20. Der Wille zählt

Mit der Königsfamilie im Schlepptau rannte Julius im Untergrund zurück. Hundemon voran sorgte für ein wenig Beleuchtung. Vor der Treppe blieb der Teaker Bürgermeister stehen und bat um Stille. Erst wollte er nachsehen, ob die Rebellen auch schon das Verwaltungsgebäude gestürmt hatten.
Der blonde Mann öffnete die Tür einen Spalt weit; niemand war hier. Cecilia hatte die Putschisten aufgehalten, zumindest für den Moment. Jetzt musste schnell gehandelt werden!
Julius winkte die Königsfamilie nach oben. Geblendet vom Tageslicht musste er sich erst an die Helligkeit gewöhnen.
Vor dem Gebäude entsandte der Teaker sein Aerodactyl und erklärte: "Königin Jana, Ihr macht den Anfang und fliegt mit den beiden größeren Kindern weg. Aerodactyl, du machst im nördlichen Dukatiawald einen Zwischenstopp, lässt sie absteigen und kommst dann wieder her."
Die Königin verabschiedete sich in Sorge von ihrem Gatten.
Raul aber beschwichtigte ihre Ängste: "Es gibt überall noch kronloyale Menschen, wir kommen da raus."

Ohne länger zu zögern hob Aerodactyl in die Luft ab und flog davon.
Julius blickte immer wieder um das Gebäude herum. Er musste sicher gehen, noch nicht entdeckt worden zu sein.
Zwei Fragen an den König konnte er sich nicht verkneifen: "Wusstet Ihr eigentlich im Vorfeld, dass Ebenholz angegriffen wird und habt die Zerstörung der Stadt billigend in Kauf genommen?"
Raul blickte den dunkelblonden Mann ungläubig an: "Wie kommt Ihr darauf? Hermann hat mir felsenfest erzählt, dass er seine Soldaten erst während der Angriffe abgezogen hat, da es aussichtslos war."
Julius stellte die richtige Frage: "Und wisst Ihr, wo die abgezogenen Soldaten hingebracht wurden?"
Das stimmte selbst den König nachdenklich: "Nicht direkt. Er hat nur gemeint, dass er sie an einer äußerst wichtigen Position einsetzen wird."
Der Bürgermeister lächelte zufrieden: "Wie einem Putsch zum Beispiel?"
Bevor Raul seine Gedanken verarbeiten und antworten konnte, kam Aerodactyl zurück. Die Flucht des Königs mit den anderen beiden Kindern folgte.
"Darüber reden wir noch!", sicherte Raul dem Bürgermeister zu, als er auf dem Pokémon in die Lüfte abhob.

Julius blieb für den Moment zurück. Zufrieden sah er seinem Dactyli hinterher. Die Königsfamilie war außer Gefahr. Plötzlich vernahm er Stimmen und Getrampel. Der Lärm kam immer näher. Die Rebellen!
Wenn sie auf dem Weg hierher waren, dann mussten sie an Cecilia vorbeigekommen sein. Seine Sorgen um die schwarzhaarige Lady vernebelten seine Sinne. Julius wusste nicht, was er tun sollte. Auf Dactyli warten und zum Palast fliegen?
Nein, das dauerte zu lange. Er wandte sich um, um durch den Untergrund wieder in den Palast zu gelangen. Zwischen ihm und der Eingangstür schlugen Felsbrocken auf und versperrten den Weg. Die Rebellen umstellten Julius rund um das Verwaltungsgebäude von Dukatia.
Ein vermummter Mann deutete mit dem Finger auf ihn: "He, Ihr seid auch ein Bürgermeister, oder?"
Julius nickte nur und wartete ab, was der Unbekannte zu sagen hatte.
"Hmpf, Ihr habt nicht zufällig den König hier irgendwo gesehen? Im Palast ist er nicht mehr."
Der dunkelblonde Mann schüttelte schweigend den Kopf und starrte auf den Boden. Er konnte nur hoffen, dass die Rebellen ihm seine Lüge nicht ansahen.
Sein Gegenüber verschränkte die Arme: "Wisst Ihr was, ich glaube Euch nicht. Ihr kennt bestimmt diese Schwarzhaarige, die uns fertig gemacht und dem alten Tattergreis zur Flucht verholfen hat."
Die Schwarzhaarige, von der der vermummte Mann sprach, musste Cecilia sein.
"Wo ist sie?", stieß Julius reflexartig aus und verriet sich damit selbst.
"Sieh an, habt Ihr Eure Stimme doch wieder gefunden?", fragte der Vermummte und zückte seinen Pokéball, fuhr aber fort: "Keine Ahnung, wo sie ist. Ihr Rizeros ist mit ihr baden gegangen und davon geschwommen. Schätze, sie ist samt Pokémon längst ersoffen."
Ein Rizeros, das ins Wasser geht? Das konnte sich Julius beim besten Willen nicht vorstellen.
Der Rebell kam auf sein Thema zurück: "Aber wisst Ihr was? Ich mag Lügner nicht und Ihr habt mich angelogen. Lasst Euch zeigen, was ich mit Lügnern mache! Los, Kleinstein!"

Auch der Rest der Truppe entsandte seine Pokémon in den Kampf. Allesamt waren angeschlagen und verletzt. Rizeros hatte gute Vorarbeit geleistet.
Der dunkelblonde Mann nahm die Herausforderung an: "Hundemon, Flammenwurf!"
Das schwarze Skelettpokémon versetzte seine Gegner in Flammen. Noch bevor Julius entscheiden konnte, wie es weitergehen sollte, spürte der einen dumpfen Schlag auf den Hinterkopf und ihm wurde schwarz vor Augen.

Geknebelt und gefesselt fand sich Julius in einem dreckigen Erdloch wieder. Sein Gesicht lag auf dem Boden, seine Hände waren hinter seinem Rücken gefesselt. Soweit er beurteilen konnte, hatte man ihm seine Pokébälle abgenommen.
Das provisorische Gefängnis war mit Brettern abgedeckt, die einen Spalt weit auseinander lagen. So konnte er in die Freiheit sehen. Die Dämmerung war angebrochen. Was war geschehen?
Die Erinnerung an den Kampf gegen die schwächlichen Pokémon kehrte zurück. Weshalb hatte Julius verloren? Ein brennender Schmerz am Hinterkopf breitete sich durch ein dumpfes Pochen über seinen gesamten Schädel aus.
Ach ja, er wurde ausgeknockt. Keine ehrenwerten Männer unter Rebellen. Immerhin hätte er den Kampf gewonnen.
Und doch lag er hier und wartete. Aber worauf eigentlich? Auf eine heimliche Rettung? Oder doch nur auf seine Hinrichtung? Wozu hatten die Rebellen ihn denn überhaupt am Leben gelassen?

Doch schoss ihm eine Frage in den Sinn, die ihm alles bedeutete; was war mit Cecilia geschehen?
Er hatte keinerlei Anhaltspunkte über ihren Verbleib. Mit Rizeros ins Meer? Wie standen in diesem Fall die Überlebenschancen?
Ausgerechnet jetzt, wo Julius den Mut gefasst hatte, seinem Herzen zu folgen und mit seiner Angebeteten in Kontakt zu treten, wurde er wieder von ihr getrennt.
Viel zu oft hatte er sich in der Vergangenheit von äußeren Einflüssen abschrecken lassen; einmal als er erfuhr, dass sie die Tochter und Erbin des skrupellosen Geschäftsmannes Isaak Avila ist. Das zweite Mal redete ihm sein Großvater drein. Aber das genügte nicht, sein Interesse an Cecilia zu brechen.
Mit ihrer ungehemmten Art, Missstände offen anzusprechen und König wie General kontra zu geben, brachte sie frischen Wind in den Kriegsrat. Manche bezeichneten sie als unverschämt und naiv, wenn sie wirklich glaubte, mit ihren Widerworten etwas ausrichten zu können. Aber ihr Herz lag auf ihrer Zunge und so sprach sie aus, was sie dachte. 
Der junge Teaker bereute zutiefst, sie alleine im Palast zurückgelassen zu haben. Hätte er noch eine Chance es anders zu machen; er würde bei ihr bleiben und Seite an Seite mit ihr kämpfen.

Doch jetzt lag Julius im Dreck. Ob er jemals wieder herauskommen würde? Mit seinem Schwindel fiel er in einen erschöpften Schlaf, der alles andere als erholsam war.
Albträume plagten ihn. Cecilia drohte auf dem offenen Meer zu ertrinken. Er wollte sie retten. Doch die Stimme seines Opas befahl ihm, von ihrer Rettung abzusehen und sich selbst in Sicherheit zu bringen.
Regen, Donner und Blitze. Die schwarzhaarige Lady schwappte in den hohen Wellen hin und her. Der Kerl wollte sie mit seinem Aerodactyl aus dem Wasser ziehen, doch gelang es ihm nicht.
Franz Stimme wurde lauter, als die Situation immer gefährlicher wurde. In Julius kamen Zweifel; sollte er sein Leben wirklich für Cecilia auf´s Spiel setzen?
Just in diesem Moment, als er diesen Gedanken empfand, strahlte der Himmel im schönsten Blau, die Sonne schien und das Meer war ruhig wie ein See. Aber Cecilia war verschwunden.
Ein Schock durchfuhr ihn. In seinem Traum begann er zu schreien und jede Faser seine Körpers verkrampfte sich. Schweißgebadet wachte der junge Kerl auf und schnellte in die Höhe.

Einige Sonnenstrahlen fielen schon auf den feuchten Erdboden. Die Fesseln hinderten Julius daran, sich die Schweißperlen von der Stirn zu wischen. Wie Fremdkörper fühlten sich seine dicken tauben Hände an.
Er ließ sich wieder auf den Dreck fallen und kauerte sich auf dem Boden zusammen. Seinen Traum ließ der Gefangene noch einmal Revue passieren. Sein Unterbewusstsein teilte ihm das mit, was er längst geahnt hatte. Julius liebte Cecilia wahrhaftig.
Doch jetzt war sie nicht mehr da. Ob es einen Weg gab, das Schicksal zu ändern? Er sah keinen Ausweg. Zuerst müsste er von hier weg, doch wie? Und selbst wenn ihm eine Flucht von hier gelingen würde; wo sollte Julius mit der Suche nach seiner Angebeteten beginnen?

Die Bretter wurden beiseite geschoben. Geblendet von der Helligkeit kniff der junge Kerl die Augen zuammen. Er blickte nach oben um zu sehen, wer dort stand und ihn rausholte. Erkennen konnte er aber nichts.
Der Vermummte entfernte die Fussfesseln und griff den Teaker am Oberarm. Die Fesseln an den Händen blieben dran. Über eine morsche Treppe führte der Fremde den Gefangenen aus dem Erdloch. An der Oberfläche wurde Julius um ein kleines Haus herum geführt. Offenbar war er in irgendjemandes Garten gefangen gehalten worden.
Von hohen Bäumen bewachsen und satten grünen Wiesen umgeben konnte sich der Teaker denken, wo er sich befand. Er musste in Azalea, der grünsten Stadt Johtos, sein; hier, wo der Widerstand gegen den König seinen Ursprung genommen hatte.

Die Sonne war von ein paar Schleierwolken bedeckt. Dennoch tauchte sie die Stadt in satte Farben, die ihren Ursprung in den bunten Laubbäumen der Stadt hatten. Überhaupt waren um jedes Haus zahlreiche Bäume gepflanzt. Die Straßen waren ausgetretene Staubwege, welche seit der Gründung der Stadt existierten. Zu viel wollten die Azaleaner nie in die Natur eingreifen, weshalb sie sogar auf gepflasterte Straßen verzichteten.
Julius wurde immer weiter in das Zentrum der Stadt geführt. Ein jeder Einwohner Azaleas konnte ihn sehen; den Königshelfer, den Unterstützer der Krone, der Kämpfer gegen die Rebellen. Die ganze Stadt war gegen den König.
Niemand hier würde Julius zu Hilfe eilen. Noch nicht einmal sein vermeintlicher Kumpel, von dem er überhaupt erst von den Putschplänen erfahren hatte. Doch was hatten diese Rebellen mit ihm vor? Hinrichten? Darüber konnte er nur müde lächeln. Nach Cecilias Verschwinden hatte er ohnehin nichts mehr zu verlieren.

Plötzlich blieb der Vermummte vor dem Bürgermeisterbüro stehen: "Na, bereit, unseren Anführer kennenzulernen?"
Im Reflex zog Julius eine Augenbraue hoch und ließ die Überraschung auf sich zukommen. Er konnte sich ohnehin denken, worauf das hinaus laufen würde.
Er wurde die Treppen hochgezogen und durch die Eingangstür geschoben. Im Flur schleifte der Vermummte Julius zur ersten Tür links. Der dunkelblonde Mann fand sich in dem Raum wieder, den er erwartet hatte; im Büro des Bürgermeisters von Azalea.
Das Büro hatte er ärmlicher in Erinnerung. Jetzt befand sich ein großer roter Teppich vor dem Massivholzschreibtisch und ein Drehsessel mit Lederbezug stand für den Bürgermeister bereit. Am Wandregal erkannte Julius den weißhaarigen Bürgermeister von Azalea. Mit seinen blauen Augen blickte dieser gelangweilt von seinem Buch hoch und starrte auf seinen jungen Kollegen.
Der azaleanische Bürgermeister bekam einen zornigen Gesichtsausdruck: "Herr Gott, was soll das denn mit den Fesseln? Mach sie weg!"
Der Vermummte zuckte zusammen. Sofort zückte er seinen Dolch und durchtrennte die Fesseln an Julius Händen.

Der alte Bürgermeister verharrte einige Sekunden in Stille.
Mit kratzigbürstigem Tonfall bestimmte er: "Ja und denkst du, ich will nicht mit ihm reden, du Idiot? Mach die Maulsperre raus, los!"
Schließlich entfernte der Handlager auch die Knebel. Endlich konnte Julius seinen ausgetrockneten Mund wieder bewegen.
Der weißhaarige Alte verscheuchte seinen Helfer mit einem Wink: "Komm schon, verschwinde! Ich kann dich hier nicht brauchen."
Verängstigt, oder zumindest schien es so, verließ der Vermummte das Zimmer und schloss die Tür.
Der Alte schloss die Fenster und blickte dann auf Julius: "Salve Kollege! Setz dich hin."
Der dunkelblonde Kerl ließ sich entgeistert auf den Stuhl fallen. Selten war sitzen so bequem wie heute.
Sein älterer Kollege stellte einen Krug Wasser auf den Schreibtisch: "Brauchst du was zu saufen? Ach, nimm einfach."
Julius nahm das Angebot an und trank den Krug beinahe leer. Sein ausgedörrter Körper lechzte nach jedem einzelnen Tropfen. Wenn das Wasser vergiftet sein würde, hätte er jetzt für seinen schnellen Tod gesorgt.
Als der Kerl getrunken und sich seinen Mund abgewischt hatte, blickte er kritisch auf seinen Kriegsratskollegen: "Albert, weswegen bin ich hier? Und was hast du mit dem Widerstand zu tun?"
Der Alte mit seinen gut 60 Jahren begann erhaben zu lachen: "Ich bin der Widerstand!"
Julius wich entsetzt zurück: "Du hast dem König zugesichert, dich gegen den Widerstand einzusetzen!"
"Du glaubst auch jeden Scheiß, den man dir hinkotzt, oder?", sprach Albert mit einem Silberblick und ließ sich in seinen Sessel fallen: "Weißt du, seit uns vor drei Wochen die Meldung erreicht hat, dass meine Glaubensbrüder in Ebenholz einem kantonesischen Angriff zum Opfer gefallen sind, weil die Stadt einfach aufgegeben wurde, muss ich schon an den Führungskompetenzen unseres Königs zweifeln."

Der Teaker zog seinen Kopf ein und starrte auf den Boden.
Sein alter Kollege führte seine Idee weiter aus: "Und weil unser König zu nichts zu gebrauchen war, habe ich den azaleanischen Widerstand ins Leben gerufen; um Raul abzusetzen!"
Diese Worte durchfluteten Julius Körper mit Adrenalin. Sein Puls raste und er wurde nervös und zittrig. Bevor Albert weitersprechen konnte, sprang der Teaker über den Tisch.
Er ging auf den Alten los, würgte ihn und schrie: "Und deswegen musste sie sterben? Weil du Raul los haben wolltest? Geht's dir noch gut? Geht's gut, du Arschloch."
Unaufhörlich schlug er auf den Alten ein.
Albert griff nach Julius Händen. Der Sinn hinter den Handfesseln lag jetzt auf der Hand. Gegen die Kraft der Jugend kam er nicht an.
So griff der Alte mit einer Hand zu seinem Gürtel und krächzte die Worte: "Rox, hilf mir, aber tu ihm nichts."

Ein rotes Käferpokémon materialisierte sich neben dem Bürgermeistersessel. Mit einem Hieb auf Julius Schulter schleuderte es ihn an die Wand. Der Käfer sprang über den Schreibtisch und nahm den jungen Teaker in die Mangel, indem er ihn aufhob und gegen die Wand drückte.
Albert rieb sich seinen Hals, räusperte sich und nahm einen Schluck Wasser.
"Danke Scherox, gut gemacht", sprach er und kam auf sein Pokémon und seinen Gefangenen zu.
Julius hielt seine Hände vor seinen Hals, um sich gegen die Zange des Scherox zu schützen. Mit seinen Beinen suchte er nach Bodenhaftung. Schwer atmend und mit kritischem Blick sah er auf seinen alten Kollegen.
Julius erinnerte Albert an die Sitzung im Kriegsrat vor einem halben Jahr und keuchte: "Damals waren Cecilia und ich die einzigen, die gegen das Dekret des Königs protestierten und du hast gar nichts gesagt."
Sein alter Kollege prustete aus: "Es ist ja bewundernswert, wie du und diese Dukatierin immer dachtet, dass ihr mit euren Widerworten irgendwas erreichen und eine Entscheidung abwenden könntet. Ist dir noch nie aufgefallen, dass, egal was uns vorgelegt wurde, wir noch nie ein Stimmrecht hatten? Wozu gibt es den Kriegsrat dann überhaupt, wenn ohnehin jede Entscheidung des Königs unumstößlich ist?"
Julius bekam kaum noch Luft, widersprach aber: "Ist dir noch nie aufgefallen, dass alles von General Hermann vorgestellt wurde und er immer das letzte Wort behielt; und dabei offenkundig seine Entscheidung als die Entscheidung von Raul ausgab. Und jetzt sollte Raul für Hermanns Entscheidungen büßen?"

Albert nickte zustimmend: "Darüber hältst du außerhalb dieses Raums besser die Klappe, du halbe Portion. Es ist schön von dir, dass du Raul und alle gerettet hast, aber das war nicht das, was die Männer da draußen wollten. Sie wollten ihn hängen sehen, verstehst du?"
Julius blickte in die hellblauen Augen des Alten und versuchte, seine Worte richtig zu verstehen. War es der Sauerstoffmangel, der ihn zu solch wirren Gedanken trieb?
Er äußerte seine Schlussfolgerung: "Dann war es kein Zufall, dass mich Lauron vorgestern angerufen und vor dem Putsch der Widerständler gewarnt hat?"
Da schnaubte der Alte: "Na was denkst du denn, woher er das wusste? In einer Kneipe aufgeschnappt; ha ha, dass ich nicht lache. Du bist echt so naiv."
"Dann wolltest du auch nicht, dass Raul stirbt?", fragte Julius zur Sicherheit nochmal nach.

Albert gab seinem Scherox einen kleinen Wink. Daraufhin ließ es seinen Gefangenen los. Julius rutschte an der Wand hinunter und sackte zu Boden.
Der weißhaarige Bürgermeister kniete sich zu ihm hinunter: "Versteh mich nicht falsch, Junge. Ich kann Raul irgendwie nicht leiden, ich konnte seinen Vater nicht leiden und ich werde seine Kinder auch nicht leiden können. Aber sterben muss er deswegen ja nicht gleich."
Der Teaker stützte sich mit beiden Händen vom Boden ab und sah geschwächt auf den Alten: "Aber an seiner Stelle musste Cecilia sterben? Du hast dich drauf verlassen, dass wir ihn da rausholen und hast unseren Tod billigend in Kauf genommen?"
Der Alte legte eine Hand auf die Schulter des Jungen und seufzte: "Ich wusste, dass ihr ihn retten würdet, ja. Aber dass eure Leben in Gefahr wären, habe ich nie erwartet. Du und die Dukatierin seid starke Trainer. Stärker als alle Mann hier zusammen. Dass es so endete, tut mir aufrichtig leid."

Julius Augen wurden glasig und er spürte einen dicken Kloß im Hals. Jedes Mal, wenn er diesen Umstand aussprach, wurde Cecilias Tod realer. Und doch wollte er nach ihr suchen.
Albert erhob sich, zog sich sein Hemd zurecht und fuhr im Text fort: "Manipulierbare Könige, die zu viel Wert auf ihre Generäle legen, sind das Übel dieser Welt. Genau das ist das Problem, warum der Krieg nicht endet. Aktuell haben wir keine Regierung, also wäre es an der Zeit, dieses Loch zu füllen und die Bürgermeister zusammenzurufen."
"Dann ging es dir darum?", begann der junge Teaker: "Du willst die Macht auf uns Bürgermeister umlegen?"
Der Alte nickte: "Wir brauchen endlich wieder Entscheidungen pro Volk und nicht pro König oder Militär. Oder pro Avila-Schmiede..."
Er setzte sich zurück in seinen Bürgermeistersessel und fragte sein junges Gegenüber: "Und, bist du dabei, Junge? Bist du bereit, dieses Land zu regieren und diesem Chaos endlich ein Ende zu setzen?"
Wässrige graue Augen blickten auf Albert.
Voller Zorn schrie Julius aus: "Mir ist dieses Land scheißegal! Ich will Cecilia finden."

"Und dann? Was machst du dann?", fragte der Alte mit hochgezogenen Augenbrauen.
Immer noch auf allen Vieren ballte Julius die Fäuste und starrte zu Boden: "Ich würde ihr sagen, dass ich sie liebe und mein Leben ohne sie sinnlos ist."
Der weißhaarige Alte grunzte aus: "Das wird ja immer noch schöner. Wie hast du dir das vorgestellt? Dass sie Vergangenes vergisst und dir um den Hals fällt?"
Verdutzt sah der junge Bürgermeister auf: "Vergangenes? Was soll sie vergessen? Wovon sprichst du?"
Albert kniff die Augen zusammen und blickte fragend auf sein Gegenüber: "Du... Du weißt nichts davon?"
"Wovon denn?"
Der Alte wusste nicht, ob er lachen oder weinen sollte und nuschelte in seine Faust: "Dann hat Franz also nichts davon gesagt, unfassbar..." Schließlich erhob er seine Stimme und er sprach klarer: "Wusstest du nicht, dass Cecilias Mutter aus Oliviana war und dem Patron Lugia sehr nahe stand?"
Julius verzog sein Gesicht: "Und was daran ist das Problem?"
"Das klärst du am besten mit deinem Opa...", sagte Albert und erhob sich. Bevor er die Tür hinter sich schloss, wandte er sich um und meinte: "Julius? Wenn du dich normal aufführst und kooperierst, dann musst du nicht mehr im Erdloch pennen."

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