4. Gebieterin über Leben und Tod
Hermine fuhr erschrocken herum und erblickte ihre ehemalige Hauslehrerin hinter sich. Sie schniefte und wischte sich mit dem Ärmel ihres Shirts ertappt und eilig die Tränen von den Wangen. Es war eigentlich überflüssig, immerhin hatte McGonagall sie bereits weinen sehen. "Sie haben mich erschreckt", sagte sie und räusperte sich, ihre Stimme klang noch ganz heiser und sie erhob sich langsam.
"Ich wollte Sie nicht erschrecken. Als Sie mich darum baten das Schlossgelände betreten zu dürfen, hatte ich schon damit gerechnet, dass es dabei nicht um die Bibliothek ging", erklärte sie, sah dabei aber nicht sie, sondern den Grabstein vor sich an. "Was hat Sie das vermuten lassen?"
"Albus", antwortete sie mit einem leichten Lächeln auf den Lippen und schielte zu dem Grab des ehemaligen Schulleiters hinüber, "Ich hatte erwartet, dass Sie zu mir ins Büro kommen würden und vielleicht über Ihre Ausbildung sprechen wollten, aber Albus' Portrait meinte, ich würde in meiner Annahme über ihren Besuchswunsch irren und dass ich Sie heute hier finden würde."
"Er hat es also doch gewusst", flüsterte Hermine und sah auch kurz den weißen Mormorstein zu ihrer Rechten an.
"Was hat er gewusst, mein Kind?", wollte Minerva nun wissen.
"Den Grund, warum ich heute hier bin", meinte sie nur schlicht. Severus und sie hatten sich immer gefragt, ob er es gewusst hatte, nun hatte sie ihre Antwort. Und da es ihm offensichtlich nicht genug missfallen hatte, zu was sich ihre Zusammenarbeit entwickelt hatte, um etwas dagegen zu unternehmen, musste sie fast glauben, dass er das damit bezweckt hatte - dass sie sich womöglich näher kamen als es sich für ihre jeweilige Stellung geziemte.
"Nun, mir hat er den Grund nicht verraten", gab Minerva zu und die Art, wie sie das sagte, zeigte deutlich, wie sehr sie das wurmte und es auch gerne verstehen würde.
"Wussten Sie von unserer Zusammenarbeit in meinem sechsten Jahr?", fragte sie also, "Dass Severus und ich dran gearbeitet haben eine Heilung für den Fluch zu finden? Oder vielmehr, dass er daran arbeitete, während ich ihm von Dumbledore als Assistenz aufs Auge gedrückt wurde?"
"Mir sagte man, Sie würden nachsitzen. Ich habe mich mehr als einmal deswegen mit Severus und Albus in den Haaren gehabt, weil ich es für unverhältnismäßig hielt", berichtete sie überrascht, "Aber so wie Sie über ihn sprechen und gemessen daran in welcher Verfassung ich Sie eben hier fand, scheint das nicht alles gewesen zu sein."
"Wir sind Freunde geworden..", flüsterte Hermine, sah liebevoll auf den eingravierten Namen auf dem Grabstein und stellte sich vor, wie er reagieren würde, würde er dieses Gespräch nun hören können. Sicher hätte er schon einen Weg gefunden dieses Gespräch zu beenden, wenn er anwesend wäre und wäre mit großen Schritten davon geeilt. Er hatte es immer gehasst über seine Gefühle zu sprechen. Aber er war nicht mehr da, es lag nun an ihr zu entscheiden, ob sie darüber sprach oder nicht. Und sie hatte das Gefühl, dass sie darüber sprechen musste. Minerva, so dachte sie, würde sie nicht so ansehen wie ihre Freunde, würde sie es ihnen erzählen. Vielleicht war sie die Richtige, um mit ihr zu sprechen und ihr ihre Gedanken anzuvertrauen. Sie kannte Severus, besser als ihre Freunde es taten. Würde sie es verstehen?
"Aber mit der Zeit, da wurde es mehr als bloße Freundschaft. Wir hatten ein tiefes Vertrauen aufgebaut, so wie ich es noch nie erlebt hatte - anders als es bei Harry, Ron und Ginny ist. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, was genau daran anders war. Meine Freunde lieben mich wie eine Schwester, sie vertrauen mir und akzeptieren mich so wie ich bin. Aber bei ihm.. Das war anders."
"Severus war ein sehr besonderer Mensch, schwer zu durchschauen und noch schwerer als Freund zu gewinnen. Er war nicht gerade sehr freigiebig, was sein Wohlwollen , seine Gedanken und Gefühle anging. Aber seine Loyalität war grenzenlos, hatte man sie einmal gewonnen. Leider habe ich den Fehler gemacht, dem nicht zu vertrauen", sagte Minerva und Hermine konnte deutlich hören, wie sehr sie es bedauerte, ihm misstraut zu haben.
"So war es geplant. Glauben Sie mir, Sie haben sich genauso verhalten, wie es gedacht war."
"Das macht es nicht besser."
"Vielleicht nicht, aber er hatte es dennoch darauf angelegt", beteuerte Hermine.
"Sie lieben ihn wirklich, nicht wahr?" Da war kein Vorwurf in ihrer Frage, nur ehrliches Interesse und so etwas wie Mitgefühl.
"Das tue ich. Ich weiß, es ist nicht erlaubt gewesen.. Als ich erkannte, was ich für ihn fühlte, hatte ich Angst davor. Ich habe mich dagegen gewehrt, hatte angenommen, dass er das ohnehin nicht begrüßt hätte, dass ich so fühlte. Aber ich konnte es nicht. Wenn er bei mir war, dann fühlte ich mich, als wäre ich genug. Da gab es keinen Drang mehr perfekt zu sein oder besser oder einfach anders", wehmütig lächelnd schüttelte sie den Kopf, als sie sich das Gefühl in Erinnerung rief, was er in ihr ausgelöst hatte, immer wenn er sie ansah oder ihre Hand hielt. "Dieses Gefühl war so überirdisch und übermächtig, anders kann ich es gar nicht beschreiben."
Wieder legte Minerva ihr eine Hand auf die Schulter, als eine einsame Träne ihre Wange hinab lief.
"Jeder Mensch verdient es, von jemand anderem auf diese Weise geliebt zu werden. Es ist tröstlich zu wissen, dass es auch für ihn so jemanden gab. Nach allem was er erdulden musste und gerade weil er kein einfacher Mensch war." Hermine war überrascht, dass ihre ehemalige Hauslehrerin nicht weiter darauf einging, dass diese Gefühle eigentlich verboten gewesen waren. Aber vermutlich sah sie darin jetzt ohnehin keinen Sinn mehr, immerhin war Severus nicht mehr da. "Ich bin dankbar für die Zeit, die wir hatten, so kurz sie auch war, dennoch fühle ich mich um ein ganzes Leben betrogen", gab Hermine zu. Diese Gedanken hätte sie niemals jemandem gegenüber laut ausgesprochen, aber sie hatte das Gefühl, als könnte sie ehrlich sein zu ihrer ehemaligen Hauslehrerin.
"Der Tod hat viele von uns betrogen", gab Minerva bedauernd zurück, "Ich kann gut verstehen, wie Sie sich fühlen."
Überrascht sah Hermine ihre ehemalige Hauslehrerin an.
"Mein Ehemann", erklärte sie, "Ich habe seinen Namen bei unserer Hochzeit nicht angenommen, deswegen überrascht es mich nicht, dass Sie es nicht wussten. Elphinstone arbeitete in der Abteilung für magische Strafverfolgung im Ministerium. Er starb vor vielen Jahren an einem Biss einer Giftigen Tentakel in einem Einsatz. Ich will nicht behaupten, dass es wie bei Ihnen ist, immerhin hatten wir fast zwanzig gemeinsame Jahre, aber dennoch fühle auch ich mich betrogen."
"Wird es jemals leichter?", wollte Hermine ängstlich wissen. Das musste es, oder nicht? Wie sollte sie sonst für immer mit diesem Schmerz leben?
"Unsere Verbindung zeichnete vor allem eine tiefe Freundschaft aus. Auch wenn das grausam klingt, denn ich liebte ihn, war er streng genommen nur die zweite Wahl. Den Mann, den ich eigentlich heiraten wollte, durfte ich durch die damaligen Geheimhaltungsgesetze nicht heiraren. Ich bin wohl nie ganz von ihm losgekommen, auch bis heute nicht und ich bin mir sicher, dass auch Elphinstone das wusste. Ausgehend von diesen beiden Erfahrungen, muss ich also sagen: Nein, es wird nicht leichter, man lernt nur besser damit zu leben."
"Im Moment fühlt es sich so an, als könnte ich niemals damit leben. Ich werde es niemals akzeptieren können, dass er nicht mehr da ist.."
"Sie werden es müssen, mein Kind", erwiderte Minerva bedauernd, "Niemand ist des Todes Gebieter und das Leben geht nur in eine Richtung. Als er ihn zu sich holte, gab es kein Zurück mehr. Ich lasse sie nun wieder allein, wenn Sie mögen, kommen Sie doch noch in mein Büro für eine Tasse Tee, bevor Sie gehen."
"Minerva?", frief Hermine ihr hinterher, als sie schon davon ging. "Darf ich wieder hier her kommen?" Nachdem Voldemort gefallen war, waren die Banne um Hogwarts verstärkt worden, ohne ausdrückliche Erlaubnis kam nun niemand mehr hindurch und da Severus' Grab auf dem Schlossgelände war, konnte sie es auch nur mit Erlaubnis besuchen. "Ich werde dafür sorgen, dass Sie ein und aus gehen können, wann immer Sie wollen. Ich werde dafür sorgen, dass Sie ihn immer besuchen können, auch wenn meine Zeit irgendwann abgelaufen ist noch", versprach Minerva mitfühlend. "Danke", Hermine nickte und Minerva entfernte sich langsam, sie hatte ihr einiges zum Nachdenken gegeben. Sie dachte, sie könnte ihr mit ihren Erfahrungen helfen, aber es war eine Formulierung, die Hermine auch jetzt, nachdem sie außer Sichtweite war, noch im Kopf herumschwirrte und sich immer tiefer in ihr Gehirn grub und zu einem Gedanken heranwuchs. Der Tod hat keinen Gebieter, hatte sie gesagt, aber ihr waren sofort wieder die Worte von Lunas Vater eingefallen, als er ihnen von den Heiligtümern des Todes erzählt hatte. Brachte man alle drei Heiligtümer in seinen Besitz, so sagte man, machten sie einen zum Gebieter des Todes. Wenn sie sie also alle fand und sie hatte eine grobe Idee wo sich der Stein der Auferstehung befand und auch wo die Brichstücke des Elderstabes nun womöglich noch lagen, nachdem Harry ihn zerbrochen hatte und sie wusste ganz sicher, wo der Umhang war. Wenn sie sie also alle an sich brachte, würde sie zur Gebieterin des Todes werden. Die Frage war nur, was ihr das ermöglichen würde. Wenn er sich ihr unterwerfen musste, wäre sie dann im Stande eine Seele zurückzubringen? Könnte sie Severus dann womöglich wieder zurück bringen? Ihr Herz schlug immer schneller, je rasanter ihre Gedanken von einem zum nächsten sprangen und ganz heimlich stahl sich die Hoffnung zurück in ihr Herz, dass sie an dem Tag vor fünf Monaten nicht alles verloren hatte. Hoffnung darauf, dass es doch ein Zurück gab und sie es nicht einfach hinnehmen musste, dass man ihr Severus genommen hatte. Sie musste mehr erfahren, sie musste wissen, was es bedeutete, die Gebieterin des Todes zu sein. In ihrem Kopf nahm ein Plan gestalt an und sie sah voll neuer Kraft auf den Grabstein vor sich. "Wenn es eine Möglichkeit gibt", sagte sie laut und feierlich, "dann werde ich sie ergreifen. Ich werde nicht aufgeben und nicht zurückschrecken, dann werde ich dich zurückholen, koste es was es wolle." Sie gab dieses Versprechen nicht leichtfertig und sie hatte nicht vor, es zu brechen. Sie würde es nicht akzeptieren, sie würde kämpfen, bis zum Ende - ganz egal wie dieses auch aussehen würde. Sie würde nichts unversucht lassen. "Wir werden wieder zusammen sein."
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