Kapitel 27 ❀ au revoir
RAFAEL
In Aliénors Augen spiegelte sich klare Angst, aber auch leichtes Misstrauen wieder. Ich unterdrückte das Verlangen, zu schlucken, allein wenn ich daran dachte, was geschehen könnte. Nach einer kurzen Schweigepause holte ich tief Luft, nahm ihre Hände in die meine: „Es kann sein, dass wir beide uns die nächste Zeit erstmal nicht sehen werden."
„Was meinst du damit?", wollte sie leise wissen, wobei unterdrücktes Entsetzen über meine Aussage in ihrer Stimmlage mitschwang.
„Ich werde morgen Abend abreisen. Und ich habe keine Ahnung für wie lange Zeit." Ich ließ einen Seufzer meine Lippen verlassen und presste diese aufeinander, ehe sie mit dem Kopf schüttelte und sich durch die Haare fuhr. „A-Aber wieso und wohin?", begann sie irritiert. „Wir sind doch gerade erst angekommen..."
„Ich weiß", flüsterte ich und strich mit meiner rechten Hand sanft über ihre Wange. „Aber ich muss. Als gebürtiger Spanier kann ich mich am besten mit dem König verständigen.
So hat der Kaiser mich ausgewählt, mit ihm einen Kompromiss zu finden. Das Kriegsbeil muss begraben werde.... a-also verzeih mir, bitte. Ich werde mich beeilen, jedoch ist es mir wichtig, dass der Konflikt gelöst wird und-"
„Rafael", unterbrach sie mich ruhig. „Alles ist gut. Ich bin nicht wütend auf dich. Wie könnte ich auch? Du möchtest reisen und es ist ebenfalls deine Arbeit, die dir wichtig ist. Ich bin stolz auf dich, dass du dich für den Frieden einsetzt."
Schief lächelte sie. Womit habe ich bloß ein so wundervolles Mädchen verdient?, dachte ich mir augenblicklich. Es tat weh, sie alleine zu lassen, gerade da, wo es ihr nicht gut zu gehen schien. Ich liebte sie, und somit wollte ich einfach in ihrer Nähe sein. Jedoch verkörperte diese Aufgabe nunmal meine Arbeit. Und am Ende gegen mein eigenes Land kämpfen zu müssen, wäre grauenvoll.
„Komm her", meinte ich grinsend und nahm sie in den Arm, wobei ich ein letztes Mal ihren unvergleichlichen Duft aus Rosenwasser und ihren Körpergeruch einatmete, ehe ich mich löste.
Vorsichtig ergriff sie meine Hand und zog mich auf den Balkon, sodass wir einen perfekten Blick auf die Gartenanlage hatte. Es war eine wolkenlose Nacht. Die Sterne glitzerten über unseren Köpfen und der frische Duft der Pflanzen stieg mir in die Nase, als wir beim Geländer haltmachten und eng umschlungen den Garten beobachteten.
Von hier aus sah man Versailles mit seinen vielen Schornsteinen, die in den Himmel stachen und auch den Springbrunnen, in dem sich der Mond spiegelte. Es war eine wunderschöne Nacht.
Wie ich auch schien sich Aliénor auch an unseren ersten Kuss dieses Jahres zu erinnern, der in ihrem Garten während der Geburtstagsfeier stattgefunden hatte. Sie schaute zu mir hoch. „Vergiss mich nicht", flüsterte sie liebevoll.
„Sag' das nicht. Ich könnte niemals...", entgegnete ich wispernd und legte sanft meine Lippen auf die ihren, ehe ich sie an ihrer Taille zu mir zog.
Behutsam strich mit meiner Zunge über ihre Lippen, und sie legte ihre Hände in meinen Nacken, sodass dieses aufregende, verbotene Gefühl meinen Körper durchströmte. Mit keiner anderen Frau hätte sich diese Geste der Zuneigung so erregend anfühlen können wie mit Aliénor.
„Ich verspreche dir, dass ich spätestens bis zu deinem Geburtstag wieder da bin", scherzte ich, nachdem wir uns vorsichtig gelöst hatten und grinste, während ich meine Stirn an ihre legte.
„Abruti, das ist noch zwei Monate hin", schmunzelte sie und schloss müde ihre Augen. „Ich weiß", erwiderte ich. Dann schloss ich sie ebenfalls.
~*~
ALIÉNOR
Noch halb in meiner Traumwelt versunken, erwachte ich am nächsten Morgen, um mich blinzelnd in meinem Gemach umzusehen.
Erst nach einiger Zeit realisierte ich, wo ich übernachtet hatte, und wurde auf einen Schlag wieder traurig, als mir bewusst wurde, dass heute Rafaels letzte Stunden in Versailles, beziehungsweise in Paris anbrachen.
Der Tag sollte sich ebenfalls etwas trübsinnig, dafür aber sehr interessant gestalten. Mit Brienne zusammen unternahm ich einen Spaziergang durch die riesige Gartenanlage, wobei ich vermied, an die Auseinandersetzung mit ihrem Verlobten zu denken. Stattdessen versuchte ich, das Gespräch auf diesen öden Garten zu lenken, der meiner Meinung nach dringend verschönert werden musste.
„Jedes Mal, wenn die Pariser hier spazieren gehen, müssen sie sich doch sicherlich auch fragen, weshalb sich niemand um die Anlage schert. Das passt doch gar nicht zu dem Prunk des Palastes an sich", bemerkte ich kopfschüttelnd, als wir einige unbepflanzte Blumenbeete passierten.
„Aliénor", sagte meine Schwester nahezu empört. „Du glaubst doch nicht wirklich, dass die Tore des Gartens für die Bevölkerung offen stehen? Ha!" Sie lachte kurz auf. „Unsere Familie kann das vielleicht machen, aber doch kein Kaiser von Frankreich. Überlege doch, was passieren könnte!"
„Ich hatte ja bloß überlegt, da der Garten so groß ist... und die Familie des Kaisers ihn doch kaum nutzt", entgegnete ich achselzuckend. „Und im Palast wohnen ja nicht mehr 5000 Menschen, sondern nur noch ein Fünftel so viele..."
„Du wirst schon irgendwann verstehen, was ich meine..." Ohne dadurch aus der Fassung gebracht zu sein, musste ich mich bemühen, nicht unbeschwert über die Wege zu hüpfen, da diese schier unendlich wirkten.
Brienne hingegen schien etwas bedrückt zu sein - wahrscheinlich aufgrund meiner Einstellung oder weil sie bald schon ihr Zuhause verlassen musste. „Du vermisst Valençay jetzt schon, nicht wahr?", sprach ich sie darauf an und hakte mich bei ihr ein. Meine ältere Schwester sah verwundert zu mir hinunter: „Nein, wieso sollte ich? Ich kann euch - und ihr mich doch jederzeit besuchen. Wir leben ja nicht mehr im 16. Jahrhundert."
„Ach, ich habe bloß gefragt, da du eben so bedrückt schautest", meinte ich bloß. „Vielleicht habe ich es mir auch nur eingebildet..."
„Nein, ich fürchte das hast du nicht...", seufzte sie melancholisch und sah zu mir hinunter. „Du musst wissen, dass ich etwas unsicher wegen Louis-Antoine bin. Er scheint mich gar nicht wirklich wahrzunehmen."
Mein Mund öffnete sich, um etwas zu sagen, doch ich bekam kein Wort heraus. Ein Kloß hatte sich in meinem Hals gebildet und mir erschien es als der übelste und feigste Verrat, auch nur irgendetwas darauf zu antworten.
„Aber ich denke, dass sich das schon regeln wird. Viele Paare wachsen erst mit der Zeit wirklich zusammen... Ich liebe ihn schließlich auch nicht", winkte sie seufzend ab, worauf mein Kopf in ihre Richtung schnellte: „Du... liebst ihn gar nicht?"
Ein amüsiertes Schmunzeln zierte Briennes Lippen. „Mon dieu, Aliénor. Erst einmal ist unsere Heirat politischer Natur, und zweitens kann sich Liebe doch nicht in innerhalb von... wie lange sind wir jetzt verlobt? ... von anderthalb Wochen entwickeln! Du möglicherweise, aber ich - oder Louis-Antoine?"
Ich ließ mir ihre Worte angestrengt durch den Kopf gehen. Sie war also gar nicht in ihn verliebt, höchstens etwas bedröppelt, dass er ihr (noch) nicht jeden Wunsch von den Augen abließ.
Doch zugleich machte mir ihre Bemerkung über meine Person zu schaffen, da sie mich besser als sonst wer kannte. Konnte es wirklich sein, dass ich in Louis-Antoine verliebt war?
Ich hatte für Comte Lorenzo de Gardo geschwärmt. Doch konnte ich genauso gegenüber Louis-Antoine empfinden? Ich wusste nicht, wie ich ihn einordnen sollte, da er mich angelogen hatte - ich jedoch nicht wusste, ob einige Dinge über ihn stimmten. Möglicherweise war auch sein Herzschmerz gar nicht gespielt gewesen...
Unwillkürlich blinzelte ich, um mir diesen Gedanken aus dem Kopf zu schlagen. Nein, so war das nicht. So konnte und durfte es nicht sein. Ich würde definitiv nicht so wie er enden!
Mit Rafaels Abreise hatte ich genug Herzschmerz am Hals. „Ach, Brienne... du kennst dich doch bestimmt schon sehr gut hier aus, nicht wahr?", wollte ich mit bemüht beiläufiger Stimme von ihr wissen, und fuhr ohne eine Antwort abzuwarten fort: „Dann weißt du doch bestimmt auch, wo die Trakts sind, in denen die Angestellten übernachten nicht?"
Schief sah sie mich von der Seite an. „Du willst zu Rafael, n'est-ce pas?" Entschuldigend biss ich mir auf die Unterlippe. „Es ist unser letzter gemeinsamer Tag zusammen, Brienne. Heute Abend reist er schon ab in Richtung Spanien. Wir wissen nicht, wann wir uns wiedersehen werden..."
Ein Seufzer verließ ihre vollen Lippen, ehe sie mich sanft anlächelte. „Nun gut, du findest ihn in dem quadratischen Gebäude, neben dem Südflügel."
Überglücklich bedankte ich mich bei meiner herzallerliebsten Schwester und begab mich gleich darauf dorthin, ohne zu bemerken, dass sie mir mit einem spöttischen, nahezu tückischem Schmunzeln hinterher sah.
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Übersetzungen
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( TITEL ) → Auf Wiedersehen
( Abruti ) → Blödmann
( Mon dieu! ) → Mein Gott!
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