Die Bestie

Ich spürte bereits wieder, wie die Bestie in mir ihre Krallen wetzte. Sie riss von innen an meinem Fleisch und versuchte sich, durch die Oberfläche zu kratzen. Mein Blick fiel dabei auf den Rücken des Kerls neben mir. Sein Brustkorb bewegte sich gleichmäßig. Noch immer quollen mit jedem Atemzug kleine Blutstropfen aus den tiefen Spuren, die ich während unseres Liebesspiels hinterlassen hatte, obwohl es wohl nur für ihn ein Spiel war. Führ mich, ist Sex eine der wenigen Möglichkeiten, mein inneres Raubtier zu besänftigen. Doch in letzter Zeit klappte dies immer schlechter. Trotzdem wollte ich nicht an die Alternative denken. Einen Menschen zu töten, um den Rausch zu erlangen, nach dem sie lechzte, war für mich unvorstellbar. Sogar der Grund, warum ich mein Rudel – meine Familie – verlassen hatte. Ich konnte die Abscheulichkeiten nicht mehr mit ansehen. Der Schmerz des Vermissens nagte trotzdem jeden Tag an mir. Es war bereits Jahre her, seit ich das letzte Mal jemanden meiner eigenen Art getroffen hatte. Deswegen begnügte ich mich mit dem Hoch, das mir ein menschlicher Partner verschaffen konnte. Auch wenn ich mich dabei zügeln musste und dadurch die Jaguarin in mir nur noch wilder machte.

Ich realisierte erst als ich das Blut schmeckte, dass ich mir die beschmierten Finger ableckte. Augenblicklich sprang ich von der Matratze und sammelte meine Kleidung ein. Der Typ reagierte auf meine plötzliche Flucht nur mit einem lauten Schnarchen und drehte sich auf den Rücken. Er würde sich sicherlich fragen, woher das Blut auf seinem Laken kam, wenn er aufwachte. Doch das wollte ich ihm nicht erklären müssen, also schlüpfte ich schnell in meine Jeans und mein Shirt. Ich stopfe meine Unterwäsche unliebsam in meine Tasche und schlüpfte zurück in meine Schuhe. Sekunden später stand ich auf einer der belebtesten Straßen der Stadt, die ich, nun seit 5 Jahren, meine Heimat nannte.

Die schwüle Sommerhitze war schon jetzt fast unerträglich, dabei war die Sonne gerade erst aufgegangen. Sofort klebte meine Haut und ich fasste meine wilden Locken zu einem Knoten auf meinem Kopf zusammen. Um meinen Kopf weiter zu klären und um nicht aus Versehen einen Taxifahrer zu erlegen, beschloss ich die paar Kilometer bis zu meiner eigenen Wohnung zu laufen. Mit jedem Schritt schlug mein Herz in einem kräftigeren Rhythmus. Er erinnerte mich an die Trommelschläge meines Stammes, wenn wir uns auf die Jagd vorbereiteten. Bei dem Gedanken daran reckte sich meine innere Katze, ehe sie in Lauerstellung ging. In mir herrschte ein Krieg zwischen meiner menschlichen und meiner animalischen Seite. Viel zu oft fühlte ich mich wie ein Zirkusdompteur, der versuchte, die wilden Tiere davon abzuhalten, auf das Publikum loszugehen. So riss ich auch jetzt, mit eisernem Willen, den Blick von dem Kerl auf der anderen Straßenseite los, den ich unwillkürlich anvisiert, hatte. Auch wenn er ein guter Kandidat für einen Rausch gewesen wäre, mit seiner dunklen Haut, der muskulösen Statur und dem stolzen und trägen Gang, der mich an einen Löwen erinnerte. Meine zwei Hälften ließen sich in diesem Moment nicht vereinen. So wusste ich nicht, ob dieser Rausch mit einem lebendigen oder einem leblosen Körper enden würde. Deswegen beschleunigte ich meinen Schritt und rannte beinahe durch die Gassen, die mir als Abkürzung bereits den ein oder anderen Heimweg nach einer langen Schicht in der Bar verkürzt hatten.

Schwer atmend schlug ich endlich die Tür meines Apartments hinter mir zu und presste mich mit dem Rücken gegen das kühle Metall. Die ehemalige Holztür war nicht mehr zu gebrauchen, nachdem ich eine Auseinandersetzung mit dem Nachbarn über mir hatte und mich zurückhalten musste, ihm nicht an die Gurgel zu gehen. Ich hätte die tiefen Krallenspuren wohl kaum erklären können, würde ich jemals ausziehen. So kam mir die Ausrede als alleinstehende Frau, die Angst um die Sicherheit hatte, genau richtig und mein Vermieter freute sich, dass ich die Kosten für die Sicherheitstür selbst tragen würde. Dass ich dabei Angst um die Sicherheit meiner Nachbarn und nicht meiner eigenen hatte, war in meinen Augen nicht erwähnenswert gewesen.

Erst als sich mein Atem einigermaßen beruhigt hatte, löste ich mich aus meiner Starre und schmiss meine Handtasche in die Ecke. Noch im Flur streifte ich das Shirt über den Kopf und ließ die Hose von meinen Rundungen rutschen. Ich wollte nichts mehr als unter eine kalte Dusche springen und dann noch ein paar Stunden schlafen, bevor ich am Abend wieder zu meiner Schicht ins ‚BARacuda' musste. Nachdem ich aus dem kühlen Wasserstrahl getreten war, hatte ich nicht einmal mehr die Lust meine Haare zu trocknen, sondern schmiss mich einfach direkt ins Bett. Ich wusste schon jetzt, dass ich diese Entscheidung in ein paar Stunden bereuen würde, aber die Müdigkeit zerrte zu sehr an mir. So schlief ich ein, während die Familie unter mir alles für die nächste Barbecue-Party im Gemeinschaftsgarten vorbereitete. Sie hatten mich bereits ein paar Mal eingeladen, doch bis jetzt hatte ich es immer gemieden und meistens arbeitete ich sowieso.

Doch als ich durch den Duft des leckeren Essens geweckt wurde, dass mich so sehr an meine Heimat in Venezuela erinnerte, wäre ich am liebsten hinuntergegangen. Ein Blick auf den Wecker zeigte mir jedoch auf, dass ich keine Zeit dazu hatte. Ich hatte bereits viel zu lang geschlafen und musste in weniger als einer Stunde in der Bar sein, um meine Schicht anzutreten. Also schwang ich meine Beine aus den weichen Laken und erblickte mich selbst im Spiegel, als ich endlich saß. Es war eine Katastrophe. Meine von der Sonne erblondeten Locken standen in alle Richtungen von meinem Kopf ab und hatten etwas von einem explodierten Kissen. Ich wusste schon vom Anblick allein, dass keine Bürste der Welt es durch dieses Nest schaffen würde, also schnappte ich mir ein Haargummi von meinem Nachttisch. Mehrere Minuten versuchte ich meine Haare zu bändigen, bis ich schließlich aufgab und sie in einem unordentlichen Dutt zusammenfasste.

Aber ich hatte immer noch einen Trumpf im Ärmel, um von dem Desaster auf meinem Kopf abzulenken, und so investierte ich im Bad ein paar Minuten extra darin, meine jadegrünen Augen mit dunklem Kajal zu umranden. Als ich fertig war, strahlten sie mir im Spiegel wie geschliffene Edelsteine entgegen. Mein übliches Arbeitsoutfit bestand aus Jeans, Shirt und Turnschuhen, doch heute wollte ich auf Nummer sichergehen, dass mein Trinkgeld am Ende des Abends stimmte. Deswegen fischte ich ein Top aus meinem Schrank, dass mein Dekolleté besonders in Szene setze. Als ich zu Schluss noch einen letzten prüfenden Blick in den Spiegel im Flur warf, war ich mit dem Ergebnis doch sehr zufrieden und machte mich auf den Weg ins ‚BARacuda'.

Als ich die Hintertür des ‚BARacuda' aufdrückte, schlug mir ein Geruch von schalem Bier, Zigarettenrauch und dem üblichen Gewirr aus menschlichen Pheromonen entgegen. Ich quetschte mich an dem Paar vorbei, dass die Dunkelheit des Flurs für nicht jugendfreie Aktivitäten nutze und verschwand in dem kleinen Loch, das uns als Pausenraum diente. Wie üblich verstaute ich meine Handtasche in meinem Spind und band mir die kurze schwarze Schürze um die Hüften. Den Blick in die verblichenen und schmierigen Spiegel über dem kleinen Waschbecken konnte ich mir sparen. Ich war mir sicher, dass ich gut aussah und auch wenn ich es überprüfen wollte, würde ich nichts erkennen.

Ich rollte noch einmal mit den Schultern und dehnte meinen Nacken, ehe ich mich auf den Weg zur Bar machte. Ein Lächeln huschte über meine Lippen, als ich sah, dass ich heute mit Rick arbeitete. Er war ein grandioser Barkeeper und hatte immer einen lockeren Spruch auf den Lippen. Außerdem behandelte er mich trotz unseres One-Night-Stands, als ich selbst noch Kundin war, wie eine ernst zu nehmende Kollegin. So lächelte er mich auch jetzt freundlich an, während er der schmachtenden Blondine die Shot-Gläser über den Tresen schob.

„Ganz schön voll heute", bemerkte ich, als ich mich direkt daran machte die Horde Collegestudenten mit Bier zu versorgen.

„Das kannst du laut sagen, ich bin froh, dass du endlich da bist"

Wieder lächelte ich ihn an und ließ meinen Blick durch die Bar gleiten. Es war wirklich voller, als ich es für diese Uhrzeit gewohnt war. So gut wie jeder Sitzplatz war mit neuen Gesichtern besetzt, nur Fred saß auf seinem Stammplatz rechts an der Bar. Ich wusste ganz genau, dass der ältere Mann auf den Whiskey unserer Hausmarke stand und so goss ich ihm einen Doppelten ein. Mit einem Zwinkern schob ich ihm den Drink über die Theke.

„Geht aufs Haus, Freddy"

„Danke, Kätzchen!"

Die trüben Augen des Veteranen strahlten für einen kurzen Moment, als er mich ansah und dann an seinem Whisky nippte. Während ich weiter die verschiedensten Gäste bediente, unterhielten wir uns, über die lateinamerikanische Musik und das Gewirr aus Gesprächen hinweg.

„Darf ich dich mal was fragen?", lallte Fred und man merkte, dass dies wohl nicht sein erster Whiskey heute war.

„Hmm?"

„Was bedeutet Cat?" Seine Frage ließ mich schmunzeln.

„Katze" Fred schüttelte mit dem Kopf.

„Nein, wofür steht Cat?", versuchte er es erneut.

„Für Katze!"

Ich lachte breit, sah zu, wie er die Unterlippe vorschob und die Augen musternd zusammenkniff. Also drehte ich mich zu ihm und machte mit einer Hand eine kratzende Bewegung.

„Miau!"

Jetzt lachte auch er und ließ es gut sein. Worüber ich froh war, denn ich hätte ihm keine andere Erklärung geben können. Cat war keine Abkürzung für Cathrine oder so etwas. Es stand wirklich für die Katze. Meine Mutter sprach kein Englisch. Sie kannte nur wenige Wörter und dies war eines davon. Ihr Traum war es jedoch schon immer gewesen, dass ich irgendwann in die USA gehen würde, und so war sie der Überzeugung, dass mir ein englischer Name helfen würde. Deswegen nannte sie mich Cat. Zudem passte es, ich war schließlich in einer gewissen Art und Weise eine Katze, auch wenn ich diesen Teil von mir so gerne unterdrückte.

Der Abend schritt voran und während ich Drink für Drink über die Bar schob, wurden mir immer öfter Banknoten oder auch Telefonnummern zurückgeschoben. Das Geld stopfte ich in meinen BH, um es sicher zu verwahren, und die Nummern verschwanden unauffällig im Mülleimer. Auch wenn ich mich geschmeichelt fühlte und mein inneres Raubtier bereits nach dem nächsten Hoch lechzte, hatte ich nicht vor, heute mit irgendeinem Menschen nach Hause zu gehen. Ich wollte einfach nur meinen Job machen und danach todmüde in mein Bett fallen. Vielleicht würde ich noch eine Folge meiner liebsten Serie schauen und die Reste der Pizza essen, die in meinem Kühlschrank lag. Doch als ich diese Pläne machte, wusste ich noch nicht, was der Abend eigentlich für mich bereithielt.

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