Pelzige Angelegenheiten

Emilia rannte aufgeregt zur Treppe, den Koffer bereits gepackt und blickte sehnsüchtig nach oben, während sie dabei ungeduldig von einem auf den anderen Fuß trat. »Benny, komm endlich! Ich will den Zug nicht verpassen. Wir kommen doch sicher zu spät...« Kaum hatte sie den Satz beendet, streckte ihr großer Bruder Benedict den Kopf über das Geländer. Seine kurzen, rot-braunen Locken standen ihm wie immer zu allen Seiten ab und auf seinen Lippen lag ein Schmunzeln. »Mila, wir haben halb neun, also noch locker mehr als zwei Stunden Zeit. Außerdem hast du noch immer deinen Schlafanzug an und an deinem Mundwinkel hängt Schokolade. Du willst doch nicht etwa so zum Kings Cross, oder?« Die Rothaarige blickte irritiert an sich herunter. »Oh. Ups, hab ich wohl vergessen!« Doch kurz darauf strahlte sie wieder über das ganze Gesicht, machte auf dem Absatz kehrt und hüpfte singend in ihr Zimmer. »Ich geh heut' nach Hogwarts. Ich geh heut' Hogwarts!«
Im nächsten Moment, fand sich Emilia am Gryffindore Tisch, in der großen Halle sitzend und sah zu Vicky, die über einen der dämlichen Witze von Chester lachte. Daraufhin gesellte sich Cathy zu ihnen. Ihre Hufflepuff Krawatte hatte sie sich um den Kopf gebunden und auf ihrem Gesicht lag ein breites Grinsen, als sie Emilia eine Geschenkschachtel überreichte. »Alles Gute zum Purzeltag! Mach's auf, man wird schließlich nur einmal 16!« Gespannt ließ sie sich auf die Bank ihr gegenüber fallen und beobachtete, wie Emilia das Geschenkband löste und behutsam den Deckel öffnete. Darin lag eine silberne Kette, mit einem grünen, blattförmigen Anhänger. Neugierig nahm Emilia die Kette heraus und ließ sie erschrocken zu Boden fallen, als im Hintergrund eine Stimme ertönte, die immer lauter zu werden schien. Panisch presste sich Emilia die Hände auf die Ohren und kniff die Augen zusammen. Doch die Stimme wurde immer lauter, bis sie irgendwann zu einem hohen Kreischen anschwoll und Emilia weinend in die Knie Zwang.
Und dann, ganz plötzlich, verebte das Kreischen, so als wäre es nie da gewesen. Sie fand sich auf einer saftig grünen Lichtung stehen. Vor ihr im Gras saß eine wunderschöne, junge Frau mit langen, braunen Haaren, die ihr in sanften Wellen über den Rücken fielen. Sie trug einen Kranz aus lilanen Blumen auf dem Kopf und summte gedankenverloren eine Melodie vor sich hin.
»Ich weiß, dass du hier bist«, sprach sie mit glockenheller Stimme und einem sanften Lächeln auf den Lippen, ohne von dem Blumengesteck auf ihrem Schoß aufzuschauen. Emilia glaubte, sie habe mit ihr gesprochen und war schon im Begriff näher heranzutreten, als einen Moment später sich eine hochgewachsene Gestalt aus dem Schatten der umstehenden Bäume löste. Der Fremde besaß auffallend hohe Wangenknochen, die, durch die im Nacken zurückgebundenen Haare, besonders hervorstachen. »Violett schmeichelt deinen Augen, Meluwién. Diese Farbe solltest du vielleicht öfter tragen.« Seine tiefe, wohlklingende Stimme löste eine Gänsehaut auf Emilias Armen aus. Die Frau auf der Lichtung errötete und beobachtete, wie der Fremde sich neben sie ins Gras sinken ließ und seine langen Beine in einen Schneidersitz zog. »Du scheinst unververbesserlich zu sein Cal. Vielleicht mag ich dich ja aus diesem Grund so gerne.«
Ein kleines Lächeln legte sich auf die Lippen des Mannes, dann jedoch wurde sein Ausdruck ernst und er ergriff sanft Meluwiéns Hand. Diese sah überrascht von ihrer Arbeit auf, direkt in seine dunklen Augen. »Findest du nicht, dass du diesem närrischen Spiel ein Ende bereiten solltest? Neldir wird uns seinen Missmut spüren lassen, wenn er von unseren heimlichen Treffen erfahren sollte. Er würde sagen, ich hätte unehrenhaft gehandelt!«
»Calondil!« Die junge Frau löste ihre Hand aus der seinen und begann sanft über seine Wange zu streichen. »Du bist keineswegs unehrenhaft. Es ist noch immer meine Entscheidung, an wessen Wettsrreiter ich mein Herz verschenke, wenn ich es denn nicht schon zuvor verloren habe. Aber wenn es dein Wunsch ist, werde ich Neldir meine Entscheidung mitteilen, schließlich ist er unser Freund.«

Emilia war so vertieft in dem Gespräch zwischen den beiden Fremden, dass sie sichtlich zusammenzuckte, als zwei Hände sie von hinten an den Schultern packten. Angst übermannte sie, nachdem nun auch die Szene vor ihr verschwamm und sie sich kaum eine Sekunde später in einem Meer aus Flammen wieder fand. Sie spürte die Hitze des züngelnden Feuers auf ihrer Haut und ihre Kehle fühlte sich, durch den aufgwirbelten Rauch, kratzig und trocken an. Keine Sekunde später, wurde ihr Körper herumgewirbelt und die junge Hexe sah sich einem Ork gegenüber. Dessen bestialischen Grinsen von schwarzem Blut untermalt, welches ihm aus dem Mundwinkel tropfte. Emilia wollte schreien, um Hilfe rufen, doch so sehr sie sich auch anstrengte, kein Ton verließ ihren Mund. Panisch versuchte sie sich aus dem Griff des brutalen Wesens zu befreien. Bereit, sich bis zum bitteren Ende zu verteidigen, begann sie instinktiv um sich zu treten und zu schlagen und landete mit der geballten Faust einen Treffer in das Gesicht ihres Angreifers.

Ein schmerzerfüllter Ruf ertönte und Emilia riss erschrocken die Augen auf, ehe sie selbst, wie von der Tarantel gestochen, in die Höhe schoss. »Schluckende Wasserspeier!«, schrie sie mit schmerzverzerrtem Gesicht und hielt sich zischend die Hand. Pochend zog der Schmerz von ihren Fingerspitzen bis hinauf in ihren Ellenbogen und Tränen traten ihr in die Augen. Im nächsten Moment ertönte jedoch schallendes Gelächter und Emilia erblickte Kíli, der sich an Bofur festhalten musste, um nicht umzufallen. Auch die anderen Zwerge brüllten vor Lachen. Erst da erkannte sie Fíli, der auf dem Boden kniete, während er sich dabei an den Unterkiefer fasste und aussah, als wäre ein Geist durch ihn hindurch gefahren. Langsam aber sicher schien auch ihr Verstand wach zu werden und die junge Hexe realiesierte, dass sie dem blonden Zwerg vor ihr geradewegs einen saftigen Kinnhaken verpasst haben musste.
»Bei Merlin! Fíli, es tut mir so leid! Ich wusste doch nicht... Ich konnte doch nicht...«
Das Geträumte hatte sich so echt angefühlt! Woher hätte sie wissen sollen, dass sie wirklich wie wild um sich geschlagen hatte?
»Ich habe schon lange keine Menschenfrau mehr mit einem so festen, rechten Haken gesehen!«
Mittlerweile war Balin an Fílis Seite getreten. War das ein Kompliment?
Belustigt half er dem Jungzwerg auf, der sich mittlerweile gefasst zu haben schien, denn er konnte sich bereits wieder mit seinem Bruder kabbeln.
»Bruder, du solltest sie wecken und dich nicht von ihr verprügeln lassen!«, witzelt Kíli und klopfte ihm Freundschaftlich auf die Schulter.  »Wenn wir das Zuhause erzählen! Mein Bruder von einem Mädchen verhauen...«
»An deiner Stelle wäre ich vorsichtig, was du sagst, kleiner Bruder. Nicht, das du noch selbst Bekanntschaft mit ihrer Faust machst. Nichts für ungut, Emilia!« Fíli zwinkerte ihr zu und die Hexe war einfach nur verwirrt.
»Mach dir keinen Kopf, Mädchen. Wir Zwerge sind hart im nehmen! Uns haut so schnell nichts um. Da braucht es schon um einiges mehr, als einen Schlag ins Gesicht.« Óin war zu Emilia herangetreten und griff sich ungefragt ihre rechte Hand, woraufhin sie einen leisen Schmerzenslaut von sich gab. Erstaunlicherweise war der alte Zwerg jedoch sehr vorsichtig, als er diese auf Verletzungen hin abtastete.
»Gandalf meinte, die Adler wollen endlich aufbrechen. Ist sie gebrochen?« Thorin trat an die Seite von Óin und zog eine Augenbraue nach oben, als er abschätzig von dem Zwerg, zur Hand und anschließend zu Emilia blickte. Der Hexe rutschte das Herz in die Hose beim Anblick des Zwergenprinzen. War er sauer? Immerhin hatte sie eben seinen Neffen verdroschen!
»Nein, ich denke nicht. Aber ordentlich verstaucht auf jeden Fall. Vielleicht finden wir Gundermann oder Breitwegerich, sobald das Gebirge hinter uns liegt«, entgegnete Óin. Thorin nickte und wandte sich ohne weiteren Kommentar zum gehen. War das jetzt ein gutes oder schlechtes Zeichen? Emilia konnte es nicht sagen.

Die Sonne stand noch tief im Osten hinter den Bergen, als Emilia auf Manadhéls Rücken kletterte und zwischen seinen breiten Schwingen Platz nahm. Sie fragte sich lieber nicht, was der Adler wohl von der kleinen Auseinandersetzung, gerade eben, dachte. Ihr war es schon peinlich genug, dass die anderen Zwerge es mitbekommen hatten.
Mit Bofurs Hilfe gesellte sich auch Bilbo zu ihr hinauf, der bei weitem nicht so glücklich über seinen bevorstehenden Flug zu sein schien, jedoch ganz froh war, nicht wie in der Nacht zuvor an Doris Füßen durch die Luft baumeln zu müssen. Ein gellender Schrei ertönte von Seitens der Adler, als alle bereit zum Aufbruch waren und fünfzehn Vögel erhoben sich nach und nach mit kräftigen Flügelschlägen von der Felsplatte in die Luft.
Der angebrochene Morgen war kühl und Nebel lagen in den Tälern und Schluchten oder wehten hier und dort um die Gipfel. Das Nebelgebirge hatte sich seinen Namen wahrlich verdient, wie Emilia fand.
Es dauerte nicht lange und bald schon badete der Himmel in einem blassen blaugrau, währenddessen die zögerlichen, ersten Strahlen der nahenden Sonne ein dünnes Band zwischen dem Horizont und dem Gebirge rissen. Begierig das Land wieder für sich einzunehmen, erhob sich nach und nach ein kleiner Teil des leuchtenden Himmelskörpers über die Gipfel und Täler in der Ferne und sandte noch mehr Licht aus, die Nacht endgültig zu vertreiben. 
Emilia hatte schon viele Sonnenaufgänge gesehen, doch noch nie fühlte sie sich dabei so frei wie jetzt. Die Aussicht von dem Rücken eines Adlers war nahezu magisch!
Einem letzten, verzweifelten Aufbäumen gleich, versuchte die Finsternis, das goldene Strahlen zu ersticken, doch die Morgenröte färbte den Himmel um und tauchte ihn in eine Vielzahl roter und orangener Farbtöne, die nach Westen hin zu einem warmen Violett verliefen. Die Nacht wiech hinfort, zurückgezogen in die Ferne. 
Der Wind rauschte über sie hinweg und Emilia genoss jede einzelne Sekunde des Fluges, während sie begierig die wärmenden Sonnenstrahlen in sich aufsog. Bilbo hingegen, klammerte sich ängstlich in die Federn und versuchte nicht hinab zu schauen. 
»Kneif mich nicht!«, rief Manadhél.  »Du brauchst dich nicht zu fürchten wie ein Kaninchen, auch wenn du wie eines aussiehst. Wir haben einen sonnigen Morgen und der Wind ist angenehm. Es gibt nichts schöneres als Fliegen!«
Belustigt beobachtete Emilia, wie der Hobbit vor ihr seinen Griff im Gefieder tatsächlich ein wenig lockerte. Er konnte sich jedoch sicherlich etwas weitaus besseres vorstellen, als Meilen vom Boden entfernt zu sein!

Nach einer ganzen Weile mussten die Adler den Punkt erspäht haben, auf den sie zusteuerten, denn obgleich sie in beachtlicher Höhe flogen, wendeten sie ein und glitten in großen Spiralen tiefer. Bald schon entdeckte Emilia einzelne Eichen und weitläufiges Grasland, durch das ein Fluss sich seinen Weg bahnte. Und inmitten dieses Flusses, der sich rechts und links vorbei wandte, ragte ein einzelner, mächtiger Fels, geradezu bergähnlich, wie ein letzter Außenposten des fernen Gebirges. So einsam wie er dort stand, wirkte er fast ein wenig fehl am Platz und doch stand er wohl schon so ewig dort, dass er sich lückenlos in seine Umgebung einschmiegte. Emilia dachte an die stürmische Nacht in den Bergen zurück und fragte sich sogleich, ob wohl einer der Steinriesen ihn vor langer, langer Zeit dort hingeschleudert haben musste.
Rasch schwangen sich die Adler nacheinander auf die Kuppe dieses Felsens und setzten die einzelnen Mitglieder der Gemeinschaft dort ab.  »Leb' wohl Manadhél und danke für alles«, meinte Emilia aufrichtig, als sie abstieg und das letzte Mal durch die Federn des großen Vogels strich. Sie hatten den Adler so viel zu verdanken! Dieser neigte den Kopf und schwang sich, nachdem auch Bilbo von seinem Rücken gerutscht war, zurück in die Lüfte.
»Pass auf dich auf, kleine Emilia!«, entgegnete er und wandte sein Wort schließlich an alle. »Fahrt wohl, wo auch immer ihr Hinfahrt, bis ihr am Ende eurer Reise wieder wohlbehalten in euren Horsten landet!« Unter Adlern war dies wohl als einen höflichen Abschied zu gelten, doch nur Gandalf schien die korrekte Antwort darauf zu kennen. »Möge der Wind unter euren Schwingen euch dorthin tragen, wo die Sonne zieht und der Mond wandert!«
Emilia fand gefallen an der Floskel und beschloss, sich diese zu merken, wobei sie nicht glaubte, Manadhél oder die anderen Adler jemals wieder zu sehen.

»Ist das... das, was ich denke?«
Bilbo hatte sich als erstes von den großen Vögeln abgewandt und lenkte so die Aufmerksamkeit der Gemeinschaft auf das, was hinter ihnen lag. Die junge Hexe folgte sogleich seinem Blick und war sprachlos. Der Fels bot ihnen freie Sicht auf weitläufige Wiesen, über dichte Wälder hinweg bis weit in den Osten, in dem sich ein einzelner Berg majestätisch am Horizont erstreckte. »Erebor«, sprach Gandalf den Gedanken aller aus. »Der einsame Berg.«
Fasziniert betrachtete Emilia den, von Schnee bedeckten Gipfel, der über die Waldgrenze ragte. Dabei trat Fíli an ihre linke Seite, so nah, dass seine Hand beinahe die ihre streifte. »Beeindruckend, nicht wahr!« Er trug ein breites Lächeln im Gesicht. Sie erwiederte es, ohne ihren Blick davon abzuwenden. »Ja, es ist atemberaubend!«
»Ein Rabe!«, bemerkte Óin irgendwann begeistert, als ein kleiner Vogel an ihnen vorbei flog, woraufhin Emilia den geringen Abstand zwischen sich und dem blonden Zwerg bemerkte. Erschrocken wich sie einen Schritt zurück, so als wäre ein Stromschlag durch sie gefahren. Die Hexe spürte, wie ihre Wangen erröteten und wäre am liebsten im Erdboden versunken. Ihr war der Vorfall am frühen Morgen noch immer peinlich. Zumindest schob sie ihr plötzliches Verhalten darauf zurück.
»Das, mein Lieber Óin, ist eine Drossel«, warf Gandalf ein, konnte damit jedoch nicht die allgemeine Stimmung der Zwerge trüben. 
»Aber wir sehen es als ein Zeichen«, entgegnete Thorin glücklich. »Als gutes Omen!«
»Zurecht!«, stimmte Bilbo zu. »Das schlimmste liegt hinter uns, würde ich sagen«
Auch wenn Emilia dem Gesagten des Halblings glauben schenken wollte, eine Stimme tief in ihrem Inneren schien daran zu zweifeln. Der einsame Berg erschien von hier oben so nah und doch lag er weit entfernt. Ihnen allen waren in den letzten Monaten so viele Unannehmlichkeiten widerfahren, wer konnte also sagen, dass die nächste Etappe weniger gefährlich sein würde? Außerdem saßen ihnen noch eine ganze Horde Orks im Nacken und so wie Azog ausgesehen hatte, würde er seine Jagd auf Thorin nicht so einfach aufgeben. Doch sie behielt ihre Bedenken für sich und hoffte einfach, dass sie sich irrte.
»Wie geht es jetzt weiter?«, fragte Bofur und blickte dabei abwechselnd von Gandalf zu Thorin. »Ich meine, wir haben nichts zu Essen, kein Gepäck, keine Ponys zum reiten und wir wissen nicht, wo wir sind.«
»Nun, letzteres kann ich euch immerhin sagen. Wir sind noch immer ein paar Meilen nördlich von dem Pfad, dem wir weiter gefolgt wären, wenn wir den Bergpass nicht in wilder Eile verlassen hätten. Sehr wenig Leute leben hier in dieser Gegend – wenn sich nichts geändert hat, seit ich das letzte Mal hier vorbeigekommen bin, denn das ist einige Jahre her«, erklärte Gandalf und stützte sich auf seinen Stab. »Aber es gibt hier jemanden, den ich kenne und der nicht weit weg von diesem Felsen wohnt. Dieser Jemand schlug auch die Stufen in den großen Felsen – in den Carrock. So nennt er ihn, glaube ich. Er kommt nicht oft hier her, jedenfalls nicht am Tag. Es wäre aber höchstwahrscheinlich auch nicht gut hier auf ihn zu warten. Genau genommen würde es sogar sehr gefährlich sein. Wir müssen ihn aufsuchen und hoffen, dass er uns wohlgesonnen ist.«
Das klang ja sehr vielversprechend, dachte Emilia sarkastisch und auch die Zwerge wirkten nicht sonderlich begeistert. Doch da sie keine andere Wahl hatten, blieb ihnen nichts anderes übrig, als Gandalfs ominösen Fremden eine Chance zu geben.
Also machte sich die Gemeinschaft an den Abstieg, der, dank den Stufen, die in den Stein geschlagen waren, um einiges leichter war, als es zuerst aussah.
Unten am Fuß des Carrocks angekommen verkündete Thorin, dass sie hier einen Zwischenstopp machen würden und jeder die Möglichkeit bekam, sich im Fluss zu waschen. Die Zwerge ließen sich dies nicht zweimal sagen und sprangen, kaum dass sie sich ihren Kleidern entledigt hatten, in das kalte Nass.
Bei Merlin, dachte Emilia erschrocken und drehte sich eilig weg. Das war eindeutig zu viel nackte Zwergenhaut! 
»Ich gehe mich dort hinten bei den Steinen waschen«, erklärte sie daraufhin Bilbo und deutete auf eine Stelle etwas weiter oberhalb, an der der Fluss eine Biegung machte und von Sträuchern und Steinen ein wenig abgeschirmt wurde. Der Hobbit nickte verständnisvoll. Auch wenn Emilia mit den Zwergen reiste und Privatsphäre in der Wildnis so etwas wie ein Fremdwort war, musste nicht gleich jeder aus der Gemeinschaft sie völlig nackt sehen.
So lief Emilia auf dem Kies am Ufer entlang, schob sich an dem hohen Schilf vorbei und blickte noch einmal zurück zu Thorin, ehe sie die Steine erreichte. Der Zwergenprinz hielt zusammen mit Gandalf Wache und achtete darauf, dass sich keiner zu weit entfernte oder von potentiellen Gefahren überrascht wurde. Als ihre Blicke sich trafen, nickte er, zum stummen Einverständnis, dass diese Entfernung in Ordnung war.
Zufrieden verschwand die Rothaarige hinter ihrem natürlichen Sichtschutz und entledigte sich zuerst ihrer Stiefel und anschließend ihrer Kleidung, um letztere im klaren Fluss zu waschen. Anschließend breitete sie die nasse Wäsche auf einem der Steine aus, auf dem auch bereits ihr Zauberstab und der Dolch lag. Emilia fröstelte, als sie in das eisige Wasser stieg und es ihre Hüfte umspülte. Sicherlich entsprang die Quelle dieses Flusses irgendwo im Nebelgebierge, zumindest würde es die niedrige Temperatur im Hochsommer erklären. Es kostete sie einiges an Überwindung, ihren Körper komplett in das kristallklare Nass zu tauchen und wirklich lange hielt sie es darin nicht aus, doch es war ein schönes Gefühl, sich nach so langer Zeit wieder einmal frisch zu fühlen. Zu guter letzt kümmerte sich Emilia um ihre roten Locken, die sie die meiste Zeit in einem geflochtenen Zopf trug und seit ihrer Ankunft sicherlich ein gutes Stück gewachsen waren.
Mit einem kurzen Blick hinüber zu den Zwergen, die bisher keine Anstalten zum Aufbruch machten, beschloss Emilia dieses Mal auf das Zaubern zu verzichten und sich und ihre Klamotten von der Sonne, die jetzt stark und warm herab schien, trocknen zu lassen. Nur mit ihrem Hemd bekleidet, auf dass sie dann doch nicht verzichten wollte, legte sie sich ins Gras und genoss einfach mal das Nichts tun.

»Emilia? Ich bin es, Bilbo. Thorin meinte, sie wollen so langsam aufbrechen und ich soll dich holen«, kam es irgendwann von der anderen Seite des Felsen und Emilia erschrak ein wenig. Sie musste wohl eingedöst sein und hatte die Zeit vergessen. Doch als sie sich aufrichtete, traf sie fast der Schlag. Auf der anderen Seite des Flusses stand ein gigantischer Bär und trank seelenruhig aus dem Wasser. Ganz leise, mit dem Versuch keine ruckartigen Bewegungen zu vollziehen, richtete sie sich auf und lief zu ihren Klamotten. Eilig, aber bedacht, schlüpfte sie in ihre Hose und Stiefel.
»Emilia? Geht es dir gut? Ich... Ich komm jetzt schauen, ja?«
Nicht nur die Hexe zuckte zusammen, als sie sich gerade so die Tunika über den Kopf gezogen hatte, auch der Bär blickte nun auf und schien gar nicht glücklich über die Eindringlinge in seinem Territorium. Der Hobbit, der seinen Kopf über den Stein streckte, gab einen entsetzten Laut von sich und blickte zu Emilia hinab, die direkt unter ihm stand. Der Bär begann bereits durch das Wasser zu stampfen. »Bilbo, schnell! Warne die anderen!«
Bilbo schüttelte den Kopf. »Und was ist mir dir?«
Emilia begann umständlich ihren Gürtel um die Hüfte zu binden.  »Verdammt, Lauf! Ich bin direkt hinter dir!« Erst als die Hexe lauter wurde, kam Bewegung in den Halbling und er stürmte los.
Auch Emilia hatte soweit ihre Sachen zusammen gesammelt und wollte gerade über die Steine am Ufer hinauf klettern, als sie ein tiefes Brummen nicht weit hinter sich vernahm. So viel zu, das schlimmste lag hinter ihnen!
Der riesige Bär hatte bereits die andere Seite erreicht und nur das Gestrüpp trennte ihn noch von der Hexe. Ein Brüllen drang aus seiner Kehle, dabei entblößte das Tier seine scharfen Zähne. Verzweifelt blickte sich Emilia um. Wenn sie sich jetzt bewegte, benötigte es ein Satz nach vorne und das Vieh hätte sie eingeholt! Eilig presste sie die Augen zusammen, hoffte das es funktionieren würde und spürte im nächsten Moment das vertraute prickeln, welches sie überkam, wenn sie ihre Gestalt wechselte. Als Fuchs war sie zwar noch kleiner als der Bär, doch auf jeden Fall um einiges wendiger! Und das war nun auch ihr entscheidender Vorteil, als er mit einer seiner gewaltigen Pranken schlug und ins Leere traf. Emilia streifte innerlich grinsend den Blick des Bären, der doch tatsächlich den Kopf schräg legte, so als wäre er verwirrt, ehe sie kehrt machte und in ihrer Fuchsgestalt die Böschung hinauf rannte, um Bilbo und den anderen zu folgen.
Das Gras, welches ihr zuvor bis an die Knie gereicht hatte, wirkte aus dem neuen Blickwinkel viel höher und Emilia fiel es schwer, die Orientierung beizubehalten. Den wilden Rufen der Zwerge nach, schien sie nicht weit entfernt zu sein, doch das hieß auch, das der Bär sie mittlerweile gewittert hatte und ihnen an den Fersen hang. Hoffentlich hatte Bilbo die anderen rechtzeitig erreicht!

Emilia versuchte, ihr Tempo beizubehalten, um aufschließen zu können, doch bald schon merkte sie, wie sehr das Gras und die malträtierte Hand, die ihr nun als Pfote diente, sie ausbremste und die Rufe immer leise wurden.
Fluchend und außer Atem blieb sie bald darauf stehen und lauschte, doch bis auf das fröhliche zwitschern der Vögel war es nun völlig still um sie herum. Sie war zu langsam gewesen und hatte den Anschluss an die Gemeinschaft verloren! Eilig versuchte sie den aufglühenden Funken von Panik zu löschen. Sie würde sicherlich bald wieder auf Bilbo und die Zwerge treffen! Mit Gandalf an deren Seite, schafften sie es auch bestimmt den Bär abzuhängen. Emilia hoffte es, denn das Tier wirkte vorhin absolut nicht begeistert und wer wusste schon, wie die Auseinandersetzung mit ihm geendet hätte? Zumal er viel größer als ein normaler Bär war.
Doch auch wenn die Gefahr nicht in hörweite zu sein schien, blieb Emilia vorerst ein Fuchs. Ihr Geruchssinn war in dieser Gestalt weitaus ausgeprägter, weshalb es so um einiges einfacher war, die Fährte der Anderen zu verfolgen.
Aus diesem Grund hielt sie einen Augenblick später ihre Nase in die Luft, schloss ihre Augen und konzentrierte sich auf all die Gerüche in ihrer Umgebung. Bald schon schien sie tatsächlich eine Spur zu haben, woraufhin sie sich wieder in Bewegung setzte und dieser nun weitaus langsamer zu folgen begann. So lange es nicht regnete, würde sie den Geruch vorerst auch nicht verlieren.
Die Fährte führte sie über Anhöhen hinweg und durch mal kleinere und mal größere Gruppen von Eichen. Die Mittagssonne schien heute besonders stark zu scheinen, zumindest kam es Emilia unter dem dicken Pels so vor. Aus diesem Grund legte sie immer mal wieder kleinere Pausen im Schatten der Bäume ein. Es war schon verrückt, wenn man bedachte, dass im Nebelgebierge zum jetzigen Zeitpunkt Schnee lag und Emilia dort oben vor einigen Tagen noch gefroren hatte, während hier unten im Tal das schönste Wetter herrschte. Ihr Bruder Ben wäre sicherlich begeistert von den Vegetationen Mittelerdes. Ihn hatte es schon immer in die Ferne gezogen, weit fort in fremde Länder, um deren Geheimnisse zu lüften. Ägypten schien bis jetzt der längste seiner Aufenthaltsorte zu sein, doch es war ihm nicht zu verdenken. Dieses Land trotzte nur so vor alter und gefährlicher Magie. Gab es so etwas wie eine Wüste in Mittelerde?
Vielleicht lag es aber auch einfach nur daran, dass ihr Bruder jemanden gefunden hatte, für den es sich lohnte, an einem Ort zu bleiben. Eventuell diese Layla, seine Mitstudentin oder dieser David? Emilia musste schmunzeln. Ben und sesshaft? Niemals!
Er schien sich schon in Hogwarts für niemanden wirklich zu interessiert, obwohl er sehr begehrt unter den Schülern war und viele Freunde besaß. Er hatte durchaus auch einige Verehrer. Sogar Victoria war eine Zeit lang in ihn verschossen gewesen und bekam kein Wort mehr heraus, wenn er in ihrer Nähe stand. Ben war schon immer der Vorzeige-Ravenclaw gewesen, stets mit der Nase in einem Buch und fast in jedem Fach ein Ohnegleichen. – Die beste Note, die man erhalten konnte.
Keine Frage, Emilia vermisste ihren großen Bruder und die Tatsache, dass sie erst vor kurzem von ihm geträumt hatte, machte es nicht besser. Der Traum war im Allgemeinen ziemlich verwirrend gewesen, bestand er doch nur aus willkürlich zusammengewürfelten Erinnerungen. Dann stellte sich jedoch die Frage, wer das Pärchen auf der Waldlichtung war? Emilia war ihnen noch nie in ihrem Leben begegnet. Hatte sich ihr Verstand einfach nur etwas zusammengereimt und die beiden ausgedacht? Aber es wirkte alles so echt! So als wäre sie tatsächlich vor Ort gewesen. Möglich schien es mit Sicherheit zu sein, schließlich wurde sie ja auch mit dem seltsamen Mal an ihrem Arm durch einen Traum gezeichnet. Wer konnte ihr also versichern, das Emilia nicht wirklich dort am Rande der Lichtung gestanden hatte?

Es war später Nachmittag, fast schon Abend, als die Luft von einem Brummen und Dröhnen erfüllt wurde. Erst da bemerkte Emilia, dass sie inmitten von weiten Feldern aus Klee stand. Kurze Strecken von leuchtendem Purpurklee, rotem Fuchsklee und weite Flächen aus weißem, nach Honig duftenden Steinklee. Um sie schwirrten Bienen, so groß, dass sie wohl fast ihre Handflächen ausfüllen würden und die gelben Streifen auf ihrem Körper leuchteten wie glühendes Gold im Licht der Sonne. Tüchtig flogen sie umher und sammelten Nektar von den Pflanzen, die wohl jemand von Hand angelegt haben musste. Emilia war begeistert von dem Anblick dieser Bienenweide.
Dem Geruch nach, musste auch die Gemeinschaft hier vorbeigekommen sein.
Nach einiger Zeit erreichte die junge Hexe eine Reihe von alten Eichen, hinter denen sich eine stattliche Hecke erstreckte. Der Fährte nach, mussten die Zwerge hier irgendwo sein. Doch man konnte nicht durch die grüne Wand hindurchblicken und selbst in ihrer Fuchs Gestalt war es Emilia unmöglich, durch sie hindurchzukriechen. Nach dem dritten Versuch gab sie sich geschlagen und verfluchte innerlich die pieksenden Dornen.
Auf der Suche nach einem anderen Weg, lief sie weiter die Hecke entlang und fand bald darauf tatsächlich ein breites Holzgatter, das einen Spalt offen stand. Mit einem Blick nach rechts und links versicherte sie sich, dass die Luft rein war, ehe sie sich flink hindurch schob.
Dass hier jemand lebte, merkte Emilia schnell. Hinter dem Gatter erstreckten sich bunt angelegte Gärten und eine Gruppe niedriger Häuser aus Holz, deren Dächer mit Stroh gedeckt waren. Ställe, Schuppen, Scheunen und ein langes Haupthaus. An der Innenseite der Dornenhecke reihten sich unmengen von Bienenkörben aus Stroh auf, die nach oben hin glockenförmig zusammenliefen. Aus ihnen drang das laute Summen der ein- und auskehrenden Bienen, die hier ihr Zuhause hatten. Wunderschöne Pferde trabten über die weiten Wiesen und blickten den kleinen Rotfuchs vor ihnen aus neugierigen und klugen Gesichtern an. Sie schienen zu spüren, dass von Emilia keine Gefahr ausging, denn sie machten keine Anstalt zur Flucht oder wirkten in irgendeiner Form abweisend.
Plötzlich drangen Stimmen an ihr Ohr und Emilias Herz schlug höher, als sie meinte, die Zwerge heraus zu hören. Doch ehe Emilia dem schmalen Pfad weiter bis zum Haupthaus folgen konnte, stellte sich ihr eine große Gestalt in den Weg.

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