Kapitel 14 ❀ hiver glacial


ALIÉNOR

Kleine, eiskalte Schneeflocken tanzten vom Himmel, als ich des späten Abends im Palastgarten spazieren ging, die Hände in meinen Pelztaschen vergraben. Mein Hals war ebenfalls von einem Pelzkragen umschlossen und auf meinem Kopf prangte ein kuscheliger Hut.

Nachdenklich schlenderte ich zwischen den Hecken hin und her; der Schnee knirschte unter meinen Füßen und ein kühler Wind blies mir die Haare aus dem Gesicht.

Ich war schon seit über einer halben Stunde hier draußen, nachdem ich mich heimlich herausgeschlichen hatte. Nach wie vor plagte mich die Frage, wie ich Rafael bloß helfen könnte, zu entkommen.
Erst hatte ich überlegt, noch einmal meine Familie zu Rate zu ziehen. Ziemlich schnell war mir dann jedoch klar geworden, dass dies wenig Sinn ergab. Ihn einfach mitten in der Nacht zu befreien, damit er fliehen konnte, brachte Rafael auch nicht gerade viel. Er wäre daraufhin wie ein Schwerverbrecher auf der Flucht und wir wären noch weiter voneinander getrennt.

„Was tust du hier draußen in der bitteren Kälte, Aliénor?"

Ich wirbelte herum. Ich war so in Gedanken vertieft gewesen, dass ich gar nicht bemerkte, wie meine ältere Schwester sich angenähert hatte. Mit einer hochgezogenen Augenbraue musterte sie mich.

Sie selbst sah wie immer makellos aus. Ihre Haut war zart und frisch wie eh und je und ihr dunkelblau-weiß-gestreiftes Kleid prunkvoller, als das von allen adeligen Damen dieser Erde zusammen. Bloß ihre Figur war - wie ich es schon von Anfang an bemerkt hatte - anders als sonst. Nun bestand nahezu ausschließlich noch aus Haut und Knochen.

„Du weißt doch, dass ich den Winter mag", gab ich bloß zur Antwort und musste nervös feststellen, wie ihre dunkelbraunen Augen über mein Gesicht schweiften. Irgendetwas an mir schien sie zu stören.

„Ich mag den Winter nicht. Dort können meine Tulpen nicht blühen, und zudem ist der Winter so unberechenbar... so ungefähr wie du."
Sie presste etwas verkniffen die Lippen aufeinander. „Deswegen magst du den Winter wahrscheinlich auch so sehr, n'est-ce pas?"

„Das kann gut sein", entgegnete ich sanft lächelnd. „Aber worauf willst du hinaus?"

Brienne kam auf mich zu, ehe wir zusammen begannen, etwas durch die Gegend zu streifen. „Wie geht es dir inzwischen wegen der Angelegenheit mit Rafael?"

Ich stutzte. Seit wann sprach sie mich so liebevoll auf meine Gefühle an? Kaum jemand von meinen Verwandten - ausgenommen von Flora, Maman und Pauline - wollte tatsächlich wissen, wie es mir ging. Selbst Papa hatte mir kein einziges Mal geschrieben. Für die alle war ich eigentlich der Sündenbock, die Prinzessin, die mit einem Bauern schlief.

Oft überkam mich das Gefühl, sie einfach allesamt zur Rede zu stellen. Rafael war ein Mensch wie wir alle, und wahrscheinlich herzensguter und mutiger als alle zusammen. Zudem war er keineswegs ein unhöflicher Straßenmusikant oder Trunkenbold, auch wenn er gerne feierte und nicht eine so hohe Bildung genossen hatte.

„Wie soll ich es ausdrücken...", begann ich etwas unsicher, da ich keine wirklich große Lust hatte, erneut darüber zu reden, wie schlecht ich mich fühlte. „Ich habe mich wohl schon etwas... naja... daran gewöhnt."
Das stimmte nicht ganz. Zwar hatte ich die Lage wahrgenommen, doch zufriedengeben würde ich mich nie mit dieser.

„Das tut mir aufrichtig leid, Kind. Ich habe bereits schon einige Mal versucht, Louis-Antoine umzustimmen, doch er ist so dickköpfig", seufzte sie und schüttelte ungläubig mit dem Kopf.
Kind, rief ich mir erneut in den Sinn. Ich dachte, sie hat sich diese dämliche Bezeichnung für ihre drei Jahre jüngere Schwester inzwischen abgewöhnt...

„Apropos Louis-Antoine", warf sie daraufhin ein, ohne eine Antwort meinerseits abzuwarten. „Hast du sein letztes Geschenk für mich bereits gesehen? Er hat es mir einfach so zukommen lassen", schwärmte sie und wechselte damit abrupt das Thema.
„Über fünfzig blaue Tulpen waren in meinen Räumen aufgestellt - ein wahrhaftiges Geschenk für eine zukünftige Kaiserin."

Ich ignorierte den zarten Herzschmerz, der dadurch bestand, dass ich etwas eifersüchtig wegen Briennes Geschenke von Louis-Antoine war. Es ärgerte mich, dass ich wegen ein paar Blumen so reagierte. Louis-Antoine war mir aufgrund seiner eigenartigen Handlungsweisen verhasst, ich liebte ihn nicht.
Die Verbindung, die zwischen uns vage existierte, war nur noch am Leben, da ich ihn attraktiv und seine Intelligenz, Originalität und Durchsetzungsfähigkeit anziehend fand.

„Ihr versteht euch also besser?", wollte ich wissen, da ich trotzdem noch hoffte, dass die beiden sich vielleicht verlieben würden.

Brienne öffnete den Mund, um ihn sofort wieder zu schließen. Dann nickte sie jedoch zögerlich. „In letzter Zeit habe ich das Gefühl, dass er versucht, mir etwas näher zu kommen. Möglicherweise bilde ich es mir aber auch nur ein."

Als sie dies sagte, erinnerte ich mich an das Gespräch von Maman und Tante Marie-Thérèse zurück, dass ich vor einigen Tagen belauscht hatte. Die Madame hatte Andeutungen gemacht, dass sie andere Gründe als bloße Sturheit hinter Louis-Antoines Entscheidung vermutete. Zugleich hatte sie aber darauf geschworen, dass nichts zwischen den beiden passierte.

Ob Brienne mich anlog? Sie schien sowieso heute ein anderes Verhalten an den Tag zu legen als sonst.

„Oder... er sieht endlich, was für eine fantastische Person und Kaiserin du bist", munterte ich sie auf.

Brienne gluckste, ehe sich ihr Gesichtsausdruck augenblicklich veränderte. Sie blickte nahezu verträumt hinter mich in Richtung der Terrassen. Als ich ihrem Blick jedoch folgte, schüttelte sie bloß mit dem Kopf.

„Ist... ist alles in Ordnung?", wollte ich von ihr wissen, als sie sich den angesammelten Schnee von ihren Schultern klopfte. „Ja... ja, ich habe nur nachgedacht. Weißt du, ich denke, ich gehe wieder hinein. Es ist so eiskalt hier draußen. Du solltest es mir nachtun."

Ohne mich ein weiteres Mal anzusehen, bahnte sie sich an mir vorbei und schlug den Weg gen Nordflügel ein, während ich verdattert an Ort und Stelle stehen blieb.

~*~

Es war schon spät in der Nacht, als ich entschlossen ich mein Tagebuch zuklappte und es gründlich in meinem Schreibtisch verstaute.
Ich hatte einige Zeilen über die Widersprüchlichkeit meiner Schwester in einem Brief an meinen Vater verfasst, der jedoch noch nicht vollständig fertiggestellt war. Er hatte mich gebeten, ihn immer mal wieder über Briennes Zustand zu berichten.

Nachdem ich meinen Arbeitsplatz etwas geordnet hatte, erhob ich mich, um die Tür zum Flur zu öffnen.
Erneut vergewisserte ich mich, dass niemand mich beobachtete, ehe ich durch die Gänge zielstrebig in Richtung der Geheimtür schritt, die ich gestern Abend passiert hatte.

Von weitem erkannte ich bereits zwei Wachen in der Nähe des besagten Eingangs stehen. Innerlich fluchte ich auf, bevor ich mich hinter einer Gardine versteckte.
Tausend Gedanken und Ideen, wie ich an den Wachen vorbei kommen könnte, schwirrten in meinem Kopf herum. Doch wenige von ihnen erschienen mir wirklich sinnvoll oder schlüssig.

Es spielte keine Rolle, wie ich das anging - ich musste einfach zu Rafael. Notfalls würde ich die Soldaten bestechen. Zwar klang es banal, wenn ich darüber nachdachte, dass ich wie ein Geheimpolizist agierte; würde mich jedoch niemand daran hindern, mit meiner großen Liebe zusammen sein zu können.

Ich atmete tief aber leise durch, bevor ich einen Schritt vorwärts tat.
Beinahe hätte ich aufgeschrien, als ich spürte, wie sich in diesem Moment eine Hand auf meine Schulter legte. Panisch wirbelte ich herum, als ich von der Person in die Nische hinter der seidenen Gardine gezogen wurde.

„Wo wollt Ihr hin?"






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Übersetzungen

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( TITEL ) Eiskalter Winter
( n'est-ce pas? ) Nicht wahr? / Oder?

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