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Ich trat in das Zimmer ein und schnappte erst einmal nach Luft.

Für meine Verhältnisse war das Zimmer wirklich groß. Hinten an der Wand stand ein großes Bett mit einem Fenster mit Aussicht auf einen wunderschönen Garten. Links an der Wand neben der Tür stand ein Kleiderschrank und rechts ein kleiner Schreibtisch. Neben dem Schrank war eine Tür mit Durchgang zu einen Badezimmer mit Dusche.

Als ich den Schrank öffnete waren dort Hosen, Pullover und enge Anzüge aus einem komischen Stoff eingereiht.

Ich nahm eine schwarze enge Jeans und einen hellblauen Pullover heraus und ging ins Badezimmer.

Als ich vor dem Spiegel stand fiel mir auf, dass ich mich das erste mal seit den letzten Tagen sah. Den umständen entsprechend sah ich gar nicht so schrecklich aus. Ich hatte leichte Kratzer im Gesicht und Augenringe. Meine Haare saßen nicht perfekt aber was hatte ich anderes erwartete? Ich durchsuchte die Schränke nach einer Haarbürste und versuchte so meine Haare zu bändigen.

Das einzige was so aussah wie immer waren meine Augen. Sie waren blau wie immer und kamen durch meine dunklen Haare gut zur Geltung.

Als ich mir meine Haare kämmte rief ich mir wieder ins Gedächtnis, dass ich gleich meine Eltern sehen würde.

War ich denn überhaupt aufgeregt? Freute ich mich denn überhaupt? Ich hatte keinerlei Erinnerungen mehr an sie. Würde ich sie denn überhaupt erkennen? Freuten sie sich auf mich?

Tausende Fragen tanzten in meinem Kopf herum, doch die Angst um Dylan gewann immer wieder die Oberhand. Das erste worum ich meine Eltern bitten würde, war mich zu ihm zu bringen. Auch wenn er im Koma lag und wahrscheinlich nicht ansprechbar war, musste ich ihn sehen. Ich musste mich vergewissern, dass es ihm gut ging. Falls es ihm denn in seinem Zustand gut gehen konnte.

Ich machte mich schnell fertig und da ich keine Lust und Zeit zum duschen hatte, wusch ich mich nur schnell und schlüpfte anschließend in die frischen Klamotten. Sie rochen fremd. Nach irgendeinem Waschmittel, dass ich nicht kannte. Ich hatte mich so an den Geruch der Kleidung im Waisenhaus gewöhnt. Als ich daran dachte, erschienen sofort wieder Bilder von Amy vor meinem inneren Auge. Wie sie immer für mich eine Art Mutter gewesen war und ich über alles mit ihr reden konnte. Früher half sie mir immer bei den Hausaufgaben wenn ich etwas nicht verstand und abends las sie mir manchmal Geschichten vor.

Sie war für mich gestorben. Für mich. Für einen total überforderten Teenager, der bis vor ein paar Tagen noch nicht einmal wusste, wer er wirklich war.

Wusste ich es denn jetzt?

Ein klopfen riss mich aus meinem Gedanken und als ich in den Spiegel sah, bemerkte ich, dass mir zwei Tränen über die Wangen rollten. Ich wischte sie schnell weg und ging zur Tür.

Als ich sie öffnete lächelte mich eine Frau mit weißen Haaren an. Ihr lächeln war warm und aufrecht. Sie trug eine weite schwarze Hose und eine weiße Bluse.

„Guten Tag Miss Parker, wenn sie bereit sind bringe ich sie nun zu ihren Eltern."

Ich war etwas überrascht dass sie mich mit Miss Parker ansprach und bat sie schnell mich Evelyn zu nennen.

Sie führte mich eine Treppe hinunter und an mehreren Türen und Fluren entlang, bis wir in einen Raum mit Bücheregalen gingen und ich einen Mann und eine Frau in der Mitte des Raumes sah.

Ich blieb stehen und starrte die Frau die mir den Rücken zugekehrt hatte an. Sie hatte genau dieselbe Haarfarbe wie ich.

„Mom?", flüsterte ich fast unmerklich. Als sie sich zu mir umdrehte stiegen ihr Tränen in die Augen und sie kam auf mich zugerannt.

Auch ich lief auf sie zu und wir fielen uns schluchzend in die Arme.

„Evelyn!", schluchzte sie und drückte mich an sich. Zum ersten mal seit Jahren durfte ich meine Mutter wieder in die Arme schließen. Ich hatte vergessen wie sich so eine Umarmung anfühlte. In mir stiegen wieder Erinnerungen hoch wie sie mich als Kind immer umarmt hatte, wenn ich beim spielen hingefallen war und wie sie mir ein Pflaster gab und mich auf die Stirn küsste.

Sie löste sich aus der Umarmung um mir in die Augen zu sehen.

Sie strahlte mich an und auch ich lächelte, als ich den Mann mit Tränen in den Augen bemerkte, der hinter ihr stand.

Er hatte dieselbe Augenfarbe wie ich und als er auf mich zukam, umarmte er mich und meine Mutter zusammen.

Ich hatte Eltern. Ich hatte Eltern die mich liebten. 

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