69. Kapitel
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Taehyung:
Seit einer halben Stunde herrschte eine unangenehme Stille zwischen uns, während ich konzentriert fuhr. Der Weg zog sich, jede Minute fühlte sich länger an als die vorherige, und das Rauschen des Motors wurde zu einem monotonen Hintergrundgeräusch, das mich kaum noch ablenkte. Meine Gedanken kreisten um das, was gleich kommen würde—das Gespräch mit Jungkook. Die Angst nagte an mir, eine tief sitzende Furcht, die sich nicht abschütteln ließ. Was, wenn der Mann neben mir, den ich zu kennen glaubte, tatsächlich jemand ganz anderer war? Was, wenn er ein Doppelleben führte, eine dunkle Seite, die ich bisher nicht erkannt hatte?
Aber hätte ich das nicht schon längst merken müssen? Seine Maske hätte doch irgendwann fallen müssen, oder? Ja, unser Anfang war holprig gewesen, sogar schmerzhaft, und Jungkook war damals ein echtes Arschloch. Aber nach all dem, was wir durchgemacht hatten, hatte er sich verändert—zumindest hatte ich das geglaubt. Er war warmherzig geworden, liebevoll, respektvoll. Diese Seite von ihm hatte mein Herz erobert, und ich liebte ihn dafür... Aber jetzt konnte ich nicht anders, als an all dem zu zweifeln.
"Können wir dann ein Stück spazieren?" Jungkooks Stimme riss mich aus meinen Gedanken. "Ich kann aber nicht zu weit laufen... Die Wunde heilt nicht so gut." Seine Worte waren leise, fast zögerlich, als wir endlich einen Parkplatz gefunden hatten. Das Meer erstreckte sich vor uns, grau und aufgewühlt, passend zu meinem inneren Zustand. Es war kein Tag zum Schwimmen, doch ein Spaziergang am Strand schien genau das Richtige zu sein, um all das, was zwischen uns stand, endlich auszusprechen.
"Na klar. Alles in deinem Tempo, Baby." Ich versuchte, ihm ein aufmunterndes Lächeln zu schenken, als ich den Motor abstellte und aus dem Auto stieg. Die frische Meeresluft füllte sofort meine Lungen und ich atmete tief ein. Es war, als könnte ich hier endlich durchatmen, fernab von all den düsteren Gedanken, die mich in den letzten Stunden verfolgt hatten.
Jungkook reichte mir seine Hand, und ich nahm sie ohne zu zögern, verschränkte unsere Finger miteinander. Sein Griff war warm und vertraut, doch die Anspannung in ihm war deutlich zu spüren. Schweigend gingen wir den kurzen Weg bis zum Strand, wo wir unsere Schuhe auszogen und sie im Sand zurückließen. Der nasse Sand zwischen meinen Zehen fühlte sich seltsam an, fast unangenehm, doch ich verdrängte das Gefühl schnell. Hier am Meer, weit weg von allem, was uns bedrückte, schien die Zeit stillzustehen. Kein Mensch war zu sehen, und nur das Rauschen der Wellen und das Schreien der Möwen begleiteten uns.
"Es gibt einiges, was du wissen solltest..." Jungkooks Stimme durchbrach schließlich die Stille, leise und zögernd. "Ich wollte es dir von Anfang an sagen, aber... es wurde mir untersagt. Von meinem Bruder... Von dem ich übrigens ziemlich enttäuscht bin. Er hätte dir nicht wehtun dürfen. Und mir auch nicht." Seine Worte trafen mich tief, und ich spürte den Schmerz, der in ihnen mitschwang. Mein Blick wanderte zu den Wellen, die sanft über unsere Füße schwappten und sich dann wieder zurückzogen, als wollten sie die Last seiner Worte mit sich nehmen.
"Vielleicht sollte ich von ganz vorne anfangen..." Jungkook atmete tief durch, als würde er sich sammeln müssen, bevor er weitersprach. "Meine Kindheit war... schwer. Nordkorea ist im Vergleich zu Südkorea ein Albtraum. Meine Eltern arbeiteten täglich zwanzig Stunden, und trotzdem reichte das Geld kaum aus, um ein Kilo Tomaten zu kaufen. Mein Bruder und ich mussten schon mit fünf Jahren anfangen zu arbeiten, um uns wenigstens ab und zu eine richtige Mahlzeit leisten zu können. Ansonsten mussten wir stehlen oder Gemüse anbauen, wo es ging. Mein Vater zwang uns oft, über den Zaun des Nachbarn zu klettern und aus seinem Beet zu stehlen. Und wenn wir uns weigerten, bekamen wir Schläge... Er hatte einen Stock, den er mit einem alten Stück Leder umwickelt hatte, damit es besonders weh tat."
Jungkook sprach leise, seine Stimme eine Mischung aus Bitterkeit und Resignation. Ich hörte ihm zu, ohne ihn zu unterbrechen, während das Meer weiter rauschte und der Wind um uns herum pfiff. Es war, als ob die Natur selbst versuchte, uns in diesem Moment Trost zu spenden.
"Eines Tages hörten wir von einer Möglichkeit, über einen Fluss nach China zu flüchten... Also machten mein Bruder und ich uns mit acht Jahren auf den Weg. Bevor wir gingen, zündeten wir unser Haus an, um sicherzustellen, dass unsere Eltern uns nicht folgen konnten... Aber das weißt du ja schon. In China angekommen, gerieten wir jedoch in die falschen Kreise. Zwei kleine Jungs aus Nordkorea... Niemand wollte uns, zumindest nicht die Reichen. Stattdessen wurden wir von Tao adoptiert, einem chinesischen Dealer. Er nutzte uns, um Drogen zu schmuggeln, weil die Polizei niemals einen alleinerziehenden Vater verdächtigt hätte. Aber immerhin ließ er uns zur Schule gehen, auf eine koreanische Schule, damit wir später in Südkorea zurechtkommen würden."
Jungkook hielt inne, seine Stimme wurde brüchig, als er weitersprach. "In unserer Jugend brauchte Tao uns dann, um seine schmutzigen Geschäfte zu erledigen—Schmuggel, Erpressung, und irgendwann auch Mord. Mit vierzehn beging ich meinen ersten Mord... Es war ein hochverschuldeter Alkoholiker. Stolz war ich nie darauf. Es fühlte sich immer falsch an, zu töten. Doch Jeongguk... er sah das anders. Und weil er mein älterer Bruder war, tat ich, was er von mir verlangte."
Jungkooks Worte hingen in der Luft, schwer und bedrückend, wie eine Gewitterwolke, die jeden Moment zu platzen drohte. Ich konnte nichts sagen, nicht in diesem Moment. Alles, was ich tun konnte, war seine Hand noch fester zu halten, als wäre sie das letzte Stück Realität, an dem ich mich festklammern konnte, während sich der Abgrund vor mir auftat.
"Unsere Gruppe hat viele Geschäfte am Laufen... Das Übliche: Drogen, Waffen... und... wir schmuggeln Menschen aus Nordkorea.", begann Jungkook, seine Stimme war ruhig, aber es lag eine Schwere darin, die nicht zu überhören war. "Die wenigen, die für uns keinen Nutzen haben, helfen wir, ein normales Leben in Südkorea zu beginnen. Aber andere... andere verkauft mein Bruder. Ja, mit dem Menschenhandel habe ich nichts zu tun... sowas ist grausam. Aber für meinen Bruder ist es ein gutes Geschäft." Er hielt inne, als ob er sich sammelte, bevor er fortfuhr. "Was meinst du, welche ekelhaften Promis schon bei ihm Menschen, sogar Kinder, gekauft haben... Ich habe das nie befürwortet."
Sein Geständnis traf mich wie ein Schlag in die Magengrube. Ich konnte nicht anders, als meinen Blick auf den Boden zu richten. Die Vorstellung, dass unschuldige Menschen wie Ware behandelt wurden, schnürte mir die Kehle zu. Es war, als würde die Kälte des Sandes unter meinen Füßen direkt in mein Herz kriechen.
"Können wir was dagegen machen?" Meine Stimme war leise, kaum mehr als ein Flüstern, das gegen das Rauschen der Wellen ankämpfte.
Jungkook schwieg für einen Moment, seine Augen verloren sich in der Ferne, als ob er nach den richtigen Worten suchte. "Ja, das können wir... und das werden wir auch.", sagte er schließlich und seine Stimme war nun fester, entschlossener. "Ich habe die letzten Tage lange nachgedacht. Ich liebe meinen Bruder, aber... er hat mich hintergangen. Er hat mich fast umgebracht. Und das dulde ich nicht." Er hielt plötzlich inne, blieb stehen und zog mich dicht an sich heran. Seine Hände umfassten meine, und seine dunklen Augen fesselten meinen Blick. "Schatz, ich werde morgen zur Kripo gehen... Ich werde meinen Bruder verpfeifen. Ich will ein normales Leben führen. Mit dir zusammen."
Die Worte hingen in der Luft, schwer von Bedeutung. Ich suchte in seinem Gesicht nach einem Zeichen, nach einer Bestätigung, dass er es ernst meinte. Und doch, so mutig dieser Plan auch war, ich spürte, dass es nicht genug war.
"Baby..." Meine Stimme zitterte leicht, aber ich versuchte, meine Gedanken klar auszudrücken. "Ich mag deinen Gedankengang, wirklich. Aber... du musst alle verpfeifen, nicht nur deinen Bruder. Du musst alle Verträge vorlegen, die unterschrieben wurden. Wir werden zwar alle wegen Beihilfe dran sein, aber was soll's... Wir müssen für Gerechtigkeit sorgen, okay?" Meine Hände wanderten zu seinen Wangen, und ich spürte die Wärme seiner Haut unter meinen Fingerspitzen. "Ich weiß, das ist viel verlangt, aber... sei vernünftig, okay? Ich habe Angst, weißt du... Ich habe Angst, dich zu verlieren. Dass ich in die Hände von Dr. Choi gerate... Ich habe so große Angst... Ich möchte einfach, dass alles wieder gut wird."
Meine Stimme brach, und ich merkte, wie die Tränen in meinen Augen brannten. Jungkook musterte mich aufmerksam, seine Augen suchten in meinen nach einer Antwort, nach einem Weg, meinen Schmerz zu lindern. Langsam begann er zu nicken.
"Okay. Ich mache das, weil ich dich liebe... Ich liebe dich wirklich über alles, Taehyung."
"Ich liebe dich auch, Kookie. Mehr, als du dir vorstellen kannst. Und ich bin stolz auf dich... dass du all das Kriminelle hinter dir lassen willst, um mit mir zusammen zu sein. Ich könnte nicht glücklicher sein. Aber egal, was passiert... ich bleibe bei dir. Ich werde auf dich warten und dir den Halt geben, den du brauchst. Versprochen. Hoch und heilig."
Ein sanftes Lächeln zog sich über meine Lippen, während die Tränen meine Wangen hinunterliefen. Ich neigte meinen Kopf leicht zur Seite und presste meine Lippen auf seine. In diesem Moment, als unsere Lippen sich berührten, schien die Welt um uns herum stillzustehen. Alles, was zählte, war dieser Augenblick, in dem wir uns näher waren als je zuvor. Das Gespräch, so schwer es auch gewesen war, hatte uns einander näher gebracht. Ich wusste, dass es noch viele Fragen gab, aber jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt dafür.
Ich war einfach nur dankbar, dass Jungkook endlich ehrlich zu mir gewesen war.
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So cute~
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