Kapitel 11 ❀ le bal
MARIE BRIENNE
„Aua!"
Leise keuchend ließ ich die Orchidee, die ich so eben noch für meine baldige Schwiegermutter gepflückt hatte, fallen und steckte mir die Spitze meines Zeigefingers in den Mund, sodass das rote Blut von diesem nicht mein Kleid beträufeln konnte.
Wenn Tante Marie-Thérèse es nicht so schätzen würde, dass ich als zukünftige Kaiserin auch Qualitäten wie Gartenarbeit ebenfalls aufweisen müsste - obwohl sie selber es nie tat -, würde ich hier nämlich auch nicht stehen. Im Gegensatz zu meiner Familie kümmerte mich unser Garten wenig. Ich hatte eine Sorte Blumen, die ich präferierte und das war es dann auch.
Ich kontrollierte, ob der Blutfluss endlich verebbt war, doch nahm meinen Finger schnell wieder aus dem Mund, als ich einen Boten unser Eingangstor passieren sah.
Von meiner Position aus konnte ich ihn gerade erkennen, wie er wohl nach einer Person suchte, der er seine Nachricht aushändigen konnte.
Als er mich entdeckte, machte er sich auf, zu mir zu kommen. Ich strich mein Kleid glatt und mein Herz begann aufgeregt gehen meinen Brustkorb zu pochen, da ich schon die ganze Zeit ein Schreiben von Louis-Antoine erwartete.
„Verzeiht die Störung, Hoheit", begrüßte er mich und versank sofort in einer tiefen Verbeugung. „Ich bringe einige Briefe für die herzogliche Familie aus der Hauptstadt. Unter anderem auch für Euren Vater... wo finde ich diesen?"
„Der kann so eben nicht sprechen, aber ich kann die Briefe seiner Hoheit zukommen lassen", erklärte ich ihm, was dieser mit einem verständnisvollen Nicken quittierte: „Natürlich. Ansonsten habe ich ihr noch einen Brief für Eure Schwester, die Prinzessin Aliénor."
In der Verbeugung reichte er mir den Brief. „Habt Ihr sonst noch irgendein Schreiben?" Auch wenn ich ihn so hoffnungsvoll fragte, sah ich bereits enttäuscht, dass wohl nichts für mich abgegeben worden war.
„Verzeiht mir, nein, Hoheit", entgegnete der junge Bursche und ich nickte die Lippen aufeinander pressend, gab ihm einen Livre und schickte ihn somit fort.
Seufzend ging ich trotz alledem die Briefe durch, die ich in den Händen hielt. Dabei waren die üblichen Schreiben an meinen Vater von dem Ministerrat aus Turin, ein Brief von meinem baldigen Verlobten an Papa und dieser Brief für meine jüngere Schwester.
Neugierig, wer ihr denn aus Turin schrieb - da ihre Freunde gefühlt ja nur zu den Bauernkindern auf dem Land, und nicht zu den aristokratischen Familien, die in Turin wohnten, gehörten - entschied ich mich das Siegel zu brechen, um den Brief zu öffnen.
Aliénor würde zwar dadurch sehen, dass ich ihn gelesen hatte, doch ihr machte das selten etwas aus. Unter Schwestern sollte es ihrer Meinung nach keine Geheimnisse geben.
Sowieso unternahm sie gerade einen Ausritt mit Charles und würde erst in einigen Stunden wieder eintreffen.
So zog ich den kleinen Fetzen Papier heraus und ich meine Augen begannen sich mit jedem weiteren Wort, welches sie aufnahmen, sich immer weiter zu weiten.
Schließlich klappte ich den Brief wieder zusammen und atmete tief durch. Ich hätte es wissen müssen...
Wiederum war es nun auch nicht mehr schlimm - denn Aliénor würde nicht zum Ball gehen.
Dass genau in diesem Moment Charles und Aliénor wieder eintrafen, und mein älterer Bruder bald schon unsere Eltern überzeugen würde, dass es doch eine gute Idee wäre, Aliénor zum Ball gehen zu lassen und sie auch bereit wäre, mit fremden Gästen zu tanzen, ahnte ich nicht im geringsten.
~*~
ALIÉNOR
Der Saal war voll. In meinem engen, weißen und schulterfreien Kleid stand ich rechts neben den Thronen, auf denen meine Eltern saßen und die Gäste, die angekündigt wurden, empfingen. Charles stand neben mir, wechselte einen triumphierenden Blick mit mir und schaute anschließend wieder lächelnd durch die Menge.
Ich konnte kaum glauben, was er für mich getan hatte und war ihm aufs höchste dankbar.
Tante Marie-Thérèse und ihre engsten Hofdamen hatten sich links neben meinen Eltern auf einem Sofa niedergelassen. Wie immer den Fächer vor der Brust bewegend, saß meine Tante zweiten Grades anmutig auf dem roten Polster und schaute stolz durch die Gegend.
Während Brienne erst später auftauchen sollte, schaute ich mich aufgeregt um.
Jede Person des männlichen Geschlechts registrierte ich genau, obwohl ich die Menge schon bestimmt zum zehnten Mal mit den Augen abgesucht hatte. Doch den Comte, geschweigedenn Rafael entdeckte immer noch nicht.
Was ist wenn Brienne Recht gehabt hatte und Comte Lorenzo gar kein Adeliger, sondern ein Lügner war und somit nicht kommen würde?
Und was war, wenn Rafael bereits einen anderen Posten erhalten hatte und gar nicht mehr für den Kaiser arbeitete?
Meine Gedanken wurden unterbrochen, als plötzlich alle verstummten und ihre Blicke dem Eingang widmeten. Nach Brienne mit „Prinzessin Marie Brienne von Savoyen-Piemont" angekündigt worden war, wurden die Türen geöffnet und meine ältere Schwester schritt anmutig, während das Orchester spielte, in ihrem schönsten und teuersten Kleid hinein.
Vor meinen Eltern angekommen, verbeugte sie sich kurz, ehe sie sich neben Charles stellte und zum ersten Tanz ausgerufen wurde. Während mein Vater seine älteste Tochter bat, stellte sich Charles vor mich und verbeugte sich kurz. „Darf ich um den ersten Tanz bitten?", forderte er mich auf, ehe ich glücklich lächelte und darauf nickte: „Natürlich gern."
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Kurze Zeit später saß ich immer noch die Menge beobachtend und gelangweilt in einem Sessel, während ich den Frauen in den bunten, auswendigen Kleidern beim Tanzen mit Ihrem Partnern zuschaute.
Beim Buffet war ich bereits gewesen, jedoch hätte ich heute einfach keinen Hunger, auch wenn die Speisen und Getränke wunderschön und sehr appetitlich angerichtet worden waren. Keiner der Männer war nirgendwo zu sehen. Am liebsten wollte ich mich einfach ins Bett werfen und alles vergessen.
Aus dem Augenwinkel sah ich wie unser Diener Alexandre sich aufmerksam umsah, als würde er nicht gesehen werden wollen, bevor er in einem Nebenzimmer verschwand.
Als ein Schatten auf mich zukam, blickte ich auf. Zu allem Übel war es auch noch Brienne, die dazu wahrscheinlich noch etwas zu sagen hatte.
„Ich sag's doch, er ist ein Lügner", meinte sie, wie befürchtet und grinste bloß, ehe sie auch ohne meine Antwort abzuwarten, einfach weiterging, um sich mit Prinzessin Liliette von Spanien, ebenfalls eine weit entfernten Verwandte von mir zu unterhalten.
Jedoch schien sie auch leicht genervt zu sein - schließlich war der Kaiser immer noch nicht eingetroffen.
Seufzend lehnte ich mich zurück. Eigentlich sollte ich sauer auf sie sein, da sie mir nicht gerade Mut machte; dennoch hatte sie aber auch Recht - leider. Zudem wusste ich, dass diese gemeinen Kommentare nur kurze Phasen bei ihr waren, und sie sonst nicht so war.
„Sag' mal, Aliénor, willst du nicht tanzen? Sonst tanzt du doch für dein Leben gern'."
Eine weibliche Stimme mit italienischen Akzent ließ mich verwundert aufschauen, ehe ich das Mädchen freudestrahlend erkannte.
„Flora?"
„Genau die bin ich." Schelmisch grinste sie und nahm mich in den Arm, nachdem ich quiekend aufgesprungen war. „Ich hab' dich gar nicht gesehen", lachte ich und ließ sie los.
„Schau, wie hübsch du bist. Charles hat solch' ein Glück."
Verlegen kratzte sich Charles am Hinterkopf und seine Gemahlin lächelte. „Danke, ich bin erst später gekommen. Du musst wissen, euer Schloss ist so abgelegen; man muss bestimmt zwanzig Kilometer fahren, bis man durch den Wald eure Unterkunft überhaupt gefunden hat. Ich kann mich gar nicht mehr daran erinnern, dass der Weg damals so lange war."
„Naja, zwanzig Kilometer sind wohl etwas übertrieben", antwortete Charles grinsend und legte einen Arm um seine Verlobte. „Es sind bloß drei Kilometer bis zur Hauptstadt und zu unserem eigentlichen Hauptsitz in Turin."
Unsere Herzogsfamilie hatte mehrere Sitze in unserem kleinen Reich. Der eigentliche Palast in der Hauptstadt hatte meinen Vater jedoch nicht gelegen, und somit waren wir nach Valençay, einem unserer Schlösser, welches abseits von der Hauptstadt in der Nähe eines kleinen Dorfes und eines Sees lag gezogen.
Zudem gehörten zu unseren Sitzen das Jagdschloss Stupinigi, süd-westlich der Stadt, ein Schloss in Monaco am Strand und eines in Nizza, das für Florentina und Charles umgebaut wurde.
„Trotzdem ist es abgelegen, vor allem wenn man aus Nizza kommt", entgegnete sie und sah zu ihrem Gemahl auf.
„Wollen wir wieder Tanzen, Florence?", fragte Charles sanft lächelnd, nachdem die zwei sich kurz verträumt angeschaut hatten. Er war die einzige Person, die sie nicht bei ihrem italienischen Vornamen Florentina oder bei ihrem Spitznamen Flora ansprach. Zu Beginn hatte er sie aus Versehen Florence genannt, und die beiden hatte die französische Version ihres Namens bei ihren Konversationen beibehalten.
Zumindest waren die zwei glücklich, wenn auch sie lange gebraucht hatten, um zusammenzukommen. Von mir konnte man das nicht behaupten...
„Und was ist mit Aliénor?"
Die beiden schauten mich kurz an. „Mit mir? Tanzt ruhig weiter, ich wollte eh kurz nach draußen, um frische Luft schnappen."
Mit diesen Worten stand ich auf. „Sicher?", fragte Flora zaghaft nach. „Ist alles in Ordnung mit dir?"
„Klar, klar", log ich und seufzte kurz. „Ich bin bloß müde..."
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Draußen angekommen kam mir vorerst die kühle Luft entgegen und nachdem ich an den Wachen, die vor den Türen und Treppe plaziert waren, vorbei gegangen war, atmete ich ruhig und entspannt ein und aus, ehe ich langsam die steinigen Treppenstufen hinunter schritt und den Weg durch den verzwickten Garten nahm.
Meine Finger ließ ich sanft über die Plfanzen streichen, während ich immer weiter in Richtung Mittelpunkt ging. Der Mond schien hell über meinem Kopf und die Sterne funkelten wie Diamanten. Hier war es viel ruhiger und angenehmer als drinnen im Schloss.
Am Springbrunnen angekommen setzte ich mich auf den Marmorrand und lauschte dem Zirpen der Grillen und dem Plätschern des Springbrunnens.
Doch die angenehme Ruhe wurde gestört, als ich plötzlich schnelle Schritte hinter mir vernahm. Augenblicklich drehte ich mich um.
Und dann sah ich ihn.
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Wer glaubt ihr, ist es bzw. auf wen hofft ihr?
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Übersetzungen
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( TITEL ) → Der Ball
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