39. Unter Soldaten

Am Frühstückstisch stocherten die beiden in einer Schüssel Haferbrei. Erst jetzt hatte Tristan Zeit, Kasimir alles in Ruhe zu erzählen: "Erstmal möchte ich mich bei dir bedanken, dass du damals mit mir in Ebenholz geblieben bist. Ohne dich und Valentin wäre die Evakuierung nicht möglich gewesen.
Allerdings; ich bin von zwei Ninjas angegriffen worden, als ich auf der Suche nach Elena war. Ich war kein zufälliges Ziel. Zwei Tage später haben wir uns nach Ebenholz reingeschmuggelt. Als sie uns entdeckt haben, sind wir geflohen. Aber einer von ihnen hat uns mit seinem Glurak verfolgt. Im Kampf ist Glurak samt Trainer abgestürzt. Er war ein kantonesischer Kommandant, ein gewisser Nathan Battes. Er hat zugegeben, die Ninjas auf mich angesetzt zu haben."
Damit kam der junge Mann noch nicht klar. Wenn Nathan Tristans Tod wollte, dann waren jetzt immer noch Attentäter auf seinen Fersen. So war nicht nur er in Gefahr, sondern auch Elena.
Kasimir war naiv wie zuversichtlich: "Was die alles geplant haben und was die vorhaben; es ist egal. Hier sind wir in Sicherheit. Hier findet uns niemand und wir können in Frieden leben."
Doch Tristan schüttelte den Kopf und entgegnete: "Nein... Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Kantonesen diese Stadt hier finden und genauso zerstören wie Ebenholz."
Sein Untergebener verzog das Gesicht: "Was hast du denn vor?"
Mit ernster Miene erhob sich der Leutnant: "Wir müssen zusehen, dass sich diese Einwohner im Ernstfall wehren können. Komm mit!"
Hektisch sprang Kasimir auf und zog sich Stiefel über: "Und wie willst du das bewerkstelligen?"
"Du hast dein Pokémon, richtig?", fragte Tristan.
"Ich hab ´n Machollo. Und wir haben die restlichen Ponita, die in Ebenholz zurückgelassen wurden, mitgenommen. Zehn Stück waren´s, wobei sich eins schon zu Gallopa entwickelt hat. Mit denen konnten wir noch zentnerweise Essen transportieren zum Glück. Sonst würd´s düster ausschauen."

Tristan verstand nicht, weshalb die Ponita damals zurückgelassen wurden. Sonst war jedes kampfuntaugliche Pokémon seinem Besitzer entrissen worden. Aber für den Moment musste sich der junge Mann konzentrieren: "Wo sind die Ponita jetzt?"
Kasimir zuckte mit den Schultern: "Wir haben ´nen Stall gebaut, wo wir sie reingestellt haben. Wir dachten, die mögen das lieber als im Pokéball zu sein."
Der schwarzhaarige Kerl nickte: "Gute Idee. Wer von hier hat sonst noch Pokémon?"
Da überlegte der junge Soldat angestrengt und zählte zusammen: "Also Doro hat ihr Karpador. Lorenz, der momentan sowas wie unser Bürgermeister ist, hat ´n Dratini an seiner Seite. Dieser Theo hat ´n Seeper und sein kleiner Bruder hat auch ´n Karpador hier im Teich gezähmt. Sonst? Ich glaube, Vulpix hab ich unterwegs mitlaufen sehen. Mauzi. ´N paar Voltilamm haben uns begleitet. Und beim Bau der Stadt waren viele Pinsir hier, die wir jetzt mitfüttern, ebenso wie Knofensa und sonst noch ein paar. Aber der Großteil hat denke ich keine Pokémon."

Tristan folgte aufmerksam den Worten seines Untergebenen und fragte dann: "Hast du ihnen die Möglichkeit mit den Aprikokos gezeigt, dass sie daraus Pokébälle bauen und so die Pokémon fangen können?"
Kasimir schüttelte den Kopf.
"Gut", meinte der Vorgesetzte: "Dann wissen wir, was wir jetzt zu tun haben. Wir zeigen allen Einwohnern, wie die Herstellung der Pokébälle mit den Aprikokos geht. Jeder sollte ein Pokémon haben und es trainieren. Und wie man trainiert, zeigen ihnen die erfahrenen Trainer."

Die Kraft der Pokémon war auf johtolesischer Seite zu lange unterschätzt worden. Deswegen wurde es zusehends schwieriger, den Krieg für sich zu entscheiden.
Tristan verstand die Sturheit von König Raul nicht, entgegen aller Argumente die schwächlichsten Pokémon im Krieg einzusetzen. Wie Cecilia erzählte, war ein Teil der Bürgermeister für das Training der Pokémon, wohingegen die anderen immer darauf plädierten, dass diese Ausbildung zu lange dauern würde. König Raul schloss sich der Mehrheit an und so blieb es bei einer kurzen Grundausbildung.
Nach dem Angriff auf Ebenholz war Raul immerhin zu dem Entschluss gelangt, endlich in jeder Stadt eine Trainingsstätte einzurichten. Leider wurde er kurz darauf gestürzt und die Idee des Königs wurde eher schlecht als recht in die Tat umgesetzt.

Jetzt, wo Tristan ganz offiziell desertiert war und sich nicht mehr bei General Hermann blicken lassen brauchte, wollte er es selbst besser machen. Mit der Hilfe von Pokémon wollte er diese Stadt zu einer uneinnehmbaren Festung machen.
Immerhin sind ihm diese Leute gefolgt, als sie ihre Heimat aufgeben mussten. Dieses Vertrauen wollte der junge Mann nicht enttäuschen.

"Wo wohnt der Bürgermeister?", fragte der Leutnant auf ihrem Weg durch die Stadt.
Kasimir zeigte ihm den Weg zu Lorenz Haus, in welchem er alleine mit seinem Dratini wohnte. Nachdem Tristan zaghaft an die Tür geklopft hat, hörte er Schritte und die Tür öffnete sich.
Ein unbegeisterter Lorenz mit seinen grauen Haaren, die in alle Richtungen standen, murmelte: "Hoffe, du hast ´nen guten Grund, mich schon so früh zu stören."
Der Leutnant nickte und meinte mit entschlossenem Blick: "Wir müssen die Verteidigung der Stadt besprechen."
"Und das morgens um acht? Du spinnst, Junge, komm wieder, wenn ich fertig gegessen hab", entgegnete Lorenz mit halboffenen Augen.
Aber Tristan ließ sich nicht abschütteln: "Wir haben ohnehin schon zu viel Zeit verloren und du bist sowas wie der Bürgermeister hier in Merbaum. Also muss ich mit dir reden."
Der Alte zuckte mit den Schultern: "Na dann komm rein, Kind. Ich hoff, du hast schon ´ne Idee. Ach ja und die Sache mit dem Bürgermeister; das bin ich auch nur, weil ich alt bin und 'n Pokémon hab. Ich will kein Bürgermeister sein, kapiert? Sollten wir vielleicht ´nen neuen wählen, was?"

Tristan betrat mit seinem Begleiter die Holzhütte. Ein Tisch und ein paar Stühle aus Holz standen in der Küche am Ofen. Eine Treppe führte nach oben zu den Schlafräumen.
Lorenz räumte seinen leeren Teller vom Tisch: "Naja, eigentlich wollt ich bloß meine Ruhe vor dir. Aber setzt euch, wenn ihr schon mal hier seid. Also, was schwebt dir vor, ehrenwerter Leutnant?"
"In der Gegend gibt es viele Aprikokobäume. Wir haben beim Militär gelernt, wie man sie zu Pokébällen umbaut. Wenn sich jeder Einwohner ein Pokémon fängt und es trainiert, kann der Stadt nichts mehr passieren."
Lorenz zuckte mit den Schultern: "Hm, mir ist das zwar ehrlich gesagt egal, was du vor hast. Aber was macht dich so sicher, dass diese Viecher dann auf die Leute hören? Ich hab jahrzehntelange Erfahrung mit Pokémon. Nur deshalb konnt ich Dratini zähmen. Aber die meisten hier sind Hausfrauen mit Kindern, deren Männer im Krieg gefallen sind. Die haben bestenfalls ein Pokémon als Haustier gehalten, aber nie mit ihm gekämpft."
Da drang Tristans Entschlossenheit durch: "Ich weiß, wie man Pokémon trainiert. Ich werde den Trainern zeigen, wie man das Wissen weitergibt und ihr in Merbaum unterrichtet die Einwohner weiter. Es ist zum Schutze eurer Stadt; denk dran, bevor du ablehnst!"
Lorenz blickte grimmig drein und nickte.
Tristan fuhr fort: "Ich würde dich bitten, dass du für den späten Nachmittag eine Versammlung einberufst, damit jeder hört, was wir vor haben. Und bei der Gelegenheit sollten sich die Leute auch Gedanken über einen Bürgermeister machen."
Der Alte antwortete gleichgültig: "Wie du willst, Kleiner. Dann sammel du mal schön Aprikokos und baue Pokébälle. Ach ja, noch was. Wo willst du überhaupt so viele Pokémon herbekommen?"
Kasimir warf ein: "Hier gibt's ´nen Fluss! Und ´nen Teich haben wir auch. Und wir sind vom Wald umzingelt, also wenn sich da nichts findet!"

Als Tristan mit seinem Begleiter wieder vor der Haustür war, konnte er kaum glauben, wie einfach es war, diesen Lorenz zu überzeugen. Offenkundig wurde er auch nur als Bürgermeister der Stadt angesehen, weil er der älteste Pokémontrainer war. Aber Interesse daran, diese Leute zu führen, hatte Lorenz keineswegs.
In den dunstigen Morgenstunden, in welchen noch ein Hauch von Nebel in der Luft lag, machte sich das Duo auf den Weg vor die Tore der Stadt. Dort fanden sie die Aprikokobäume, welche zu dieser Zeit zwar weder Blätter noch Aprikokos an den Ästen hängen hatten. Dafür waren alle Früchte am Boden verteilt zu finden.
Reichlich packten sie mit Machollos Hilfe alle Aprikokos ein, die sie fanden. Sie hatten nur das Ziel, für heute Nachmittag bei der Versammlung ausreichend gerüstet zu sein und genug Material dabei zu haben. Nachdem ihre Rucksäcke aus allen Nähten zu platzen drohten, machten sie sich auf den Weg zurück zu Kasimirs Hütte und bauten ein paar Aprikokos zu Pokébällen um.

Tristan legte seinen zuletzt angefertigten Pokéball ab und lehnte sich im Stuhl zurück: "Ich glaub, das reicht jetzt fürs Erste. Wir müssen ihnen nur zeigen können, wie es funktioniert, ein Pokémon damit zu fangen und wie man Aprikokos umbaut. Dann kann jeder für sich Eines fangen."
Kasimir nickte: "Ist gut, Leutnant. Ich hab jetzt eh langsam Hunger."
In der Zwischenzeit war es Mittag geworden und Tristan verabschiedete sich: "Ich danke dir. Du und Valentin; ihr seid die besten Soldaten, die mir je untergekommen sind. Ich besuche jetzt mal Elena, um ihr zu erzählen, was wir vor haben. Wir sehen uns später."

Seine schlammverschmierten Stiefel legte Tristan vor der Haustüre ab und betrat dann das Bolca-Haus. Lorenz hatte sein Wort gehalten und jeder war über die Versammlung informiert worden. Selbst die Bolcas wussten schon Bescheid, obwohl deren Haus eher außerhalb des Zentrums lag.
Elena hatte den jungen Mann bereits erwartet. Sie fragte nicht nach, ob Tristan was mit der einberufenen Versammlung zu tun hatte. Sie wusste es.
Stattdessen war es Heidi, die den jungen Mann mit Fragen durchlöcherte: "Hallo Tristan, setz dich doch zu uns. Die Versammlung heute ist auf deinem Mist gewachsen, oder? Lorenz würde das von sich aus nie tun. Was gibt´s denn Wichtiges, was du uns zu sagen hast?"
Da warf Theo am Kamin liegend ein: "Na wichtig machen muss er sich, was denn sonst?"
Für seinen Kommentar erntete er böse Blicke von seiner Mutter und von Elena.
Tristan hingegen ließ sich nicht beirren: "Es ist wichtig, ja. Im Gegensatz zu dir haben die meisten in der Stadt kein Pokémon und es ist an der Zeit, das zu ändern. Und das wird heute beredet."
Der blonde Junge keifte: "Dann soll jeder ein Pokémon haben? Was soll das werden? Eine Ausbildungsoffensive fürs Militär, das uns dann unsere neuen Pokémon auch noch wegnimmt?"
Elena widersprach: "Vergisst du Idiot gerade, dass er desertiert ist und das Militär wohl kaum gut auf ihn zu sprechen ist?"
Theo lachte hysterisch: "Und was ist, wenn das nur ein Befehl war, alles so zu machen, wie er es gemacht hat? Wenn er dich vermeintlich retten und die Altebenholzer aufspüren sollte, um uns genauso abzuschlachten, wie die, die zurückgeblieben sind? Es ist ja schon interessant, dass unser lieber Leutnant schon weit vor dem kantonesischen Angriff Bescheid gewusst hat."
Da vergrub Tristan seine Augen hinter seiner Hand und schüttelte leicht den Kopf.
Selbst der immer fröhlichen Heidi wurde es zu bunt: "Was soll das denn bringen? Wieso sollte er auf Befehl mit zwei seiner Soldaten zurück bleiben und uns vor einem kantonesischen Angriff retten, nur um uns dann doch wieder ans Militär auszuliefern? Das musst du mir jetzt nochmal genauer erklären, mein Sohn."
Theo kam ins Stottern: "Ja was weiß denn ich, was da für kranke Köpfe an der Macht sind. Zumindest hat er es ja wohl vorher gewusst, dass wir angegriffen werden..."

Da erhob der junge Mann ein letztes Mal seine Stimme: "Der Befehl von Hermann lautete darauf, dass das gesamte Militär sofort aus Ebenholz abgezogen wird. Ich habe den Befehl verweigert. Erst, als Jonas zu mir kam und mitteilte, dass die größte kantonesische Armee vor den Toren von Ebenholz steht, habe ich entschieden, die Stadt zu evakuieren. Daher wusste ich vor dem Angriff Bescheid.
Und wenn ich jetzt noch ein Wort davon höre, dass ich in irgendeine Verschwörung verstrickt bin, dann frag doch bei Jonas oder dem General nach. Der ist sicherlich erfreut, dass du noch lebst. Denn soweit ich weiß, bist du seit geraumer Zeit 16 und hättest längst eingezogen werden müssen."
Da herrschte Schweigen im Esszimmer, aber nur für den ersten Moment. Es stimmte; Theo hätte vor gut einem halben Jahr seine Wehrpflicht antreten müssen, aber stattdessen saß er hier. Es kam nie ein Schreiben vom Miliätr.
Heidi brach das Schweigen: "Stimmt schon. Wer war denn für deine Einziehung zuständig? Der muss es wohl versäumt haben?"
Ludwig schielte auf den jungen Leutnant: "Tja mein Sohn. Ich glaube, ich weiß, wem du das zu verdanken hast."
Alle Augen richteten sich auf Tristan, der dazu nichts mehr zu sagen hatte. Er erhob sich vom Tisch und verschwand zur Tür hinaus.

Elena kniff die Augen zusammen und keifte ihren Kumpel an: "Du bist einfach ein Idiot."
Sie ließ alle Anwesenden zurück und folgte dem jungen Mann nach draußen. In Erwartung der Kälte wickelte sie sich in ihren weißen Pelzumhang ein.
Das Mädchen rutschte ihm auf dem schlammigen Weg hinterher: "Tristan!" 
Der Kerl drehte sich überrascht um und wartete auf sie.
"Bist wirklich du dafür verantwortlich, dass Theo nicht eingezogen wurde?", fragte Elena, als sie auf Tristans Höhe aufschloss.
Der Leutnant blickte zu Boden und erinnerte sich: "Ja... Damals wollte ich dir deinen Kumpel nicht nehmen. Aber nicht nur er ist davon gekommen, es gab noch ein paar weitere Jungen in Ebenholz in seinem Alter. Aber ich hab keine Ahnung, ob sie nicht doch in Ebenholz geblieben und längst tot sind."
"Wegen mir?"
Der schwarzhaarige Kerl nickte: "Ich konnte dir das nicht antun, dass du auch noch deinen Freund verlierst."
Die Jugendliche ballte die Fäuste: "Wie oft denn noch? Er ist nur mein Kumpel!"
"Mein ich ja", zuckte er mit den Schultern.
Elena seufzte tief: "Du rettest den Deppen und dann scheißt er dich dauernd blöd an. Tut mir echt leid."
"Kannst ja du nichts dafür", entgegnete er mit einem gelassenen Lächeln.

Gemeinsam verbrachten sie den Winternachmittag mit ihren Pokémon. Rauch lag in der Luft. Den ganzen Tag kam keine Sonne hinter den Wolken hervor. Stattdessen fiel Schnee.
Arkani und Dragonir hatten gemeinsam Spaß, so als würden sich beide freuen, nach so langer Zeit immer noch am Leben zu sein. Sie jagten den Schneeflocken hinterher. Ihrem Verhalten nach waren sie Jungtiere und keine entwickelten Pokémon.

Die Sonne ging früh unter und ein einfacher erholsamer Tag war zu Ende. Ehe sich Tristan versah fand die Versammlung statt. Ein Erwachsener pro Haus war gekommen.
Lorenz hatte die Teilnehmerzahl gedrosselt, da er befand, dass er keine sechshundert Leute ins Rathaus bekommen würde. Stattdessen waren knappe fünfzig Einwohner anwesend, welche der Alte besser unterbringen konnte.
Tristan, der schon seit längerer Zeit nicht mehr vor einer größeren Menschenmenge gesprochen hatte, erklärte den Einwohnern die genauen Beweggründe für die Haltung von Pokémon. Er beschwichtige zugleich die Zweifler, die Angst vor dem Training hatten, indem er ihnen die Hilfe von erfahrenen Trainern zusicherte.
Gemeinsam mit Kasimir führte der schwarzhaarige Kerl vor, wie Aprikokos zu Pokébällen umgebaut und Pokémon eingefangen werden konnten. Dazu nutzte er Lorenz Dratini als Beispiel. Tristan bat ihn, den Ball auf das Dratini zu werfen, welches bislang freiwillig bei Lorenz war.
Der schwarzhaarige Kerl konnte Dratini in der Hinsicht absolut nicht verstehen, aber irgendetwas musste das Pokémon an dem Alten gefunden haben, was es zum Bleiben veranlasste.
Lorenz, voller Elan wie eh und je, warf die umgebaute Aprikoko auf sein Pokémon. Es verschwand zugleich im Ball.
Noch bevor sich Lorenz über das Verschwinden seines Dratinis beklagen konnte, hob Tristan die Kugel vom Boden auf, drückte sie Lorenz in die Hand und sagte: "Wenn es raus soll, musst du nur auf den Punkt drücken oder den Ball werfen."
Der Alte drückte auf die runde Fläche und Dratini tauchte gesund und munter wieder auf.
"Wenn ihr ein Pokémon so an euch bindet, gehorcht es nur euch. Beim johtolesischen Militär wurde es lange erprobt und seitdem so gehandhabt. Für den Privatgebrauch ist es noch nicht freigegeben, aber ich kann versichern, dass es funktioniert. Also nehmt euch die Aprikokos, macht daraus Pokébälle und geht auf die Jagd."
Für die 20 Minuten, die er für seinen Vortrag gebraucht hatte, war Tristan die Aufmerksamkeit seiner Zuhörer sicher.

Lorenz, welcher immer noch vorne neben dem jungen Leutnant stand, erhob die Stimme: "Also jetzt noch für alle. Es ist ja echt nett von euch, dass ihr mich irgendwie als euren Anführer auserkoren habt. Aber nachdem Merbaum jetzt eine große Stadt ist, wäre es Zeit für einen echten Bürgermeister. Zur Info: ich will es nicht sein. Jetzt macht sich ein jeder Gedanken und morgen wählen wir dann den Neuen."
Es herrschte Getuschel und die Leute schienen direkt zu überlegen, wen sie wählen wollten. Dann verließen alle den großen Gemeinschaftsaal und auf dem Weg nach draußen nahm noch jeder eine Aprikoko mit.
Als der Saal leer und die Aprikokos weg waren, wandte sich Tristan zu Lorenz: "Danke für deine Hilfe. Auch wenn du es nicht sein willst, aber es ist kein Wunder, dass die Leute dich respektieren."
Der Alte zuckte mit den Schultern: "Ach ist das so? Brauchst nicht zu schleimen, Kleiner. Meinen Segen mit Elena hast du, wenn du das willst."
Der junge Leutnant fragte sich, was das nur wieder für eine Aussage sein sollte. So jemanden, der nicht mal ein einfaches Danke annehmen konnte, hatte Tristan noch nie kennengelernt.
Dann räusperte sich Lorenz: "Du, Avila. Da gibt´s ´ne Sache, um die ich dich bitten will. Wenn du abreist, kannst du mich mitnehmen? Ich muss nach Teak."
"Selbstverständlich. Ich denke, in drei, vier Tagen werde ich aufbrechen", entgegnete der junge Mann.
Mit einem Nicken wandte sich Lorenz ab, was seine Art war, sich zu bedanken.

Zu Hause angekommen setzte sich Tristan mit hängendem Kopf zu Kasimir an den Esszimmertisch.
"Was ist denn mit dir los?", fragte der untergebene Soldat mit verzogener Augenbraue.
"Nichts. Es ist nichts. Glaube ich", winkte der junge Leutnant ab. Wieder seufzte er.
"Ist es das Mädchen?"
Tristan errötete und  stritt ab: "Was? Nein!? Ist sie nicht!"
Ein dämliches Grinsen breitete sich über Kasimirs Gesicht aus: "Es ist das Mädchen. Die Deserteurin. Bist du in sie verliebt?"
Der junge Mann vergrub sein Gesicht in seinen Händen: "Wie kann es sein, dass jeder immer gleich behauptet, dass ich Elena mag?" Er kaute auf seinen Lippen und gestand: "Ja. Ja, verdammt, du und dein Kamerad habt Recht, ich gebe es zu. Ich mag sie."
"Also wenn du willst, dann helfe ich dir damit."
Kasimir, 17, Frauenexperte.
Tristan, 21, Kasimirs Vorgesetzter; wird sich von ihm helfen lassen.

Der schwarzhaarige Kerl runzelte die Stirn: "Wie soll die Hilfe denn aussehen?"
Künstlich erbost entgegnete Kasimir: "Na hör mal! Ich hab hier meine Freundin. Aber bitte, wenn du mich nicht ernst nimmst, dann regle das alleine mit deiner Deserteurin. Hast es immerhin die letzten zwei Monate schon nicht geschafft..."
Der junge Mann sah sich genötigt, sich zu erklären: "Die letzten Monate hat sie aus reinem Zwang mit mir verbracht!" Wieder zögerte Tristan, weiterzusprechen: "Außerdem... bin ich sowieso bald wieder weg von hier. Das lohnt sich gar nicht mehr, ihr den Hof zu machen."

Als er während ihrer Einkerkerung zum ersten Mal von ihr getrennt war, fühlte er ein schmerzliches Vermissen. Eigentlich dachte Tristan, er wollte nur zu Elena zurückkehren, um sie sicher nach Hause bringen und sein Versprechen einlösen zu können.
Doch nachdem jetzt der endgültige Abschied von seinem Mädchen bevorstand, musste er sich eingestehen, dass sowohl sein Vater als auch Valentin immer Recht hatten; Tristan hatte sich in die Deserteurin verliebt. Im Nachhinein konnte er nicht mehr feststellen, wann es passiert war. Aber was spielte das für eine Rolle? Die Tatsache war; er wollte sie.

"Ist ja gut", wehrte sich Kasimir: "Dann reis ab und sie wird nie von deinen Gefühlen erfahren. Wenn du damit besser leben kannst, bitte."
- Konnte Tristan nicht. Er musste es wenigstens versucht haben. Wieder seufzte er tief: "Und was muss ich machen, damit sie mich auch mag?"
Der Untergebene legte eine Hand auf Tristans Schulter: "Das ist ganz einfach."

Zur Abenddämmerung klopfte Tristan ans Bolca-Haus. Seine Hände hielt er hinter seinem Rücken versteckt. Seine Haare hatte er zur Seite gekämmt.
Heidi streckte ihren Kopf aus der Haustüre. Sie benötigte einen Moment, bis sie Tristan erkannte: "Oh! Hallo Tristan. Du siehst ganz anders aus!"
Er räusperte sich: "Ja, ist gut. Ist Elena da?"
Breit grinsend wandte sich Heidi Richtung Esszimmer und rief: "Elena, Besuch für dich."
Nach kurzem Gerumpel stand seine Angebetete vor ihm.
"Hallo", keuchte der schwarzhaarige Kerl aus.
"Hey Tristan", lächelte sie, rümpfte dann die Nase und deutete auf seinen Kopf: "Was ist denn..."
Sofort unterbrach der junge Mann: "Ich wollte dich fragen, ob du mit mir Essen willst. Der Wirt des Goldenen Karpadors betreibt hier wohl noch eine kleine Taverne."
Sie sagte zu: "Ähm, ja okay."
Unmittelbar zog sie sich ihre Stiefel an und warf sich ihren Vulnona-Umhang über.
"Ich bin mit Tristan weg", rief sie zu Heidi in die Küche und schloss hinter sich die Haustüre.

Er bot ihr seinen Arm, an welchem sich das Mädchen einhakte.
Die Jugendliche schmunzelte und verdrehte die Augen: "Also eigentlich wollt ich dich fragen, was mit deinen Haaren passiert ist."
"Ach, das? Naja, mal was anderes machen und so...", stammelte der junge Mann eine Ausrede.
In der anderen Hand hielt Tristan eine Blume, welche er hervor holte und Elena unter die Nase hielt: "Für dich."
Mit leuchtenden Augen und einem Lächeln im Gesicht griff sie nach der Blume.
"Danke. Sie ist schön. Winterlilie, Grabblume", erklärte das Mädchen.
"Verdammter Kasimir...", rutschte es Tristan heraus.
Auf einen fragenden Blick seiner Begleiterin erklärte der junge Mann: "Er hat gesagt, dass man nie ohne Blume bei einem Mädchen auftauchen sollte. Aber hast du eine Vorstellung davon, wie schwer es ist, mitten in einer Winternacht eine blühende Blume aufzutreiben?"

Elena schüttelte leicht ihren Kopf und beteuerte: "Sie ist wunderschön, Stani. Keine Bange. Mir macht es nichts aus, dass sie als Grabblumen gelten. Es ist schön, dass du mir überhaupt was schenkst. Wie komm ich denn zu der Ehre?"
"Ich, ähm", begann Tristan. Er musste noch überlegen: "Wir waren so lange zusammen unterwegs. Und irgendwie hab ich Angst, dass du mich vergisst. Jetzt, wo du wieder zu Hause bist und ich bald abreise."
"Als könnte ich dich vergessen...", murmelte sie zaghaft, feixte dann aber mit fester Stimme: "Der Leutnant, der den Haftbefehl gegen mich in ganz Ebenholz verkündet hat."
Ihr Begleiter verdrehte die Augen: "Ja, es war nicht immer so rosig zwischen uns."
Sie winkte ab: "Das passt schon. Du bist ja recht schnell zur Vernunft gekommen."
Vernunft. Wie konnte Elena von Vernunft sprechen? Sie raubte Tristan den Verstand.
Aber er tat besonnen: "Ja das bin ich. Vernünftig."

Heute wars wieder etwas länger. Tristan will nicht ohne Vorkehrungen aus der Stadt abreisen, deswegen hab ich dazu mal ein bisschen was geschrieben.

Jetzt haben wirs aber; er mag Elena auch.
Eigentlich wollte ich da keine Liebesgeschichte draus machen, aber irgendwie passen sie halt doch ganz gut zusammen, denke ich (komische Charaktere und ihr Eigenleben...).
Naja, ob sie es schaffen, in der kurzen Zeit noch zusammenzukommen? Und wie soll es dann weitergehen? Puh.

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