15. Der echte Feind


Nach einer benebelten Phase, in welcher Elena nur vor sich hindöste, riss ein Gedanke sie aus ihrem Tagtraum; Tristan! Ob er noch lebte?
Ihr Blick fiel zur anderen Seite der Höhle, wo Arkani neben seinem Herrchen Wache hielt. Er atmete noch immer schwer. An jenem Morgen danach glaubte die Jugendliche nicht daran, dass Ihr Patient überleben würde.
Aber wie konnte sie ihm anders helfen, als ihm Pirsifbeeren als Gegengift zu verabreichen? Irgendwie musste sie den jungen Leutnant am Leben halten. Elena wusste zwar nicht, weshalb sie solche Angst um Tristan hatte, aber den Tod hatte er wirklich nicht verdient.
Nicht zuletzt litt auch sein Arkani unter der Situation. Elena brach es das Herz, als es winselnd neben seinem Herrchen lag.
"Keine Sorge, wir kriegen das wieder hin", versprach die Jugendliche.
Pokémon waren sicherlich dazu in der Lage, es zu fühlen, wenn man sie anlog. Tristan war kaum fähig zu blinzeln oder zu atmen. Und sie? Sie sprach davon, dass sie das wieder hinbekommen würde?
Hoffentlich hasst es mich für meine Lügerei nicht allzu sehr, dachte das Mädchen.

Den ganzen Tag wachte Elena neben Tristan und wartete, ob er auf ihre Behandlung reagierte. Aber es geschah nichts. Wieder kontrollierte sie seine Wunden. Zumindest waren diese noch nicht schwarz oder faul geworden. Zum ersten Mal fiel dem Mädchen eine breite Narbe quer an seinem Hals auf; so als hätte ihm jemand die Kehle durchgeschlitzt.
Leicht verdrehte Elena ihre Augen und winkte ab: "Sowas kann keiner überleben. Aber... irgendwann muss er doch aufwachen."
Mit der Dauer wurde das Mädchen unruhiger. Sie biss sich so heftig auf die Lippen, dass diese zu bluten begannen.
Zu allem Überfluss ging ihr Dragonir mit seiner aufgedrehten Art auch noch auf die Nerven. Es sprang von der einen Seite der Höhle zur anderen und verursachte damit möglichst viel Krach. Elena wusste, dass Trainingsstunde und ihr Pokémon nicht ausgelastet war, aber sie wollte die erste Zeit bei Tristan bleiben.
"Sei still jetzt", ermahnte das Mädchen.
Dragonir ließ sich davon nicht beeindrucken und begann, Arkani zu würgen. Der Feuerhund aber war zu niedergeschlagen, um sich auf dieses Spielchen einzulassen.

Kini hatte den ganzen Tag über nichts gefressen, sodass sich Elena um ihn auch noch Sorgen machen musste.
Sie wollte den Feuerhund zum Fressen ermuntern: "Hey Arkani, es bringt nichts, wenn du neben ihm sitzt und hungerst. Friss Beeren oder was du willst. Wir haben genug."
Arkani aber blickte sie kurz an. Es legte seinen Kopf wieder bei Tristan ab und wartete.
Mit strenger Stimme sprach sie ihre Beschwerde aus: "Wenn er aufwacht und merkt, dass ich mich nicht um dich gekümmert hab, dann macht er mir bestimmt die Hölle heiß! Das ist wirklich mies, dass du nicht kooperierst!"
Selbst das konnte Arkani nicht beeindrucken.
"Du bist echt ´n Mistvieh! Schlimmer als dein Herrchen", kommentierte das Mädchen, ohne zu wissen, ob Tristan so war.
Sie kannte ihn überhaupt nicht. Ihre beiden Begegnungen waren viel zu kurz, als dass Elena etwas über seinen Charakter hätte herausfinden können.

Am nächsten Tag kroch sie aus ihrem Bett auf allen Vieren direkt hinüber zu Tristan um zu überprüfen, ob er schon gestorben war. Seit Marcos Tod war die Jugendliche nicht mehr sehr optimistisch.
Dieses Mal wurde sie jedoch positiv überrascht.
Elena erkannte, wie sich seine grünen Augen erschöpft auf sie richteten. Voller Erstaunen sah sie ihren Patienten an, ihre eigenen Augen immer größer werdend. Er zuckte sogar mit seiner Hand. Ganz leicht öffnete er seinen Mund, um etwas zu sagen.
"Du lebst noch? Arkani, sieh her, er wirds schaffen!", rief Elena aus und schüttelte den Hund aus seinem Schlaf.
Das Feuerpokémon sprang auf und sah seinem Herrchen ins Gesicht.
Tristan hob seine Hand gerade so hoch, dass er Arkanis Vorderpfote streicheln konnte.
Das war für den Hund aber mehr als genug Grund zur Freude. Arkani hechelete und stieß Elena um.
Sie richtete sich wieder auf forderte von Arkani: "Ich bins nicht, die überleben musste. Leb deine Freude bei Tristan aus."
Dann hörte sie ein Flüstern von Tristan: "Er sagt Danke, weil du mich gerettet hast. Und ich auch."

Elena saß im Schneidersitz auf dem Höhlenboden.
Dann beugte sie sich über ihren Patienten und quasselte: "Bitte, gern geschehen. Aber wie geht's dir jetzt? Ich meine... Ich erzähl deinem Hund seit vorgestern, dass du überleben wirst, aber eigentlich weiß ich´s ja auch nicht... Also wär´s schön, ´ne - wie soll ich sagen - ´ne subjektive Einschätzung von dir zu hören... Ich mein, ich steck ja nicht drin in so ´nem vergifteten Körper, ich hab leicht reden."
Was laberst du denn da, fragte sich Elena; fragst du einen möglicherweise Sterbenden gerade, ob er stirbt? Sie klatschte sich ihre Hand auf die Stirn.
Doch Tristan musste wegen ihre Ungehobeltheit grinsen. So schlecht konnte es ihm also nicht gehen.
"Du redest echt viel... Zu deiner Frage; ich weiß nicht, ich hoffe schon, dass es wieder wird", keuchte Tristan.
"Richtig, wer hofft denn nicht, dass er noch ´n bisschen weiterleben darf? Hey, wie sieht´s aus; willst du mehr Pirsifbeeren?", fragte Elena.
Mit einem Nicken gab er sein Einverständnis. 
Wie gehabt zermatschte sie eine Beere und schob sie Tristan in den Mund, wofür sie von ihm einen kritischen Blick erntete.
Sie stellte fest: "Ach ja, richtig; du solltest mittlerweile ja wieder selber kauen können..."
Das Mädchen verzichtete darauf, die Beeren weiterhin zu zerdrücken.

Im Laufe des Tages kam Tristan immer mehr zu Kräften. Elena nutzte die Gelegenheit und machte sich auf den Weg, um neue Beeren und frisches Wasser zu holen.
Für eine kurze Zeit war der junge Mann mit Arkani alleine in der Höhle.
Zuerst konnte Tristan seine Arme wieder bewegen, dann konnte er sich aufsetzen und zum guten Schluss hätte er auch aufstehen können. Der schwarzhaarige Kerl fühlte sich aber noch benommen und verzichtete vorerst darauf.
Seine Stimme wurde allmählich kräftiger. Er konnte wieder normal sprechen. Ein Glück, denn Tristan musste dem Mädchen noch erzählen, was mit Ebenholz geschehen war. Nervös wartete er auf ihre Rückkehr. In der dunklen Höhle, die nur sein Arkani ausleuchtete, betrachtete er Elenas aufgebauten Unterschlupf.
Der junge Mann sah, dass er in ihrem Bett aus Moos lag und sie selbst mit ihrem Schlafsack auf dem harten Steinboden schlief. Selbst ihm gegenüber war sie fürsorglich.

Er hörte Schritte in den Felswänden hallen, als Elena zurückkam.
Sie reichte ihm den Wasserschlauch: "Hier, für dich. Du bist wahrscheinlich eh total ausgedörrt."
Wortlos nahm er den Schlauch und trank. Dabei spürte er förmlich das Wasser den Magen hinunter fließen.
"Und jetzt kannst du dich sogar schon wieder bewegen, das wird ja was mit dir", freute sich die Jugendliche über die Fortschritte ihres Patienten.
"Elena, ich muss dir was sagen", begann Tristan unverblümt: "Ich war nicht ohne Grund im Wald. Ich war auf der Suche nach dir, um dich abzuholen. An diesem Tag hat Kanto Ebenholz angegriffen."
Elena verfiel in eine Starre und ließ ihre gesammelten Beeren auf den Boden fallen.
"Ich hab Doro gleich als erste gewarnt und dann Jonas und meine Soldaten beauftragt, die Stadt zu evakuieren. Ich bin sicher sie haben ihre Aufgabe erfüllt."
"Doro... Wohin? Evakuiert?", stammelte Elena.
Die Jugendliche schloss ihre Augen und hielt sich mit einer Hand den Kopf. Hin und her wankend ging sie langsam auf die Knie und suchte mit der flachen Hand den Boden, auf welchen sie sich setzte. 

Er holte weit aus mit seiner Erläuterung um ihr Hoffnung zu machen: "Ich habe meine Leute beauftragt, dass sie den Weg über den Eispfad in Richtung Westen nach Mahagonia nehmen sollen, wenn die Ebenholzer zur Abreise bereit sind. Die Menschen leben, ich bin sicher. Wie es allerdings mit der Stadt aussieht, weiß ich nicht."
Verzweifelt verzog das Mädchen ihr Gesicht und bemerkte mit stechendem Blick: "Der Eispfad ist saukalt! Wie kannst du sie da rein schicken?" 
Tristan schüttelte den Kopf: "Eine Übermacht aus 1000 Soldaten oder für einen Tag minus 5 Grad; was wählst du?"
Der Leutnant sah der Deserteurin direkt in die Augen und zog beide Augenbrauen hoch. Mit dieser Gegenüberstellung der beiden Möglichkeiten hatte er sie überzeugt, dass seine Idee der Eispfad-Durchquerung keine schlechte Idee war.
Da sie keine Antwort von sich gab, ergriff Tristan neuerlich das Wort: "Gut, hätten wir das. Wie lange ist es her, dass du mich im Wald vor den Ninjas gerettet hast?"
Elena rollte die Augen und überlegte: "Zwei Tage."
Der schwarzhaarige Kerl prustete aus: "Zwei Tage? Ich war zwei Tage weg? Wie dem auch sei. Wir müssen deine Leute finden und dich nach Hause bringen."
"Geht das denn so leicht? Immerhin bin ich eine gesuchte Deserteurin."
Tristan hielt sich eine Hand ans Kinn und überlegte: "Das Militär ist weg! Die Ebenholzer waren immer zu dir gestanden. Wenn du jetzt lebend bei ihnen auftauchst, dann wirst du mit offenen Armen empfangen, so viel ist sicher."
"Dann sollten wir mal sehn, was mit Ebenholz passiert ist und wenn das Schlimmste eingetreten ist, müssen wir sie im Westen suchen", schlussfolgerte Elena und gab das Kommando zum Aufbruch, als sie aufstand.
Auch Tristan erhob sich. Erst jetzt bemerkte er, wie schwach seine Muskeln waren.

"Aber ich glaub, ich muss mich erstmal wieder an das Leben gewöhnen", stellte der junge Mann hilflos fest, als er sich kaum auf seinen Beinen halten konnte.
Das Mädchen wandte sich zum Höhlenausgang: "Ist gut, dann geh ich alleine nach Ebenholz."
Er griff nach ihrem Arm und hielt sie auf: "Nein, wir teilen uns nicht auf, damit das klar ist." 
Elena seufzte: "Na gut, wie du meinst, werter Leutnant..."
Tristan widersprach ihr, während er suchend um sich blickte: "Ich fürchte nur, dass ich kein Leutnant mehr bin."
"Ähm, also deine Klamotten hab ich am Fussende des Bettes gelagert", antwortete sie, noch bevor der suchende Tristan seine Frage aussprechen musste.
Gerade, als er sich nach unten bückte, rechtfertigte sich Elena: "Hab sie gewaschen, aber sind ´n wenig zerlöchert von dem Angriff..."
Da fuhr der junge Mann um und nickte: "Egal, Danke."
Elena verließ die Höhle, damit sich Tristan umziehen konnte.
Vollständig bekleidet kam der junge Leutnant in seiner Uniform mit seinem Arkani aus der Höhle, wo er Elena auf einem Felsen sitzen sah.
"Na dann wollen wir mal", sprach er.

Der schwarzhaarige Kerl hievte sich mit Mühen auf sein Pokémon und sah wartend auf Elena.
"Ach", entgegnete die Jugendliche knapp, als ihr Tristans Möglichkeit, nach Ebenholz zu reiten, vor Augen geführt wurde.
"Ja was ist? Kommst du oder willst du uns ausbremsen?", fragte der junge Mann mit spöttischem Ton und deutete an, dass sie sich mit auf sein Arkani setzen sollte.
"Wird ihm das nicht zu schwer ?", bedauerte sie das Pokémon.
"Ne, du bist doch leicht wie eine Feder, der merkt das gar nicht", bestätigte er in völliger Überzeugung von der Stärke seines Arkani.
Elena nickte und klammerte sich an Tristan fest.

Innerhalb von kürzester Zeit waren die beiden dank Arkanis Hilfe am nördlichen Waldesrand angekommen und stiegen ab. Durch das Unterholz bahnten sich die zwei ihren Weg nach Norden. Hinter den letzten Sträuchern des Waldes versteckten sich die beiden, von wo aus freie Sicht bestand.
Zum ersten Mal seit einem halben Jahr blickte Elena auf ihre Heimatstadt. Perplex über den Anblick der Stadt, die sie ihr zu Hause nannte, stand sie eine Weile regungslos da.
"Ich würde jetzt gern sagen, willkommen zu Hause, aber ich fürchte, daraus wird nichts", meinte Tristan mitleidig.
Es dauerte ein wenig, bis Elena wusste, was er meinte, aber dann erkannte sie es auch.
"Das ist... Kanto. Die sind schon hier", stellte sie fest und wurde zittrig.
Der junge Leutnant entgegnete zuversichtlich: "Beruhig dich Elena. Ich bin sicher, Doro ist rausgekommen, mit vielen anderen Einwohnern aus Ebenholz."
"Und was machen wir jetzt?", fragte die Jugendliche und sah stirnrunzelnd auf ihren Begleiter.
"Der Zugang zum Eispfad liegt in der Stadt. Es gibt eine andere Route quer über die Berge. Aber die ist sehr gefährlich und kälter als der Eispfad", überlegte der schwarzhaarige Kerl und hielt seine Hand ans Kinn.
"Was schlägst du vor?", wollte das Mädchen wissen.
Tristan gab zu bedenken: "Für das Gebirge haben wir nicht die Ausrüstung. Wir würden innerhalb kürzester Zeit erfrieren und eine Landkarte hab ich auch nicht."
"Dann müssen wir den Eispfad nehmen!", schlussfolgerte Elena.
Der junge Mann deutete auf die Stadt und warf ein: "Du siehst schon, dass da hunderte von kantonesischen Soldaten auf- und abmarschieren und den Weg zur Höhle bestenfalls nur behindern und nicht komplett blockieren?"
Kurz hielt das Mädchen inne, fragte dann aber rein rhetorisch: "Hunderte Soldaten also; wie kennen die sich?"
"Was?"
"Wenn hunderte Soldaten mit dir irgendwo stationiert sind, kennst du dann alle?", fragte sie.
Der Leutnant antwortete mit einem skeptischen Kopfschütteln: "Nein, natürlich nicht."
Elenas Augen leuchteten: "Dann nutzen wir das doch aus."

Wenig später stand Dragonir auf weiter Flur vor den Toren der Stadt, wo es nicht lange unbemerkt blieb.
Die beiden wachhabenden Soldaten am Ebenholzer Südtor wurden gierig darauf, ein so seltenes Pokémon zu fangen.
Einer meinte: "Krass, die Legenden stimmen. Ebenholz ist wirklich die Drachenstadt."
Der andere erwiderte: "Aber den Drachenclan gibt's schon seit Ewigkeiten nicht mehr."
"Was, wieso nicht?"
"Weil die eigentlich keine Drachenpokémon mehr haben."
"Also haben wir noch einen Grund, das Viech hier zu fangen!"
Die beiden schlichen auf Dragonir zu, welches sich abwandte und auf seiner selbst gemachten Eisbahn zurück in den Wald schlitterte. Kurz darauf kamen dort auch die beiden kantonesischen Soldaten an.
"Wo ist es?"
"Psst, nicht so laut, wenn es uns hört, rennt es erst re..."

Noch bevor der Soldat in seiner roten Uniform seinen Satz vollenden konnte, tat es ein dumpfes Geräusch und er fiel ohnmächtig zu Boden, ebenso wie sein Kamerad.
"Gut gemacht Dragonir, Hep!", lobte Elena und warf ihm eine Beere zu.
"Na schön, da haben wir schon mal Uniformen." Er wandte sich zu der Jugendlichen: "Los, hilf mir."
Gemeinsam zogen sie die beiden tiefer in den Wald.
Die fremden Uniformen nahmen Tristan und Elena an sich, um sie selbst zu tragen.
Hinter den Bäumen raschelte das Mädchen durch das Laub und meckerte ihren Begleiter an: "Habt ihr Soldaten alle so kratzige widerliche Uniformen?"
Der junge Mann zuckte mit den Schultern: "Bedenke, dass das kantonesische Uniformen sind. Das ist etwas gänzlich anderes."
Ein gequältes Flehen entkam der Deserteurin: "Also lang halt ich´s nicht aus. Lass uns schnell zum Eispfad und wieder umziehen."
Sie hatte Recht. Die Uniformen waren kratzig und schwitzig von ihren jeweiligen Trägern zuvor; kurzum total eklig.
Wenigstens war eine passende Mütze Bestandteil der Uniform, unter welcher Elena ihre Haare verstecken konnte. Mit ein wenig Dreck im Gesicht würde sie niemand weiter beachten und sie könnte ganz normal als Mann durch die Stadt laufen. Die eigenen Klamotten trugen sie in ihrem Rucksack mit.
"Schon ein wenig auffällig?", erkundigte sie sich. 
"Ach, die werden sich kaum für Privattaschen interessieren. Dann war halt keine andere da", antwortete der junge Mann zuversichtlich.

Aus dem Unterholz, wo sie die beiden Soldaten fast komplett entkleidet zurückließen, gingen die beiden auf dem Pfad nach Norden und liefen der Stadt entgegen. Die Wachposten vernahmen, dass die beiden in rot und schwarz gekleideten Soldaten zurückkehrten und reagierten nicht weiter auf sie.
In Angst, ertappt zu werden, traten Elena Schweißperlen auf die Stirn. Mit großen Augen blickte sie von links nach rechts und wieder zurück, um sofort mitzubekommen, wenn sie jemand musterte.
Diese Hürde war aber einfacher als gedacht. Ohne eine weitere Kontrolle kamen sie in die Stadt. Den Marktplatz mieden die beiden, um von möglichst wenigen Soldaten gesehen zu werden. Immerhin minimierte es das Risiko, enttarnt zu werden.
In der Stadt selbst bot sich ein Bild des Grauens. Viele Gassen waren verkohlt. An den Wänden der Häuser hatte sich Ruß abgesetzt, die Holzbalken waren durchgebrannt. Es roch nach stechendem Rauch und verbranntem Fleisch.
Elenas Heimat war nicht wieder zu erkennen. Einzig deshalb, weil sie die Wege schon tausend Mal gelaufen war, fand sie sich hier noch zurecht.
In tiefstem Schock ließ das Mädchen die Eindrücke auf sich einprasseln.
Mit einem Kloß im Hals flüsterte sie: "Es sind Leute gestorben. Riechst du das?"
Tristan nickte einmal tief, sprach ihr dann gut zu: "Ja. Aber nicht alle."

Die beiden erreichten das Gebäude, welches ehemals der jotholesischen Armee als Kaserne diente. Die Kantonesen taten es ihnen gleich; das Gebäude wurde wieder als Kaserne benutzt. Das machte durchaus Sinn, denn schließlich war von Schlafräumen über den Speisesaal hin zum Übungsplatz alles vorhanden, was eine Truppe brauchen konnte. An der Kaserne vorbei machten sich die beiden weiter in Richtung Nordosten zum Eispfad.
Unterwegs trafen Elena und Tristan nur eine Hand voll Patrouillen, die ihren Dienst jeweils zu zweit ableisteten. Wortlos marschierten sie nebeneinander her, bis sie den Eispfad erreichten.
Der junge Mann stockte: "Also hier war der Zugang zum Eispfad."
Seine Begleiterin bestätigte lapidar: "Richtig... war..."
Dort, wo Elena den Zugang zum Eispfad in Erinnerung hatte, war nun ein Haufen aus Steinen und Geröll aufgeschüttet. Der Eingang war versperrt.
Tristan mutmaßte: "Möglicherweise kam es während der Angriffe zu einem Erdrutsch, welcher sich vor dem Eingang aufstaute. Oder die kantonesischen Soldaten haben den Eingang selbst blockiert, um zu vermeiden, dass jemand über die andere Seite nach Ebenholz gelangt."
"Wenn die Angriffe so heftig waren, um einen Erdrutsch auszuösen, wie sieht´s dann im Inneren aus? Könnte die Höhle eingestürzt sein?", fragte Elena in Besorgnis.
Ihr Begleiter wusste, worauf sie hinaus wollte, aber er gab ihr eine Antwort, die sie zuversichtlich stimmen sollte: "Damit die Höhle einstürzt, braucht es schon mehr als ein paar Pokémonangriffe von oben... Wie dem auch sei. Über den Eispfad kommen wir dann wohl nicht in den Westen." "Bleibt nur...", begann der schwarzhaarige Kerl seinen Satz und wandte sich zur westlichen Bergkette.
Elenas Blick folgte dem seinen und sie vollendete seufzend: "...der Weg über das Gebirge."
Tristan nickte.
Die Jugendliche widersprach mit hochgezogenen Augenbrauen: "Aber wir werden erfrieren, wir haben die Ausrüstung nicht."
Der Leutnant lächelte: "Richtig, wir nicht; aber die."
Dabei zupfte er an seiner roten Uniform und deutete seinen Plan an.
"Du willst jetzt aber nicht in die Kaserne einmarschieren und denen das Zeug klauen?", fragte Elena voller Entsetzen.
"Ja aber was sollte ich denn sonst tun?", entgegnete er scheinheilig und bestimmte: "Außerdem kommst du mit! Wir dürfen uns nicht mehr trennen."
"Das können wir doch nicht... Tristan, wir kommen da niemals raus", zweifelte das Mädchen in Hysterie an seinem Plan.

"Elena!" Tristan griff sie an ihren Schultern und sprach: "Wir sind jetzt Soldaten der kantonesischen Armee. Wir nehmen, was wir brauchen. Es ist riskant, ja, aber umso schneller wir zur Tat schreiten, umso schneller kommen wir hier wieder weg. Also reiß dich zusammen und verfall nicht in Panik. Dein Dratini hast du damals ja wohl auch aus der Stadt bekommen."
Ohne ein weiteres Wort wandte sich der junge Leutnant von ihr ab und trat den Weg an, gefolgt von Elena.
Im Schnellschritt lief sie ihm nach und wollte ihn aufhalten: "Und selbst da haben mich deine Leute schon verdächtigt, obwohl ich mein Dratini im Pokéball dabei hatte. Mir sieht man das einfach an."
"Dann halt du die Klappe, bleib hinter mir und vertrau mir. Ich mach das schon!", erklärte Tristan mit Bestimmtheit.
Elena ließ sich in den Strudel der Zerstörung ziehen, da sie keine weiteren Argumente gegen sein Vorhaben fand. Es gab keinen anderen Weg als über das Gebirge, um schneller in den Westen zu gelangen. Doch dazu benötigten sie erst die Ausrüstung.

Nach Erreichen der Kaserne schob Tristan das Holztor auf, welches in den Angeln quitschte. Zu zweit fanden sie sich im eiskalten Flur wieder. Schritte hallten in den Gemäuern. Zielsicher ging der junge Leutnant, der das letzte halbe Jahr hier gewohnt hatte, auf die hinterste Türe links zu.
Kanto hatte in den paar Tagen mit Sicherheit noch keine Gelegenheit gefunden, die Ausrüstung woanders zu lagern.
Er zog Elena am Handgelenk hinter sich her und sie erreichten eine verschlossene Tür mit der Aufschrift "Vorratsraum".
Das Mädchen starrte auf das Schild und flüsterte giftig: "Tja und was jetzt?"
"Hm, wird schon keiner hier sein", antwortete Tristan mit einem Schulterzucken.
Er trat gegen das Schloss und die Tür stand offen.
Schnell huschten die beiden in den Raum und schoben die Tür wieder zu.
"Gut, das hätten wir. Wo sind Umhänge und Schlafsäcke?", wisperte der junge Mann.
Noch bevor er seine Frage vollendet hatte, deutete seine Begleiterin in ein Regal und flüsterte:  "Da."
Elena zog einen Schlafsack raus.
Auf Tristans fragenden Blick antwortete sie: "Ich hab meinen ja noch in der Höhle."
Er schüttelte den Kopf und riet: "Die neuen sind wärmer. Nimm dir auch einen."
Das ließ sich die Jugendliche nicht zwei Mal sagen.
Gemeinsam blickten sie weiter in den Raum auf der Suche nach Stiefeln, Umhängen, Hosen. Elena bediente sich von der kleinsten Größe.
Mit einem weißen Umhang mit neun Schwänzen in der Hand wandte sie sich zu Tristan: "Was is´n das für ´n Viech gewesen?"
"Vulnona", wisperte er: "Wahrscheinlich auf dem Schlachtfeld gefallen und dann gehäutet worden..."

Tristan packte die Kleidung ein, was vom Hinhalten her am ehesten seiner Größe entsprach.
"Rucksack!", flüsterte Elena und deutete in das Regal.
Auch davon nahm das Mädchen zwei Stück, welche sie zugleich mit den neu geklauten Sachen bepackte.
Darunter fand sie auch noch ein Zelt, welches sich als nützlich erweisen könnte. Ungeniert griff sie zu.
Gemeinsam verließen die beiden den Vorratsraum wieder.
Tristan zog langsam die Tür auf.
Elena lehnte an der Wand neben dem Ausgang und blickte in Angst hinaus. In ihr wütete die Furcht, dass sie jemand gesehen oder gehört haben könnte und nun mit dem Schwert in der Hand bereits auf die beiden Diebe warten würde.
Doch es war nichts. Mit ihren geschulterten Rucksäcken verließen sie die Kaserne wieder und machten sich auf den Weg zurück zum Stadttor.
"Sind die Soldaten überall so unfähig?", fragte Elena unterwegs, überrascht darüber, wie einfach ihr Diebeszug über die Bühne ging.
Tristan zuckte mit den Schultern: "Ich glaub, Johto wär´s aufgefallen, aber Kan..."

"Da! Das sind die, die vorhin über das Stadttor reingekommen sind!"
Die beiden blickten in die Richtung, in welcher sie einen Soldaten in der Ferne rufen hörten. Im Schlepptau dabei hatte er seinen Kameraden, zwei Männer in Unterhose und offenbar jemand höheren vom kantonesischen Militär.
Der schwarzhaarige Kerl zog eine Augenbraue hoch und sagte ruhig: "Die sind wohl doch schon früher aufgewacht."
Wie im Automatismus holte er seinen Pokéball hervor und entließ sein Arkani in die Freiheit.
Elena wusste sofort, worauf der junge Mann hinaus wollte.
Zusammen mit Tristan sprang sie auf den Rücken des Feuerhundes. Gerade noch konnte sie ihn umklammern, da sprintete Arkani wie von Bibor gestochen los.
Keine Ahnung davon, was ihr Begleiter vor hatte, musste sie ihm vertrauen. In dem Moment hätte Elena auch keine brauchbare Entscheidung treffen können. Sie konnte froh sein, nicht nachdenken zu müssen und dies ganz und gar Tristan überlassen zu können.

Der überlegte die Optionen durch; die Klippen im Norden waren zu steil. Nach Osten zu fliehen wäre sinnlos gewesen, denn ihr Ziel lag hinter den Bergen im Westen. Für Tristan blieb also nur eine Verfolgungsjagd quer durch die Stadt, um von dort aus den Weg gen Westen anzutreten.
Arkani rannte quer über das Feld, wo sich vor ihm eine Barriere aus drei Onix während ihres Trainings auftat. Statt sich deren Attacken aus Steinhagel auszuliefern, bog der Feuerhund nach links in die Gassen der Stadt ab.
Verfolgt von einer Hand voll Soldaten mit Ponita und Gallopa rannte Arkani durch die teils angebrannte Stadt. Immer wieder erfolgten Angriffe auf Arkani und seine Reiter, was nur noch mehr Chaos anrichtete.
Über einen intakten Marktplatz lief das Feuerpokémon in die Nordwestgasse.
Tristan wunderte sich darüber, dass der Platz nicht angegriffen worden war. Dafür sorgten jetzt aber die Pokémonattacken, die ihm, Elena und Arkani galten, für Zerstörung.
Der junge Mann spürte wie sich die Umklammerung immer enger zusammenzog. In Panik krallte sich Elena immer intensiver an ihm fest, zuckte auf, wenn irgendwo eine Attacke knapp daneben explodierte und kauerte sich immer mehr zusammen.
Für ihn war klar, dass sie Angst haben musste. Aber so arg? Sicher war es keine schöne Situation, verfolgt zu werden, aber er hatte doch alles im Griff. Auf sein Arkani konnte er sich verlassen.
In die Enge getrieben blieb Arkani vor der Stadtmauer umzingelt von seinen Verfolgern stehen. 
"Jetzt haben wir sie", rief einer der Verfolger aus. 
In einem bestimmenden Ton befahl Tristan: "Kini, Sprungfeder!"
Darauf, dass sein Arkani diese Attacke konnte, war der junge Mann besonders stolz. Es hatte ihm zwar viele Mühen abverlangt, mit seinem Feuerhund immer wieder die Sprungtechnik zu üben. Aber letztlich hatte es sich schon jetzt ausgezahlt.
Unter den gaffenden Blicken der Kantonesen hob Arkani ab und flog auf die andere Seite der Stadtmauer. Auf seinen vier Pfoten federte Kini den Sprung so sanft ab, dass für die Reiter kaum ein Rückstoß zu spüren war. Es lief den ansteigenden kahlen Weg immer weiter in Richtung Berge. Hauptsache weg von Ebenholz!

Dass die Flucht längst nicht zu Ende war, bemerkte das Trio wenige hundert Meter später, als vor ihnen aus dem Nichts eine Feuersäule auftrat. Dank Arkanis schneller Reaktion konnte es gerade noch stoppen, bevor es in die Flammen rannte.
Hektisch warf Tristan einen Blick nach oben. Geblendet von der Sonne erkannte er dennoch ein Glurak, ein oranger Feuerdrache mit langem Hals und einer Flamme an seiner Schwanzspitze. Jemand vom kantonesischen Militär hatte die Verfolgung aufgenommen und den Weg mit Flammenwurf versperrt.
Ehe sich Tristan versah, war Glurak mit einem Sturzflug auf dem Weg zu Arkani. Dem Feuerhund gelang es, auszuweichen und in den Wald zu fliehen. Das Gestrüpp peitschte Tristan ins Gesicht und er riss unfreiwillig Blätter von den Zweigen. Trotz allem bemerkte er den Schatten, welcher ihnen folgte. Der Schatten im Himmel; Glurak.
Einen direkten Angriff konnte der Drache nicht starten, da sich das Trio im Schutz des Waldes befand. Bevor sich Glurak den umständlichen Weg durch die Baumkronen gebahnt hätte, wäre Arkani längst über alle Berge.

Für Tristan blieb nur zu hoffen, dass der Kantonese ihn irgendwann aus den Augen verlieren würde. Aber mit der Skrupellosigkeit, die sein Feind an den Tag legte, hatte er nicht gerechnet. Der entzündete auf der nächsten Lichtung die Bäume rund um Arkani, welches abrupt stoppte. Hilflos blickte es um sich und suchte einen Ausweg.
"Schlitzer!", schrie der Kommandant auf Gluraks Rücken.
Dieses Mal ging alles zu schnell. Der Drache traf Arkani an seinem linken Hinterbein. Es stürzte zu Boden und mit ihm wurden Elena und Tristan in das Unterholz geschleudert.
Der junge Leutnant glaubte, für einen Moment das Bewusstsein verloren zu haben. Doch er sah, wie Glurak bereits seinen nächsten Angriff auf das bewegungsunfähige Arkani vorbereitete. Verzweifelt rappelte sich der schwarzhaarige Kerl auf und suchte hektisch seinen Pokéball. Er wollte Kini zurückrufen, bevor es getroffen werden konnte. Tristan war aber so zittrig, dass er den Pokéball fallen ließ, als er ihn aus der Hosentasche holte.
Sein Blick fiel auf den Waldboden, wo er den Pokéball erst nicht finden konnte. Dann sah er auf Glurak, wie es sich aufpumpte.
Panisch schrie er: "Arkani! Weg da!"

Aber der Feuerhund winselte nur vor Schmerz. Gleich würde Glurak zuschlagen und einen Volltreffer landen. Und Tristan hätte keine Möglichkeit, sein Pokémon zu behandeln.
Der Pokéball! Der junge Mann stürzte sich in das Laub und wühlte nach der Kugel. Noch bevor er diese finden konnte, hörte er, wie Glurak seine Attacke ausspeite. Im Schock sah Tristan auf. Wieder fiel sein Blick hinüber zu Arkani. Der leuchtende Angriff steuerte direkt auf sein Pokémon zu.
"Nein!"
Tristans Schrei hielt so lange an, bis ihm die Geschehnisse vor seinen Augen klar wurden.
Ein Gegenangriff verhinderte, dass Arkani getroffen wurde. Sein Blick folgte der zweiten Attacke zu seinem Ursprung. Es war Dragonir, das mit Eisstrahl dagegen hielt. Das verschaffte ihm genug Zeit, um den Pokéball zu suchen und sich um Arkani zu kümmern.

Irritiert durch den Angriff der dunkelblauen Wasserschlange ließ Glurak ab. Der Kantonese konzentrierte sich darauf, erst Dragonir zu schlagen. Mit Flammenwurf legte er los. Dragonir wehrte mit Schutzschild ab, sprang nach oben und schoss einen weiteren Eisstrahl. Doch Glurak wich aus.
Sein Trainer war mehr als nur stolz: "Ha, du kannst mein Glurak im Leben nicht treffen. Es ist viel zu schnell."
Selbstsicher antwortete Elena: "Jedes Pokémon kann getroffen werden. Dragonir, Schockwelle!"
Unvermittelt schossen Stromschläge um Glurak ein. Ausweichen war unmöglich. Der Drache konnte mit der Frequenz nicht mehr mithalten. Er wurde getroffen und fiel samt Trainer zu Boden. Beide blieben regungslos liegen.

Gemeinsam mit Dragonir bahnte sich das Mädchen ihren Weg hin zum Kantonesen.
"Ich werde euch kriegen, verlasst euch drauf", versprach er feindselig.
Elena verschränkte ihre Arme: "Habt Ihr denn gar nichts Besseres zu tun als zwei Flüchtige zu jagen?"
Der Mann mit seinen gut 50 Jahren und kantigem Gesicht meinte: "Ihr scheiß Johtolesen. Brecht in unsere Kaserne ein und stehlt unser Zeug!"
"Nachdem ihr unsre Stadt zerstört und besetzt habt!", empörte sich die Jugendliche kopfschüttelnd und fügte an: "Ich habe dank Euch keine Heimat mehr. Was soll ich denn Eurer Meinung nach sonst tun?"
"Sterbt! Und überlasst Kanto Euer Land. Ihr seid es doch gar nicht wert zu leben", giftete der Kantonese zurück.
Sie griff zu ihrem Gürtel: "Ihr wisst schon, dass ich gerade über Euch stehe und einen Dolch in meiner Hand halte?"
"Ach, Ihr wart das? Hab die toten Ninjas schon gefunden. Das waren gute Männer", bedauerte der Kommandant, dessen braune Augen beinahe traurig wurden.
Mit geballten Fäusten stampfte das Mädchen auf den Boden: "Ihr kanntet sie? Warum wollten sie unseren Leutnant töten? Wer hat ihnen das befohlen?"
"Ha! Das wüsstest du jetzt gerne, nicht wahr? Dann darfst du mich aber auch nicht abstechen", sagte der paralysierte Mann mit aller Kraft, die er aufbringen konnte.
Sein Glurak rollte sich seitlich weg, um nicht länger erdrückend auf seinem Besitzer zu liegen.
Gerade als Elena zu unsicher wurde, kam ihr Tristan zu Hilfe.
"Wie heißt Ihr?", wollte der junge Leutnant wissen.
Der Kantonese lachte und verweigerte eine Antwort. Unbeeindruckt davon knöpfte Tristan das Jackett des Feindes auf und durchsuchte dessen Taschen.
Die Jugendliche gab zu bedenken: "Ähm. Das ist denke ich nicht der richtige Zeitpunkt für einen Raub."
Der junge Mann ließ sich nicht von seinem Vorhaben abbringen. Er suchte so lange weiter, bis er unter dem Kragen des Mannes ein silbernes Kettchen hervorblitzen sah. Der schwarzhaarige Kerl zog daran und er fand, was er suchte; die Marke des Soldaten.
"In Kanto habt ihr die also schon um euren Hals? Nicht schlecht", spiegelte der johtolesische Leutnant Bewunderung vor.
"Was ist das?", wollte Elena wissen.
"Seine Marke. Jeder Soldat hat die. Wenn sie auf dem Schlachtfeld sterben, kann man sie mit der Marke identifizieren. Darauf verzeichnet, Name, Geburtsjahr und Heimatstadt, damit man sie schnellstmöglich zurückführen kann. Und hier haben wir..."
Tristan kniff die Augen zusammen und überlegte.
"Wie heißt er?", fragte sie.

Er erhob sich zu Elena, um ihr die Marke unter die Nase zu halten und antwortete: "Nathan Battes, 1707 aus Vertania."
Beide zuckten in Ratlosigkeit mit den Schultern. Tristan beugte sich wieder zu Nathan und wollte wissen, weshalb er sterben sollte.
Der schwarzhaarige Kerl starrte dem Kantonesen in die Augen: "Habt Ihr die Ninjas auf mich gehetzt? Was sollte das?"
"Tristan!", kreischte Elena in Panik.
Der junge Leutnant sah auf und erkannte Glurak, mit erhobenen Klauen, vor sich.
"Dragonir, Eisstrahl!", befahl seine Begleiterin.
Diese Ablenkung verschaffte dem jungen Mann gerade genug Zeit, um sich wegzuducken und davon zu laufen.
"Glurak, folge den beiden", keuchte der Kantonese, der immer noch am Boden lag.
Dieses Mal hatten Tristan und Elena nicht den Luxus, auf Arkani davonzureiten. Dieses Mal mussten ihre eigenen Beine genug Abstand zwischen sich und dem Drachen bringen. Die Flucht erfolgte hinter die Sträucher und die eng gewachsenen Bäume - eben dorthin, wo Glurak nicht fliegen konnte.

Tristan wurde das Gerenne nach ein paar hundert Metern schon zu viel. Seine Beine wurden schwer wie Blei und hafteten am Boden. Er wurde immer langsamer, bis er zum Stillstand kam. Er keuchte: "Lauf weiter."
Elena warf einen Blick zurück auf ihren Begleiter.
Sie kehrte um und bettelte auf ihn ein: "Tristan, bitte, du musst laufen. Der zündet uns sonst an!"
"Ich kann nicht mehr, Elena. Das Gift..."
Der junge Leutnant stützte sich mit beiden Händen auf seinen Oberschenkeln ab. Der Schweiß rann ihm von der Stirn.
Hysterisch wie nie quitschte die Jugendliche: "Und wie soll ich dich von hier wegbekommen? Verdammt, Tristan! Komm her!"
Sie legte seinen Arm um sich und schleifte ihn über den Boden. Hektische Schritte raschelten durch das Laub. Ihr Engagement um ihn motivierte den jungen Leutnant zum Weitergehen.
"Das ist lieb von dir, dass du das machst, aber warum lässt du mich nicht einfach hier?", wollte er wissen.
Mit großen Augen starrte sie auf Tristan: "Wie kommst du auf sowas? Ich lass dich doch nicht zurück, du Depp."

Nach einer Weile erreichten die beiden einen Fluss.
"Ist das mein Fluss?", fragte das Mädchen.
Ohne Worte nickte Tristan. Ja, es war Elenas Fluss.
"Dann ist meine Höhle auch nicht weit weg!", schlussfolgerte sie.
Mit neuer Motivation gingen die beiden der Fließrichtung nach Süden hinterher. Mit Dämmerungseinbruch gelangten die beiden tatsächlich an die Dunkelhöhle.
"Ich glaub´s ja nicht. Das ist sie wirklich. Meine Höhle!", strahlte das Mädchen und beschleunigte ihren Schritt.
"Langsamer, Elena, bitte", keuchte der junge Mann.
Die beiden warfen ihr gesamtes Gepäck in die finstere Höhle und entledigten sich ihrer kratzigen Kleidung. Keinen Schritt taten sie für den heutigen Tag mehr hinaus in die Welt. Viel zu gefährlich war es da draußen. Immerhin war jetzt nicht nur Elena die gesuchte Deserteurin.
Jetzt wurde nach beiden gesucht. Und zwar vom echten Feind.
Das Mädchen hielt fest: "Jetzt haben wir die versiffte Uniform doch den ganzen Tag getragen... Ich kotz gleich."
"Wahrhaft ekelhaft", seufzte Tristan müde.
Dennoch legte der Leutnant die kantonesische Uniform sorgfältig zusammen.
Dann erkundigte sich das Mädchen: "Wie geht's Arkani?"
Sein Trainer zuckte mit den Schultern: "Dank dir hat er nur die Schlitzerverletzung. Das braucht Zeit und Medizin. Ansonsten geht es ihm gut."

Die beiden holten Arkani und Dragonir aus ihren Bällen um sie zu füttern. Es gab wie immer Beeren und Wurzeln. Auch Tristan stopfte sich ungeniert voll. Er musste wieder zu Kräften kommen.
Nach dem Essen würgte Dragonir Arkani wieder mit seinem ganzen Körper und es wurde davon geschleudert. Arkani konnte zwar nicht stehen und laufen, aber diese kurze Kopfbewegung war ihm möglich.
Elena erzählte: "Nachdem die Ninjas tot waren, hat Dragonir das zum ersten Mal gemacht. Und gestern, wo du komplett weg warst, hat dein Arkani auch wieder dran glauben müssen. Keine Ahnung, warum Dragonir das macht."

Tristan sah in Elenas zart beleuchtetes Gesicht und in ihre strahlenden Augen. Sie ahnte überhaupt nichts. Er war ihr eine Erklärung schuldig. Aber nicht jetzt, sondern später; später, wenn Elena ihn besser kennen würde.

Heute war es das längste Kapitel (knapp 5700 Wörter), das ich in meiner Geschichte produziert habe. Ich habe keine echte sinnvolle Zweiteilung gefunden, deswegen belasse ich es dabei.

Wie immer hoffe ich, ihr habt Spaß beim Lesen und findet Freude an meiner Story.

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