Kapitel 4

Er nickt langsam und langsam kehrt auch in mich wieder Leben zurück.

"A-Aber wieso? Ich mein, oh mein Gott! Bist du etwa ein Stalker?!", frage ich entsetzt und verwirrt zugleich.

"Nein! Was denkst du denn von mir?
Ich war an dem Abend auf derselben Party", er macht eine kurze Pause und scheint darüber nachzudenken, ob er mir den Rest erzählen soll, "und ich wollte dich ansprechen, aber dann warst du auf einmal weg und ich bin dich suchen gegangen, um dich doch noch ansprechen zu können.
Und als ich dich dann irgendwann gefunden habe, naja, du weißt ja, was dann passiert ist...", fährt er peinlich berührt vor und versucht, sich vorsichtig an das Thema anzunähern.

Meine Kinnlade klappt mir herunter und ich starre ihn fassungslos an.

"Du hast mein Leben gerettet.", hauche ich mit einem zitternden Unterton.

"Ja klar, ich meine, also, was hätte ich denn andere...", ehe er seinen Satz beenden kann, habe ich ihn in eine feste Umarmung gezogen und leise laufen mir Tränen über die Wangen, die schließlich auf seinem Oberteil landen.

"Danke", bringe ich hervor.

Er wirkt kurz überfordert, doch schließlich legt er sanft meine Arme um meinen Oberkörper und erwidert die Umarmung.
Ich spüre, wie sein Oberteil sich an seinem Bizeps anspannt und merke, dass ich mich seit langer Zeit wieder sicher und geborgen fühle.
Meine Eltern wussten lange Zeit nicht, wie sie mit mir umzugehen hatten und haben mich deshalb wie eine Porzellanpuppe behandelt, während mein Herz mit jedem Tag mehr zerbrochen ist.

Als wir uns lösen, gucken wir uns kurz in die Augen, bis wir schließlich beide etwas peinlich berührt und mit geröteten Wangen den Blick abwenden.

"Tschuldigung, jetzt ist dein Oberteil nass.", nuschle ich und versuche, mit meinem Ärmel seinen Arm etwas trocken zu rubbeln.
Er lächelt sanft, legt meine Hand in meinen Schoß und streicht mir meine letzten Tränen behutsam von der Wange.

"Wie wäre es, wenn wir uns jetzt kennenlernen?", frage ich ihn nach einer Weile.
Als Antwort lächelt er mich an und nickt, woraufhin ich ihm meine Hand ausstrecke, um die seine zu schütteln.

"Hi, ich bin Elizabeth."

Ich denke kurz nach.

"Aber du kannst mich Lizzy nennen."

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"Hallo Mama, hallo Papa.", sage ich trocken in den Telefonhörer.

"Hallo mein Schatz! Wie gefällt es dir bisher dort?", ertönt es von der anderen Seite.

"Wie es mir gefällt?", spucke ich, "es gefällt mir hier in dieser psychiatrischen Einrichtung für Menschen mit seelischen Problemen ganz toll.
Das einzige, was mir hier gefällt, ist eine Person, die auch hierhin geschickt wurde."

"Es tut uns so leid, aber es wird vermutlich das einzige sein, was dir hilft, mit deiner Vergangenheit abzuschließen."

"Ich will mit meiner Vergangenheit nicht abschließen.
Meine Schwester, eure Tochter, wird für immer in meinem Herzen bleiben."

"Das meinen wir doch auch, wer ist denn diese Person?", fragt meine Mutter nun neugierig.

"Ein Junge"

"Ein Junge? Oh! Und wie heißt er? Wie habt ihr euch kennengelernt?", fragt sie nun ganz aufgeregt.

Ein bisschen muss ich lächeln, sie ist schon immer sehr neugierig gewesen, vor allem, wenn es sich um Jungs gehandelt hat.

"Er heißt Reece.."

"Reece?!", fragt meine Mutter nun etwas alarmiert.

"Ähm, ja. Reece. Was ist daran so schlimm?", antworte ich als Gegenfrage.

"Nichts, alles gut. Erzähl erst einmal weiter.", versucht meine Mutter von ihrer Nervosität abzulenken.

"Also, ich habe ihn letztens beim Frühstück kennengelernt und wir seitdem laufen wir uns des öfteren mal über den Weg.
Heute waren wir sogar zusammen im Wald spazieren."

"Aber doch wohl nicht alleine, oder?", fragt meine Mutter nun leicht hysterisch.

"Ähm, nein..", lüge ich kurzerhand.

"Gut. Ich möchte, dass du dich etwas von ihm fernhältst. Er ist gefährlich, weißt du. Bestimmt hat er dich gesucht und hat dich jetzt gefunden und hat sich in die Einrichtung geschlichen und.."

"Beruhige dich, ich hab das schon unter Kontrolle. Und was meinst du damit, dass er gefährlich ist? Er ist nett und fürsorglich, mir kommt er weder böse noch gefährlich vor."

"An dem Tag, an dem deine Schw..."

"Miss, Sie haben noch eine Minute Zeit.", erklang da auf einmal eine Stimme von außerhalb.

"Los, Mama! Ich habe nur noch eine Minute Zeit!", schreie ich in den Hörer.

"Jaja! An dem Tag, an dem deine Schwester starb, kamst du spät abends nach Hause und wusstest nicht mehr, wie du hergekommen warst. Das einzige, was wir noch gesehen haben, war eine Gestalt, die sich von unserem Haus entfernte.
Wir glauben, dass das..."

"Ihre Zeit ist vorbei, Miss. Entschuldigen Sie bitte, aber die anderen möchten nun auch telefonieren.", spricht der Wärter da wieder.

"Nein, nein, nein! Bitte! Nur noch eine weitere Minute!"

Er seufzt kurz auf und nickt schließlich doch.
Schnell fordere ich meine Mutter dazu auf, rasch weiter zu erzählen.

"Wir glauben, dass diese Person dich zu uns gebracht hat und vielleicht irgendwie in den Mord verwickelt war. Aber vor Gericht wurde er als unschuldig erklärt.
Mehrere Tage danach hat er immer wieder bei uns geklingelt und sich nach dir erkundigt.
Fast schon wie ein Stalker. Aus diesen Gründen möchte ich, dass du Abstand zu Reece Hunter hältst."

"Er ist kein Mörder.", bringe ich noch gepresst hervor, ehe der Wärter mich bittet, das Telefonat nun zu beenden.

Schweigend mache ich mich zurück auf den Weg zu meinem Schlafzimmer und schaue dabei bedröppelt auf den Boden.
Immer wieder frage ich mich, ob meine Mutter vielleicht doch nicht ganz Unrecht hat.
Vielleicht ist Reece ja gefährlich.
Vielleicht aber auch nicht, und vielleicht sollte ich ihn weiter kennenlernen.
Mit diesen Gedanken, und dem Entschluss, eine Nacht darüber zu schlafen, lege ich mich in mein Bett und sofort fallen mir vor Müdigkeit meine Augen zu und ich versinke in der Welt des Schlafes.

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