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Langsam drückte Madara die Holztür der Leichenkammer auf. Viele der Körper waren bereits unter die Erde gebracht worden. Nur noch einzelne wurden hier verwahrt. Die, die eine höhere Stellung im Clan einnahmen wurden mit einer Seebestattung verabschiedet.

Der dunkle Raum vertiefte die Kälte, die der noch relativ junge Mann wahrnahm als er eintrat. Vor dem  offenen Sarg Ryous kniete dessen Tochter. Sie hielt noch immer seine Hand. Schon seit Anbruch des Tages hat sich nichts mehr an ihrer Haltung verändert. Es war, als wenn sie ewig darauf warten würde, dass der Tote wieder zum Leben erwachte.

Sie wusste, dieses Warten war vergeblich aber sie konnte ihn nicht gehen lassen. Erst gestern stand er noch an ihrer Seite auf dem Schlachtfeld. Und jetzt sollte Ryou wirklich tot sein? Es war ein unvorstellbarer Albtraum für Askia.

Madara näherte sich der Frau und blickte suchend an ihr vorbei auf den Boden. Doch er fand nichts. Nicht eine einzige Träne hat sie vergossen. Kein Fältchen war auf ihrer makellosen Haut zu entdecken. Ihr Ausdruck war noch immer derselbe wie vor wenigen Stunden. Der einzige Unterschied waren die tiefen, dunklen Augenringe, die ihre Haut schmückten. Sie hat nicht eine Sekunde geschlafen.

Natürlich empfand Madara das Vergießen von Tränen als eine Schwäche, aber genau diese Reaktion wäre ihm lieber gewesen, als der leere Ausdruck ihres Antlitzes. Diese Tränen hätten bewiesen, dass sie noch empfand, noch eine Seele besaß. Aber ihre Mimik ließ ihn das Gegenteil vermuten.

Er hatte keinen blassen Schimmer davon, wie sehr es an ihrer Kraft zehrte. Askia hielt alles zurück, nur um den Schmerz nicht an sich heran zu lassen. Nicht noch einmal wollte sie so hilflos und verletzlich sein wie bei dem Tod ihrer Mutter. Nicht noch einmal wollte sie Tränen vergießen und sich von dem Schmerz brechen lassen. Sie konnte es nicht. Sie durfte nicht schwach werden.

Nachdenklich betrachtete Madara die frische Narbe, die sich erneut über ihr rechtes Auge zog. Welch eine Ironie, dass diese Narbe erst den Tod ihrer Mutter brandmarkte und nun auch zu einem Symbol für den Verlust ihres Vaters wurde. 

"Askia, es wird Zeit." begann Madara verhältnisweise sanft. Sie wusste, was das bedeutete. Es war Zeit, endgültig Abschied zu nehmen. Ein Auf nimmer Wiedersehen an ihren Vater. Unbewusst drückte die Prinzessin Ryous kalte Hand noch etwas fester. Sie betrachtete sein entspanntes Gesicht. Er sah so friedlich aus...

Unsicher, ob seine Worte zu ihr durchdrangen, legte Madara eine Hand auf ihre Schulter. "Du solltest ihn gehen las-" doch weiter kam er nicht, denn Askia richtete sich auf und schüttelte seine Hand ab. "Sag mir nicht, was ich zu tun habe."

Es war das erste Mal seit diesem Vorfall, dass er wieder Askias Stimme hörte. Innerlich hätte er sich gewünscht, dass sie ihn angeschrien und geschlagen hätte. Alles wäre ihm recht gewesen. Aber die Kälte und Unberührtheit in ihrem Ton ließ ihn die Hoffnung verlieren. Nicht einmal jetzt konnte sie eine Emotion zeigen.

Seufzend senkte Madara sein Haupt und verließ die Kammer. Kurz darauf traten ein paar der Uchiha ein und trugen die drei Särge nach draußen. Am Ufer eines weiten Sees ließen sie sie nieder auf ein Floß aus trockenem Holz. Ryous Sarg wurde auf einer Anhöhe platziert. Hinter ihm prangerte eine Fahne mit dem Wappen des Clanes.

Die Letzten Sonnenstrahlen fielen durch die Baumkronen auf den See. Alles glitzerte in einem warmen Orangeton. Auch wenn es eine Bestattung war, waren viele der Anwesenden Uchiha dankbar für die Dienste, die ihnen die Gefallenen erwiesen haben, dankbar für das Opfer, das sie alle brachten. 

Eine Stunde verging. Die Angehöigen hielten jeweils eine kurze Rede und Madara dankte ihnen nocheinmal. Nur eine blieb stillschweigend im Hintergrund. Askia brachte kein weiteres Wort über ihre Lippen. Zu groß war die Gefahr, die Kontrolle zu verlieren.

Dann versank die Sonne endgültig hinter dem Horizont. Der Himmel verdunkelte sich und nur noch das Feuer der Fackeln erhellte das Ufer. Mit einer tiefen Verbeugung vor den drei Särgen erwieß Madara den Toten den höchsten Respekt.

Auf sein Zeichen gaben Sora und vier weitere Männer dem Floß einen Stoß und ließen es in die Mitte des Sees treiben. In der Ferne war der Holzbau wegen der Dunkelheit kaum noch zu erkennen. Nur den Umriss konnte man sehen.

"Prinzessin, würdet ihr ihnen die letzte Ehre erweisen?" Madaras formale Sprache verriet dem Clan nichts über seine Gefühle zu ihr.

Er sah tief in Askias Augen und streckte einen Bogen vor sich. Doch wieder kam anstatt einer verbalen Antwort nur ein leeres Nicken der Schwarzhaarigen.

Maki schenkte Izuna einen traurigen Blick. Auch sie fürchtete um das Wohl ihrer Freundin. So gerne hätte sie Askia in den Arm genommen und ihr zugehört. Aber die Prinzessin blieb auf Distanz. Außnahmslos.

Langsamen Schrittes trat Askia vor die Menge. Ein Raunen ging durch die Menschenmasse doch ohne es wahrzunehmen ergriff sie den langen Bogen aus Madaras Hand. Dann ging sie weiter ans Ufer des Sees, bevor sie ihre Füße in das eiskalte Nass setzte.

Es zischte leise als das Wasser auf ihre erhitzte Haut traf. Ein paar Schritte tiefer ging sie hinein. Ihr langes schwarzes Kleid schmiegte sich an ihren Körper nachdem es am Saum durchnässt wurde.

Zielsicher hielt Askia den Bogen vor ihre Brust und spannte die Sehne, bis das federne Ende des Holzpfeils ihre Wange striff. In sich gekehrt schloss sie die Augen und sog die kalte Luft ein.

Würde sie jetzt loslassen, wäre er für immer fort. Nie wieder würde sie sein vertrautes Gesicht sehen können. Doch das konnte sie auch so schon nicht mehr. Kein totes Antlitz könnte jemals die Geborgenheit ersetzen, die er ihr gab.

 Es schmerzte, so sehr, dass sie nicht loslassen konnte. Ihre Verzweiflung war so groß, dass sie nicht mehr realistisch zu denken vermochte. Nie wieder kann sie sich in seine Arme hüllen lassen und seinen warmen Worten lauschen. Nie wieder wird sie einen gemeinsamen Moment mit ihm verbringen. Endlich hat sie ihn nach all den Jahren der Einsamkeit gefunden, und nun wurde er ihr so früh genommen. Warum? Warum war sie nicht stark genug um ihn zu beschützen? Warum musste er schon sterben?

Askias Atmung wurde merklich flacher und schneller. Ihr Chakra verlor immer mehr an Stabilität.  Sie begann zu hyperventlieren.

Was gab es noch, das sie hatte? Sie hat versagt. Weder ihre Mutter noch ihren Vater konnte sie beschützen. Was nützte ihr diese gewaltige Kraft, wenn sie es doch zu nichts brachte? Die Senju hatten recht, sie war eine Schande, eine Verräterin, eine nutzlose Frau verdammt dazu ihrer Familie beim Sterben zuzusehen.

Ihre blutroten Lippen begannen zu beben und ihr Griff wurde immer wackeliger.

Die Uchiha haben alles für Askia getan. Kein Stein blieb liegen auf der Suche nach ihr. Sie wollte gar nicht wissen, wie viele ihrer Männer ihr Leben opferten im Kampf für die Prinzessin. Aber war sie dieses Opfer überhaupt wert? Hat sie all diesen Shinobi einen ehrenhaften Grund zum sterben gegeben?

Askias Knie verloren ihren festen Stand und unsicher hielt sie den Bogen, die Augen immernoch geschlossen. Madara bemerkte wie das Wasser in leichten Wellen ans Ufer schlug und sah zu Askia. Zwar konnte er in der Dunkelheit nicht erkennen, dass sie zitterte, aber er wusste, dass sie etwas beunruhigte. "Warum schießt sie nicht?" flüsterte Izuna Madara zu als er sich zu ihm stellte. Angesprochener antwortete nicht und beobachtete weiter die Silhouette der Frau. Was ging gerade in ihr vor?

Askia wusste es selbst nicht. All die Erinnerungen an ihren Vater und ihre Mutter strömten in ihren Kopf. Sie spielte sie immer wieder von vorne ab, mit dem Hintergedanken, dass diese Bilder von nun an für immer Erinnerungen bleiben würden.

Dann wurde es still in Askias Kopf. Alles was sie hörte, war ihr schneller Herzschlag. Das Brennen in ihren Augen war so durchtrieben, dass sie alles darauf konzentrieren musste, keine Träne zu vergießen.

Nein. Sie konnte es nicht.

Wütend knurrte sie laut und spannte all ihre Muskeln an. Ein Schalter legte sich in ihrem Herzen um und verschloss erneut all die aufkommenden Emotionen hinter einem eisernen Schloss.

Askias Griff festigte sich wieder bevor sie mit Feuerroten Augen in den Nachthimmel sah.

Impulsartig überspannte sie die Wurfarme und ließ die Sehne schnippsen. Der Pfeil striff ihre Wange als sie ihn im Bruchteil einer Sekunde mit ihrem Feuer umhüllte. Schnell schoß er gen Himmel empor und erleuchtete die Wasseroberfläche. Ein paar Augenblicke später landete er in der Mitte des Floßes.

Gierig fraßen die Flammen alles brennbare auf. Nichts ließ ihre gewaltige Zerstörungskraft zurück.

Mit erkalteten Gesichtszügen betrachtete Askia das Inferno in der Mitte des Sees.

Es war vollbracht.

Aaaahh tut mir Leid das es so lange gedauert hat aber ich hatte diese Woche wirklich viel mit der Schule zu tun. Dafür gibts heute 2 neue Kapitel :)

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