Unerwartete Gäste
»Lauft schneller!«, brüllte Thorin über die Menge und das Knurren des Bären hinweg. Bombur nahm sich die Aussage wohl so sehr zu Herzen, dass er bald schon alle überholte und als Erstes den Heckenbogen erreichte, neben dem Gandalf zum Stehen gekommen war. »Los, rein mit euch!« Das ließ sich keiner zweimal sagen und so prallten die Zwerge alle etwas unsanft gegen die Haustür. Bilbo blickte nervös von ihr zu dem aufgebrachten Tier und fragte sich, wie lange die Zwerge denn noch brauchen würden? Nicht mehr lange und sie wären alle Bärenfutter! Dann endlich tat sich was und die Gemeinschaft strömte drängend in das Innere des Hauses. Gerade noch rechtzeitig schafften sie es, die massive Holztüre zu schließen und den Riegel vorzulegen, ehe das monströse Wesen sie erreichen konnte. Die Gemeinschaft atmete hörbar erleichtert aus. »Es scheint abzudrehen. Was in Aulës Namen ist das?«, hakte Ori nach und blickte durch einen kleinen Spalt in der Tür. Dori zog seinen Bruder sogleich davon weg. »Das ist unnatürlich, wenn du mich fragst! Ein dunkler Fluch muss auf ihm liegen!«
Gandalf schüttelte den Kopf. »Sei nicht töricht! Sein Name ist Beorn und er ist ein Pelzwechsler. Manchmal wandelt er in der Gestalt eines riesigen, schwarzen Bären und manchmal ist er ein großer und kräftiger, schwarzhaariger Mann mit üppigem Bart. Als Mensch ist er mit Vernunft beizukommen, wenn auch er Zwerge nicht übermäßig schätzt. Als Bär ist er jedoch mit Vorsicht zu genießen. Ich kann euch nicht allzu viel erzählen. Einige behaupten, er stamme von den großen Bären im Nebelgebirge ab, die einst dort lebten, ehe die Riesen kamen. Andere wiederum meinen – und das sehe ich als weitaus wahrscheinlicher – er sei ein Mann, der von jenen ersten Menschen abstamme, die lebten, noch bevor Smaug und die anderen Drachen kamen und noch vor dem Einfall der Orks aus dem Norden, in die Berge. Jedenfalls steht er unter keinem anderen Zauber, als unter dem seines Eigenen.«
Bilbo staunte nicht schlecht. Ein Mensch, der seine Gestalt willkürlich in die eines Bären wechseln konnte. Das war erstaunlich! Dabei sollte ihm doch, seit er Emilia kannte, nichts mehr überraschen. Sie ging mit ihrer Magie viel offener um, als Gandalf und war sich nicht zu schade, auch mal zur Belustigung ihrer aller, ihre Zauber abends am Lagerfeuer zur Schau zu stellen. Vögel, die aus dem Nichts erschienen und um ihre Köpfe schwirrten oder Gegenstände, die sie einfach schrumpfen oder durch die Luft schweben ließ. Plötzlich machte sein Herz einen Satz und Bilbo sah sich suchend nach Emilia um. Die Hexe war nirgendwo zu sehen! Doch noch bevor er zu einer Frage ansetzen konnte, fiel ihm Fíli mit der selbigen ins Wort, die ihm bereits auf der Zunge lag. »Wo ist Emilia?«
Auch sein Blick schweifte an den einzelnen Mitgliedern der Gemeinschaft vorbei, aber als er sie nicht fand, bildeten sich Sorgenfalten auf seiner Stirn. »Sie wollte mir direkt folgen ...«
Was, wenn ihr etwas zugestoßen war? Bilbo fühlte sich auf einmal so schuldig. Er hätte sie nicht allein mit Beorn lassen sollen. Die Zwerge begannen wild durcheinander zu reden. Fíli stellte sich entschlossen an die Tür. »Wir müssen sie suchen!« »Ich kann verstehen, dass ihr sie suchen wollt, aber so lange unser Gastgeber in Bärengestalt dort draußen herumstreift, werde ich keinen weiteren meiner Leute dort hinauslassen. Unsere Hexe hat durchaus bewiesen, dass sie in der Lage ist, sich selbst zu verteidigen«, durchbrach Thorin das Chaos mit fester Stimme und legte seinem Neffen eine Hand auf die Schulter. Doch auch in seinem Blick sah Bilbo etwas, dass ihn hoffen ließ, nicht an seinem Gesagten zweifeln zu müssen. »Thorin hat recht. Wir werden warten müssen und hoffen, dass sie uns bis zum Sonnenuntergang finden wird«, pflichtete Gandalf dem Zwergenanführer bei und ließ sich auf eine Bank fallen, die direkt neben der Tür stand und auf der sich Körbe mit allerlei Gegenständen für den Garten befanden.
Und so warteten sie und schlugen sich die Zeit mit leisen Gesprächen tot. Es ging um die bevorstehende Durchquerung des Düsterwaldes, aber auch Geschichten, die die älteren Zwerge erlebt hatten, wurden geteilt. Bilbo folgte den Unterhaltungen mit einem Ohr, doch sein Blick wanderte immer wieder zu Kíli und Fíli. Letzterer versuchte es sich nicht anmerken zu lassen, aber trotz des regen Austausches mit seinem Bruder sowie Balin und Glóin, sah er immer wieder mit einem fast schon sehnsüchtigen Ausdruck zum Fenster hinüber, durch das man Sicht auf den Platz vor dem Haus hatte. Er schien Ausschau nach Emilia zu halten, jedoch gab es bisher kein Lebenszeichen. Auch den Hobbit beunruhigte diese Tatsache.
»Seid still!«, unterbrach Gandalf, der sich eben noch mit Nori und Ori unterhalten hatte, irgendwann plötzlich die Anwesenden der Gemeinschaft. Sogleich verstummten sie, jedoch nicht, ohne den Zauberer mit fragenden Blicken zu durchbohren.
»Hört doch«, meinte dann auch Ori und alle begannen angestrengt zu lauschen. An die Ohren des Hobbits, die fast so gut ausgeprägt waren, wie die eines Elben, drangen gleichmäßige, dumpfe Geräusche. Es klang, als würde jemand etwas mit viel Kraft zerschlagen. Hackte dort etwa jemand Holz?
»Der Herr des Hauses ist zurückgekehrt. Es wird Zeit, uns ihm vorzustellen«, stellte Gandalf nüchtern fest und stand von seinem Platz auf. Die Anderen schienen die Gelassenheit über diese Nachricht nicht mit dem Zauberer zu teilen. In ihren Köpfen spukte noch immer das Bild des riesigen Bären herum, der eine Treibjagd mit ihnen veranstaltet hatte.
»Wenn ihr mich fragt, sollten wir uns still und heimlich verkrümeln, so lange wie wir noch können!« Entschlossen stemmte Nori die Arme in die Hüften, wurde jedoch im nächsten Moment von Dwalin am Kragen gepackt. »Bestie oder nicht. Ich werde bestimmt nicht vor jemandem weglaufen!«
»Ich werde nicht ...«, setzte der zwielichtige Zwerg erneut an, ehe er sich aus Dwalins Griff befreite, wurde aber dieses Mal von Gandalf jäh unterbrochen.
»Es macht keinen Sinn, sich darüber zu streiten. Wir sind auf die Hilfe von Beorn angewiesen. Ohne ihn wird es unmöglich sein, das Wilderland und den dahinterliegenden Nachtwald zu durchqueren. Ich darf euch daran erinnern, dass es noch immer Orks auf uns abgesehen haben!«
Vereinzeltes Grummeln war in den Reihen der Zwerge zu hören.
»Am besten wird es wohl sein, ihr wartet hier«, erklärte der Graue. »Auf mein Zeichen kommt hinterher, aber nur stets in Paaren, mit einem Abstand von etwa fünf Minuten. Bombur zählt für zwei und kommt am besten allein und zuletzt. Los Bilbo, du kommst mit mir!«
So war es also beschlossene Sache und der Hobbit verließ, gefolgt von Gandalf, das Haus, in dem sie Zuflucht gesucht hatten. Kurz darauf erreichten sie einen Innenhof, in dessen Mitte ein Eichenstamm lag, daneben stapelten sich bereits einige gespaltenen Holzscheite. Genau vor diesem Stamm stand ein gewaltig, großer Mann mit pechschwarzem Haar und dichtem Bart. Er trug einen wollenen Überwurf, der ihm bis zu den Knien reichte, seine muskelbepackten Arme jedoch nicht bedeckten. Auf einer großen Axt lehnend blickte er zu den Neuankömmlingen, während er mit den beiden Pferden sprach, die ihre Köpfe auf seine Schultern gelegt hatten. »Gefährlich sehen sie nicht aus. Ihr könnt mich mit den beiden allein lassen.« Die Pferde trabten tatsächlich wieder zurück auf die Wiese, woraufhin er mit einem grollenden Lachen die Axt niederlegte und einige Schritte auf sie zu trat. Er überragte Gandalf wie ein Turm und Bilbo wäre in der Lage, völlig problemlos zwischen seinen Beinen hindurchzuwandern, ohne dabei den Kopf einziehen zu müssen.
»Wer seid ihr und was wünscht ihr?«, kam es sogleich barsch von ihm. Der Zauberer neigte zur Begrüßung leicht den Kopf. »Mein Name ist Gandalf«
»Namen noch nie gehört!«, knurrte der Mann, dann fiel sein Blick auf den Hobbit. »Und wer ist dieser kleine Bursche? Doch etwa kein Zwerg?«
Der Zauberer löschte sogleich den aufkeimenden Funken des Misstrauens.
»Oh, nein, nicht doch! Das ist Herr Beutlin, ein Hobbit aus dem Auenland. Er stammt aus guter Familie und von untadeligem Ruf!«
Auch Bilbo verbeugt sich, doch es war ihm ein wenig peinlich, so ganz ohne Hut auf dem Kopf und der Weste, an der noch immer viele der Knöpfe fehlten. Er würde Emilia bei Gelegenheit fragen, ob sie ihm bei der Weste wohl ein wenig mit ihrer Magie behilflich sein konnte. Hoffentlich war ihr nichts geschehen und sie würde bald wieder zu ihnen finden!
»Ich bin ein Zauberer. Solltet ihr von mir noch nichts gehört haben, so kennt ihr sicherlich meinen Vetter Radagast, der am südlichen Rand des Nachtwalds lebt«, fuhr Gandalf fort.
»Ja, hab ich. Ist für einen Zauberer kein schlechter Kerl. Ich sehe ihn für gewöhnlich hin und wieder mal.«
Beorn nickt und fuhr sich mit der Hand durch den Bart. »Gut, jetzt weiß ich wer ihr seid oder vorgebt zu sein, aber was wollt ihr hier?«
»Um bei der Wahrheit zu bleiben: Wir haben unser Gepäck verloren und wären sogar beinahe vom Weg abgekommen. Wir benötigen dringend eure Hilfe oder zumindest Rat, bei all dem Ärger, den wir im Gebirge mit den Goblins und Orks hatten.«
Neugier lag in den Augen des Mannes und seine nächste Antwort fiel weitaus weniger schroff aus. »Was treibt euch in die Nähe von Orks?«
»Oh, es war keineswegs unsere Absicht. Wir wurden nachts auf einem Pass überrascht, den wir überqueren mussten. Wir kamen aus dem Westen, dem Land auf der anderen Seite des Berges – aber das ist eine längere Geschichte!«
Beorn deutete auf eine Reihe von Sitzgelegenheiten im Schatten einer großen und alten Eiche. »Dann kommt und setzt euch. Wenn sie nicht den ganzen Tag dauert, werde ich sie mir gerne anhören«
Also setzten sie sich auf die Bänke, wobei Beorn beinahe eine für sich alleine brauchte. Gandalf ließ sich nach der Aufforderung neben dem Hobbit nieder und begann sogleich mit seiner Erzählung.
»Ich kam über die Berge mit einem oder zwei Freunden.«
»Oder zwei?«, hakte Beorn nach und ließ seinen Blick über den Hobbit schweifen, der die kurzen Beine baumeln ließ und die verschiedenen Blumen um sich betrachtete, welche er noch nie zuvor gesehen hatte. »Ich kann nur einen sehen.«
»Um die Wahrheit zu sagen, ehe ich nicht herausgefunden hatte, ob Ihr nicht vielleicht beschäftigt seid, wollte ich Euch nicht mit einer ganzen Schar behelligen. Wenn es erlaubt ist, werde ich einmal rufen.«
Der große Mann nickte, woraufhin Gandalf einen langen, schrillen Pfiff von sich gab und kurz darauf Thorin und Dori um die Hausecke über den angelegten Weg liefen.
»Mit drei Freunden, meintet Ihr wohl! Aber das sind Zwerge, keine Hobbits!«
»Ich bin Thorin Eichenschild und das ist Dori!« Beide verbeugten sich, wie die Etikette ihres Volkes es vorschrieb.
»Ich bin nicht sonderlich erbaut von Zwergen, doch wenn Ihr wirklich Thorin Eichenschild seid, Sohn des Thráin, Sohn des Thror und Orks Eure Feinde nennt, so nehme ich an, dass Ihr nicht auf Unfug in meinem Land aus seid. Worauf seid Ihr denn überhaupt aus?«
»Sie wollen das Land ihrer Väter, östlich des Nachtwaldes besuchen«, warf Gandalf schnell ein, noch bevor einer der Zwerge etwas sagen konnte. »Es ist ein reines Missgeschick, dass wir überhaupt auf Euer Land geraten sind! Wir überquerten den Hochpass, der uns zur südlichen Seite Eures Landes geführt hätte, wären nicht die Goblins gewesen, aber davon erzählte ich Euch ja bereits!«
»Gut, dann fahrt fort!« Beorn lehnte sich etwas zurück.
»Wir gerieten in einen Sturm und die Steinriesen warfen Felsbrocken um sich, weshalb einige Gefährten und ich Schutz in einer Höhle auf dem Scheitel des Passes suchten.«
»Ihr nennt zwei, einige?«
Bilbo musste sich ein Schmunzeln verkneifen.
»Es waren in der Tat mehr als zwei! Offenbar sind noch nicht alle auf mein Zeichen gekommen. Ihr seht, wir befürchteten, es könnte Euch zu viel werden.«
Beorn nickte, zum Zeichen, dass Gandalf noch einmal pfeifen solle, doch Balin und Dwalin kamen bereits angelaufen. Schließlich sollten sie im Abstand von fünf Minuten, in Paaren nach und nach aus dem Haus kommen. »Balin und Dwalin, zu Euren Diensten«
»Ich brauche Eure Dienste nicht, schönen Dank! Kommt, setzt Euch und fahrt mit der Geschichte fort, sonst ist es bald Zeit für das Abendbrot!«
»Kaum waren wir eingeschlafen«, erzählte Gandalf weiter, »öffnete sich ein Spalt im hinteren Teil der Höhle. Goblins sprangen heraus und verschleppten beinahe unsere ganze Truppe ...«
»Truppe? Was wart Ihr denn? Ein Wanderzirkus? Nennt Ihr sechs für gewöhnlich eine Truppe?«, fiel der bärtige Mann dem Zauberer ins Wort. »Oh, nein, nicht doch. Denn wir waren genau genommen mehr als sechs!«
Kaum hatte er den Satz zu Ende gesprochen, traten auch schon Nori und Ori unter die alte Eiche und verbeugten sich so tief, dass Bilbo glaubte, ihre Bärte würden den Boden berühren. Finster betrachtete Beorn die beiden, sich immer wieder verbeugenden Gestalten, begann im nächsten Moment jedoch zu Lachen.
»Eine komische Truppe, ja das stimmt. Setzt Euch! Wie heißt ihr?«
»Das ist mein Bruder Ori, ich bin Nori«, antwortete dieser und zog daraufhin Ori auf den Boden, der, aufgrund der Größe von Beorn, ins Staunen geraten war.
»Nun gut, weiter!«
»Sicher, wo war ich? Ach ja – mich konnten sie nicht greifen. Zwei von ihnen erschlug ich mit einem Blitz ...«
Der Hüne knurrte. »Sehr gut! Es ist in einem solchen Fall ausgezeichnet, ein Zauberer zu sein.«
»... und schlüpfte in den Spalt, wo ich ihnen bis in die Haupthallen folgte. Unzählige Goblins wimmelten dort um ihren großen Anführer und ich fragte mich, was ein Dutzend unbewaffnete Leute gegen sie ausrichten könnten?«
»Ein Dutzend? Das ist das erste Mal in meinem Leben, dass jemand acht, ein Dutzend nennt! Oder verstecken sich noch weitere Stehaufmännchen in meinem Haus?«
Bilbo konnte die leichte Belustigung in Gandalfs Augen sehen. Es war äußerst schlau von ihm, so die Spannung aufrechtzuerhalten, sodass Beorn nicht auf die Idee kommen könnte, sie wie Bettler davonzujagen. Wenn er es nur irgendwie vermeiden konnte, lud er nie Besuch zu sich nach Hause ein. Er hatte nur sehr wenige Freunde und die lebten ein gutes Stück entfernt. Überhaupt lud er wenn dann nur zwei auf einmal ein. Jetzt aber würde er sechzehn Fremde bei sich beherbergen müssen.
»Ja gewiss, hier kommen auch schon Fíli und Kíli«
Auch die beiden Jungzwerge verbeugten sich mit einem höflichen Lächeln, doch bevor sie etwas sagen konnten, wurden sie bereits von Beorn unterbrochen.
»Genug, setzt Euch und seid still. Weiter, Gandalf!«
So fuhr er die Geschichte fort, erzählte von dem Kampf in der Finsternis und wie sie den unteren Ausgang entdeckt hatten, bis zu dem Schrecken, als sie merkten, dass Bilbo verloren gegangen war.
»Wir zählten durch, doch von dem Hobbit fehlte jede Spur. Wir waren nur noch fünfzehn!«
»Fünfzehn? Zehn weniger eins ist doch nicht fünfzehn, das wäre mir neu! Ihr meint doch sicherlich neun oder habe ich noch immer nicht alle kennengelernt?«
»Oh, ihr habt Óin und Glóin noch nicht gesehen! Da sind sie ja auch schon! Ich hoffe, ihr verzeiht ihnen, dass sie Euch behelligen!«
Allmählich wurde es ziemlich voll auf dem Platz vor dem großen Baum, doch auch die beiden älteren Zwerge fanden ein Fleckchen Erde, auf dem sie sich niederließen, nachdem sie sich ebenfalls vor Beorn verbeugt hatten.
»Schon gut, ein Zwerg mehr oder weniger ist nun auch nicht mehr schlimm. Lasst sie nur alle kommen!«
Der Pelzwechsler versuchte es sich nicht anmerken zu lassen, doch in Wirklichkeit war er sehr gespannt, wie es nun weiter ging. Gerade aus alten Tagen kannte er den Teil des Gebirges, den Gandalf beschrieb, noch sehr gut. Er brummte und nickte, als er vom Wiederauftauchen des Hobbits hörte, wie sie den Geröllhang heruntergekommen waren und die darauffolgende Auseinandersetzung mit den Orks erlebt hatten.
»Ich wünschte, ich wäre dabei gewesen! Ich hätte ihnen mehr als Feuerwerk gegeben!«, murmelte Beorn und war von seinem Platz aufgestanden. Gandalf war sehr froh, dass seine Geschichte einen Eindruck machte. Kurz darauf kamen Bifur und Bofur aus dem Haus gelaufen. »Ah, da sind ja auch schon Bifur und Bofur. Ich habe es bisher noch nicht gewagt, sie Euch vorzustellen«, lenkte der Zauberer das Gespräch auf die Neuankömmlinge.
»Und ich!«
Ihnen dicht auf den Fersen war Bombur, der nicht als letztes zurückgelassen werden wollte. Der graue Zauberer unterdrückte ein Seufzer.
»Nun gut. Aber sagt Gandalf, Ihr spracht von sechzehn, jedoch zähle ich nur fünfzehn. Wo ist Euer letztes Mitglied? Getötet, gefressen, heimgezogen?«
Fíli entwich ein leises Keuchen, woraufhin Kíli ihm eine Hand auf die Schulter legte.
»Ihr Name ist Emilia, eine junge Frau, mit wilden, roten Locken. Sie ist ebenfalls der Zauberei bemächtigt. Sie schien auf dem Weg vom Fluss bis hier her den Anschluss zu unserer Gruppe verloren zu haben ... Ihr habt sie nicht zufällig gesehen?«
Beorn dachte nach, doch wie Gandalf es erwartet hatte, schüttelte er den Kopf. Er war sich nicht sicher, wie viel menschlichen Verstand noch in dem Mann steckte, wenn er seine Gestalt mit der eines Bären wechselte.
»Wenn sie eine Zauberin ist, wie Ihr sagt, ist sie sicherlich schlau genug, um hier herzufinden!«
Ein undefinierbarer Ausdruck lag in Beorns Augen, dann jedoch wechselte er zu einer neutralen Miene und wandte sich in Richtung Haupthaus. »So, Zeit zum Abendessen! Ihr seid sicherlich hungrig. Den Rest Eurer Geschichte könnt Ihr mir auch bei Tisch erzählen.«
Erschrocken wich Emilia einige Schritte zurück und blickte ehrfürchtig zu der Gestalt hinauf. Es war ein schwarzhaarigen Mann, mit einem ebenso dunklen, langen Bart. Seine Größe lag sicherlich über den zwei Metern, doch so genau konnte Emilia dies nicht einschätzen. In ihrer Fuchs Gestalt erschien alles viel größer. Der Fremde hatte die Stirn gerunzelt und die junge Hexe glaubte, er würde sie gleich davon jagen, doch stattdessen trat er einen Schritt zur Seite und deutete in Richtung des Hauses. »Eure Gefährten waren besorgt um euch. Ihr solltet sie nicht länger warten lassen.«
Ihre Augen wurden groß. Woher wusste der Mann, dass sie sich hinter dem roten Fell verbarg?
Sie hatte sich keinem der Zwerge jemals in ihrer Fuchsform gezeigt. Sie konnten es ihm nicht gesagt haben.
Weil sie keine Anstalten machte, sich zu rühren, setzte er sich selbst in Bewegung und lief in Richtung Haus zurück. Irritiert sah die junge Hexe dem Fremden nach, entschloss sich dann aber nach kurzem Zögern, ihm doch zu folgen.
»Die Farbe. Grüne Augen sind ungewöhnlich, für einen Fuchs«, antwortete er gelassen, kaum dass sie in seiner Reichweite war, so als wäre es selbstverständlich, mit einem Fuchs zu sprechen.
Emilia zog die Luft ein, als sie realisierte, dass der Hüne ihre Gedanken zu hören schien. Sie beschleunigte ihre Schritte und trottete nun neben ihm her. Ein leicht belustigter Ausdruck legte sich auf seine, doch recht hart wirkenden Züge. »Die Stimmen der Tiere klingen in meinen Ohren nicht fremd. Sie verstehen mich und ich verstehe sie.«
Emilia war begeistert. Die anfängliche Angst vor dem grummeligen Riesen schien wie weggeblasen.
Plötzlich durchfuhr sie ein Gedanke, der für sie im ersten Moment ziemlich absurd klang, beim genaueren darüber nachdenken jedoch wieder Sinn ergab. Dieser Mann wusste, dass sich hinter dem Fuchs die gesuchte Gefährtin der Gemeinschaft versteckte, weil er selbst gesehen hatte, wie sie sich verwandelte. Er hatte es gesehen, aus der Sicht eines Bären! Neugierig sah sie dem Mann hinauf in die Augen, der darauf hin tatsächlich nickte. »Ihr seid gut!«, brummte er. »Ich bin Beorn«
Sie gingen noch einige Schritte. Bald darauf wurden die Stimmen aus dem Inneren des Hauses lauter, je näher sie ihm kamen, verstummten jedoch sogleich, als Beorn die Tür öffnete. Die Blicke aller Mitglieder der Gemeinschaft lagen auf dem großen Gastgeber, gespannt darüber, was er als Nächstes machen oder sagen könnte. Erst, als er gefolgt von Emilia eintrat und die Tür hinter sich zuzog, jedoch nichts sagte und sich stattdessen in einen der dunklen Stühle nahe der Feuerstelle, in der Mitte des Raumes setzte, blieben vereinzelte Blicke an Emilia hängen, die noch immer in der Gestalt ihres Fuchses am Eingang stand. Die junge Hexe schloss die Augen, konzentrierte sich ganz auf ihre Rückverwandlung und saß kurz darauf in menschlicher Form auf dem Holzboden. Ein Raunen ging durch den Raum. »Emilia?«, kam es ungläubig von Nori. Das Gemurmel wurde lauter und kurz darauf schlug Bofur donnernd auf den Tisch. »Potz Blitz! Das ist Emilia!«
Aus dem Gemurmel wurde ein Wirrwarr von freudigen Ausrufen und Begrüßungen und auf jedem der Gesichter sah Emilia ein strahlendes Lächeln. Ein erschrockenes Quieken entwich ihrer Kehle, als sie plötzlich auf die Beine gezogen wurde und sich einen Augenblick später in einer fast schon stürmischen Umarmung von Fíli wieder fand. Völlig überrumpelt, ließ Emilia ihn gewähren, doch spürte sie bereits, wie ihr die Hitze zu Kopf stieg, als sie die ebenso überraschenden Blicke der Zwerge auf sich spürte. Und bevor sie sich versah, schien ihr Kopf einer Tomate Konkurrenz machen zu wollen. »Ich bin so froh, dass es dir gut geht«, nuschelte Fíli mehr in seinen Bart, wodurch lediglich Emilia seine Worte verstehen konnte, ehe er sich auch schon wieder von ihr löste und den gebührenden Abstand zwischen sie beide brachte.
»Fíli, auf ein Wort!«, knurrte Thorin, der so plötzlich von seinem Stuhl aufgestanden war, dass dieser ins Schwanken kam. Er sah so aus, als habe er auf eine Zitrone gebissen und wenn Blicke töten könnten, der blonde Jungzwerg wäre noch an Ort und Stelle gestorben. Als er die Hexe passierte, nickte er ihr einmal höflich, aber knapp zu und trat dann durch die hölzerne Haustür ins Freie.
Emilia richtete sich vollends auf und sah in die Runde der Zwerge, auf deren Gesichter ein unverhohlenes Grinsen lag. Ihr Herz pochte noch immer wild angesichts der Situation. Kíli trat zu seinem großen Bruder und klopfte ihm schmunzelnd auf die Schulter, ehe dieser der unmissverständlichen Aufforderung nachkam und ebenfalls in die Dämmerung zu seinem Onkel hinaus trat.
»Na los, Kind, setz dich! Du hast sicherlich Hunger. Wir haben dir etwas übrig gelassen« Balin war an die Seite der überrumpelten Frau getreten und führte sie sanft, aber bestimmt an den großen Holztisch, auf dem vereinzelt hölzerne Krüge und Schüsseln standen. Emilia ließ sich auf einen der zwei abgeflachten Baumstämme fallen, die den Zwergen und Bilbo als Bank dienten, während Gandalf und Thorin Stühle, mit Sitzflächen aus dickem Binsengeflecht, erhalten hatten. Bombur schob ihr eine Holzschale mit dampfender Flüssigkeit zu, die verführerisch nach einer Art Gemüseeintopf roch und reichte ihr ein Stück Brot. Dankend nahm sie das Gebäck entgegen und merkte erst jetzt, wie hungrig sie tatsächlich war, als sie den ersten Löffel zum Mund führte. Hatte sie doch seit ihrem Aufbruch am Horst der Adler, in aller Frühe, nichts mehr gegessen. »Wie geht es deiner Hand?«, durchbrach Óin nach einiger Zeit die Stille, nachdem er bemerkt hatte, dass sich Emilia schwertat, mit ihrer rechten Hand zu essen und den Löffel stattdessen nun in der linken hielt. Emilia war froh darum. Es wurde so langsam unangenehm von allen schweigend beobachtet zu werden, so als habe sie etwas verbrochen, worüber man nicht sprechen durfte. Als Beorn und sie vorhin den Raum betreten hatten, schienen die Zwerge bereits gegessen zu haben und waren gerade dabei sich ausgelassen Geschichten zu erzählen, während sie Met tranken und Pfeife rauchten. Seither hatte jedoch keiner mehr ein Wort gesagt und lediglich an seinem Humpen genippt oder Rauch in die Luft geblasen. »Naja, ich war gezwungen, sie in meiner anderen Gestalt zu nutzen ... Aber sie schmerzt nicht mehr so stark, wie am Morgen ...« Die junge Frau wählte ihre Worte vorsichtig. Hätte sie die Möglichkeit gehabt, ihr Handgelenk zu schonen, würde es sicherlich nicht mehr allzu sehr weh tun, doch ihre Flucht vor dem Bären, hatte ihr dabei einen Strich durch die Rechnung gemacht. Allerdings wollte sie, nun da sie wusste, dass Beorn hinter dem Bären steckte, dem großen Mann kein schlechtes Gewissen bereiten. Höchstwahrscheinlich hatte er sich vor Emilia genau so erschrocken, wie sie sich vor ihm und wenn es stimmte, was Gandalf am Morgen auf dem Felsen gesagt hatte, dann waren sie unerlaubt auf seinem Land gewesen. Es war einfach nur eine Aneinanderreihung von unglücklichen Geschehnissen gewesen. »Was ist mit Eurer Hand?«, brummte Beorn und lehnte sich interessiert nach vorne. »Sie hat Fíli eine reingehauen«, grunzte Dwalin belustigt und deutete mit dem Daumen hinter sich auf die Eingangstüre, hinter der Thorin und Fíli verschwunden waren. Auch die anderen Zwerge begannen, an den Morgen zurückerinnert, wieder zu grinsen. Beorn stieß ein tiefes Lachen aus und ein gewisser Stolz lag in seinen Augen. »Gut gemacht, kleiner Fuchs! Wirklich amüsant!« Emilia zog peinlich berührt den Kopf ein. Ihr tat es noch immer unglaublich leid, auch wenn ihr keiner böse zu sein schien. Obwohl sie mittlerweile als ein Teil der Gemeinschaft akzeptiert und ihre Magie weitestgehend geschätzt wurde, schienen die Zwerge in ihr eben doch nur eine junge Frau zu sehen, die sich im Eifer des Gefechts wohl eher selbst verletzte und die es zu schützen galt. In gewissermaßen fühlte sich damit geehrt und dennoch kratzte es an ihrem Stolz. Wenn Emilia es wollte, war sie sehr wohl in der Lage, großen Schaden anzurichten! »Ich werde mir deine Hand gleich noch einmal ansehen«, riss Óin sie plötzlich aus ihren Gedanken und erlosch somit den kleinen Funken Wut, der sich in ihr einnisten wollte. Dann stand der alte Zwerg auf und folgte Beorn, der sich ebenfalls von seinem Platz erhoben hatte und in einem angrenzenden Nebenraum verschwunden war. Es dauerte eine ganze Weile, ehe der Hautwechsler zurückkam. »Komm, kleiner Fuchs« Zaghaft stand sie auf und trat hinüber zu dem bärtigen Mann, der sie auch in ihrer menschlichen Gestalt noch um vier oder mehr Köpfe überragte. Kaum, dass sie ihn erreichte, schob er sie in den angrenzenden Raum, der sich als eine Art Küche herausstellte. Über einem kleinen Feuer in der Ecke, hing ein Wasserkessel und an dem Tisch in der Mitte des Raumes, stand Óin, der etwas mit einem hölzernen Stößel in einem Mörser zermahlte. Als er Emilia im Augenwinkel sah, blickte er auf und deutete auf den Hocker, der neben dem Tisch stand. Sie kam seiner Aufforderung nach und setzte sich. »Danke!«, meinte der Alte ehrlich an Beorn gerichtet, der daraufhin mit einem leisen brummen nickte und den Raum verließ, dann wandte er sich Emilia zu. »Zeig' mir deine Hand« Die Hexe streckte ihren Arm aus, zuckte im nächsten Moment jedoch wimmernd zusammen, als der Zwerg ihr Handgelenk ergriff und im Schein der Kerzen begutachtete. »Hm, ja ... Das habe ich mir schon fast gedacht«, murmelte er, während er es, wie am Morgen, behutsam abtastete. Tränen traten ihr in die Augen und Emilia musste sich auf die Zähne beißen, um nicht zu schreien. »Wir müssen hoffen, dass es nicht schlimmer geworden ist. Ich mache dir einen Kräuterumschlag. Sollte die Schwellung bis morgen nicht zumindest etwas abgeklungen sein, müssen wir davon ausgehen, dass sie doch gebrochen ist. Und das hieße, dass wir dich nicht mitnehmen können. Du wärst nicht in der Lage, dich zu verteidigen.« Der jungen Frau sackte das Herz in die Hose. Sie konnte nicht hier bleiben! Sie hatte doch Gandalf versprochen, die Gemeinschaft zu begleiten. Die Hexe wusste von Anfang an, dass sie am Ende dieser Reise nichts erwarten würde, schon gar nicht der Weg nach Hause. Und doch war es ihr auf einmal so wichtig, dieser Gruppe weiterhin zu folgen. Zuerst war es ihr wie eine Notlösung vorgekommen, nun aber war es zu einer Aufgabe geworden, den Zwergen zu ihrer Heimat zurückzuverhelfen. Es hatte ihrem Aufenthalt in Mittelerde auf einmal einen Sinn gegeben. Stumm liefen ihr die Tränen über das Gesicht und sie merkte erst, dass Óin fertig war, als er ihr eine dampfende Tasse entgegenhielt. »Hier, Mädchen. Trink das und morgen sieht die Welt schon wieder ganz anders aus!« Schniefend nahm sie den nach Kräutern riechenden Tee mit ihrer gesunden Hand entgegen und nippte daran. »Was ist da drin?«, hakte sie nach. Honig übertünchte zum größten Teil den Geschmack der bitteren Pflanzen und veranlasste sie dazu weitere Schlücke zu nehmen, bis die Tasse leer war. Der alte Zwerg schmunzelte. »Ach, nur etwas Weidenrinde, gegen die Schmerzen. Baldrian, Lavendel ... oh und Schlafmohn!« Es dauerte nicht lange und sie fühlte sich dadurch tatsächlich ruhiger. Und so war es keine Überraschung, als Emilia, nachdem Óin sie zurück zu den anderen, an die Tafel geschickt hatte, langsam aber sicher müde wurde. Thorin und Fíli hatten sich wieder zu den anderen gesellt, wobei letzterer ihr keines Blickes würdigte und eher wie ein geschlagener Hund aussah. Beorn musste wohl die Fackeln gelöscht haben, denn in der Mitte des Raumes knisterte nur noch fröhlich das Feuer. Das Züngeln der Flammen und der tiefe Klang des ruhigen Liedes, welches die Zwerge angestimmt hatten, führten vollends dazu, dass ihr immer wieder die Augen zufielen und ihr Kopf irgendwann so schwer wurde, dass sie ihn auf der Tischplatte betten musste. So bekam sie nur am Rande mit, wie Beorn sie hochhob und behutsam auf das Heu im hinteren Teil des Raumes legte, nur um anschließend zur Tür hinaus in die Nacht zu verschwinden.
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