Eulenpost

Schmunzelnd beobachtete Emilia ihre beste Freundin Catharina, auch liebevoll Cathy genannt, die wie ein aufgeschrecktes Huhn an einer Gruppe Slytherinmädchen vorbei, die Treppe aus den Kerkern in die Eingangshalle hinaufeilte und vor ihr zum Stehen kam, nur um sie kurz darauf in eine Umarmung zu schließen.
»Tut mir leid, Newton hat mir meinen Zauberstab geklaut und ich durfte ihm erst einmal durch den halben Hufflepuff Gemeinschaftsraum nachjagen. Dieser Kater treibt mich noch in den Wahnsinn!«
Verlegen grinsend fuhr sie sich durch ihr braunes Haar, welches dem Anschein nach heute noch keine Haarbürste gesehen hatte. Cathy war schon seit der ersten Klasse unglaublich verpeilt und auch jetzt mit ihren siebzehn Jahren konnte man nicht unbedingt sagen, dass die Braunhaarige weniger verplant war. Dennoch hatte Emilia sie seit der ersten Begegnung im Hogwarts Express ins Herz geschlossen.
Ohne lange zu überlegen zückte sie ihren Zauberstab, tippte damit auf Catharinas Kopf und augenblicklich glätteten sich deren Haare. »Oh. Danke! Ich wusste, ich hatte irgendwas vergessen. Sind Chester, Vicky und Elias schon in der Großen Halle?«
»Ja, ich hab ihnen gesagt, sie sollen schon einmal vorausgehen.«
Gekonnt, ließ die rothaarige Hexe ihren Zauberstab in der Innenseite ihres Umgangs verschwinden und lief mit Cathy in Richtung Speisesaal, wo ihre drei Freunde schon sehnsüchtig auf sie warteten. Schließlich wollten alle noch etwas frühstücken, bevor sie ein letztes Mal in den Unterricht mussten. Innerlich freute sich Emilia auf die ersten zwei Stunden Zaubertränke. Denn auch wenn Professor Snape - der meist verhasste Lehrer der Schule - dieses Fach unterrichtete, so ist es doch mit Kräuterkunde, alte Runen und Verteidigung gegen die dunklen Künste eines ihrer liebsten Fächer gewesen.
»Heute ist Freitag, oder? Dann hab ich nachher Pflege magischer Geschöpfe mit Chester, Vicky und den anderen Ravenclaws. Hoffentlich lässt der Regen noch nach, sonst war dein Zauberspruch völlig umsonst«, meinte Catharina belustigt, währenddessen sie die Flügeltür der Großen Halle öffnete und ihre Freundin passieren ließ, nur um dann selbst einzutreten. Emilia bedankte sich und ließ ihren Blick durch die gigantische Halle über die vier langen Haustische schweifen.

»Mila, hier drüben sind wir!«, ertönte es ziemlich weit am Kopf des Ravenclawtisches von Victoria. Eine kleine Ravenclawschülerin mit lilanen Haaren war von ihrem Platz aufgestanden und winkte Emilia und Catharina lächelnd zu sich, woraufhin die beiden Mädchen sich augenblicklich in Bewegung setzten.
»Da seid ihr ja endlich! Wir dachten schon, ihr hättet euch verlaufen ... obwohl, bei dir Kitty könnte ich mir das durchaus vorstellen!«
Chester Dawnfield, ein großer und schlaksiger Ravenclaw mit kastanienbraunen Haaren und quadratischer Brille auf der Nase, sah belustigt zu Catharina, woraufhin er von Emilia, die sich neben ihn setzte, in die Seite geknufft wurde. Es ärgerte sie, wie der Ravenclaw manchmal mit ihrer Freundin umsprang, auch wenn es in seinen Augen nur Spaß war und Cathy es nicht weiterhin störte. »Was deine Sprüche angehen, hast du echt das Haus verfehlt, man! Du hättest vielleicht ja doch ein Slytherin werden sollen«, warf Elias ein, währenddessen er seinen Arm um Victoria legte, welchen die Lilahaarige jedoch sofort wieder von sich schob und dem blonden Slytherin einen bösen Blick zuwarf. Seit der vierten Klasse versuchte Elias vergebens Vicky für sich zu gewinnen, doch die Ravenclaw blieb eisern und servierte ihn bisher jedes Mal ab.
»Der Sprechende Hut zog damals sowohl Ravenclaw, als auch Slytherin in Erwägung. Außerdem ist es jetzt sowieso zu spät...«
Schmunzelnd schüttelte Emilia den Kopf darüber, was sie doch alle für einen seltsamen Haufen abgaben. Und damit meinte sie nicht nur die Tatsache, dass sie einige der wenigen Cliquen waren, in denen alle vier Häuser von Hogwarts prima miteinander klarkamen. Sie würde die Zeit mit ihren Freunden nach der Schule sehr vermissen, auch wenn die letzten drei Jahre auf Hogwarts ziemlich drunter und drüber gegangen waren. Sie konnte sich noch gut an die Sache mit dem Stein der Weisen erinnern und sie bekam immer noch Gänsehaut, wenn sie daran dachte, dass ein Basilisk sein Unwesen durch Hogwarts getrieben und Schüler versteinert hatte. Das Sahnehäubchen auf der Torte war allerdings Sirius Black, ein Massenmörder, der dieses Schuljahr aus dem Zauberer Gefängnis Askaban ausgebrochen war und Hogwarts zeitweise ebenfalls unsicher machte. Von dem Gedanken, dass Professor Remus Lupin, der beste Verteidigung gegen die dunklen Künste Lehrer, den Emilia je hatte - und sie hatte schon so einige, da man munkelte, die Stelle sei verflucht - ein Werwolf war, wollte sie gar nicht erst sprechen. Sie wusste, wie schwer es ihm gegangen sein musste, durch die Lykanthropie überhaupt erst an so einen Job zu gelangen. Erging es ihrer Mutter, die noch gar nicht so lange an dieser Krankheit litt, doch nicht anders. Professor Dumbledore, der Schuldirektor, war ein ehrenwerter Mann!

Völlig in Gedanken versunken, blickte die rothaarige Gryffindor erst auf, als Archimedes, der Waldkauz ihres großen Bruders, mit einem Päckchen am Fuß eine Bruchlandung auf dem Tisch der Ravenclaws hinlegte und anschließend genüsslich ihre Haferflocken fraß, so als wäre niemals etwas dergleichen geschehen. »Dir auch einen guten Appetit...«
Lachend band sie die Post von dem Fuß der Eule und schielte erst zu Chester hinüber, der bereits die heutige Ausgabe des Tagespropheten las und anschließend hinauf zu den vielen anderen Eulen, die die verschiedenen Schüler mit ihrer Post versorgten. Die morgendliche Eulenpost war eines der vielen Dinge in Hogwarts, die Emilia vermissen würde.
»Na los, du Vielfraß, nimm die Eulenkekse und lass mein Frühstück in Frieden!« Emilia streckte der Eule einige Kekse entgegen, die sich noch in den Taschen ihres Umhangs befunden hatten und widmete sich dann dem Brief, der dem Päckchen, das zweifelsohne nur von ihrem Bruder sein konnte, beigelegt war. Diese grausame Handschrift würde sie immer wieder erkennen!

Hallo Schwesterchen,
wie geht's dir? Mir geht's auf jeden Fall prima!
Wie du bereits von meinem letzten Brief an dich weißt, lebe ich zurzeit in Ägypten. Durch Zufall war ich dort gestern Leyla, eine alte Freundin aus Studienzeiten über den Weg gelaufen. Du musst wissen, sie leitet das Sphinx-Reservat in Gizeh und hat mich deshalb eingeladen, sie dort mal besuchen zu kommen, um mich mit diesen Wesen bekanntzumachen. Wenn du mich fragst, sind sie ganz schön überheblich. Ich bin in meinem ganzen Leben noch keinem einzigen Tierwesen begegnet, das so eine Arroganz ausstrahlt! Aber was will man anderes erwarten, wenn man Jahrhunderte lang als Gottheit angebetet wurde?
Solltest du also jemals einer Sphinx begegnen, lass dich bloß nicht wie ich zum Rätselraten ermutigen! Sie neigen dazu, ihre Opfer zu fressen, sollten diese eine falsche Antwort nennen. Zwar haben sie ein Abkommen mit den Zauberern geschlossen, keine Menschen zu töten, aber viele der älteren Sphinxe hören noch sehr auf ihren Urinstinkt, weshalb es gut vorkommen kann, dass sie in ihrem Siegesrausch doch einmal einen Menschen anfallen können.
Aber ich kann dir auf jeden Fall versichern; mir geht es blendend! Obwohl ich zugeben muss, dass das Rätsel der Sphinx schon etwas knifflig war.

Auf einem Basar in Kairo schenkte mir einer der Muggel dort eine Kette. Nichts Besonderes, obwohl dieser Mann der festen Überzeugung war, sie sei magisch. Ich hatte sie David gegeben, da er sich mit Artefakten auskennt, aber er meinte bis auf die Tatsache, dass sie bei unterschiedlicher Lichteinwirkung die Farbe ändern kann, ist sie harmlos. Weil ich damit nicht wirklich etwas anfangen kann und du doch so auf Muggelzeugs stehst, dachte ich mir, dir würde sie vielleicht gefallen. Sieh es als ein kleines nachträgliches Geschenk zu deinem Geburtstag. Du findest sie beigelegt in dem Päckchen, insofern dieses braune, tollpatschige Federfieh es nicht auf dem Weg nach England verloren hat.
Wie liefen die Prüfungen? Hast du die Ergebnisse bereits erhalten? Du musst mich unbedingt mal nach deinem Abschluss in ein paar Tagen besuchen kommen. Ich wette, du wirst es in Ägypten lieben!
Richte Mum liebe Grüße von mir aus, aber verrate ihr nichts von dem Rätselraten mit der Sphinx, du weißt ja, wie sie reagiert, wenn sie davon Wind bekommt.
In Liebe, dein Ben.

Grinsend legte Emilia das beschriebene Papier auf die Seite und begann nun das Päckchen auszupacken. Wie ihr Bruder bereits in dem Brief berichtete, lag darin eine dünne, silberne Kette, an der ein zierlicher, ebenfalls silberner Anhänger hing, in dem ein flacher, glanzloser dunkelgrüner Stein eingelassen war. Die Form und die Farbe des Anhängers erinnerte Emilia augenblicklich sehr an ein kleines Blatt. »Wow, die Kette ist wunderschön, soll ich dir helfen sie anzulegen? Von wem ist die?« Mit großen Augen blickten Cathy auf die Kette. »Von meinem Bruder. Er ist doch momentan in Ägypten!«
Lächelnd streckte Emilia Catharina, die neben ihr saß, das Schmuckstück entgegen und drehte ihren Kopf so, dass ihre Locken nicht mehr im Weg waren und ihre Freundin den Verschluss verschließen konnte. »Wow, dein Bruder hat wirklich Geschmack! Sie passt ausgezeichnet zu deinen grünen Augen«, meinte nun auch Victoria und blickte mit großen Augen auf das Schmuckstück.

»Hey Mila, geh du schon mal vor zum Zaubertrank Klassenzimmer, ich muss nochmals zurück in den Slytherin Gemeinschaftsraum. Hab meine Tasche noch dort, bin gleich wieder da.«
Elias, der mit Emilia Zaubertränke hatte, nickte ihr zu und bog rechts in einen anderen Kerkergang ab. »Beeil dich aber, du weißt wie Professor Snape reagiert, sollte wer zu spät kommen«, rief sie dem blonden Jungen hinterher, der bereits um die nächste Ecke gebogen und somit außer Reichweite war und folgte weiter dem steinernen Gang in Richtung Klassenzimmer. Doch kaum war Emilia zwei weitere Schritte gegangen, überfiel sie ein flaues Gefühl im Magen und alles in ihrem Kopf begann sich zu drehen. Keuchend stützte sich die Rothaarige an der kalten, feuchten, nach Moder riechenden Wand ab und suchte vergebens nach Halt. Ihre Sicht verschwamm, weshalb sich ihre Finger panisch in den rauen Stein krallten. Plötzlich wurde ihr der Boden unter den Füßen weggerissen und Emilia fühlte sich, als würde sie erst über den Boden geschliffen und anschließend durch einen langen Schlauch gezogen werden.

1621 Wörter

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