34. Die Suche nach der Erinnerung

Nach einer mehrtägigen Überfahrt auf dem Meer, welches zur Abwechslung sehr ruhig geblieben war, landeten Cecilia, Julius und Bernd in Oliviana.
Der Kapitän zurrte sein kleines Segelboot im Hafen fest und lachte: "Immer wieder bin ich verwundert, wenn ich es lebend an Land schaffe."
Mit entgleistem Gesichtsausdruck sahen sich Cecilia und Julius gegenseitig an. Er machte den beiden wirklich Hoffnung.

"Hay, also ich kann euch den Weg zur Bibliothek direkt zeigen", meinte der Braungebrannte mit einem breiten Grinsen und fügte an: "Oder Ihr schlaft euch erstmal bei mir daheim aus, immerhin geht die Sonne gleich unter."
Obwohl Cecilia in den Tagen auf dem Boot nichts leisten musste, so war sie doch geschafft. Dankend nahmen die beiden Bernds Angebot an und folgten ihm in seinen halben Palast. Silvia kam dem Trio sogleich entgegen und begrüßte sie.

Erst am nächsten Morgen ging es für Cecilia und Julius in den Norden der Stadt zur Bibliothek.
Bernd geleitete sie dorthin, verabschiedete sich aber umgehend mit den Worten: "Hier sind wir. Die Sache mit den Büchern überlasse ich euch beiden. Ich muss mich um meine Kapitänsgeschäfte kümmern. Bis später."
Hektisch verschwand der Braungebräunte in den Gassen der Stadt. Schulterzuckend blickten sich Cecilia und Julius an und machten sich an die Arbeit.
Die Bibliothek selbst war nicht ganz so groß wie das Verwaltungsgebäude, aber dennoch riesig. Sie war in fünf Etagen unterteilt und die Regale gingen bis unter die Decke, vollgestopft mit Büchern in Ledereinbänden.
Am Eingangsthresen saß ein alter Mann mit Brille und einem Buch in der Hand. Da sich die beiden Besucher nur ratlos ansahen, räusperte sich Julius. Sofort fuhr der Kopf der Brillenschlange hoch.
Er warf einen kritischen Blick auf die beiden und legte seinen Zeigefinger auf den Mund: "Psst!"
Cecilia atmete laut aus, als müsste sie sich aufregen.
Julius hingegen ließ sich nicht abhalten und bat den Alten um Hilfe: "Wir kennen uns hier drin nicht aus. Könnt Ihr uns sagen, wo wir Bücher über Mythen und Legenden finden?"
Mit einem Augenrollen antwortete der Mann, als wäre die gestellte Frage keine Frage wert: "Vierter Stock, Reihe 15, Regale E bis P."

Um dem leidenschaftlichen Leser nicht noch mehr auf die Nerven zu gehen, verneigte sich Julius nur schweigend, auch wenn der Alte ihn keines Blickes mehr würdigte. Beinahe auf Zehenspitzen begaben sich die zwei zur Treppe in der Mitte des Raums.
"E bis P, Zwölf Buchstaben zum Durchforsten. Hoffentlich finden wir schnell was", seufzte die schwarzhaarige Lady.
Ihr Begleiter war noch voller Zuversicht: "Ich bin sicher, wir kennen schnell die Ursache für deinen Gedächtnisverlust."

Als die beiden vor Reihe 15 standen und die Länge sahen, über welche sich ein einzelner Buchstabe erstreckte, war Julius nicht mehr so zuversichtlich.
Cecilia war nur noch zum Schreien zumute: "Schnell, was? Wie sollen wir hier je was finden?"
"Mit Geduld und Willenskraft", entgegnete der dunkelblonde Kerl. Beschwingten Schrittes ging er zum Buchstaben E und las die Buchtitel vor: "-Die Entstehung Johtos-, -Die Geburt des Phönix-, -Der Ring der Drei-, -Die Feuerweisen-, -Architektur des Bronzeturms-, -Architektur des Zinnturms-, -Götterlegenden-, -Der Wächter der Elemente-, ..."

"Ehrlich gesagt hört sich nichts davon nach einem silbernen Drachen an", zweifelte die junge Lady: "Vielleicht würde es helfen, wenn wir mit Büchern über Anemonia und Oliviana beginnen?"
"Wenn ich wüsste, wo was zu diesen Städten steht", murmelte Julius und fasste sich ans Kinn.
Er warf einen entschlossenen Blick in die Bücherregale und glich die Titel ab: "Wie wäre es, wenn wir die Bücher ausschließen, die vermutlich nichts mit den Strudelinseln zu tun haben? Also zum Beispiel die Architekturbücher über den Zinn- und Bronzeturm. Und dann gehen wir systematisch vor und lesen die Titel zuerst, die am vielversprechensten klingen?"
Was blieb Cecilia schon anderes übrig? Sie nickte und durchkämmte die Reihe.

Sie startete mit dem Buch "Götterlegenden". In gewisser Art und Weise war der Silberdrache vielleicht ein Gott und fand in dem Buch Erwähnung. Ein Problem hatte die junge Lady; sie war unwahrscheinlich neugierig und wissbegierig. Einmal ein Buch aufgeschlagen und zu lesen begonnen, so wollte sie es auch zu Ende lesen.
Dies kostete natürlich viel Zeit. Wo Julius drei Bücher überprüft hatte, so war Cecilia immer noch im ersten gefangen.
Götterlegenden; darin fanden Pokémon Erwähnung, von denen sie noch nie im Leben gehört hatte. Pokémon wie Arceus, Palkia und Dialga waren genannt; Götter aus einem anderen weit entfernten Land.
Aber weshalb stand in dem Buch nichts zu den ihr bekannten Gottheiten? Ho-Oh, Celebi und Lugia? Oder dem silbernen Drachen?

So durchforsteten die beiden ehemaligen Bürgermeister Buch um Buch und wurden nicht fündig.
Einmal stieß Cecilia einen heftigen Schrei aus, sodass die Flamme der Kerze flackerte: "Ah, das hilft doch alles NICHTS! Barbara hat mich verarscht!"
Sie rammte ihren Schädel zwischen ihre beiden Hände und rollte ihren Kopf auf dem Tisch: "Es gibt keinen silbernen Drachen. Und zu den versifften Strudelinseln steht auch nirgends was. So bekomm ich mein Gedächtnis ganz sicher nicht zurück."

Ihr Schrei blieb nicht unerhört. Plötzlich stand die Brillenschlange vor den beiden und ermahnte zur Ruhe.
Cecilia hatte aber keine Lust mehr, ruhig zu sein. Sie erhob sich vom Tisch und stampfte auf den Boden: "Jetzt hör mal gut zu, du kleiner Wicht. Wir sitzen hier seit über einer Woche. Und in keinem Buch der Welt steht irgendwas zu dem Silberdrachen, der in den Strudelinseln wohnt!"

Fragend blickte der kleine krüppelige Mann auf sie. Durch seine Brillengläser wirkten seine Augen noch glubschiger als ohnehin schon.
"Weil Ihr nicht wisst, wonach Ihr suchen müsst, ihr Armleuchter", gab er besserwisserisch von sich.
Erstarrt blieb die junge Lady stehen und fragte erstaunt: "Was?"
"Aber meine Hilfe ist hier nicht willkommen, ich seh schon."
Er wandte sich mit seinem Kerzenleuchter ab und ging zur Treppe.
Cecilia rannte hinterher und hielt ihn auf: "Stopp, nein! Wonach müssen wir suchen?"
"Nicht nach Silberdrache in den Strudelinseln, junges Fräulein", grinste er hämisch. Dann trat er an den Tisch heran und deutete auf den Titel: "Und sicher nicht in -Die Schöpfungsgeschichte Hoenns-."
"Jetzt sagt schon; was müssen wir suchen?", flehte sie.
Der Wicht ging in die Reihe 15 zum Buchstaben Q und griff ein Buch: "Hier, das ist ein passendes."
Genervt gab Cecilia von sich: "Das ist beim Buchstaben Q!"
"Mhm", bestätigte der alte Zwerg: "Das steht unter Q. Das war das einzige Buch, das bis P keinen Platz mehr hatte."
Sie knurrte auf: "Ich erwürge dich du Gnom..."

Julius schritt ein und ergriff das Buch: "-Der Wächter des Meeres-. Wenn es richtig gestanden wäre, hätten wir es wohl gleich als erstes gelesen."
Der Alte zuckte mit den Schultern: "Wie mir scheint, wisst Ihr noch nicht einmal, was landläufig unter dem "Silberdrachen" verstanden wird. Allgemein wisst ihr relativ wenig."
"Hör zu, ich hab mein Gedächtnis verloren und er hier ist kein Olivianer oder Anemosse. Kurzum; nein, wir haben keine Ahnung, was unter dem Silberdrachen zu verstehen ist."

"Na Lugia. Ganz einfach. Aber ich fühle mich in Eurer Gegenwart recht unwohl, junge Dame. Daher lest lieber selbst."
Der alte Wicht verschwand die Treppe hinunter. Da Cecilia endlich Anhaltspunkte hatte, in welchen Büchern sie lesen musste, wollte sie von ihm keine weiteren Informationen.
Ganz zum Schluss widmeten sich die beiden auch den Titeln, die sie einst ausgeschlossen hatten.
"Woher sollen wir auch wissen, dass sich Lugia hinter diesem Silberdrachen verbirgt?", fragte die schwarzhaarige Lady.
Julius stellte einen Stuhl neben Cecilias und legte das Buch vor sich auf den Tisch: "Offenbar wissen die Leute hier eben schon darüber Bescheid. Komm setz dich. Lesen wir es durch."

"Oh Wächter des Meeres,
oh Lugia,
ein Schlag seiner gewaltigen Schwingen,
kann Unheil und Zerstörung über uns bringen.
Obdachlos würde der Mensch sein,
nichts würde je noch gedeihen.
Ganze Städte ausgemerzt,
doch war sein Handeln stets beherzt.
Ist es zum Schutz der Menschen in die Tiefen des Meeres hinab,
wo es niemandem mehr Schaden angerichtet hat.
Doch taucht es auf und dreht seine Runden,
sind Menschen und Boote oft schon verschwunden.
Bemerkt es in Seenot geratene Leute,
Eilt es heran zur Rettung und erfreute.

"Lugia hat am 18ten den Sturm verursacht, Rizeros und ich sind in Not geraten, und es hat mich dafür nach Anemonia an Land gebracht", fasste Cecilia ihre Erkenntnis zusammen und fragte dann: "Aber wenn ich erst am 29ten nach Anemonia gekommen bin, was hab ich in der Zwischenzeit gemacht?"
Julius zuckte mit den Schultern. Er blätterte im Buch weiter, aber er fand keine passende Stelle mehr. Er glich den Titel des aktuellen Buches mit den Titel aller anderer Bücher ab. Dabei entdeckte er eine Gleichheit im Titel und griff jenes andere Buch.
Der dunkelblonde Kerl legte es vor Cecilia auf den Tisch, welche den Titel vorlas: "Der Wächter der Elemente."
Skeptisch blickte sie zu ihm hoch, als wollte sie fragen, was er sich davon erhoffte.
"Wenn Lugia Wächter des Meeres ist, vielleicht ist es ja auch Wächter der Elemente", erklärte Julius seine Schlussfolgerung.
Die junge Lady seufzte und nickte zugleich. Irgendwie klang es logisch, was ihr Helfer dachte.

„Bewahret die Harmonie zwischen Feuer, Blitz und Eis,
sollen diese Titanen nicht zerstören die Welt,
in der zur Schlacht man sie treibt.
Erhebet sich auch der große Wächter des Wassers,
der manch Kampf zu beenden weiß,
so wird auch sein Lied allein scheitern
und nur Asche ist was bleibt.
Alle drei, Oh Auserwählter, in deine Obhut sollst nehmen,
denn ihre Schätze zusammen,
werden die Bestie des Meeres zähmen.“

Cecilia blieb nichts anderes übrig, als mit ihrer Stirn über die Tischplatte zu rollen.
"Was soll das denn schon wieder heißen?", murmelte sie in ihre schwarzen Haare.
Julius lächelte sanftmütig auf seine Angebetete, schlug dann die Seite um und erzählte: "Das Buch stammt wohl von der Insel Shamouti, ein Teil der Orange-Inseln in Kanto. Vielleicht geht uns das nichts an."
"Selbst wenn es uns was angeht; ich versteh sowieso kein Wort, was da steht. Johtolesische Bücher lassen sich wenigstens halbwegs lesen!", beschwerte sich die Lady und fuhr fort: "Wenn das so weitergeht, dann finden wir nie raus, was ich in den elf Tagen gemacht habe."
Ihr Begleiter strich ihr über den Rücken und fand andere aufbauende Worte: "Jetzt, wo wir wissen, dass mit Silberdrache Lugia gemeint ist, gehe ich die anderen Bücher noch einmal ganz genau durch. Wenn du eine Pause brauchst oder essen willst, dann geh ruhig. Ich mache hier weiter."
Cecilia richtete sich auf und stützte ihren Kopf auf die Hand: "Ach nein Quatsch. Ich kann dich hier den Scheiß nicht allein lesen lassen."
"Johtos mystische Pokémon", las Julius vor.
Er übersprang diverse Kapitel und ging direkt zu den Sagen um Lugia über:

"... Als seine Heimat betrachtet es die Strudelinseln. In Sagen vergangener Zeit wurde überliefert, dass es Menschen, die durch seine Stürme in Seenot geraten sind, gerne gerettet und sicher an Land gebracht hat."

"Das kenn ich, das war vorhin gerade als Gedicht verpackt", warf Cecilia ein.
Mit einem erfreuten Lächeln entgegnete der junge Kerl: "Bloß das Gedicht war danach vorbei. Hier geht es noch weiter."
Gespannt sah sie auf Julius und beugte sich über seinen Arm, um die Schrift zu erspähen. Er las weiter vor:

"Nur einmal alle 50 Jahre wurde ein Mensch nicht an Land zurückgebracht. Ein Strudel, ausgelöst durch Lugias Schwingen, zog denjenigen unter Wasser. In Lugias Heimat war demjenigen ein Weg voller Prüfungen beschert. Nur jene, die reiner Seele sind, haben es geschafft, diesen Weg zu meistern und bis zu Lugias Wasserfall vorzudringen."

Julius setzte das Buch einen Moment lang ab und blickte auf seine Angebetete: "Du warst bei Lugia zu Hause? Und hast es am Wasserfall gefunden?"
Der Blick der schwarzhaarigen Lady war auf das Buch gebannt. Auf seine Frage zuckte sie mit den Schultern und verlangte, dass er sofort weiterlas.

"Lugia brachte denjenigen, der seine Prüfung überstanden hatte, sicher an Land. Doch war den Leuten, die auf diesem Wege wieder nach Hause gekommen waren, oftmals etwas gemeinsam; jeder von ihnen litt unter Amnesie. Die Gelehrten Lugias stellten die Vermutung an, dass es den Geretteten ihre Erinnerung an die Zeit in der Strudelinsel raubte, um zu vermeiden, dass es erneut aufgesucht wird."

"Das ist interessant", murmelte Cecilia und kaute auf ihrer Halskette: "Das ist wirklich interessant."
Dann löste sie ihren Blick vom Papier und fragte: "Aber warum betreibt es denn all den Aufwand? Warum lässt es mich erst in die Strudelinsel rein, wenn ich danach nie wieder zu ihm finden soll?"
Julius deutete auf die Seite: "Es geht noch weiter. Vielleicht wird deine Frage ja beantwortet."

"Der an Gedächtnisverlust Leidende musste Lugias Schwinge finden. Mit dieser, auch genannt Silberflügel, verfügte er über die Macht, Lugia zu sich zu rufen und um Hilfe zu bitten. In manchen Fällen kehrte mit Berührung der Feder die Erinnerung zurück, in anderen Fällen war das Erscheinen Lugias notwendig. Jene, denen beider Glück nicht zu Teil wurde, irrten mit ihren Erinnerungen im Tal der Dunkelheit."

Die schwarzhaarige Lady fuhr sich über die Stirn und kratzte sich den Kopf: "Ähm. Ich brauch den Silberflügel? Eine Feder von Lugia?"
"Sieht ganz danach aus. Oder Lugia erscheint persönlich vor dir. Sonst irrst du mit deinen Erinnerungen im Tal der Dunkelheit", fasste Julius zusammen.
Wieder legte sie sich quer über den Tisch und fragte resigniert: "Und wie kann ich Lugia rufen?"
Ihr Helfer schlug das Buch zu, ging zum Regal und holte das nächste Buch.
"Architektur des Bronzeturms", sagte er: "Da es Lugias Turm ist und es bis vor 40 Jahren dort gewohnt hat, steht vielleicht auch drin, wie man es rufen kann."

"Hell ertönt die Gischtglocke, wenn Lugia erscheint", las der dunkelblonde Kerl vor.
Die Lady beugte sich über das Buch: "Da muss doch noch mehr stehen!"
Panisch fuhr sie mit ihrem Finger auf dem Papier entlang und suchte nach weiteren Hinweisen. Nichts.
"Ich fürchte, mehr Infos bekommen wir nicht, Ceci", bedauerte Julius: "Aber zumindest wissen wir, dass wir den Silberflügel brauchen und auf die Spitze des Bronzeturms müssen."
Voller Zweifel vergrub sie ihr Gesicht in ihren Händen: "Aber ohne Silberflügel brauchen wir auch nicht auf den Bronzeturm. Und wo soll ich den herbekommen?"
"Wie wärs, wenn wir auf dem Bronzeturm nachsehen? Immerhin hat Lugia dort gewohnt. Vielleicht liegt immer noch eine Feder dort?", mutmaßte der junge Kerl.
Skeptisch verzog sie das Gesicht: "Stellst du dir das nicht ein bisschen zu einfach vor?"
"Bevor wir gar nichts machen..."

Nun ja, ich habe mir ein paar Gedanken zu den alten Legenden von Johto gemacht, weil Nintendo ja nicht so viel dazu preisgibt. Ich hoffe, man kann meine geistigen Ergüsse nachvollziehen (und dass sie nicht zu abgedriftet sind :)

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top