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Paderborn, 21.05.2015

Lieber Paul,

Scheiße, dass es mit dir so enden musste. Seit der Krebsdiagnose ging es bei dir steil bergab, aber mit dem Tod habe ich nie gerechnet. Es war immer komisch zu sehen, dass sowas passieren kann. Im Fernseher wurde das häufig gezeigt. Ich dachte immer, das hätte nichts mit der Wirklichkeit zu tun, sondern dumme Leute dächten sich sowas aus. Falsch gedacht.
Weißt du, du warst ein toller Freund.
Viele bemitleiden mich, wenn sie erfahren, dass ich der beste Freund des toten Paul war, aber es ist unnötig. Ich meine, wir hatten so viele tolle Erlebnisse zusammen. Daran sollten sie sich erinnern, an dich und an alles, was du warst. Du warst so arrogant und leicht reizbar, wenn man dich nicht kannte und selbst die Leute, die dich nicht kannten und sich über dich lustig gemacht haben, erzählen nun, wie liebevoll, sympathisch und humorvoll du warst. Als ob die das beurteilen können. Ich weiß, dass du nicht immer so warst. Du hattest an manchen Tagen so wenig Humor, dass ich dir gerne eine geklatscht hätte. Du hast dich mal verkrochen wie eine Schnecke und tja. Zu dieser Zeit hast du jeden angebrüllt, der dir zu nahe kam. Deswegen kamst du drei Wochen nicht in die Schule. Neun Wochen warst du daheim und hast nichts getan. Okay, vielleicht was gelesen oder gezockt oder Musik gehört. Danach hast du mich gefragt, was der Sinn meines Lebens sei. Ich habe es direkt vergessen und würde dir diese Frage nun gerne beantworten.

Für mich sind meine Freunde der Sinn meines Lebens. Wenn es ihnen schlecht geht, geht es mir auch schlecht. Ich freue mich, wenn sie sich freuen und neidisch kann ich gar nicht auf sie sein. Ich finde, sie haben so viel verdient, was sie nicht haben. Du gehörst dazu, auch wenn du jetzt tot bist. Schließlich bist du mein bester Freund und ich rede manchmal immernoch mit dir, was ziemlich krank ist. Zu einem Kopfdoktor muss es ich deswegen noch lange nicht, außerdem weiß, außer uns, niemand, dass ich mit dir rede. Aber ich weiß, dass du mich verstehst, wenn es niemand anderes kann. Meine anderen Freunde standen mir nie so nahe wie du, trotzdem kennen sie mich. Mehr als meine Familie sogar. Ich stand euch bei, als ihr diesen beschissenen Streit hattet. Ihr standen mit bei, als ich mich von dieser dummen Kuh Jenny trennte.

Weißt du, ich kann keine verfickten Briefe schreiben? Alles ist total kurz und ich kann keine Gefühle ausdrücken. Ich verstehe selbst nicht, wieso ich das nie konnte. Ich habe so viel zu sagen, aber es funktioniert nicht. Ich kann zu keinem Toten schreiben, ich kann zu keinem Lebenden schreiben. Alles ist unkoordiniert. Es liegt mir zwar auf der Zunge, aber erreicht meine Hand nicht.
Du konntest sowas immer, hast mir manchmal sogar die Briefe für den Deutschunterricht geschrieben. Argh, ich vermisse dich und deine Art.

Wenigstens konnte ich dir noch den Sinn meines Lebens mitteilen, meine Freunde, besonders du. Ich will hier nicht dumm klingen, aber du standest halt immer zu mir und...

Ich wiederhole mich.

Schöne Grüße und schick mir 'ne Postkarte von wo auch immer du bist.

Niklas

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