Kapitel 06 ❀ plaisir


LILIETTE

Das zusammengefaltete Schreiben mit meinen Händen umklammert, trat ich aus der Nische hinaus und klopfte mir den wenigen Staub, den ich durch das Betreten des Ganges abbekommen hatte, von meinem Rock. Schweratmend blickte ich mich in meiner Umgebung um, um zu kontrollieren, dass mich auch gar niemand gesehen hatte, bevor ich sicher sein konnte, den Weg zu den Gemächern der Kaiserin einschlagen zu können.

Ich darf ihn nicht mehr enttäuschen, sagte ich zu mir selbst in Gedanken. Darüber war ich mir nun vollständig bewusst. Zumindest nicht mehr. Zu oft war dies geschehen. Meine Angst, trotzdem einen Fehler zu machen, nahm mich nahezu ein.

Glücklicherweise kam ich zumindest pünktlich, um Aliénor zu helfen, sich für den Maskenball herzurichten. Es war schon später Abend, und ich würde mich auf den Festlichkeiten sowieso nicht blicken lassen.
Zwar hatte sie schon oft versucht, mich zu überzeugen, zu kommen, doch ich fühlte mich nicht wirklich passend in der Gesellschaft. So hatte ich der Blondine erklärt, sie für ihre Aufmachung zu beraten, sodass meine Kolleginnen sich selber fertigmachen konnten.

Die Blondine saß vor ihrem Spiegel, während ich einige Blumen und Schleifen in ihrem Haar befestigte.

„Liliette? Glaubt Ihr, dass viele Leute heute Abend anwesend sein werden?", sprach sie schließlich nachdenklich und ihre Augen folgten meinen Händen, die eilig einige blonde Strähnen flochten.

„Natürlich, Majestät", erwiderte ich. „Halb Frankreich ist eingeladen, aber auch einige englische, österreichische und belgische Adelige werden kommen. Es ist immerhin der jährliche Ball Seiner Majestät."

„Liliette, ich habe Euch doch schon gesagt, dass Ihr mich nicht mit Majestät ansprechen müsst", seufzte sie schmunzelnd, während sie sich in ihrem Spiegel begutachtete. „Wir sind doch befreundet."

„Die Madame hört das jedoch nicht gern", entgegnete ich ebenfalls seufzend, und unterdrückte das Stechen in meinem Magen. „Und Ihr wisst doch, dass ich möglichst allen gefallen möchte. Ich bin so ähnlich wie Eure neue Leibwache... ich bin eine Tochter den spanischen Königs - und zudem ein Bastard. Ich kann mir so etwas nicht erlauben. Deshalb eigne ich es mir gleich ab."

„Ach so, verzeiht, ich vergaß", antwortete sie entschuldigend, und blickte etwas traurig drein. „Dann behaltet Eure Anrede für mich, wenn es Euch lieber ist. Selbstverständlich passe ich mich an Euch an."

„Vielen Dank, Majestät."
Meine Stimme klang etwas piepsig. Jedoch schien Kaiserin Aliénor dies nicht gehört zu haben.

Ohne mich eigenartig zu mustern, ließ sie zu, dass ich um sie herumging, um ihre Schminke zu überprüfen, bevor ich mich an ihren Schmuck machte. Erneut staunte ich nicht schlecht, als ich ihre Stücke beäugte. Der Kaiser legte ihr tatsächlich die Welt zu Füßen, wenn es darum ging, sie glücklich zu machen. Auch wenn ich wusste, dass diese Kostbarkeiten für seine Gemahlin nie so viel Wert haben würden wie ein Ausflug oder einer ruhiger Abend mit ihm selbst.

„Wisst Ihr... ich mag diese Veranstaltungen nicht besonders", gab sie nach einiger Zeit zu.

„Das ist mir bereits aufgefallen, Majestät", sagte ich schmunzelnd. „Ihr fühlt Euch nicht sonderlich wohl unter so vielen Leuten, n'est-ce pas?"

„Normalerweise schon. Ich liebe es zu tanzen, zu feiern, mich zu unterhalten. Doch seitdem ich Kaiserin von Frankreich bin, ist es anders. Alle achten nur auf mich, und ich kann mich mit niemanden wirklich ehrlich unterhalten, ohne das zu haben Gefühl, dass die Nettigkeiten nur gespielt sind..."

„Die meisten Gäste haben einfach Angst, Euch zu missfallen, Majestät. Wenn Ihr Euch etwas mehr mit einigen befasst, werdet Ihr merken, dass nicht alle gleich sind", erklärte ich ihr, und kam mir gleich darauf etwas komisch vor. Ich war gerade einmal 17 Jahre alt, und gab ihr Tipps im Thema Menschenkenntnisse.
„Ihr dürft nicht vergessen, dass es ein Maskenball ist. Nicht alle haben unbedingt eine Ahnung, wer Ihr seid."

„Wenn Ihr das sagt."
Sie lächelte mich kurz dankend an, ehe sie daraufhin wieder betrübt dreinschaute, als sei ihr etwas in den Sinn gekommen: „Trotzdem verabscheue ich es, hier ständig von allen auch außerhalb der Veranstaltungen beobachtet zu werden. Es ist eine Qual."

„Ihr werdet Euch daran gewöhnen... Ich bin schon länger hier... Versailles hat auch seine guten Seiten...", begann ich aufmunternd. „Ihr seid die Kaiserin. Wenn Ihr Euch etwas wünscht, bekommt Ihr es. Ihr könntet Feiern veranstalten, auf der nur Eure Freunde geladen sind. Mit Theater, leckerem Essen und Vergnügungen."

Schließlich reichte ich ihr ihre mit schwarzen Perlen verzierte Maske. „Habt keine Angst. Sobald die Madame der Meinung ist, dass Ihr genug Nachhilfe bekommen habt, zeige ich Euch, was Versailles wirklich zu bieten hat."


~*~

ALIÉNOR

Der Ball war bereits im vollen Gange, nachdem ich eingetroffen war und begonnen hatte, mit mehreren Leuten Gespräche zu führen. Es war eigentlich gar nicht so schlimm, wie ich es erwartet hatte. Viele Gäste waren ziemlich aufgelockert (ich war mir ziemlich sicher, dass dies daran lag, dass mich niemand erkannte) und die Speisen waren ein wahrer Schmaus. Mit meinen Hofdamen und einigen Freunden hatte ich ziemlichen Spaß und wir konnten viel zusammen lachen.

Im Hintergrund spielte flippige Tanzmusik und der berühmte Spiegelsaal war erfüllt von vielen Stimmen.
Bei einigen Personen war ich mir einige Male nicht ganz sicher, ob sie sich nicht doch über meine Identität bewusst waren. Hingegen schienen mich viele Bekannte von anderen Bällen anders zu behandeln als sonst.

Innerlich dankte ich trotz der Unsicherheiten Louis-Antoine dafür, dass es ein Maskenball war und überlegte die ganze Zeit, wo er sich herumtrieb. Ob er überhaupt anwesend war? Ich wollte doch so gerne mit ihm tanzen...

„Wollt Ihr nicht auch etwas trinken?", forderte mich ein alter Freund von mir auf, den ich noch von den Bällen in meiner Heimat Savoyen kannte, und reichte mir ein Glas Champagner, ehe er mit gedämpfter Stimme zu mir sprach: „Wir alle wissen doch, dass Ihr ein Mensch für Feierlichkeiten seid, Aliénor."

„Danke, nein", entgegnete ich lachend. „Ich trinke nicht."
Und dies entsprach sogar der Wahrheit. Ich trank schon seit über einem Jahr keinen Alkohol mehr, da ich für mich selber entschieden hatte, nicht mehr so zu übertreiben wie vor zwei Jahren.

„Ach, kommt schon", mischte sich nun auch Charlotte bettelnd ein, und nippte an ihrem Glas. Sie sah wie jeden Tag umwerfend aus und trug ein teures Spitzenkleid aus Mailand. „Niemand weiß, wer Ihr seid."

Das bezweifelte ich zwar; gab dann schließlich jedoch nach. Vielleicht hatte Liliette ja recht und ich sollte alles nicht so eng sehen. Ich schwenkte im Luxus und konnte einen Abend lang diese Möglichkeit genießen - wieso sollte ich sie also nicht vollends auskosten?

„Na, dann: Auf Frankreich!", rief Perenelle aus und selbst Henriette hob mit uns die Gläser in die Höhe, ehe wir sie leerten.

━━

Wenig später begann eine Theateraufführung von Louis-Antoines Lieblingsstück. Diese Komödie hatte ich schon einige Male gesehen und ich erfreute mich ständig daran. Heute erschien sie mir nur um einiges witziger als sonst, was wohl an den Mengen Alkohol, die ich zu mir genommen hatte, liegen musste.

„Entschuldigt mich", kicherte ich, als sich die Aufführung dem Ende neigte und sich die Musiker schon für den Walzer bereit machten.

Ich verließ die Menge und rückte noch einmal meine Maske zurecht, ehe ich mich zum Buffet begab. Dort hievte ich mir mehr Kuchenstücke auf den Teller, als mir dafür Platz zur Verfügung stand, und nahm mir von einem herumlaufenden Diener noch ein Glas Sekt vom Tablet.

Summend wollte ich gerade mit meinem Leckereien an einen Tisch verschwinden, als ein stattlicher Mann vor mir auftauchte. Für einen kurzen Moment hatte ich ihn für Antoine gehalten, da sonst niemand so direkt auf mich zukam. Jedoch hatte die Person dunklere Haare als mein Gemahl und trug eine schwarze Maske.
„Seid gegrüßt", kicherte ich und hielt ihm meine Hand hin, die er schmunzelnd küsste.

„Ebenfalls, Mademoiselle. Mit welcher bildhübschen Schönheit habe ich es denn zu tun?", sprach er mit einer rauen Stimme und ich kicherte erneut, bevor ich an sein Ohr gewandt flüsterte: „Das müssen Sie schon selbst herausfinden."
Seelenruhig schlenderte ich an ihm vorbei, bevor er mich an meinem Handgelenk zurückhielt. „Wollt Ihr schon gehen?"

„Ich bin müde", erklärte ich ihm lächelnd, auch wenn ich es offensichtlich nicht war, bevor ich mich aus seinem - zugeben etwas zu starken - Griff befreite.

„Und wie kann ich Euch wieder sehen?"
Zwar verstand ich nicht ganz, weshalb er diese Frage stellte und warum er grinste; jedoch hatte ich zu viel getrunken, als darüber nachdenken zu können, welche Intention der unbekannte Mann haben könnte, mich anzusprechen.

„Besuchen Sie mich im Gemach der Kaiserin", wisperte ich ihm entgegen, woraufhin er seine Hand sinken ließ und ich mich schmunzelnd von ihm abwandte.






♔ . ♔ . ♔


┏━━━━━━━━━━━┓

Übersetzungen

┗━━━━━━━━━━━┛

( TITEL ) Vergnügen

━━━━━━━━━━━━━━━━━

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top