22. Ein Tanz auf der Klinge
Seit geschlagenen drei Tagen war Julius bei den Rebellen. Er fand keine Möglichkeit, aus Azalea zu fliehen. Zwar hatte er von Albert sein Hundemon zurück bekommen; als Zeichen des guten Willens, wie der Alte sagte.
Aber man legte dem Teaker eiserne Fußfesseln an, die er weder selbst noch mit Hilfe des Dämonpokémons entfernen konnte. Selbst wenn Julius unbeobachtet aus der Stadt hätte abhauen können; wo sollte er denn hin? In den Steineichenwald? In den Einheitstunnel? An beiden Orten hätte er sich heillos verlaufen.
Wenigstens gönnte man dem Teaker mehr Komfort und er musste nicht mehr im Erdloch hausen. Albert hatte ihm ein Zimmer in seinem Haus zur Verfügung gestellt, streng bewacht von Scherox. Eine Flucht war undenkbar.
Neben seiner Sorge um Cecilia plagte ihn auch noch die Angst um sein Aerodactyl. Dieses war, seit es mit dem König auf dem Rücken davongeflogen war, nicht wieder aufgetaucht.
Am Morgen betrat Albert ungefragt Julius Zimmer.
Da der junge Kollege noch schlief, rüttelte ihn der Azaleaner unsanft: "Hey Kleiner. Aufstehen, wir müssen los."
"Hmm", murrte der dunkelblonde Kerl und kniff die Augen zusammen. Ein Gähnen überkam ihn und als er Albert vor sich stehen sah, richtete er sich auf: "Was ist denn los?"
"Auf nach Dukatia, los", befahl der Alte und warf Mantel und Hemd auf das Bett.
Julius hielt sich den Kopf und betrachtete die Kleidung: "Was wollen wir in Dukatia?"
"Na was wohl? Ich hab veranlasst, dass wir Bürgermeister uns heute im Regierungspalast treffen und über die politische Zukunft Johtos reden. Immerhin versinkt das Land bald im Chaos!"
Albert wandte seinem jungen Kollegen den Rücken zu und verschwand.
Ein Blick aus dem Fenster verriet, dass es noch mitten in der Nacht war. Wie furchtbar unedel das Leben ohne ein Flugpokémon ist, dachte der junge Teaker. Umso mehr vermisste er sein Aerodactyl.
Der dunkelblonde Mann legte sich die Kleidung an und ging in den Flur.
Sofort kam ihm ein hektischer Albert entgegen, der ihn ermahnte: "Frühstück gibt's keins. Und sei still. Ich will nicht, dass du meine Frau aufweckst."
Auf leisen Sohlen wandte sich der junge Bürgermeister zur Tür. Er war es nicht, der durch die Gegend plärrte. Und überhaupt; Albert hatte eine Frau? Wer hat den denn geheiratet?
Kalter Morgentau lag über dem Land. Die Morgendämmerung war eingetreten.
Der Alte ging zielsicher voran. Julius konnte nicht mit ihm Schritt halten und fiel zurück.
"Was ist denn mit dir los?", fragte Albert genervt.
Der Teaker gab keine Antwort. Stattdessen zog er seine Hosenbeine in die Höhe und zeigte den Grund seiner Verlahmung.
Mürrisch verzog der weißhaarige Alte sein Gesicht: "Hast du mit deiner Hose gepennt?"
Sein junges Gegenüber gab nur ein Nicken von sich.
"Seit drei Tagen?"
Wieder nickte Julius: "Du hast dir eingebildet, dass ich die tragen muss."
Albert senkte seinen Blick, als würde er gestehen, es vergessen zu haben: "So wie du das letzte Mal über mich hergefallen bist, muss man dich ja in Fesseln legen. Komm her."
Er zückte einen Schlüssel vom Gürtel und beugte sich zu Julius Füßen, um ihn von den Fußfesseln zu befreien: "Reiten musst du immerhin auch noch können."
Auf zwei Ponita machten sich die beiden auf den Weg nach Dukatia, der sie durch den dicht bewachsenen Steineichenwald führte. Es musste Stunden dauern, hier durchzukommen. Sonnenstrahlen schafften es nicht durch das Dickicht, und das obwohl ein Großteil der Bäume seine goldenen Blätter bereits verloren hatte.
Mit jeden Schritt, den die Ponita taten, raschelte das Laub. Die wilden Pokémon wurden aufgescheucht. Raupy verkrochen sich in die Sträucher und Hoothoot stießen einen schrillen Schrei aus, um die vermeintlichen Eindringlinge zu vertreiben.
Mitten im Wald stand gut sichtbar ein Schrein, der zu Ehren des Waldpatrons aufgestellt wurde; die einzige Huldigungsstätte für ihn überhaupt.
Albert machte keinen Hehl daraus, dass er diesen Patron verehrte. Mit seinem Ponita blieb er vor dem Schrein stehen und verneigte sich tief.
"Oh Celebi, hilf", sprach der Alte.
Mit großen Augen fragte Julius: "Cele-wer?"
Albert leitete Ponita zurück auf den Weg und antwortete: "Celebi. Das war ja wieder klar, dass ihr Ho-Oh-Anbeter noch nicht mal den Namen unseres Patrons kennt."
Der junge Bürgermeister musste sich zwei Eingeständnisse machen: Verehrung kann minimalistisch sein, so wie hier. Und er hatte noch nie den Namen des Waldpatrons gehört.
"Ich habe noch nie den Namen Celebi irgendwo gelesen", gab er bekannt.
Albert grunzte: "Das ist auch kein Name, der euch Ho-Oh-Verehrern gelehrt wird. Aber wir in Azalea, wir halten das Wissen um unser Celebi am Leben."
Neugierig geworden wollte Julius von seinem alten Kollegen mehr über diesen Waldpatron erfahren.
"Der Weg ist ja eh so unwahrscheinlich weit", rollte Albert die Augen und seufzte: "Also gut... In der Schule von Azalea lernt man alles über das Zeitreisepokémon. Man geht davon aus, dass es in der Zeit beliebig hin und her reisen kann. Immer dann, wenn es an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit auftaucht, wuchern die Pflanzen und Bäume.
Die Azaleanische Legende besagt, dass das Zeitreisepokémon bis vor 40 Jahren in unserer Epoche lebte. Ich erinnere mich gut daran, wie ich als Kind hier an der Küste entlang spaziert bin, als hier noch kein Wald stand. Azalea war ein ausgedörrtes Loch. Immerzu mussten wir auf ein Gähnen von Flegmon hoffen, damit es regnet.
Dann aber musste der Waldpatron aufgetaucht sein. Die Steineichen hier sprießten aus dem Boden und wuchsen viel schneller und wurden viel größer als normale Steineichen. Ebenso wurde Azalea plötzlich die grünste Stadt in ganz Johto. Als vor 40 Jahren dann aber der Krieg ausbrach, ist es in eine andere Epoche geflohen.
Zumindest wird das vermutet. Die Pflanzen wachsen nicht mehr so schnell, was aber auch schon das einzige Indiz dafür ist. Naja, zumindest ist unser Waldpatron kein kriegslustiges Pokémon. Das mag ich."
Der junge Bürgermeister lauschte der Sage und wurde nachdenklich. Dieser Waldpatron schien sehr mächtig zu sein, wenn er in unterschiedliche Zeitepochen reisen konnte. Hätte Julius die Möglichkeit in der Zeit zurückzureisen und es mit Cecilia besser zu machen, so würde er diese Chance nutzen.
In den späten Vormittagsstunden erreichten die beiden Bürgermeister die südliche Stadtgrenze von Dukatia. Niemand dort hielt Wache; die Stadttore standen sperrangelweit offen. Keine Menschenseele war zu sehen.
Beim Ritt in das Stadtzentrum bot sich Julius ein Anblick der Zerstörung; eingeschlagene Fensterscheiben, Löcher in den Hauswänden, angebrannte Dächer.
Julius ließ das alles auf sich wirken: "Sympathische Leute."
"Tja, sind halt doch nur Arschlöcher", gestand Albert, betonte aber: "Aber das waren keine Azaleaner."
Der junge Bürgermeister runzelte die Stirn: "Wo sollen denn noch mehr Rebellen herkommen?"
Albert zuckte müde mit den Schultern. Offenbar erfand er gerne Ausreden.
Kritische Blicke aus den verbarrikardierten Häusern verfolgten die beiden Männer auf ihrem Weg. Jedoch wagte es niemand der Einwohner vor die Tür zu treten.
Das Holztor in den Palast war vom Rammbock zersplittert. Risse in der Erdoberfläche und Felshaufen ließen auf einen harten Kampf schließen. Das war Cecilias und Rizeros Werk!
Albert schlug vor: "Vielleicht sollten wir hier warten, bis die anderen kommen. Die werden sich wohl kaum in den Palast rein trauen, wenn´s hier so aussieht..."
In der kalten Meeresbrise, die durch die Stadt zog, warteten die beiden. Die beiden Bürgermeister Christa aus Mahagonia und Vinzent aus Viola waren zusammen auf seinem übergroßem Noctuh angereist.
In der Eiseskälte des Zugwindes fror die alte Dame aus Mahagonia zusehends und beklagte sich: "Salve zusammen! Ich erfriere gleich und das obwohl ich mit Lapras ein Eispokémon bei mir habe."
Kurz danach kamen schließlich auch Linda mit Xatu, die ihren Kollegen Rupert aus Rosalia mitgenommen hatte.
Bei einem kritischen Blick in die Stadt wurde Vinzents Neugier geweckt und er schüttelte ungläubig den Kopf: "Was war denn hier los? Ich hab von dem Putsch hier gehört, aber warum zünden diese Idioten gleich die ganze Stadt an?"
Albert gab ein unüberhörbares Seufzen von sich: "Ich hab´s ihnen nicht angeschafft, damit das klar ist. Ich wollte nur..."
"... die Macht auf die Bürgermeister übetragen", vollendete Julius fast schon spöttisch.
Vinzent, ein Mann Mitte 20 und schwarzem Haar, hielt müde fest: "Die Macht über Asche? Der Schuss ging wohl nach hinten los, was? Das Volk wird es nicht gerne sehen, wenn derjenige anführt, der dieses Chaos verursacht hat."
Albert zuckte mit den Schultern: "Dafür hab ich ja euch im Boot."
Julius stand seinem Reisebegleiter aus Azalea bei: "Es konnte keiner ahnen, dass die Rebellen so handeln. Jetzt lasst uns erstmal die Lage analysieren und dann entscheiden, wie wir weitermachen."
Die sechs gingen in den Besprechungssaal im ersten Stock, den sie sonst bei ihren Sitzungen im Kriegsrat nutzten. Jeder setzte sich auf seinen angestammten Sitz.
Albert faltete seine Hände vor sich auf dem Tisch: "Der Sturz des Königs hat den Azaleanischen Wünschen entsprechend stattgefunden. Aber dank Julius Hilfe konnte die Königsfamilie fliehen."
Christa runzelte die Stirn: "Hast du diesen Widerstand initiiert? Und wer sind die Rebellen?"
"Vor vier Tagen sind vielleicht 300 Azaleaner nach Dukatia gereist. Und ja, ich fürchte, ich bin schuld an der ganzen Misere. Aber ich wollte, dass diese Marionette von König endlich weg ist und wir zusammen regieren können", hallten Alberts Worte wie eine Entschuldigung im Besprechungsraum.
Julius überlegte kurz und warf ein: "Ich war vor vier Tagen auch hier und ich habe die Menschenmenge gesehen. Sie standen vor dem Palast und der komplette Weg bis zum Hauptplatz war gesäumt mit den Rebellen. Es waren gut 1000 Leute."
Vinzent fasste sich ans Kinn: "Tja, wenn man euch beiden Glauben schenkt, dann haben wir eine Differenz von 700 Leuten, die sich von irgendwoher untergemischt und womöglich dieses Chaos verursacht haben könnten."
"Aber wer bringt auf die Schnelle 700 Leute auf?", fragte Christa.
In dem Moment hallten im Gang Schritte und die Anwesenden wurden still. Erwartungsvoll blickten sie zur Türe, die zugleich geöffnet wurde. Ein Mann mit grauen Stoppelhaaren und blassen blauen Augen stand im Türrahmen. Seine schwarze Uniform mit unzähligen Abzeichen sprach für sich.
Er warf einen musternden Blick in die Runde und fragte: "Wen haben wir denn da?"
Wie im Automatismus erhob sich Vinzent: "General Hermann! Wir, die restlichen Bürgermeister, haben uns getroffen um über die misslichen Zustände zu reden."
Der ausgemergelte General erwiderte ernst: "Dann ist es ja gut, dass ich gerade anwesend bin. Raul ist weg. Es war längst Zeit für einen fähigen Anführer."
Mit erhobenem Haupt trat er an den Tisch. Die Blicke der Bürgermeister hatte Hermann sicher.
"Ich bin Euch wirklich dankbar dafür, Albert, dass Ihr diesen azaleanischen Widerstand formatiert habt. Ohne Eure Hilfe wäre mir der Putsch nicht so schnell gelungen", sprach der General hochmütig, fast schon spöttisch.
Albert verzog sein Gesicht und krächzte: "Ihr steckt hinter den anderen 700 Rebellen, die hier alles angezündet haben?"
Hermann lenkte vom Thema ab: "Es ist kein Regent anwesend - Zeit, dieses Loch zu füllen. Und bevor ihr fragt; ich werde hier das Sagen haben. Wer was dagegen hat, der kann ja versuchen, mir diesen Posten streitig zu machen."
Christa blickte auf Vinzent, Linda, Julius und Albert, dann fiel ihr Blick auf Hermann und sie nickte: "Ich werde Euch mit Rat und Tat zur Seite stehen, General."
Vinzent, Linda und Rupert bestätigten Hermann ebenso ihre Unterstützung. Währenddessen blickte Albert auf Julius und sie nickten sich zu.
Der Teaker Bürgermeister wusste, dass er seine Treue schwören musste und log: "Meine Hilfe habt Ihr."
"Auch meine Tatkraft sollt Ihr haben", meinte Albert und neigte seinen Kopf.
Da grinste Hermann triumphierend. Er hielt einen Moment inne, um selbstzufrieden in die Runde seiner Bürgermeister zu blicken.
Schließlich atmete er tief ein und gab den Grund seiner Belustigung kund: "Wisst Ihr was wirklich bedauerlich ist? Wie meine Leute berichteten, hat unser gemeinsamer Freund hier aus Teak dem König zur Flucht verholfen. Das ist natürlich ein Problem, denn solange noch ein Monarch lebt, werden wir es schwer haben, eine andere Regierungsform einzuführen."
Albert beschwichtigte und schmierte dem General Honig ums Maul: "Ich hab ihn bekehrt. Er hat mir sogar den Aufenthaltsort der Königsfamilie genannt. Meine Leute suchen sie schon. Aber seien wir uns ehrlich; ob Raul lebt oder nicht, tut nichts zur Sache. Solange er weg ist, müsst Ihr an seiner Stelle regieren. Seinen Kopf könnt Ihr Euch immer noch holen."
Der beinah glatzklöpfige Mann trat vor Albert und sah auf ihn herab: "Ach, Ihr habt ihn bekehrt? Ihr wisst, wo er die Medichos hingebracht hat?"
Unbeirrt nickte der Azaleaner.
Hermann hingegen haute mit seiner Faust auf den Tisch und schrie: "Wie gut, dass sie von dort längst geflohen sind! Ehrlich gesagt zweifle ich daran, dass Ihr die Königsfamilie wirklich finden wollt!"
Albert hielt dem Blick des Generals stand. Er krallte sich an seinem Stuhl fest und machte sich auf einen Angriff gefasst: "Und was wollt Ihr jetzt tun?" Dann sprang er auf und zückte seinen Pokéball.
Gleichzeitig entsandte Julius sein Hundemon, neben ihm bäumte sich Scherox auf. Noch bevor sie eine Attacke einsetzen konnten, standen dem General bereits zwei Leibwächter mit ihren Pokémon zur Seite und versperrten die Tür. In die Ecke gedrängt gingen der Azaleaner und der Teaker in den Angriff über.
"Hundemon, Flammenwurf", befahl Julius und setzte damit die Holzverkleidung des Raumes in Brand. Jedoch stiftete er Verwirrung und gewann Zeit.
Albert schwang sich auf den Rücken seines Käferpokémons und traf eine Entscheidung: "Rox, raus durchs Fenster, los!"
Julius holte Hundemon zurück und rannte hinterher. Ohne Skrupel durchbrach Scherox die Fensterscheibe und sprang nach draußen. Der Teaker folgte unvermittelt.
Scherox landete trotz des Mehrgewichts seines Trainers sanft auf seinen Füßen. Julius hingegen krachte ungebremst auf die Wiese. Ihm war nach Jammern zumute, aber er musste weg von hier. Zusammen mit Albert setzte er die Flucht fort.
Das Eisentor war für den Moment unbewacht. Die Ponita, mit denen die zwei nach Dukatia gereist waren, waren nicht mehr da. Wie im Wahn rannten sie nach Süden zum Steineichenwald. Immerhin bestand die Hoffnung, ihre Verfolger im Dickicht abzuhängen.
Was die beiden jedoch nicht berücksichtigt hatten, war die Kaserne, die auf dem Weg lag. Diese stand komplett unter dem Befehl des Generals. Vor sich sahen Albert und Julius eine Blockade aus Soldaten aufgereiht stehen. Die beiden Flüchtigen machten auf dem Absatz Kehrt und rannten zurück nach Norden, wo ihnen bereits ihre Verfolger vom Palast entgegen kamen.
Umzingelt von Soldaten fragte Julius: "Dein Scherox kann nicht zufällig fliegen?"
Albert gab lapidar zurück: "Nicht wirklich."
Einer der Soldaten befahl: "Sleimok, Giftbombe!"
"Rox, Schutzschild!"
Mit einem Käfer gegen ein Giftpokémon zu kämpfen war sinnlos. Albert blieb defensiv, bis er einen neuen Plan hatte. In die Enge getrieben sahen die beiden im Umkreis von zehn Metern eine Schar Soldaten samt Pokémon um sich herum. Es gab kein Entrinnen. Rücken an Rücken standen sie umzingelt und Julius und Albert wussten, dass sie nicht gewinnen konnten. Es war aussichtslos!
"Grrrrwah!"
Ein Ruf ertönte, der Julius nur allzu vertraut war. Er blickte gen Himmel und sah ein gigantisches Flugpokémon im Sturzflug auf den Erdboden zukommen.
Der junge Mann atmete auf: "Wir sind gerettet!"
Albert winkte die Worte seines Begleiters ab: "Du fantasierst, Kleiner."
Plötzlich aber fühlte der alte Mann, wie sich mächtige Krallen in seine Schulter bohrten und er die Bodenhaftung verlor. Mit der anderen Hand griff er seinen Pokéball und holte Scherox zurück.
Er war überglücklich, sein Pokémon wiederzusehen: "Das ist mein Aerodactyl! Danke mein Freund!"
"Damit hab ich jetzt echt nicht gerechnet", kommentierte Albert trocken und fuhr fort: "Nett von ihm, dass es mich auch mit nimmt."
Aerodactyl blickte zu den beiden Männern hinunter, die es wie Beute transportierte. Weit über den Dächern Dukatias verschwand es hinter den Wolken.
Skeptisch verzog Albert sein Gesicht: "Weiß dein komischer Vogel schon, wo er uns hinbringen soll?"
Voll und ganz vertraute Julius seinem Pokémon: "Der weiß was er tut, glaub´s mir."
Der Alte jammerte: "Ich hoffe, dein fliegendes Fossil ist bald da, wo es hin will. So langsam stirbt mir die Schulter ab."
Aerodactyl hätte den Alten auch einfach stehen lassen können. Dann müsste Julius dieses Gejammere nicht ertragen. Aber immerhin hatte sich Albert vorhin bei Hermann für ihn eingesetzt, wenn auch ohne Erfolg.
Wenige Minuten danach ließ Aerodactyl an Höhe nach. Julius erkannte die beiden Türme im Osten und im Westen der Stadt; Teak. Wider erwarten landeten sie nicht bei seinem Haus, so wie sonst immer.
Stattdessen flog das Gesteinspokémon noch etwas weiter nach Norden zum Zinnturm; der Turm, in dem Ho-Oh verehrt wurde und den niemand betreten durfte, außer sein Großvater Franz und der Auserwählte.
Aerodactyl, welches sonst seinen Trainer auf dem Rücken trug, war mit der Ladung an seinen Klauen bei der Landung überfordert. Gerade noch rechtzeitig bemerkte es, dass unter ihm noch zwei Menschen baumelten, die es unvermittelt los ließ.
Aus einem Meter Höhe krachten Julius und Albert auf jenen Pfad, der zum Zinnturm führte; den Glockenklangpfad. Die dichten Bäume herum erstrahlten in den typisch goldenen Farben.
Albert rieb sich die Knie und erholte sich von der Bruchlandung: "Verdammt, wo sind wir hier?"
Verdutzt klärte Julius auf: "Das ist der Glockenklangpfad. Und da vorne steht der Zinnturm."
"Den hab ich grade noch erkannt", kommentierte der Alte.
Julius ging derweil zum Eingangstor. Die Front des Turms war mit aufwendigen Schnitzereien und silberner Verkleidung verziert. Für den jungen Teaker fühlte es sich falsch an, dieses Tor zu öffnen. Aber der Kerl ahnte, dass Aerodactyl ihn nicht umsonst hierher gebracht hat.
Bevor er jedoch das Tor aufschob, fragte er seinen Gesteinsvogel: "Hast du die anderen auch hierher gebracht?"
Es war zu schade, dass Julius nicht die Sprache der Pokémon verstand, aber Dactyli schien zufrieden mit seinem Werk zu sein. Plötzlich wurde das Tor geöffnet. Im Augenwinkel sah Julius einen kleinen Mann.
Sofort wandte er sich zu ihm: "Großvater! Hast du gerade Dienst?"
Franz grinste breit und umarmte ihn: "Salve mein Enkel. Ich bin so froh, dass es dir gut geht. Wie geht's dir?"
Julius Miene wurde ernster und er ließ den Kopf hängen: "Ich bin es nicht, um den man sich Sorgen machen müsste..."
Da Franz von seinem Enkel keine verwertbare Antwort bekam, mischte sich Albert ein: "Er war beim Putsch dabei und hat zusammen mit Cecilia die Königsfamilie rausgeschmuggelt. Sie ist zurückgeblieben."
Der Azaleaner nickte auf Julius und fuhr fort: "Ihn haben meine Leute ohnmächtig geschlagen und zu mir nach Azalea gebracht. Heut haben wir uns in Dukatia mit den restlichen Bürgermeistern getroffen, damit wir eine Regierung bilden können. Aber dann ist General Hermann aufgetaucht und hat sich selbst als neuen Herrscher eingesetzt." Albert verdrehte die Augen und seufzte: "Naja, und der General ist jetzt sauer auf deinen Enkel, weil er Raul gerettet hat."
Franz nickte und entgegnete: "Den ersten Teil wusste ich schon. Den Rest müsst ihr mir nochmal in Ruhe erklären. Kommt rein."
Verwundert blickte Julius auf den Weisen. Dann folgte sein Blick dem Wink seines Großvaters. Noch nie hatte er das Innere des Zinntursm gesehen. Ohne Kampf und ohne Prüfung; es fühlte sich falsch an, die Stätte seines Patrons zu betreten.
Franz stieg die Treppe hinauf in den ersten Stock. Währenddessen erzählte er: "Dein Aerodactyl ist vor vier Tagen schon einmal hier aufgetaucht und hat mir jemanden gebracht."
In Julius machte sich eine Hoffnung breit; Cecilia?
Der Weise fuhr fort: "Zu deiner Info; die Putschisten haben die Königsfamilie nicht aufgespürt. Dein grauer Vogel hat sie zu mir gebracht, weil es offenbar nicht wusste, wo es sonst hin sollte. Königin Jana hat mir erzählt, was in Dukatia passiert ist. Ich hab sie hier im Turm versteckt.
Der Turm, den ohnehin niemand betreten darf, ohne dass er gegen mich gewinnt, eignet sich als Versteck ganz gut, dachte ich. Als ich Jana rein brachte, flog Aerodactyl noch einmal los und holte Raul. Für den Moment wohnen sie hier im Turm."
Albert blickte mit großen Augen um sich und bestaunte die Größe der Räume: "Wie gut, dass du hier noch ein paar Zimmer frei hast, was? Schätze, wir sind jetzt auch auf der Fahndungsliste des Generals."
Julius nickte bestätigend: "Wenn der uns nicht tot sehen will, würde es mich wundern."
Franz sprach seinem Enkel sowie dessen Begleiter die Erlaubnis aus: "Natürlich könnt ihr hier bleiben, wie die Königsfamilie auch. Sie wohnen irgendwo im dritten Stock, ich weiß es gar nicht genau."
Voller Zweifel fragte der dunkelblonde Mann kleinlaut: "Ist das denn erlaubt? Um ehrlich zu sein fühle ich mich miserabel, hier im Zinnturm herumzuspazieren, ohne eine Prüfung geschafft zu haben."
"In bestimmten Situationen, in welchen es um Leben und Tod geht, wird auch Ho-Oh mal eine Ausnahme machen, denke ich", sagte der alte Mann sanftmütig lächelnd.
Im Erdgeschoss setzten sich die drei zusammen, um ihr weiteres Vorgehen zu diskutieren.
Nachdenklich fasste sich Julius ans Kinn, als er einen Geistesblitz hatte: "Bevor der General Teaks Unterstützung ungebremst bekommt, habe ich noch eine Idee für ihn."
"Ach, und die wäre?", fragte Albert kritisch: "Willst du dich ihm als Bürgermeister entgegen stellen?"
Der junge Teaker schüttelte den Kopf und wandte sich zu Franz: "Du kennst doch bestimmt noch meinen Kumpel?"
Das Gesicht des Großvaters entgleiste: "Du meinst aber nicht Lars?"
"Genau den!", freute sich Julius wie ein Kind und ballte die Fäuste: "Wenn du ihm sagst, dass er den Posten als Bürgermeister antreten soll, dann haben wir den perfekten Spion bei Hermann untergejubelt. Vorausgesetzt natürlich, dass der General die neuen Bürgermeister mit in seinen Stab aufnimmt."
Albert mutmaßte mit verzogener Augenbraue: "Davon ist auszugehen, denn sonst hätte er die Städte ja nicht unter Kontrolle."
Franz runzelte die Stirn: "Und wieso willst du Lars?"
"Weil er in Wirklichkeit der stärkste Trainer in Teak ist und weil er sich für all das gar nicht interessiert. Wir könnten keinen besseren finden!"
Ob das gut geht?
Da Franz um die psychische Verfassung seines Enkels wusste - die Abwärtsspirale namens Cecilia hatte ihn fest im Griff - wollte er ihm diesen Wunsch nicht verwehren. Kurze Zeit später machte sich Franz auf den Weg.
Lars war gerade dabei, die Karpador in seinem Gartenteich zu kitzeln. Sein Pupitar hatte er auf eine steinerne Bank gesetzt und beobachtete gezwungenermaßen das Geschehen. Der Kerl kurz vor 30 ärgerte die Karpador so lange mit einem Zweig, bis sie im Wasser auf und ab platschten.
Für ihn war dies immer wieder ein belustigendes Schauspiel. Die Karpador schienen dumm genug zu sein, um ebenfalls Spaß daran zu haben.
Von dem Geplatsche spritzte Wasser umher. Einige Tropfen trafen Pupitar, welches davon überhaupt nicht begeistert zu sein schien. Das graue Gesteinspokémon ohne Beine und ohne Arme stieß nur einen verzweifelten Schrei aus und machte ein trauriges Gesicht.
Lars blickte zu ihm und entschuldigte sich bei seinem Kumpel: "Oh mein süßes Vivi, tut mir leid."
Es war nicht das erste Mal, dass er bei all seinem Spaß die Bedürfnisse seines Vivis vergaß und es von oben bis unten nassgespritzt wurde. Schnell nahm er seinen Umhang ab und trocknete damit sein Pupitar ab.
"Weißt du, früher, als du noch Beine hattest, war das irgendwie einfacher mit dir. Da konntest du wenigstens davon laufen."
Dann wickelte der Kerl sein Vivi gänzlich in den Umhang ein, sodass nur noch die drei Zacken seiner Stirn und die beiden Augen zu sehen waren.
So zeigte sich Franz das Bild, als er Lars besuchte; ein frierender zurückgebliebener Kerl auf einer eiskalten Steinbank neben seinem fast erstickenden Gesteinspokémon, das sich vor Hitze kaum retten konnte und ein Teich, der aufgrund einer tobenden Karpadorarmee kaum noch Wasser fasste.
Der alte Weise konnte sich nur an den Kopf fassen. Sofort wusste er wieder, weshalb er es für keine gute Idee hielt, ausgerechnet Lars den Auftrag zum neuen Bürgermeister von Teak zukommen zu lassen. Ob er als Spion beim General überhaupt tauglich war?
Dennoch fasste sich Franz ein Herz und grüßte: "Hallo Lars."
Der Kerl blickte überrascht hoch: "Oh, weiser Franz, was macht Ihr denn hier?"
Franz lieferte die Antwort: "Es gibt da etwas, um das ich dich bitten möchte."
Lars wich erstaunt zurück und fragte kritisch: "Ihr bittet mich um etwas? Das hat es ja noch nie gegeben!"
"Ja, ja richtig. Hör zu; Julius ist unpässlich und kann seine Pflichten als Bürgermeister nicht mehr wahrnehmen. Da du der stärkste Trainer hier in Teak bist, würde ich es gerne sehen, dass du das Bürgermeisteramt übernimmst", log der Alte von vorne bis hinten.
Lars runzelte die Stirn: "Bürgermeister? Was macht man so als Bürgermeister?"
Franz musste über diese Naivität nur den Kopf schütteln. Der Kerl lebte wirklich hinter dem Mondberg.
Um Lars Zweifel aber zu beschwichtigen, redete Franz die Pflichten des Bürgermeisters nieder: "Du hast den ganzen Tag Spaß zusammen mit deinem Pokémon. Das ist wirklich machbar. Und ich bin ja auch noch da."
Der Kerl beugte sich zu seinem Pokémon: "Vivi, was denkst du, könnte uns das Spaß machen, so als Bürgermeister?"
Mit einem tiefen Ruf gab Pupitar seine Antwort.
Da lächelte Lars: "Ich hab keine Ahnung was das heißt, aber wenn du das so willst."
Der Kerl sah auf Franz und zuckte mit den Schultern: "Ist mir egal. Pupitar will es so. Dann mach ich es eben."
Der Mann wirkte eher wie ein kleines Kind, wenn er so sprach. Und er drehte die Welt so hin, wie er sie brauchte.
Franz wandte sich ab und seufzte: "Tu einfach das Richtige."
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