Kapitel 28 ❀ l'amour
ALIÉNOR
Die Trakts der Angestellten wiesen einen großen Unterschied zu denen des Adels auf. Man hatte sich hier kaum Mühe gemacht, auch nur etwas die Wände zu gestalten oder gar schöne Blumen oder Möbel in die Gänge zu stellen. Alles wirkte recht gleich und lieblos, keineswegs aber schmutzig oder verwahrlost.
Doch war es eigenartig, wenn ich darüber nachdachte, dass hier mehr Angestellte lebten als Einwohner der große Palast hatte.
Ich erhielt einige erstaunte Blicke, als ich mich vor eine Karte, die den Grundriss des Gebäudes und die verschiedenen Appartements zeigte, stellte, um mich zu orientieren.
Andere sahen sofort wieder weg, da sie wahrscheinlich fürchteten, von mir eine Bemerkung aufgrund ihrer Unhöflichkeit zu erhalten. Zumindest hatte Madame Marie-Thérèse schon einmal so reagiert.
Schließlich konnte ich im Ostflügel den Teil ausmachen, in dem die Soldaten, Wächter und auch weiter oben stehende Leibgarden übernachteten. Sicherlich hat Rafael von Louis-Antoine ein wundervolles großes Appartement bekommen, dachte ich mir noch, als ich das Treppenhaus betrat. Er ist schließlich der Hauptmann der Garde.
Im zweiten Stock angekommen, begab ich mich weiter in die rechte Richtung, doch muss schon bald feststellen, dass trotz alledem jede Tür hier gleich aussah.
Zum Glück entdeckte ich ein Hausmädchen nur einige Meter von mir entfernt, die einen wohl ausgeschlagenen Teppich in einem Nebengang ausbreitete.
„Ähm... Verzeihung?", sprach ich sie vorsichtig an. „Wo finde ich das Appartement des Hauptmanns der kaiserlichen Leibgarde?"
Das Mädchen, das wohl so alt seien musste wie ich, schreckte zusammen, musterte mich und knickste sogleich ehrfürchtig. „Ach, du brauchst dich nicht vor mir zu verbeugen", winkte ich freundlich lächelnd ab, da sie nach wie vor etwas ängstlich und unglücklich aussah.
Mir war selbstverständlich bewusst, dass es solche Mädchen selten leicht hatten. Sie versuchte so wahrscheinlich Geld für ihre Familie zu verdienen, und wurde gleichzeitig von den wenigsten Bewohnern des Schlosses gut behandelt.
„Es ist den Gang runter, links", erklärte sie mir mit piepsiger Stimme. „Ganz am Ende des Ganges, die Tür in die Mitte, Hoheit." Ich bedankte mich, und obwohl es keine große Sache gewesen war, entschied ich mich, ihr ebenfalls ein paar Livre in die Hand zu drücken, ohne groß darauf zu achten, dass ich ihr dadurch ihren Monatslohn auszahlte.
Staunend sah die Rothaarige zu ihnen hinunter, doch ich hatte mich bereits aufgemacht, schnellen Schrittes ihrer Wegweisung zu folgen. „Ich d-danke Euch..."
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Einige Sekunden später war ich schweratmend vor der besagten Tür angekommen. Tatsächlich erkannte man dadurch eine gewisse Hierarchie, was die Posten anging, denn Rafaels Tür befand sich direkt in der Mitte aller.
Hoffentlich ist er überhaupt da, schoss es mir in den Kopf und ich biss mir unwohl auf die Unterlippe, ehe ich zaghaft an der Tür klopfte.
Angestrengt lauschte ich daraufhin an dem dunklen Holz, ob ich etwas vernehmen konnte, bis mit einem Mal die Tür aufgerissen wurde und ich geradewegs in Rafaels Arme - oder naja - wohl eher auf ihn fiel.
Ich stieß einen ängstlichen Schrei aus, sodass das Dienstmädchen von eben besorgt um die Ecke schaute. „E-Es ist alles in Ordnung", rief ich ihr zu. „Mir geht es gut."
Etwas verstört entfernte sich das Mädchen wieder und Rafael half mir auf, bevor er die Tür seines Appartements schloss.
Obwohl mir anfangs etwas unwohl zu Mute gewesen war, musste ich nun herzhaft lachen, während der Spanier mich besorgt, aber auch mit einem leichten Schmunzeln auf den Lippen musterte: „Du schaffst es wirklich immer, einen Weg zu mir zu finden, oder?"
„Bitte v-verzeih mir, Rafael...", keuchte ich, während ich mir noch lachend den Bauch hielt. „Hast du dir wehgetan?" Ich legte eine Hand auf seine Schulter, doch er schüttelte bloß mit dem Kopf: „Mir geht es gut, doch... Aliénor, du solltest hier nicht sein. Wenn deine Schwester oder deine Eltern oder gar der Kaiser herausbekommt!"
„Brienne hat mir doch geholfen, dich zu finden", entgegnete ich beschwichtigend, als ich mich wieder beruhigt hatte. „Und Louis-Antoine - also der Kaiser - wird uns schon nicht wegsperren..."
Obwohl ich tatsächlich glaubte, dass Rafael mir in dieser Tatsache widersprechen würde, nickte er langsam und ein Seufzer verließ seine Lippen: „Das denke ich inzwischen auch. Er ist wahrhaftig ein ehrenhafter Mann. Anstatt, dass er mich entlässt, gibt er mir eine Aufgabe, dessen Ergebnis zur Weltgeschichte beisteuern wird. So einen Kaiser braucht Frankreich!"
Etwas peinlich berührt und unwissend, was ich darauf antworten sollte, zog ich die Stirn kraus. „Du magst ihn also?"
„Natürlich ist er mir sympathisch!", erwiderte Rafael augenblicklich und wohl ganz verwundert, dass ich ihn überhaupt danach fragte. „Schau dir meine große Unterkunft an! Auch deine Schwester wird von ihm sicherlich gut behandelt werden. So weit ich weiß, ist er kein Draufgänger und springt nicht von Bett zu Bett wie andere Monarchen..."
„Oder so wie du damals", bemerkte ich scherzhaft, worauf er sich mit geröteten Wangen von mir abwandte. „Ich sagte dir doch schon damals, dass das zu meiner dunklen Vergangenheit gehört", lachte er, legte den Kopf daraufhin schmunzelnd in den Nacken und nahm wieder meine Hände in die seine. „Außerdem weiß du doch sicherlich noch, was ich zu dir sagte, non?", raunte er tief.
„Du verglichst die wahre Liebe mit einem besten Freund, da ich damals das Gefühl verspürte, dass jeder nur auf das Ansehen meiner Familie aus war", erinnerte ich mich zurück und meine Augen weiteten sich einen Moment. „Stimmt, so war das.
Nur eine Person kann dir das geben, was du begehrst. Egal, ob in der Freundschaft oder in der Liebe. Diese eine Person ist besser für dich als viele einzelne Personen zusammen, die dich nicht kennen."
Eine Gänsehaut breitete sich auf meinen Armen aus, während ich in seine tiefbraunen Augen sah. Seine Worte hatten sich immer als wahr herausgestellt. Abgesehen von meiner Familie, war Florentina meine beste und einzige Freundin, die mir wirklich stets zur Seite stand und Rafael meine erste große Liebe, da er mich unendlich verstand.
Doch tat das nicht auch Louis-Antoine in einer gewissen Art und Weise? Wieso sollte ich mich sonst von ihm so angezogen fühlen?
„Ich liebe dich, das weißt doch, oder?" Blinzelnd sah ich zu ihm hoch, ehe er eine Hand an meine Wange legte. Entspannt ausatmend nickte ich, überzeugt, dass meine Worte ebenso wie die seinen der Wahrheit entsprachen: „Ich liebe dich noch mehr."
~*~
Irritiert, weshalb das Fenster offen stand, sah ich mich in meinem Gästezimmer um, als ich nach dem Abendessen in dieses zurückkehrte. Meine Stirn legte sich in Falten, als sich meine Aufmerksamkeit der Vase auf meinem Nachttischchen widmete. Es waren rote Rosen.
„Rafael", stellte ich schmunzelnd fest, und mein Gesicht entspannt sich wieder. Er fand auch immer einen Weg, mich glücklich zu stimmen...
Verträumt erinnerte ich mich an unseren letzten Abend und den zurückliegenden Tag, und seufzte.
Ihn für unbekannt lange Zeit nun nicht mehr sehen zu können, ließ mich bitter die Lippen aufeinander pressten, und mich ließ das Gefühl nicht los, dass Rafael nicht nur aufgrund seiner spanischen Wurzeln ausgewählt worden war, in jenes Land zu reisen.
Ob ihn jemand bestimmtes einfach ganz schnell los werden wollte?
~*~
Scharf zog ich die Luft ein.
Schmaler und schmaler wurde meine Taille, während die Zofe, die extra aufgrund meines Besuches für mich eingeteilt worden war, das Korsett immer enger schnürte. Daraufhin folgte ein weißer Unterrock und die Krinoline, ein Reifrock, der aus einem zwei Meter langen Reifengestell bestand, die ich über den Kopf zog. Erst dann kam das eigentliche Kleid. Zuletzt knöpfte meine Zofe an meinem Rücken das Kleid zu.
Zufrieden betrachtete ich mich im Spiegel.
Ich hatte zur Feier des Tages mein teuerstes Kleid tragen wollen. Es war dunkelrot; mein Rücken wurde nur mit einem durchsichtigen, mit roten Blumenstickerein besetzen Stoff bedeckt und meine Haare, die zu einer komplizierten Flechtfrisur gebunden waren, fielen mir über meine Schultern.
„Ihr seht wunderschön aus, Prinzessin", bemerkte sie und lächelte, während sie hier und da an meinem Kleid herumzupfte.
„Ich danke dir. Du kannst gerne jetzt schon einmal Feierabend machen, ich brauche dich heute dich mehr", sagte ich zu ihr, da mir jetzt schon klar war, dass es ein langer Abend werden würde. Sie verbeugte sich und verließ mit gesenktem Haupt mein Gästezimmer.
Zur Beruhigung atmete ich tief ein und aus.
Ich würde Spaß haben - das hatte ich mir trotz Rafaels Abwesenheit und der Spannung zwischen Louis-Antoine und mir vorgenommen. Niemand sollte meiner guten Laune an dem heutigen Abend im Wege stehen.
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Übersetzungen
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( TITEL ) → Die Liebe
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