals umzudrehen.

Aufgrund der Geschäfte musste ich jedoch hier bleiben und saß abgeschieden von allen in diesem Palast fest.
Doch niemals würde ich zulassen, dass Álvarez mit seinem Vorhaben durchkommen würde... das stand fest.






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Übersetzungen

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( TITEL ) Süchtig nach Tulpen

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